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„… delight and consolation“? Vom Unbehagen in der Corona-Literatur

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Quer durch die Genres frappiert ein gewisses Unbehagen in der Corona-Literatur, samt Kritik einer Instant-Diskursproduktion, die an ebendieser partizipiert. Vorwurfsvoll wird daran erinnert, dass Daniel Defoes die Londoner Pest 1665 dokumentierendes Journal of the Plague Year erst 1722 erscheint; auch Orhan Pamuk hatte bei der Redaktion seines Romans Veba Geceleri („Pestnächte“, 2021) „the good sense to let time do its work“ (Morris 2020). „So gut hätte dieses Buch sein können, wenn der Autor sich Zeit gelassen hätte“, bemerkt Truijens (2020) zu Daan Heerma van Voss’ Coronakronieken; freilich sei deren Aktualität „auch etwas wert“. Mitten aus dem Geschehen heraus erzählt Kike Mateu seine Geschichte als Paciente cero (2020); aus der Position eines auch physisch involvierten „spectateur engagé“ analysiert Le Goff die „grands discours“ einer Société malade (2021: 11). Doch insgesamt dominiert die Skepsis gegenüber einem wohlfeilen „Trend“, so Inga Kuznecova (Tolstov 2020), selbst Autorin eines Corona-Romans. In Naturkatastrophen-Metaphorik wird vor der drohenden „surproduction“ gewarnt, bevor die große „vague“ richtig startet (Gariépy 2020).

Jenes Unbehagen kompensieren Strategien präventiver Selbstlegitimation: Die engagierte Widmung – so bei Sizemore (2020): „for the first responders, the high risk, and the whistle blowers“ – gehört ebenso zum Corona-Paratext wie der Hinweis auf den karitativen Zweck; in Zeiten der crise veröffentlicht auch Gallimard seine dazugehörigen Tracts digital kostenlos. V. a. in der populären Domäne sind Gesundheitswünsche Usus: „Bleiben oder werden Sie gesund!“, richten der Leserschaft Sund/Biel (2020: 264) aus, die mit ihrem „ANTI-MIKROBIELL“ präparierten Cover ein kurioses Exempel pandemischer Paratextualität bieten. Über derlei Gesten hinaus stellt sich die komplexere Frage, was diese Echtzeit-Krisenliteratur leisten kann, will und soll. „Hoffnung verbreiten“, „unterhalten und […] Mut machen“ möchte das zitierte Corona-Ende (ibid.: 6); auf delectare et prodesse – „delight and consolation“, aber auch Reflexion der „true […] story“ – setzt das Decameron Project der New York Times (DP IX, XV). Jenem „Mangel an Vorstellungskraft“, der sich hinter „fehlende[r] Solidarität“ verbirgt (Giordano 2020: 40), gilt es auf dem Weg der Literatur beizukommen, spielerische Schule anti-egozentrischer Imagination.

Corona im Kontext: Zur Literaturgeschichte der Pandemie

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