Читать книгу Teheran im Bauch - Mathias Kopetzki - Страница 5

Bescherung in Oldenburg

Оглавление

Als das Telefon läutete, war ich allein im Haus. Ich hatte Spiegeleier aufgesetzt und hastete zum Hörer.

»Hier ist Saeed Moghaddam!«, rief eine Männerstimme mit Akzent. Den Namen hatte ich nie gehört. »Schöne Grüße von deinem Vater aus Iran!«

Mit einem Schlag waren die Spiegeleier vergessen. »Bist du noch da?«, wurde ich gefragt.

Ich musste mich setzen. »Jaja …«

»Ich bin ein Freund von Mohsen Lashgari.«

»Von … wem?«

»Von deinem leiblichen Vater. Er hat sein Leben lang nach dir gesucht, jetzt hat er dich mit meiner Hilfe gefunden.«

Was der Mann sagte, begriff ich nicht.

»Wäre es möglich, dass wir uns treffen?«, schlug er vor, als hätte er verstanden, dass es sinnlos war, das Gespräch in die Länge zu ziehen. Die Wörter rauschten an mir vorbei.

»Ja, natürlich … ähmm … aber nicht jetzt. Ich meine, nicht heute.«

»Übermorgen Mittag? Am Hauptbahnhof?«

»Na, gut …«

»Ich wünsche ein frohes Fest!«

Wir hatten an die 20 Sekunden geredet. Dann hörte ich nur Klicken und Tuten, und es dauerte eine Weile, bis ich es schaffte, den Hörer aus der Hand zu legen. Mir stockte der Atem und ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Doch etwas war klar: Die Spiegeleier verkohlten und Weihnachten war gelaufen.

Ich wusste bisher nichts von meinem leiblichen Vater, rein gar nichts. Ich erkannte nur beim Blick in den Spiegel, dass meine Vorfahren auf keinen Fall reinrassige Teutonen gewesen sein konnten. Auch meine Mutter war mir unbekannt. Sie war lediglich ein Name, der meine Geburtsurkunde zierte, die ich noch nie hervorgekramt hatte.

Meine Adoptiveltern hatten nie verheimlicht, dass ich nicht von ihnen stammte. Und für mich und alle anderen war das normal wie die Nutellaschnitte, die ich für den Kindergarten in die Brotdose bekam. Trotzdem gab es viele Fragezeichen in meinem Leben. Und je älter ich wurde, desto mehr traten sie in den Vordergrund.

Als Jugendlicher war ich mir sicher, an meiner Herstellerin regelmäßig vorbeizuwandern: einer Fischverkäuferin auf dem Wochenmarkt, mit der gleichen wulstigen Nase, den gleichen schwarzen Locken und meinen Katzenaugen. Doch als ich ihr Gesicht einmal von Nahem sah, entdeckte ich, dass sie kaum älter war als ich.

Darüber hinaus hatte mich die Suche nach meinen Verursachern nie gereizt – wer mich nicht wollte, war selbst schuld. Und es gab keinen ungünstigeren Zeitpunkt dafür, als nun, da ich mich voll und ganz dem Studium widmen wollte.

Natürlich hatte ich mir manchmal ausgemalt, von einem Torero abzustammen, einem Italo-Lebemann oder griechischen Reeder, aus Ländern mit Flair, Sexappeal und Erholungsfaktor. Ein fundamentalistischer Glaubensstaat stand dagegen nie auf meiner Wunschliste.

Schließlich war ich mit TV-Bildern groß geworden, die den so fernen Nahen Osten ins Wohnzimmer gebracht und mir als Kind Alpträume verschafft hatten: Bilder von finsteren Männern mit schwarzen Bärten, die vor Männern mit weißen Bärten auf Läufern knieten, Mädchen steinigten oder sich selbst in die Luft sprengten. Bilder, auf denen man keine Frauen erblickte, sie unter Tuchbergen nur erahnen konnte, aus Regionen, die von Krieg und Aufruhr geprägt waren und wo Leute selbst in Friedenszeiten immer mit dem Schlimmsten rechnen mussten.

Wenn ich an den Iran dachte, lachte dort niemand. Mit einer Hand schulterte jeder Mann eine Kalaschnikow, ließ in der anderen seine Gebetskette baumeln. Alle brüllten, die Hemden schmutzig, die Züge verzerrt. Über dem Menschenteppich ragte meist ein schlaksiger Greis, wie der Weihnachtsmann mit Kopfverband, auf dem Balkon einer Moschee, mit dunkler Kutte und bösem Blick, und segnete das aufgebrachte Volk. Oder er rief es zum heiligen Krieg auf, gegen Schnurrbartdespoten im Nachbarland oder satanische Verseschmieder. Das alles hatte mich immer abgestoßen. Und nun pochte es plötzlich in meinem Blut?

Ich berichtete meinen Eltern nach der Bescherung, was am Morgen geschehen war. Außer ihnen war nur Steffen anwesend, der jüngere meiner großen Adoptivbrüder. Axel, der ältere, hockte mal wieder im Knast, wegen Hehlerei, Dealerei oder Rasen ohne Führerschein. So genau wussten wir das nie.

»Und was wirst du jetzt tun?«, fragte Steffen, der als erster Worte fand.

Ich blickte auf den Boden. »Ich werde den Typen treffen.«

Mama verließ schweigend den Raum. Papa werkelte am Christbaum. Es ließ sich nie durchschauen, was er von den Dingen dachte. Am liebsten hätte ich die Zeit zurückgedreht und Heiligabend von vorn angefangen.

Bevor ich hinter Mama herlaufen konnte, packte mich mein Bruder am Arm: »Ich hoffe, du weißt, was du ihnen schuldig bist …«

Ich schlug mich frei. »Was denn?«

»Dass du ihr Sohn bist. Und, dass du es bleibst!«

Teheran im Bauch

Подняться наверх