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4. Der Lebensbeginn
ОглавлениеDas Leben beginnt ganz still und unscheinbar: ein menschlicher Same und eine Eizelle vereinigen sich zur Zygote, dann geht alles wie von selbst, zwei Zellen, vier, acht. Es ist ein neues Leben entstanden. Dieses neu entstandene Leben ist einmalig, vor ihm war noch nie eines so und nach ihm wird keines mehr so sein. Es ist es sogar in seiner genetischen Ausstattung, auch aufgrund der epigenetischen Faktoren. Daher unterscheiden sich auch eineiige Zwillinge. Dieses neue Leben hat ein Geschlecht, es ist lebendig, es ist ein Menschenleben und keine Sache. Es weiß nichts von seiner Existenz und wurde auch nicht gefragt, ob es leben will. Das Leben wird ihm zugemutet. Später muss sich der junge Mensch zu seinem Leben, zu sich selbst und zu seiner Umgebung irgendwie verhalten.
Das Spermium findet die Eizelle, indem es durch bestimmte Duftstoffe angelockt wird (Chemotaxis). Spermium und Eizelle wandern im Eileiter aufeinander zu. Es kann passieren, dass aufgrund eines genetischen Defekts ein Spermium die Eizelle nicht findet oder es zu schwach ist, in sie einzudringen. Dann findet keine Befruchtung statt. Nur ein Spermium von den vielen Millionen, die auf die Eizelle zuwandern, darf in die Eizelle eindringen. Nach dem Eindringen des einen Spermiums verschließt sich die Eizelle. Gelangt ein zweites Spermium hinein, ist dies mit dem Leben nicht vereinbar.
Die Eizelle hat eine sehr dicke Hülle, so dass nur gesunde Spermien eindringen können. Haben Spermien zum Beispiel einen genetischen Schaden und können die Eizellhülle nicht durchdringen, findet keine Befruchtung statt. Die Medizin kann hier zwar nachhelfen und mit Hilfe einer Spritze ein Spermium in die Eizelle einbringen (intracytoplasmatische Spermieninjektion, ICSI). Sie kann aber das eingebrachte Spermium vorher nicht genetisch untersuchen, da es bei der Untersuchung zerstört würde. So gelangt möglicherweise ein genetisch geschädigtes Spermium in die Eizelle, so dass bei den späteren Kindern Schäden entstehen können.9
Es beginnt ein stiller, geräuschloser, von selbst ablaufender, komplizierter physiologischer Prozess. Die erste Zelle teilt sich, es entstehen zwei Zellen, dann vier, dann acht. Es geschieht das, was Aristoteles „Selbstbewegung“ nennt. Der Begriff meint, dass sich das Leben jetzt von selbst weiter entwickelt und von innen her Gestalt wird. Die Zygote (erste Zelle) und der Embryo wachsen und die Zellen differenzieren sich in die etwa 220 verschiedenen Zelltypen, die ein erwachsener Mensch hat. Die Zygote hat bereits eine aktive Potentialität, das heißt, sie hat alles in sich, was sie zur Entwicklung hin zum Embryo und zur weiteren Entwicklung braucht. Von außen bedarf sie nur der Nahrung und der richtigen physiologischen Umgebung. Diese aktive Potentialität führt zu einem Lebens- und Entfaltungsprozess, der nicht zu stoppen ist. Um ihn zu stoppen, muss man den Embryo töten. Leben ist ständige Veränderung. Und Veränderung braucht zwei Prinzipien: ein sich änderndes und ein sich durchhaltendes. Das erste nannte Aristoteles „Materie“, und dasjenige Prinzip, das sich im Innersten des sich verändernden Lebendigen durchhält und die Identität des Seienden ausmacht, nannte er Seele.
Das sich entwickelnde Leben drängt nach vorne, nach Wachstum, Veränderung, Differenzierung und schließlich nach Geborenwerden. Es ist ein unumkehrbarer Prozess, eine Einbahnstraße. Es geht nur in eine Richtung nach vorne und nicht zurück, es drängt nach vorne und nach draußen. Der Embryo und der spätere Fetus (ab dem dritten Monat so genannt) entwickeln sich als Mensch und nicht erst zum Menschen. Der aktiven Potentialität der Zygote, des Embryos und des Fetus, die zur Selbstentfaltung führt, steht die passive Potentialität von Samen und Eizelle gegenüber. Diese besitzen jeweils nur den halben Chromosomensatz und bedürfen daher des jeweils anderen, um lebensfähig zu sein. Allein sind sie es auf Dauer nicht.
Der neu entstandene Embryo hat bereits anfanghaft etwas von einem „Selbst“10. Zwar beginnt die Umsetzung der eigenen genetischen Information in konkrete Eiweißstoffe (Genexpression) nach Meinung einiger Autoren erst zwischen dem Vier- und Achtzellstadium11. Aber die Selbststeuerung im Sinne eines eigenen Stoffwechsels des Embryos beginnt bereits früher:
„Die Selbststeuerung des Embryos beginnt nicht erst im Achtzellstadium, in welchem die Aktivierung der embryonalen DNA zur Transskription beobachtet wird; sie erfolgt wahrscheinlich schon im Pronukleusstadium, spätestens aber in der Zygote, die sich in einem durch die Zona pellucida begrenzten Reaktionsraum befindet und ihren eigenen Stoffwechsel hat. Als Folge dieses Stoffwechsels und der eigenen Proteinsynthese wird der Vorrat an mütterlicher mRNA allmählich verbraucht. Schließlich wird die Transskription der eigenen DNA angeschaltet. Die Selbstorganisation beginnt mit dem eigenen Stoffwechsel im Reaktionsraum der Zona pellucida.“12
Der Embryo ist auf diese Selbststeuerung und eine anfanghafte Eigenaktivität angewiesen. Denn er hat die Hälfte des genetischen Materials vom Vater und dieses müsste eigentlich vom Immunsystem der Mutter als fremd erkannt und der Embryo abgestoßen werden. Offensichtlich kann sich aber der Embryo durch seine Selbststeuerung und Eigenaktivität vor dieser Abwehr des mütterlichen Immunsystems schützen. Wie das funktioniert, ist noch nicht ganz geklärt.13 Aber es wurde zum Beispiel bei der „Maus schon wenige Stunden nach der Befruchtung ein immunsuppressiver Faktor (EPF: Early Pregnancy Factor) gefunden, der das Immunsystem der Mutter unterdrückt und eine Abstoßungsreaktionen verhindert“.14
Die Zygote und der spätere Embryo müssen also nach der Verschmelzung von Samen und Eizelle ihr eigenes Programm aktivieren und der Mutter signalisieren, dass sie ihn nicht abstoßen soll. Im Blick auf die Veränderungen bei der Mutter und die Individualität des Embryos formuliert Günter Rager:„Der Austausch der Signale führt unter anderem dazu, dass der mütterliche Organismus sich auf Schwangerschaft einstellt (humanes Choriongonadotropin, HCG) und verhindert, dass der Embryo bei der Einnistung in den Uterus als Fremdkörper angesehen und abgestoßen wird (early pregnancy factor, EPF).“15
Der neu entstandene Organismus agiert also von Beginn an als eine Einheit und „sendet an die Mutter Signale, die den embryo-maternalen Dialog einleiten und zur Steuerung (Synchronisation) und Feinabstimmung des embryonalen und mütterlichen Systems beitragen“.16 Hier findet auf einer ganz physiologischen Ebene ein erster „Dialog“ und eine erste „Kommunikation“ im Sinne einer Wechselwirkung zwischen Embryo und Mutter statt. Ohne eine solche Kommunikation wäre ein Überleben des Embryos nicht möglich.
Daher ist die Rede vom Lebensbeginn, der erst mit der Implantation in die Gebärmutter anzusetzen ist, biologisch nicht schlüssig, da der embryo-maternale „Dialog“ vor der Implantation als Bedingung der Möglichkeit für die Einnistung des Embryos beginnen muss. Der menschliche Embryo durchläuft dann eine typisch menschliche Entwicklung. Neben der Selbstbewegung und Gestaltwerdung des Embryos findet eine Ortsbewegung statt. Er wandert vom Eileiter zur Gebärmutter. Selbstbewegung im Sinne des inneren Wachstums und Ortsbewegung gehören zusammen. Die Zygote wächst heran und die Zellverbindungen verdichten sich. Der sich entwickelnde Embryo darf nach außen hin nicht an Größe zunehmen, sonst bleibt er bei der Wanderung zur Gebärmutter im Eileiter stecken. So gehören Wachstum, Verdichtung und Kompaktierung zusammen.
Nach der Entstehung der Zygote beginnt einige Stunden später die erste Zellteilung. Bald danach folgen die nächsten. Diese Zellteilungen gehen „von selbst“ und aus sich selbst heraus, nahezu selbstverständlich. Die Teilungen gehen immer weiter, nichts kann sie stoppen, nur der Tod. Mancher Biologe fragt sich, woher die Zellen „wissen“, dass sie sich teilen müssen und wie sie sich teilen müssen, damit Leber-, Gehirn- oder Muskelzellen entstehen. Mancher Biologe fragt sogar, wie eine Zelle „denkt“ und wie sie mit anderen Zellen kommuniziert. Denken und Kommunizieren sind eigentlich geisteswissenschaftliche Begriffe. Zellen denken nicht, aber sie kommunizieren miteinander und tauschen sich über Hormone, Zellmembranen und haptische Kontakte aus. „Solange diese vier Funktionen (Vermehrung, Stoffwechsel, Abgrenzung, Kommunikation) aufrecht sind, lebt die Zelle.“17 Aufgrund dieser Kommunikation ist die Frage nach dem Denken der Zellen nicht falsch gestellt, denn offensichtlich wohnt dem biologischen Leben, zumal dem menschlichen, ein gewisser „Geist“, ein logos, eine Urlogik und Urvernunft inne.
Dass die Zellteilungen reibungslos vonstatten gehen, ist gar nicht selbstverständlich. Denn bei jeder Zellteilung muss das genetische Material im Zellkern sowie das gesamte Zytoplasma, das um den Zellkern herum gruppiert ist, verdoppelt werden. Dann muss die Zellteilung akkurat und vollständig vonstatten gehen, so dass wirklich zwei neue Zellen entstehen. Diese Zellteilungen finden nicht nur in der Embryonalentwicklung statt, sondern ständig auch im ausgewachsenen Organismus. In jeder Sekunde werden Milliarden Zellen neu produziert, sie werden aufgebaut, abgebaut, umgebaut. Bei all diesen Verdoppelungs-, Abschreibe- und Teilungsprozessen können Fehler passieren. Diese Fehler werden im Organismus aber repariert oder aber die Zellen werden ausgesondert, wenn die Reparatur nicht gelingt (Apoptose). Der Organismus hat eine Vielzahl von „checkpoints“, an denen jede Zelle, bevor sie in den Kreislauf gelangt, auf ihre Funktionstüchtigkeit hin untersucht wird.
Bei der milliardenfachen Anzahl diese Zellteilungen und Vermehrungsschritte ist es nicht verwunderlich (eher sogar wahrscheinlich), dass einmal einer dieser Schritte nicht funktioniert und der Fehler nicht repariert wird. Es können genetische Veränderungen eintreten, Mutationen auf den Chromosomen stattfinden oder Chromosomen falsch verteilt werden. Wenn zum Beispiel ein Chromosom in der Zelle zuviel ist, entstehen Schäden beim Embryo. Die bekannteste Krankheit ist die Trisomie 21, bei der das Chromosom 21 dreimal vorhanden ist (Down Syndrom).
Hat der Embryo einen genetischen Schaden, kann dieser zu einer Krankheit führen, muss aber nicht. Das hängt mit dem physiologischen Mechanismus zusammen, dass Gene aktiviert und inaktiviert werden müssen. Nur aktivierte kranke Gene führen zu einer Krankheit. Wird ein geschädigtes Gen nicht aktiviert, entsteht auch keine Krankheit. Bei der Vielzahl der milliardenfachen Zellteilungsprozesse sind Abschreibefehler statistisch gesehen viel wahrscheinlicher als das Gelingen dieser Prozesse. All diese Mechanismen laufen „von selbst“ und nahezu selbstverständlich ab, aber selbstverständlich sind sie gerade wegen der hohen Fehlerwahrscheinlichkeit nicht. Es sterben auch immer wieder Embryonen ab.
Ab dem Achtzellstadium beginnen sich die Zellen in die etwa zweihundertzwanzig verschiedenen Zelltypen zu differenzieren. Diese Differenzierung geschieht ebenfalls dadurch, dass einzelne Gene ab- und andere angeschaltet werden. Jede Zelle enthält dieselben etwa dreißigtausend Gene (Ausnahme Same und Eizelle und einige andere Zelltypen). Durch das Abschalten einzelner Gene entstehen die verschiedenen Zelltypen. Man nennt diesen Prozess Methylierung (da Methylgruppen an die Gene angeheftet werden) oder auch Imprinting, da jeder Zelltyp seinen individuellen Fingerabdruck bekommt. Es ist etwa so wie bei einer Flöte, bei der unterschiedliche Töne herauskommen, je nachdem welche Löcher offen oder geschlossen sind. Da die Zellen alle dieselbe Grundinformation haben und lediglich in den unterschiedlichen Zelltypen je anders geschaltet sind, können womöglich geschädigte Zellen durch andere Zellen von einem ursprünglich anderen Zelltypus ersetzt werden. Sie können womöglich umprogrammiert werden.
Ein Zelltyp ist bei dieser Zelldifferenzierung ganz eigenartig: er fängt irgendwann einmal an zu zucken. Diese Kontraktionen vollzieht er dann siebzig Mal in der Minute und dies oft siebzig oder achtzig Jahre lang. Es sind dies die Herzzellen. Diese Zellen kontrahieren sich von selbst, das Herz schlägt von selbst, niemand weiß genau warum, selbst wenn man die physiologischen Mechanismen kennt. Wenn es nicht mehr schlägt, kann die Medizin es nach einem Herzstillstand manchmal wieder zum Schlagen bringen. Man nennt diesen Vorgang eine re-anima-tion, was wörtlich bedeutet: die Seele zurückgeben. Dem Organismus wird im übertragenen Sinn die Seele im Sinne der Lebenskraft zurückgegeben, indem das Herz wieder anfängt zu schlagen. Dann aber muss es wieder von selbst schlagen, machen kann der Mensch den Herzschlag nicht. Auch dies ist ein „Von selbst“, etwas vermeintlich Selbstverständliches. Aber selbstverständlich ist es nicht. Bei der millionenfachen Schlagzahl des Herzens ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zwischendurch einmal aufhört zu schlagen, sehr viel größer.
Um den dritten Monat herum sind die Organe und das Gehirn angelegt. Jetzt finden kaum noch Zelldifferenzierungen statt, sondern der Embryo, der ab jetzt Fetus genannt wird, wächst nur noch heran. Das erste Sinnesorgan, das sich entwickelt, ist das Ohr. Der Embryo beginnt zu hören und nimmt den Rhythmus des Herzschlages der Mutter wahr. Die Wahrnehmung des jungen Menschen beginnt also mit der Wahrnehmung eines Rhythmus’. Spätestens jetzt (wahrscheinlich schon früher) beginnt auch der emotionale Dialog mit der Mutter. Der Fetus wird in ihren Rhythmus mit hineingenommen, die pränatale Psychologie weiß einiges davon. Hier werden erste Weichen für die weitere Biographie des Menschen gestellt.
Dass die Zelldifferenzierungen durch die erwähnten Abschaltmechanismen geschehen, bedeutet, dass die Information für den Organismus nicht allein in den Genen liegt, sondern verteilt ist auf die genetische Grundinformation und die epigenetische Schaltinformation aus der Umgebung (Epigenetik). Diese die Gene an- und abschaltenden Faktoren sind zum Teil bekannt, zum Teil noch unbekannt. Sie liegen auf den Chromosomen in den Bereichen zwischen den Genen (diese Abschnitte hat man bisher für billiges Zeug gehalten, cheap junk), sie liegen im Zytoplasma der Zellen, sie bestehen in der Interaktion zwischen den Genen selbst und den Genen mit den Proteinen. Im erwachsenen Organismus reichen diese Interaktionen bis zum Nervensystem und zum menschlichen Gehirn.„Auch das Gehirn … nimmt direkten Einfluß darauf, welche Gene einer Zelle aktiviert und welche Funktionen von der Zelle infolgedessen ausgeführt werden.“18 Die Information liegt aber nicht nur in den Genen (DNS, Desoxyribonucleinsäure) und ihrer Umgebung, sondern vor allem auch in der Ribonucleinsäure (RNS).„Information und Stoffwechsel. Die zwei wichtigsten Eigenschaften des Lebens. Beide in einem Molekül“19, nämlich der RNS.
Es findet also eine ständige Wechselwirkung statt zwischen den Genen, zwischen Genen und Proteinen, zwischen Genen und ihrer Umgebung, zwischen DNS und RNS, zwischen den Zellen sowie der Umgebung der Zellen, zwischen dem ganzen Organismus und den Zellen, den Genen und Proteinen sowie der Umgebung des Organismus. Auch die soziale Umwelt, die Ernährung und die Innenwelt des Menschen mit seinem Denken und Fühlen haben Einfluss auf diese genetischen Interaktionen. In der Embryonalentwicklung wird das Genom durch diese ständigen Interaktionen erst langsam geformt und dabei müssen die genetische Grundinformation und die epigenetische Schaltinformationen genau aufeinander abgestimmt sein, damit die Zelldifferenzierung beim Embryo geordnet abläuft. Verläuft sie ungeordnet, entstehen Missbildungen. Eine solche ungeordnete Zelldifferenzierung findet zum Beispiel statt, wenn man aus einem fünf Tage alten Embryo Zellen entnimmt und diese Zellen zu embryonalen Stammzellen verwandelt, um sie zu therapeutischen Zwecken beispielsweise bei Patienten mit Parkinson, Diabetes, Krebs, Alzheimer zu verwenden.
Transplantiert man diese jungen fünf Tage alten Zellen in den anderen Organismus des Patienten, dann bleibt zwar die genetische Grundinformation zur Zelldifferenzierung bestehen, aber diese „Aufforderung“ zur Zelldifferenzierung läuft jetzt wegen der anderen Umgebung im Patienten („Schaltinformation“) ungeordnet ab. Und eine ungeordnete Zelldifferenzierung ist das, was man als Krebs bezeichnet. Daher haben bisher seit zehn Jahren alle Therapieversuche (weltweit) mit diesen jungen und unreifen Zellen, die man embryonale Stammzellen nennt, zu Krebserkrankungen geführt.
Schon auf dieser rein physiologischen Zellebene sieht man, dass die Information im Organismus nicht eindimensional starr festgelegt ist, sondern sich als ein ständiges Wechselwirkungs- und Interaktionsgeschehen darstellt zwischen genetischer Grundinformation und epigenetischer Schaltinformation. Das Genom des Menschen scheint sich in der Embryonalentwicklung erst langsam zu formen, es liegt nicht starr fest, sondern wird erst langsam Gestalt. Dabei spielt offensichtlich das Verhältnis zur Mutter und später auch zum Vater eine wesentliche Rolle. Die drei entscheidenden Phasen dieser Formung sind offensichtlich die pränatale Phase im Mutterleib, die Geburtsphase und die Pubertät.20
Interessant ist, dass in der Embryonalentwicklung viele „Aktivitäten“ bereits vom Embryo ausgehen. Sie reichen von der schon erwähnten Hormonausschüttung zur Verhinderung der Abstoßung bis hin zum langsamen Sich-Eingraben des Embryos in die Gebärmutter (zwischen 6. und 14. Tag) sowie der Ausbildung der Nabelschnur und der Geburtseinleitung durch den Fetus. Er gibt die Signale zum Beginn der Geburt. Daher sind frühzeitig eingeleitete Geburten und Kaiserschnitte (wenn sie nicht absolut notwendig sind) nicht das Mittel der Wahl, da der Fetus noch nicht zur Geburt reif ist und eine vorgezogene Geburt Stress bei ihm auslöst.
So ist der Entwicklungsprozess von der Zygote bis hin zum geborenen Kind eine Einbahnstraße. Der Organismus entsteht durch die Verschmelzung von Samen und Eizelle, er wächst, wird Gestalt und muss geboren werden. Bleibt er in seiner Entwicklung stehen oder im Geburtskanal stecken, stirbt er ab und vergiftet womöglich den Organismus der Mutter. Der Weg hin zur „Befreiung“ aus dem dunklen Mutterschoß, zum „Erblicken“ des Lichtes ist unumkehrbar. Lebensentfaltung ist Entwicklung nach vorne und bedarf eines geordneten Wachstums mit zielgerichteter Veränderung. Ohne eine solche Ordnung und Zielgerichtetheit ist der Organismus nicht lebensfähig.