Читать книгу Dolmetschen in der Psychotherapie - Mascha Dabić - Страница 13

Оглавление

2.7 „Das Unbehagen in der Kultur“

Das Arbeiten in der Psychotherapie bedeutet für DolmetscherInnen, sich mit einer Disziplin auseinanderzusetzen, deren Wirken darauf abzielt, seelisches Leid des Individuums zu lindern oder erträglich(er) zu machen. Es ist wichtig für DolmetscherInnen, diese Prämisse zu verinnerlichen oder zumindest im Hinterkopf zu behalten, um in der konkreten sprachlichen Arbeit möglichst adäquate Lösungen zu finden. Gespräche finden immer in einem größeren gesellschaftlichen Kontext statt, und so können DolmetscherInnen in ihrer Tätigkeit, die darauf abzielt, möglichst umfassend zu verstehen und anschließend das Verstandene verständlich zu machen, von einer tiefergehenden Kenntnis des psychotherapeutischen Umfelds nur profitieren.

Sigmund Freuds 1930 erschienene Schrift „Das Unbehagen in der Kultur“ bietet auch heute eine äußerst aufschlussreiche Lektüre, fernab tagespolitischer Aktualität. Freud arbeitet darin unter anderem heraus, dass die Anforderungen der Kulturentwicklung häufig im Widerspruch zum Lustprinzip des Individuums stehen, was zu Neurosen führen kann. Freuds Schrift mag in der unmittelbaren interkulturellen Arbeit für DolmetscherInnen keinen besonderen Nutzwert genießen, dennoch bietet „Das Unbehagen in der Kultur“ trotz einer weitgehend eurozentrischen Perspektive ein wertvolles Prisma für die Betrachtung von Phänomenen und Interaktionen, die im gesellschaftlichen Miteinander zu beobachten sind und deren Reflexion mitunter eine intellektuelle und emotionale Herausforderung darstellt, auch und gerade für DolmetscherInnen, die in der Regel keine Vorbereitung für die Arbeit in der Psychotherapie mitbringen.

2.7.1 Wege zur Linderung des seelischen Leids

Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu schwer für uns, es bringt uns zuviel Schmerzen, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben. Um es zu ertragen, können wir Linderungsmittel nicht entbehren. (…) Solcher Mittel gibt es vielleicht dreierlei: mächtige Ablenkungen, die uns unser Elend geringschätzen lassen, Ersatzbefriedigungen, die es verringern, Rauschstoffe, die uns für dasselbe unempfindlich machen. Irgend etwas dieser Art ist unerläßlich. (Freud 2007: 41)

Freud führt Beispiele für die drei Wege zur Linderung des seelischen Leids an. Eine Ablenkung könnte etwa darin bestehen, seinen Garten zu bearbeiten oder auch sich der wissenschaftlichen Tätigkeit zu widmen. Ersatzbefriedigungen kann das Individuum in der Kunst finden, da die Phantasie einen hohen Stellenwert im Seelenleben genießt:

Wer für den Einfluß der Kunst empfänglich ist, weiß ihn als Lustquelle und Lebenströstung nicht hoch genug einzuschätzen. Doch vermag die milde Narkose, in die uns die Kunst versetzt, nicht mehr als eine flüchtige Entrückung aus den Nöten des Lebens herbeizuführen und ist nicht stark genug, um reales Elend vergessen zu machen. (Freud 2007: 47)

Neben den bereits angeführten Rauschmitteln ist es auch die Religion, der im menschlichen Leben die Funktion zukommen kann, Leid zu lindern. An dieser Stelle lohnt es sich, zwei Aussagen Freuds über die Religion („die Religionen der Menschheit“) im Originalwortlaut zu rezipieren:

Eine besondere Bedeutung beansprucht der Fall, daß eine größere Anzahl von Menschen gemeinsam den Versuch unternimmt, sich Glücksversicherung und Leidensschutz durch wahnhafte Umbildung der Wirklichkeit zu schaffen. Als solchen Massenwahn müssen wir auch die Religionen der Menschheit kennzeichnen. Den Wahn erkennt natürlich niemals, wer ihn selbst noch teilt. (Freud 2007: 48)

Wer dann in späterer Lebenszeit seine Bemühungen um das Glück vereitelt sieht, findet noch Trost im Lustgewinn der chronischen Intoxikation, oder er unternimmt den verzweifelten Auflehnungsversuch der Psychose.

Die Religion beeinträchtigt dieses Spiel der Auswahl und Anpassung, indem sie ihren Weg zum Glückserwerb und Leidensschutz allen in gleicher Weise aufdrängt. Ihre Technik besteht darin, den Wert des Lebens herabzudrücken und das Bild der realen Welt wahnhaft zu entstellen, was die Einschüchterung der Intelligenz zur Voraussetzung hat. Um diesen Preis, durch gewaltsame Fixierung eines psychischen Infantilismus und Einbeziehung in einen Massenwahn gelingt es der Religion, vielen Menschen die individuelle Neurose zu ersparen. (Freud 2007: 51)

Es ließe sich einwenden, dass solche grundsätzlichen Überlegungen, noch dazu aus dem Jahr 1930, wenig bis keine Relevanz für die heutige Arbeit von DolmetscherInnen in der Psychotherapie haben können. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass die Religion, die im derzeitigen medialen und tagespolitischen Diskurs hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Thema Terrorismus diskutiert wird (Stichwort: „Islamismus“), im psychotherapeutischen Kontext einen anderen Stellenwert genießt, nämlich als eine Ressource, die das Potenzial hat, „vielen Menschen die individuelle Neurose zu ersparen“ (s.o.). Es ist nicht unwichtig für DolmetscherInnen in der Psychotherapie, sich Gedanken über die Funktion der Religion unter dem Gesichtspunkt der individuellen Leidbewältigung zu machen, um von oberflächlichen und/oder politisierten Bewertungen der Religionszugehörigkeit bzw. der Religiosität von KlientInnen abzusehen bzw. solche eigenen Bewertungen kritisch zu hinterfragen. Je besser DolmetscherInnen den radikal individuellen Zugang zum seelischen Leid des Klienten in der Psychotherapie nachvollziehen können, desto leichter fällt es ihnen, im Einklang mit den Zielvorstellungen und Abläufen einer Psychotherapie zu agieren. Nicht zu unterschätzen sind nämlich die Auswirkungen eigener Widerstände und Ressentiments auf die Dolmetschleistung, daher stellt eine laufende Reflexion der eigenen Einstellungen (auch der politischen) für DolmetscherInnen in der Psychotherapie eine Notwendigkeit dar.

Weitere Themen, die Freud in dieser bahnbrechenden kulturtheoretischen Schrift diskutiert, sind die Unverzichtbarkeit und Unerfüllbarkeit des Lustprinzips, der Gegensatz von Kultur und individueller Freiheit, die Bildung größerer sozialer Gemeinschaften, in denen Arbeitsteilung und gegenseitige Abhängigkeit herrschen, sowie die Unterdrückung der Aggression, beziehungsweise die Verwendung unterdrückter Aggression zum Aufbau der Kultur durch die Umwandlung der Aggressionslust in Schuldbewusstsein. Das Zusammenspiel dieser und anderer, hier nicht genannter Komponenten sorgen für ein „Unbehagen in der Kultur“, mit dem das Individuum („eine Art Prothesengott“, Freud 2007: 57) den Preis für die Annehmlichkeiten des Lebens in einer „zivilisierten“ Gesellschaft bezahlt.

2.7.2 „Warum Krieg?“

In einer anderen Schrift, die im Kontext der transkulturellen Psychotherapie mit Kriegsüberlebenden ebenfalls nicht unerwähnt bleiben soll, beschäftigt sich Freud mit der Frage, warum die Menschheitsgeschichte von Kriegen geprägt ist. Bei dieser im Jahr 1932 erschienen Schrift mit dem Titel „Warum Krieg?“ handelt es sich um einen Brief, in dem Freud den Versuch unternimmt, Antworten auf eine Frage seines Zeitgenossen, des Physikers Albert Einstein zu finden: „Sie haben mich dann durch die Fragestellung überrascht, was man tun könne, um das Verhängnis des Krieges von den Menschen abzuwehren.“ (Freud 2007: 165). Freud stellt fest, dass Interessenskonflikte unter den Menschen prinzipiell durch die Anwendung von Gewalt entschieden werden, was im Übrigen auch für das Tierreich gilt, wobei bei den Menschen noch die Meinungskonflikte hinzukommen, die einen hohen Grad der Abstraktion erreichen können. Die Gewalt wird gebrochen, indem die Gemeinschaft durch einen Zusammenschluss das gemeinsame Recht etabliert, sodass nicht mehr die Gewalt eines einzelnen sich durchsetzt, sondern die der Gemeinschaft. Die Macht wird also an eine größere Einheit übertragen. Dennoch währt der Friede nie lange, und es werden Konflikte zwischen „Stadtgebieten, Landschaften, Stämmen, Völkern und Reichen“ fast immer „durch die Kraftprobe des Krieges entschieden“ (2007: 169), was zu Beraubung, voller Unterwerfung oder Eroberung des einen Teils führt.

Um dieses Phänomen zu erklären, führt Freud die Triebe des Menschen ins Treffen, die „nur von zweierlei Art sind, entweder solche, die erhalten und vereinigen wollen – wir heißen sie erotische, ganz im Sinne des Eros im Symposion Platos (…) – und andere, die zerstören und töten wollen; wir fassen diese als Aggressionstrieb oder Destruktionstrieb zusammen.“ (2007: 171). Freud enthält sich jedoch einer Wertung von Gut und Böse und postuliert: „Der eine dieser Triebe ist ebenso unerläßlich wie der andere, aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der beiden gehen die Erscheinungen des Lebens hervor.“ Utopischen Vorstellungen eines friedlichen, aggressionsfreien Zusammenlebens von Menschen, sei es in simplen Gesellschaftsformen als Naturvölker oder in ideologischen, beispielsweise bolschewistischen Zusammenhängen, erteilt Freud eine klare Absage und spricht in diesen Fällen von Illusionen. Es könne nicht darum gehen, die menschliche Aggressionsneigung völlig zu beseitigen, sondern man könne nur versuchen, sie so weit abzulenken, dass sie nicht ihren Ausdruck im Kriege finden müsse.

Freud formuliert an einigen Stellen prägnant seine Überlegungen zum Krieg, die an Aktualität nichts eingebüßt haben, und es erscheint sinnvoll, diese Abschnitte ebenfalls im Originalwortlaut wiederzugeben, angesichts des Umstands, dass in der vorliegenden Arbeit mit kriegstraumatisierten Menschen sowohl den PsychotherapeutInnen als auch den DolmetscherInnen eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Krieges nicht erspart bleibt und Freuds einschlägige Überlegungen eine wertvolle Kontextualisierung bieten, zumal jegliches Arbeit mit Flüchtlingen eine grundsätzlich pazifistische Weltanschauung voraussetzt, oder jedenfalls eine Haltung, die sich der Kriegslogik, die manchen Menschen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe das Existenzrecht abspricht, widersetzt.

Warum empören wir uns so sehr gegen den Krieg, Sie und ich und so viele andere, warum nehmen wir ihn nicht hin wie eine andere der vielen peinlichen Notlagen des Lebens? Er scheint doch naturgemäß, biologisch wohlbegründet, praktisch kaum vermeidbar. Entsetzen Sie sich nicht über meine Fragestellung. (…) Die Antwort wird lauten, weil jeder Mensch ein Recht auf sein eigenes Leben hat, weil der Krieg hoffnungsvolle Menschenleben vernichtet, den einzelnen Menschen in Lagen bringt, die ihn entwürdigen, ihn zwingt, andere zu morden, was er nicht will, kostbare materielle Werte, Ergebnis von Menschenarbeit, zerstört und anderes mehr. Auch daß der Krieg in seiner gegenwärtigen Gestaltung keine Gelegenheit mehr gibt, das alte heldische Ideal zu erfüllen, und daß ein zukünftiger Krieg infolge der Vervollkommnung der Zerstörungsmittel die Ausrottung eines oder vielleicht beider Gegner bedeuten würde. (Freud 2007: 175)

Die Erklärung, die Freud schließlich für die Empörung gegen den Krieg liefert, ist von verblüffender Schlichtheit: „Ich glaube, der Hauptgrund, weshalb wir uns gegen den Krieg empören, ist, daß wir nicht anders können. Wir sind Pazifisten, weil wir es aus organischen Gründen sein müssen.“ (2007: 176). Mit „organischen Gründen“ meint er den Umstand, dass der Prozess der Kulturentwicklung zu psychischen Veränderungen führt, indem eine fortschreitende Verschiebung der Triebziele und Einschränkungen der Triebregungen stattfinden. Es komme zu einer Erstarkung des Intellekts, die wiederum zu einer stärkeren Beherrschung des Trieblebens führt, sowie zu einer Verinnerlichung der Aggressionsneigung. Weiter führt Freud aus:

Den psychischen Einstellungen, die uns der Kulturprozeß aufnötigt, widerspricht nun der Krieg in der grellsten Weise, darum müssen wir uns gegen ihn empören, wir vertragen ihn einfach nicht mehr, es ist nicht bloß eine intellektuelle und affektive Ablehnung, es ist bei uns Pazifisten eine konstitutionelle Intoleranz, eine Idiosynkrasie gleichsam in äußerster Vergrößerung. (…)

Wie lange müssen wir nun warten, bis auch die anderen Pazifisten werden? Es ist nicht zu sagen, aber vielleicht ist es keine utopische Hoffnung, daß der Einfluß dieser beiden Momente, der kulturellen Einstellung und der berechtigten Angst vor den Wirkungen eines Zukunftskrieges, dem Kriegführen in absehbarer Zeit ein Ende setzen wird. Auf welchen Wegen oder Umwegen, können wir nicht erraten. Unterdes dürfen wir uns sagen: Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg. (Freud 2007: 176f.)

Gegen den Krieg arbeiten, besser gesagt gegen die verheerenden psychischen, emotionalen und sozialen Folgen des Krieges arbeiten – das ist sicherlich mit ein Gesichtspunkt, unter dem die Arbeit von PsychotherapeutInnen und DolmetscherInnen im Rahmen der transkulturellen Psychotherapie mit Kriegs- und Folterüberlebenden zu betrachten ist.

Dolmetschen in der Psychotherapie

Подняться наверх