Читать книгу Dolmetschen in der Psychotherapie - Mascha Dabić - Страница 5
1 Einleitung
ОглавлениеDie psychotherapeutische Unterstützung ist eine wichtige integrative Maßnahme für kriegs- und foltertraumatisierte AsylwerberInnen und Flüchtlinge. Da alle Formen der Psychotherapie stark an Sprache gebunden sind und die Schwierigkeit, sich in einer fremden Sprache zu verständigen, durch die Problematik, über traumatische Erlebnisse zu sprechen, verschärft wird, stehen DolmetscherInnen in der Psychotherapie vor besonderen Herausforderungen: Als Sprachrohr für PsychotherapeutIn und KlientIn gleichermaßen müssen DolmetscherInnen neben Sprach- und Dolmetschkompetenz auch Einfühlungsvermögen und hohe Flexibilität und Belastbarkeit mitbringen, um die ständige Gratwanderung zwischen Distanz und Nähe (Abgrenzung und Empathie) in der Psychotherapie zu bewältigen.
Die Triade konstituiert einen Raum, in dem sprachliche und emotionale, aber auch gesellschaftliche, politische und soziale Dimensionen aufeinander treffen. Der Entwurf tragfähiger Rollenbilder in der Triade muss von einer umfassenden Diskussion begleitet sein, die auch und gerade die Perspektive der KlientInnen berücksichtigt.
Bei der Psychotherapie handelt es sich um ein Setting, das auf größtmöglicher Verschwiegenheit und Exklusivität beruht. Bei den KlientInnen handelt es sich um Menschen, die Erfahrungen mit Krieg und Flucht, gegebenenfalls auch mit Folter gemacht haben und deren rechtlicher Status in Österreich zum Zeitpunkt der Psychotherapie in der Regel prekär ist. Als konstituierendes Element der psychotherapeutischen Triade erfüllen DolmetscherInnen eine wichtige Funktion bei der Verbesserung der psychischen Gesundheit der KlientInnen.
Ziel der vorliegenden Auseinandersetzung mit dem Thema Dolmetschen in der Psychotherapie ist es, die Arbeit der DolmetscherInnen insgesamt sichtbarer zu machen und diese kommunikative Arbeitssituation, die einerseits äußerst intim ist und andererseits in einen brisanten gesellschaftspolitischen Kontext eingebettet ist, aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Dabei sind individuelle Aspekte (psychische Belastung in der Arbeit mit Traumatisierten, Rollenverständnis) ebenso zu berücksichtigen wie kollektive und die Organisation als Gesamtes betreffende Faktoren (Intervisions- und Supervisionstreffen etc.).
Die Basis für die vorliegende Arbeit bildet eine von mir durchgeführte Interviewstudie, im Rahmen derer ich ausführliche, leitfadengestützte Tiefeninterviews mit KlientInnen, PsychotherapeutInnen und DolmetscherInnen durchgeführt habe. Bei den Befragten handelt es sich um Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung als KlientInnen, DolmetscherInnen und PsychotherapeutInnen mit dem Zentrum für interkulturelle Psychotherapie in Tirol ANKYRA oder mit dem Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende HEMAYAT in Verbindung gestanden sind.
Die Antworten der Befragten tragen zu einem ganzheitlichen Verständnis des beforschten Settings bei und geben Aufschluss über das gemeinsame Arbeiten in der Triade, zum einen im Hinblick auf die konkrete, angewandte Arbeitstechnik der DolmetscherInnen, zum anderen im Hinblick auf die Hinzuziehung der DolmetscherIn, die allein durch ihre physische Präsenz einen maßgeblichen Einfluss auf die Gesprächssituation hat. Die Fragen betrafen die jeweilige Positionierung der Befragten in der Triade und ihre Wahrnehmung der Dolmetschtätigkeit. Die Aussagen der Befragten geben Einblick in die Dynamiken in der Triade (u.a. Allianzenbildung), das Rollenverständnis der DolmetscherInnen (Selbst- und Fremdwahrnehmung), den Umgang mit der Kulturexpertise der DolmetscherInnen sowie den Umgang mit der psychischen Belastung angesichts der Aufgabe, die DolmetscherInnen in diesem spezifischen Kontext zu bewältigen haben, nämlich traumatisierten Menschen eine Stimme zu verleihen.
Im Kapitel 2 wird das Thema „Kultur“ im Kontext der Translationswissenschaft sowie der Psychoanalyse und der Psychotherapie behandelt und ausgehend davon die Frage nach dem „Fremden“ und dem „Eigenen“ gestellt.
Kapitel 3 widmet sich dem Phänomen des Traumas und seinen individuellen und kollektiven Auswirkungen. Das hier verhandelte Thema befasst sich mit der psychotherapeutischen Arbeit mit traumatisierten KlientInnen, daher wird im Kapitel 3 auch auf das Thema Folter ebenso eingegangen wie auf die Dynamiken und Probleme innerhalb der Einrichtungen für Kriegs- und Foltertraumatisierte. Zwar sind die DolmetscherInnen nicht für die Organisation der eigentlichen Arbeit in solchen Zentren zuständig, insofern, als sie nicht befugt sind, organisatorische, geschweige denn therapeutische Zielvorstellungen umzusetzen, dennoch bilden sie einen unverzichtbaren Teil des Teams und üben indirekt durch ihre Präsenz und ihre Kompetenz einen Einfluss auf das Arbeitsumfeld aus bzw. können von den Dynamiken im Team betroffen sein.
Im Kapitel 4 erfolgt eine Verortung des Gegenstands im Kontext des Community Interpreting, wobei auch auf die strukturellen Unterschiede im Vergleich zum Konferenzdolmetschen eingegangen wird. Die Spezifik des psychotherapeutischen Settings wird herausgearbeitet, ebenso die sich daraus ergebenden Implikationen für die berufsethischen Anforderungen an die darin arbeitenden DolmetscherInnen. Anschließend erfolgt ein Überblick über die angewandten Methoden und thematischen Schwerpunktsetzungen in ausgewählten themenrelevanten Forschungsarbeiten sowie ein Ausblick auf die Forschungsdesiderata der vorliegenden Untersuchung.
Das Forschungsprojekt wird im Kapitel 5 vorgestellt: methodische Überlegungen, Datenerhebung und eine Reflexion der eigenen Rolle als Forscherin.
In den darauf folgenden Kapiteln (6, 7 und 8) werden die jeweiligen Perspektiven der KlientInnen, der PsychotherapeutInnen und der DolmetscherInnen dargelegt. Anschließend folgt im Kapitel 9 eine Diskussion der gewonnenen Erkenntnisse. Es wird ein aus den gewonnenen Einsichten resultierendes Reflexionsmodell vorgestellt, das PsychotherapeutInnen und DolmetscherInnen dabei helfen soll, über das prekäre Gleichgewicht in der Triade und den Dynamiken, denen sie ausgesetzt sind, laufend zu reflektieren.
Dass traumatisierte Menschen die Gelegenheit bekommen, sich im Rahmen einer Psychotherapie in ihrer eigenen Sprache mitzuteilen und mit professioneller Unterstützung Wege finden, um mit ihren traumatischen Erinnerungen umzugehen, sollte der Gesellschaft ein Anliegen sein, und zwar nicht nur im Hinblick auf die gesundheitliche Versorgung der betroffenen Bevölkerungsgruppen, sondern auch im Hinblick auf die seitens der Politik häufig ins Treffen geführte und je nach ideologischen Prämissen mit unterschiedlichen Konnotationen aufgeladene Zielvorstellung von „Integration“. Aus der dolmetschwissenschaftlichen Perspektive bieten die Aussagen der Befragten wertvolle Einblicke in ein spezifisches Einsatzgebiet für DolmetscherInnen, in denen diese besonders stark mit (zum Teil divergierenden) Erwartungshaltungen ihrer KlientInnen und daraus resultierenden Rollenidealen konfrontiert sind, sowie mit emotional aufgeladenen Gesprächssituationen und belastenden Inhalten. Aufbauend auf bereits durchgeführten Untersuchungen in diesem Bereich werden im Rahmen der vorliegenden Studie weiterführend und vertiefend die Dynamiken in der Zusammenarbeit zwischen PsychotherapeutInnen und DolmetscherInnen beleuchtet, um zu einer multiperspektivischen Sichtweise auf das Dolmetschen in der Psychotherapie zu gelangen, im Rahmen derer im Arbeitsalltag auftretende Probleme ebenso Berücksichtigung finden wie grundsätzliche Betrachtungen über das triadische Setting.