Читать книгу Teheran im Bauch - Mathias Kopetzki - Страница 8

Abflug

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»Oh, das tut mir leid!«

Der Ellbogen des Managertypen, dessen Parfüm mir schon die Zeit in der Warteschlange versauert hatte, war in meinen Rippen gelandet.

Ich erschrak, blickte vom Taschenbuch hoch und lächelte verwirrt zu meinem Sitznachbarn. »Noch lebe ich ja …«

Er lachte auf. Seine Stimme entglitt ihm und erinnerte mich an Pumuckl.

»Stimmt, das muss man ausnutzen!« Er reichte mir die Hand. »Kiavani«, sagte er. »Doktor Kiavani.«

Zögernd griff ich sie und stellte mich ebenfalls vor. Doktor Kiavani formulierte gewählt, nur wenn ich genau hinhörte, erkannte ich einen Akzent.

Mit einem Ruck hatte er versucht, seine Krawatte vom Hals zu lösen. Dabei war ihm der Arm ausgerutscht. Dass er eine Gefahrenquelle abgab, schien ihm zu missfallen.

»Ich hätte das auch später machen können«, beteuerte er. »Aber meist vergesse ich das.«

Ohne zu verstehen, was er damit sagen wollte, nickte ich ihm zu. Mittlerweile hatten auch die letzten Passagiere Platz genommen und die Stewardessen alle Gepäckfächer verankert. Nun verrenkten sie ihre Glieder, um auf die Sicherheitsvorkehrungen hinzuweisen.

»Es ist besser so«, nahm Doktor Kiavani sein Gespräch wieder auf und stopfte sich den Schlips in die Sakkotasche. »Sehen Sie hier irgendwelche Herren mit Krawatte? Sie selbst haben auch keine. Sie werden also keine Probleme in Teheran haben.«

»Was meinen Sie damit?«

»Schlipsträger sind US-Anhänger. Imperialisten! Zumindest im Iran. Sie werden schief angeschaut und manchmal auch beleidigt. Ich will es mir nicht dauernd mit den Mullahs verscherzen. Das hab ich früher schon genug getan.«

Er riss den Mund auf und lachte erneut, viel zu hoch und zu laut. Sein Zahngold blinkte mir entgegen und ein paar Plomben. Jede seiner Bewegungen setzte einen Schwall Parfüm in die Luft, der mich an zerkautes Hubba Bubba denken ließ. Sein massiger Körper bebte dabei. Ich schätzte ihn auf Mitte 50, vielleicht ein paar Jahre jünger. Bis auf seinen Anzug wirkte er ungepflegt. Die Locken seines Kinnbartes kräuselten sich in alle Richtungen, ein Mittelscheitel im gefetteten Haar bedeckte notdürftig die beginnende Glatze.

»Schön, schön«, antwortete ich und wandte mich wieder meinem Krimi zu. Ich schob den Sonnenschutz der Luke hoch, um besser lesen zu können. Der war überflüssig, weil dichter Regen gegen die Scheibe prasselte. Auf ein Gespräch mit dem Typen hatte ich keine Lust. Das hätte mich genötigt, es die nächsten sechs Stunden fortzuführen. Ich konnte mir Besseres vorstellen.

Bereits aufgeatmet hatte ich, als die Rothaarige mit der kleinen Maja ein paar Sitzreihen vor mir Platz genommen hatte und Gott sei Dank nicht neben mir. Sie schienen mich nicht zu bemerken, und der Stress war der Mutter ins Gesicht geschrieben. Gerade, als in meinem Roman ein KGB-Agent versuchte, den Helden zu töten, hörte ich, dass Maja anfing zu weinen. Ich musste mich zusammenreißen, nicht nach einem weiteren Hustenbonbon für sie zu wühlen.

»Wir sitzen in einer 747«, meinte mir mein Nachbar mitteilen zu müssen und blickte in der Kabine herum, als würde er was suchen. Ich stöhnte und legte das Buch zur Seite. Gegen diesen Herrn hatte es keine Chance.

»Ich weiß«, antwortete ich müde. »Ist das so ungewöhnlich?« Er grinste. Seine verquollenen Augen pressten sich zusammen. »Für IranAir schon. Die meisten Maschinen sind kleiner und älter. Die hier ist auch nicht gerade heute vom Stapel gegangen. Aber man fühlt sich sicher, oder?«

Ich zog die Stirn in Falten. Was wollte mir dieser Mann eigentlich sagen?

»Keine Angst«, lachte er, »die meisten Abstürze im Iran finden bei Inlandsflügen statt.«

»Da bin ich ja beruhigt«, murrte ich und versuchte mich ein letztes Mal meinem Buch zu widmen. Vergebens.

»Woher kommen Sie?«, wollte er wissen.

Ich gab endgültig auf und ließ es im Sitznetz verschwinden. »Berlin«, seufzte ich. »Ich komme aus Berlin.«

Seine Augen funkelten. »Oh, Berlin! Meine Traumstadt! Meine innere Heimat! Wussten Sie, dass die iranische Revolution in Berlin begonnen hat? Zumindest für uns junge Linke?«

»Nein, das wusste ich nicht.«

Wenn ich ehrlich war, wollte ich es auch nicht wissen. Doch es war sinnlos, ihm das klar zu machen.

Er begann zu erzählen, dass die Studenten in Berlin sich Papiertüten über den Kopf gestülpt hätten, mit der Visage vom Schah, als der mit seinen deutschen Gönnern 1967 in der Oper gesessen hätte. Sie trotzten zu Tausenden den berittenen Polizisten und den Persern, die von seinem Geheimdienst bezahlt worden und mit Schlagstöcken auf sie losgegangen waren. Deshalb wurden so viele Iraner Marxisten. Und deswegen wäre er selbst auch in die Tudeh-Partei eingetreten.

»In die was?«, fragte ich gelangweilt.

»Tudeh. Das sagt Ihnen nichts? Naja, ist auch nicht Ihre Zeit.« Die Tudeh-Partei wäre von der Sowjetunion finanziert worden.

Er hätte 1978 auf dem Jaleh-Platz in Teheran gestanden und eine ähnliche Papiertüte getragen, wie die Studenten in Berlin. Sie hatten keine Waffen, schrien nur »Allah-u-Akbar«, um zu zeigen, dass sie friedfertig waren. Dutzende wurden an diesem Tag von der Miliz erschossen. Sie wären nur die Vorhut gewesen für die Mullahs, die sie damals unterstützt hätten.

Er hatte sich beim Reden ereifert und meine Wange bespuckt. Das war ihm augenscheinlich peinlich, und er lehnte sich zurück. Im gleichen Moment wies eine Stewardess freundlich auf unsere noch unverschlossenen Gurte. Sie nuschelte auf Persisch. Ich lächelte der Dame zu, folgte ihrer Anweisung und schnallte mich fest. Mein Nachbar schien sie zu ignorieren.

»Beim letzten Start nach Teheran haben wir im Flieger noch zwei Stunden warten müssen, bis es losging«, raunte er. »Weil den Jungs von IranAir eingefallen ist, dass sie die Maschine noch enteisen mussten! Ich sag ihnen: Seit die Mullahs da regieren, geht’s mit der Intelligenz der Leute bergab! Wer noch Gehirnzellen hat, macht da ’ne Fliege, aber schleunigst.«

»Wann haben Sie die denn gemacht?«

»Drei Jahre nach Chomeinis Rückkehr. Gerade noch rechtzeitig.« Er blickte hinter sich, als wäre ihm auf einmal bewusst geworden, dass Leute zuhörten, die ihm schaden könnten. »Wir sind damals«, senkte er seine Stimme, und wandte sich wieder zu mir, »nur knapp einem Massaker entwischt. Ein paar Wochen nach unserer Flucht holten diese Turbanträger aus, zum entscheidenden Schlag. Von einem Tag auf den anderen wurden Tausende Tudehs verhaftet, gefoltert und viele sofort liquidiert. Die meisten sitzen heute noch. Tja, so funktioniert Geschichte …« Er grinste einen alten Mann an, der ihn gegrüßt hatte und vorbeigelaufen war. Ich nutzte die Chance, drehte ihm die Schulter zu und blickte zur Luke hinaus.

Wie ein Elefant nach seinem Mittagsschlaf setzte sich die Maschine in Bewegung und rollte auf die Startbahn. Es regnete immer heftiger und das herablaufende Wasser versperrte die Sicht auf das Rollfeld, die Bäume, das Pflaster und den Rasen. Das machte den Abschied von deutschem Boden um einiges leichter.

Doch meine zunehmende Nervosität konnte ich nicht leugnen. Ich verdrängte sie und fragte mich stattdessen, was ein iranischer Ex-Revolutionär eigentlich heutzutage machte, wenn er das Pech hatte, Opfer der Geschichte zu werden? Und warum dieser Mann, um Himmels Willen, wieder zurückflog in dieses Land, dessen Lynchjustiz er entronnen war? Immerhin räkelte er sich auf dem Flugsitz, als wäre es ihm unangenehm, tatenlos herumzulungern. Er sah aus wie jemand, der einem Taxifahrer ein paar Scheine mehr in die Hand drücken würde, damit er schneller fuhr.

»Reisen Sie geschäftlich?«, wollte ich wissen. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, noch mit ihm zu reden, irgendwas – nicht nur sein Parfüm – stieß mich ab.

»Pistazien«, antwortete er nüchtern, mit der Gewissheit, meine Frage nicht mit einem Wort beantwortet zu haben. »Und neuerdings auch Möbel.«

Ich schaute ihn verwundert an.

»Die Kanadier sind Dumping-Weltmeister im Pistazienhandel«, erklärte er mir. »Wir haben immer weniger Chancen gegen sie. Aber, wissen Sie: Ich bin Iraner. Und die lassen sich ständig etwas Neues einfallen.«

»Und deswegen verkaufen Sie Möbel?«

»Ja, hochwertige Designermöbel aus Hamburg. Der Markt boomt im Iran. Alles, was aus dem Westen kommt und dem man das ansieht, wird gekauft.«

Ich räusperte mich. »Haben Sie keine Probleme bei der Einreise? Ich meine, als politischer Flüchtling?«

Er griff in sein Sakko und zog mit einer Geruchswolke seinen deutschen Reisepass hervor. Er hielt ihn mir vor die Nase, als würde ich ihn kontrollieren wollen.

»Ich bin ein Chamäleon«, grinste er. »Gestern noch Iraner, heute schon Bundesbürger.«

Die Stewardess flanierte wieder vorbei, und Doktor Kiavani hielt sie auf. Ohne zu verstehen, was die beiden verhandelten, wurde mir klar, dass er sich beschwerte. Ich bemühte mich, nicht hinzuhören.

Stattdessen stellte ich mir lieber meinen Vater vor. Wie hatte denn er damals den Umsturz erlebt? Hatte er befürwortet, dass Blut vergossen wurde, oder war er gar bei diesen Hinrichtungen dabei gewesen? War er auch ein Chamäleon? Zeigte er unter dem Schah ein anderes Gesicht als unter den Ajatollahs, in Deutschland ein anderes als im Iran?

Nun, da unsere Boeing beschleunigte und für den Abflug Schwung holte, wühlte ich in meiner Stofftasche, die im Sitznetz haftete. Dort hatte ich einen Blätterbogen verstaut, der ziemlich zerknittert war. Ich zog ihn hervor und betrachtete die eng bedruckten Zeilen der ersten Seite. Es war ein Brief meines Vaters. Schon oft hatte ich mir diese Zettel angesehen. Beinahe konnte ich sie auswendig.

Ich hatte viel darauf erfahren über Mohsen Lashgari, viel, was die Zeit vor meiner Geburt betraf. Aber alles hatte er mir nicht geschrieben. Ich musste zugeben, dass er mich erwischt hatte. Seine Geschichte hatte mich gepackt, als ich schon nicht mehr geglaubt hatte, dass mich etwas, das ihn betrifft, berühren könnte. Mochte sein, dass offene Fragen Gründe waren, die mich nach Teheran trieben. Vielleicht wollte ich mehr über die Motive meines Vaters erfahren, die ihn bewogen hatten, mich wegzugeben. Die ihn veranlasst hatten, ein Leben in westlicher Freiheit gegen eins in islamistischer Enge einzutauschen.

Ich schob den Gedanken beiseite und lehnte mich zurück. Dabei schloss ich die Augen, lächelte vor mich hin und ließ den Druck der steigenden Maschine langsam meinen Körper bewandern.

Teheran im Bauch

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