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2.5 Das Fremde

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Erdheim beobachtet, dass das Fremde und das Eigene in einem ähnlichen Verhältnis zueinander stehen wie das Unbewusste und das Bewusste: Das, was unbewusst ist, tendiert zum Bewusstsein, wobei sich das Bewusstsein dagegen wehrt und dennoch davon geprägt wird. Fremd ist folglich das, was einen auf eine merkwürdige Weise betrifft, ohne dass man es kennt, und somit ist es eine Ambivalenz von Angst und Faszination, die das Verhalten gegenüber dem Fremden prägt und zugleich die Haltung zu sich selbst bestimmt (Erdheim 2000: 167).

Erdheim spricht ebenso wie Akhtar (2007) davon, dass die Kategorie des Fremden immer eine positive oder negative Betroffenheit auslöst, dass dem Fremden also mit Angst und Faszination zugleich begegnet wird, sodass diese Ambivalenz aus dem Fremden eine ideale Projektionsfläche macht. Erdheim plädiert für ein dynamisches Konzept der Kultur, das der Interaktion zwischen dem Bekannten, Vertrauten und dem Fremden Rechnung trägt: „Kultur ist nämlich das, was in der Auseinandersetzung mit dem Fremden entsteht; sie ist gewissermaßen das Produkt der Veränderung des Eigenen durch die Aufnahme des Fremden“ (2000: 178).

Die Auseinandersetzung mit dem Fremden spielt sich in der Kunst, in der Wissenschaft und in der Religion ab, indem die etablierten Strukturen versuchen, das Fremde für die eigene Kultur fruchtbar zu machen, neue Formen zu schaffen und die kulturellen Grenzen zu erweitern. Erdheim greift außerdem den von Freud thematisierten Antagonismus zwischen Familie und Kultur auf und stellt der Familie (Ort der Aufwachsens, der Tradition, der Intimität im Guten und im Bösen) den erweiterten Begriff der Kultur entgegen (Ort der Innovation, der Revolution, der Öffentlichkeit und der Vernunft) (S. 182). Mit diesem Antagonismus im Hinterkopf ist es möglicherweise leichter nachzuvollziehen, warum MigrantInnen, denen es nicht gelingt, in den Institutionen und in der Öffentlichkeit des Aufnahmelandes Fuß zu fassen, mitunter einen Rückzug in die familiären Strukturen und in die tradierten Lebensweisen antreten.

Der Psychoanalytiker Günther Bittner beschäftigt sich mit dem Fremden in einem alltäglichen und elementaren Sinn und stellt die Frage, ob das „Eigene“ ausgeschaltet werden müsse, um „dem Fremdseelischen Raum zu geben“ (2000: 199). Einerseits muss ein Psychoanalytiker sich selbst gut kennen, um, vereinfacht gesprochen, eigene Probleme nicht auf den Patienten zu projizieren. Andererseits läuft jemand, der sich nur mit seiner eigenen Thematik befasst, Gefahr, sich vom Fremden nicht berühren zu lassen, überall nur das Eigene zu sehen und nichts zu verstehen. Bittner fasst zusammen: „Verstehen, auch psychoanalytisches Verstehen, ist offenbar ein hochkomplexes Geschehen, bei dem der Rekurs auf das, was ich von mir selber kenne, ebenso bedeutsam ist wie die Bereitschaft, sich befremden zu lassen, d.h. wahrzunehmen, was ich von mir selber nicht kenne“ (2000: 202f.). Diese Überlegung zum Phänomen des Verstehens ist für DolmetscherInnen ebenfalls von Relevanz, denn Verstehen ist immer ein komplexer Vorgang, für dessen umfassendes Gelingen die Kenntnis der Sprache nur eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung darstellt.

Dolmetschen in der Psychotherapie

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