Читать книгу Dolmetschen in der Psychotherapie - Mascha Dabić - Страница 9

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2.3 Interkulturalität: psychoanalytische und psychotherapeutische Ansätze

Immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund suchen therapeutische Hilfe oder bieten diese an. Insofern spiegelt sich die „multikulturelle Gesellschaft“ auch im Bereich der Psychotherapie und der Psychoanalyse als Therapieform wider (vgl. dazu Hörter 2011: 15).

Die Erfahrungen aus der Praxis finden ihren Niederschlag in einschlägigen Konferenzen – erwähnt seien etwa die Sammelbände, in denen Beiträge zu den Kongressen des Dachverbands der transkulturellen Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im deutschsprachigen Raum zusammengefasst sind (Heise 2009, 2010, Golsabahi–Broclawski et al. 2014, sowie andere Werke, die aus der Theorie und Praxis der transkulturellen Psychiatrie und Psychotherapie entstanden sind: Hegemann et al. (2001, 2010) sowie weitere, wie z. B. Gün (2007), Gunsenheimer (2007), Apsel (1991), Reichmayr (2003), Wohlfahrt & Zamseil (2006). Lersner und Kizilhan (2017) haben eine intensive Auseinandersetzung mit Kulturkonzepten im Bezug auf die Psychotherapie sowie mit interkultureller Kompetenz in der psychotherapeutischen Arbeit vorgelegt. Zu erwähnen ist auch die Arbeit von Kristeva (1990), in der das eigene Unbewusste als etwas Fremdes im eigenen Inneren erkannt und akzeptiert wird, als Voraussetzung für eine respektvolle Begegnung mit dem Fremden außerhalb seiner selbst.

Dass „Kultur“ sich auch als Kampfbegriff eignet, wurde bereits erwähnt. Im Vorwort zu Kathrin Hörters Arbeit zur Frage der Kultur und Interkulturalität in Theorie und Praxis der Psychoanalyse zieht der Sozialpsychologe Heiner Keupp eine Parallele zwischen Kultur und Identität:

Mit der „Kultur“ scheint es eine ähnliche Bewandtnis zu haben wie mit der Identität. Damit soll etwas für Gruppen oder Personen Wichtiges benannt werden, zugleich kann daraus aber auch eine Waffe geschmiedet werden. Wenn von „Leitkultur“ die Rede ist, dann werden Zugehörigkeiten und Ausschließungen konstruiert. Und wenn dann der „Kampf der Kulturen“ (Huntington) ausgerufen wird, dann befinden wir uns mitten in einer militanten Arena. (Keupp in Hörter 2011: 11)

Waffe, Leitkultur, Kampf der Kulturen, militante Arena – diese Stichworte als Auftakt zu Hörters umfangreicher Studie sind als ein Hinweis zu sehen, dass Interkulturalität auch im psychotherapeutischen Bereich nicht friktionsfrei vor sich geht, auch wenn davon auszugehen ist, dass sich PsychotherapeutInnen in ihrer Ausbildung intensiv mit der Positionierung des Individuums in (seiner) Kultur sowie in der Kultur an sich auseinandersetzen und somit einen hohen Grad an Kultursensibilität mitbringen.

Hörter definiert Interkulturalität als „das Verhältnis oder auch die Beziehung zwischen einzelnen oder mehreren Kulturen“, gibt jedoch zu bedenken, dass die Kulturen an sich keine Beziehungen eingehen können, der Begriff der Interkulturalität sich also auf die Beziehung zwischen Menschen, die sich in verschiedenen kulturellen Kontexten verorten, bezieht (2011: 15). Als unterschiedliche, ja geradezu entgegengesetzte Perspektiven zur Bewertung des interkulturellen Zusammenlebens, welches bereits eine alltägliche Erfahrung geworden sei, führt Hörter zum einen das essenzialistische Modell an, das von einer eher homogenen kulturellen Identität ausgeht (vgl. Huntington 2007), und zum anderen den im Konstruktivismus verorteten Kulturbegriff, der Kultur und kulturelle Identität als das Ergebnis von sozialen Verhandlungsprozessen versteht (vgl. Hall 1994). Dass Kultur etwas ist, das Probleme schafft oder ein Problem ist, hat nicht nur in der Psychoanalyse Tradition, dennoch möchte Hörter in ihrer Arbeit Kultur nicht als Problem verstanden wissen: „Vielmehr sollen die Fragen behandelt werden, die sich ergeben, wenn psychoanalytische Theorie und Praxis unter dem Blickwinkel der kulturellen Differenz zwischen Menschen betrachtet werden“ (2011: 17). Dabei stützt sie sich auf Cultural Studies, Konzepte der Postcolonial Studies und die Diskurstheorie nach Foucault, um das vermeintliche Wissen über Normalität und Abweichung zu hinterfragen und machtstrukturelle Aspekte zu thematisieren.

Im Zusammenhang mit dem Thema „Dolmetschen in der Psychotherapie“ lohnt sich eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Macht. Foucault stellt die Frage, „Wie wird Macht ausgeübt?“ und unterscheidet zwischen Machtbeziehungen und Kommunikationsbeziehungen, wobei zweitere dazu dienen, über eine Sprache, ein Zeichensystem oder ein anderes symbolisches Medium Information zu übertragen. Im vorliegenden Kontext ist die folgende Feststellung Foucaults von Interesse: „Natürlich heißt Kommunizieren immer auch, in gewisser Weise auf den oder die anderen einzuwirken“ (2005: 252). Den Aspekt der Machtbeziehungen und die mögliche Einwirkung von Kommunikation auf das Gegenüber – den Klienten/die Klientin – bewusst wahrzunehmen, zu reflektieren, gegebenenfalls durchaus auch kritisch zu hinterfragen ist eine implizite Anforderung, der sich DolmetscherInnen nicht entziehen sollten, auch wenn es nicht ihre Aufgabe ist, aktiv auf den kommunikativen Prozess einzuwirken.

Hörter bietet einen Überblick über unterschiedliche Strömungen der Psychoanalyse und ihre Anwendungsbereiche und arbeitet heraus, wie die Psychoanalyse eine Plattform für gesellschaftstheoretische Überlegungen bietet, ebenso wie praktische Anwendungsmöglichkeiten in der Medizin, dass jedoch eine Reduktion auf den praktischen Nutzen dem intellektuellen und gesellschaftlichen Potenzial der Psychoanalyse nicht gerecht würde (2011: 70ff.). Hörter beschäftigt sich mit dem „Fremden in der Psychoanalyse“ und betrachtet die Ethnopsychoanalyse durch die Brille der Cultural Studies, wobei sie auf Sigmund Freuds Werk Totem und Tabu aus dem Jahr 1912/13 verweist, Freuds erstes kulturtheoretisches Werk und zugleich jene Schrift, die das Fundament für die Verbindung von Ethnologie und Psychoanalyse darstellte. Darin befasst sich Freud mit Fragestellungen, die für die Ethnologen seiner Zeit relevant waren, unter anderem mit den Grundlagen des Tabus.

2.3.1 Identität im Kontext der Migration

Der im Indien des Britischen Empire geborene und im Alter von 27 Jahren in die USA ausgewanderte Psychoanalytiker Salman Akthar setzt sich mit den Auswirkungen der Migration1 auf die Herausbildung der Identität auseinander. Akhtar befolgte den Ratschlag Freuds, den dieser im Anschluss an eine Vorlesung dem Publikum ans Herz legte, nämlich die eigene Lebenserfahrung zu Rate zu ziehen oder sich an die Dichter zu wenden (2007: 23), und reflektiert in seinem Werk auch eigene Migrationserfahrungen und nimmt Anleihe bei Dichtern (unter anderem bei Joseph Brodsky), um etwa die Einsamkeit des Exilierten plastisch zu illustrieren.

Akthar macht den kulturellen Aspekt an Dimensionen fest, die für das Individuum im alltäglichen Erleben spürbar sind: „Kleidung, Speisen, Sprache, Musik, Witz und Humor, politische Ideologien, Grad und Arten zulässiger Sexualität, das Maß der Autonomie gegenüber familiärer Gebundenheit, den Preis für Selbstbehauptung gegenüber Zurückhaltung, das subjektive Zeitempfinden, das Maß und den Charakter der Kommunikation zwischen Geschlechtern und Generationen“ (2007: 41). Diese Faktoren sind es dann auch, die das Individuum nach erfolgter Migration schmerzlich vermisst.

Die sogenannte eigene Kultur, also all das, was einen im Alltag umgibt, wird vielfach erst durch den Vergleich mit der anderen, neuen kulturellen Wirklichkeit erfahren. Umgekehrt gilt ebenso – und das betrifft auch die DolmetscherInnen, dass man mitunter erst im Kontakt mit den fremdländischen KlientInnen ein Bewusstsein über die eigenen kulturellen Standards, Grenzen und Freiräume entwickelt, und sei es auch nur im Hinblick auf Kleidung und Begrüßungsrituale2.

Ein Fremder macht im Aufnahmeland unterschiedliche Erfahrungen. Akthar spricht von „gemischten Gefühlen“, die die Ankunft eines Neulings bei Alteingesessenen hervorzurufen vermag, Gefühle, die sich auf der Skala zwischen paranoider Furcht und Idealisierung bewegen (S. 46). Somit würden Vorurteile und Fremdenhass einerseits und übertriebene Freundlichkeit (gefolgt von Enttäuschung und Ablehnung des Fremden) näher beieinander liegen, als man auf den ersten Blick glauben möchte, denn in beiden Reaktionsweisen manifestiert sich die Vorstellung, dass der Neuankömmling ein Träger für positive oder negative Projektionen ist: im positiven Szenario steht er für eine mögliche Weiterentwicklung der Gesellschaft, die einer Erneuerung bedarf, im negativen Szenario ist er ein Eindringling, der die vorhandenen wirtschaftlichen Ressourcen konsumiert und damit der bestehenden Gemeinschaft Schaden zufügt.

Akthar zieht das Beispiel von Kafkas Roman Das Schloss heran, um das negative Szenario zu illustrieren: Der Landvermesser, der seine Arbeit im Schloss aufnehmen soll, ist mit massiver Feindseligkeit der Dorfbewohner konfrontiert.

2.3.1.1 Die Rolle physischer Merkmale

Migranten bringen also ihre kulturellen Konventionen mit, bzw. das Wissen um diese; in erster Linie ist es aber ihr eigener Körper, den sie in ein anderes Land, einen anderen Sprachraum, einen anderen Kulturraum mitbringen.

Akthar weist darauf hin, dass der Aspekt des menschlichen Körpers in der Auseinandersetzung mit dem Thema Migration weitgehend ausgeklammert wird. Die Hautfarbe bzw. die Reaktion der Alteingesessenen auf die Hautfarbe des Migranten spielt eine wichtige Rolle bei der Reorganisation der Identität in der Migration (S. 49f.). Dies trifft insbesondere auf Kinder zu.

Daran anschließend ist festzuhalten, dass der Umgang mit dem eigenen Körper ebenfalls variieren kann und kulturellen aber auch modischen Trends unterliegen kann: Welche Anforderungen an die körperliche Fitness werden gestellt?

Auch die Kleidungskonventionen spielen eine Rolle, insbesondere für Frauen: Ist es in einer Kultur „normal“, seinen Körper zur Schau zu stellen, oder ist es im Gegenteil sozial gefordert, die Haut und die Haare zu bedecken und damit vor fremden Blicken zu schützen? Einem Migranten bleibt es nicht erspart, seine eigene Haltung zu den mitunter divergierenden Anforderungen zu entwickeln.

Des weiteren thematisiert Akthar das Geschlecht und kommt zu dem Schluss, dass Frauen tendenziell leichter Anschluss an eine neue Gesellschaft bzw. Gemeinschaft finden als Männer, was u.a. daran liegt, dass sie sich tendenziell mehr um Kinder kümmern und damit automatisch mit anderen Müttern und MitarbeiterInnen entsprechender Institutionen in Interaktion treten (müssen), was dazu führt, dass die Notwendigkeit, Informationen auszutauschen, und die Neugier über die Scham siegen (S. 52).

Dolmetschen in der Psychotherapie

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