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7. Kindheit – Intuition und Fragen

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In der frühen Kindheit hat die Hinwendung zum Absoluten eher intuitiven Charakter. Das Kind stellt wie selbstverständlich Fragen nach den letzten Gründen des Seins: wo ist die verstorbene Großmutter, was ist nach dem Tod, kommen Tiere auch in den Himmel, ist der liebe Gott auch wirklich lieb, wo wohnt er und warum hängt der Mann da am Kreuz? Diese Fragen treffen ins Zentrum des Lebens, und ein Kind kann mehr Fragen stellen als viele Philosophen beantworten können. Da Antworten auf die Fragen der Kinder nicht ganz leicht zu geben sind und die intellektuellen Zugänge für das Kind noch zu schwer zu verstehen sind, gilt es in dieser Phase der Entwicklung, ihnen atmosphärisch einen Zugang zum Absoluten zu ermöglichen: durch Musik, Stille sowie das Lesen heiliger Texte in versammelter Atmosphäre. Dennoch sollte man sich auch um Antworten bemühen.

Das Kind hat für die Tiefendimensionen des Lebens schon ein inneres Gespür. Gerade in jungen Jahren haben die meist noch unverstellten Kinder viele Fragen, die sich auf die letzten Dinge beziehen. Man sollte diese Fragen ernst nehmen und nicht belächeln. Man sollte sie fördern und kindgerecht zu beantworten suchen. Es ist eine erste wichtige Phase der Orientierung im Leben. Kinder haben neben der Ahnung vom Absoluten auch schon etwas von der Brüchigkeit der Welt erlebt, den Streit mit den anderen Kindern im Kindergarten oder in der Schule, den Streit der Eltern und vielleicht auch deren Trennung. Sie haben die Härte des Lebens schon ein Stück weit kennengelernt und in allem die Grenzen und Zerbrechlichkeit des Lebens. Angesichts dieser Erfahrung der Fragmentarität des Lebens sowie einer Ahnung vom Absoluten fragt das Kind intuitiv darüber hinaus. Es hat ein Gespür dafür, dass vieles so nicht sein sollte und dass es vielleicht noch etwas ganz anderes gibt.

Im Ernstnehmen der Fragen des Kindes und im Bemühen, diese Fragen zu beantworten, werden wesentliche Weichen für das weitere Leben gestellt. Es werden Grundlagen gelegt für ein Vertrauen ins Leben und in eine Macht jenseits der elterlichen Autorität, die das Leben trägt. Die Vorstellung von der elterlichen Allmacht zerbricht in der Pubertät sowieso. Oft haben schon sehr junge Menschen im Alter von sieben oder acht Jahren tiefe intuitive und geistliche Einsichten in eine andere Dimension des Seins. Friedrich Nietzsche soll schon mit acht Jahren gesagt haben, er müsse ein Heiliger werden und die anderen Freunde hätten nicht so schwere Bedingungen.25 Sein Leben lang war er auf der Suche nach seiner religiösen Berufung, viele seiner Schriften geben Auskunft von diesem Ringen.

Das, was der Mensch später an Halt und Orientierung braucht, wird in Kindertagen als Urvertrauen grundgelegt. Was Kinder erleben und erfahren, prägt ihr weiteres Leben, womöglich sogar bis hinein in die Zellen und die Formung des Genoms. Denn es scheint so zu sein, dass sich das Genom des Menschen, das – wie schon erwähnt – aus genetischer Grundinformation und epigenetischer Schaltinformation besteht, noch bis zur Pubertät durch die Umgebung sowie und die Beziehung zur Mutter und zum Vater mitgeformt wird. Es ist nicht starr festgelegt, sondern wird erst langsam Gestalt. So wäre es möglich, dass die Atmosphäre im Elternhaus, Vertrauen und Angst, Frieden und Streit auf diese prägende Phase bis in das Genom hinein Einfluss haben.

Aber zurück zu den Fragen der Kinder. Ihre Fragen kommen ganz automatisch und wie von selbst. Entscheidend ist, wie die Antworten ausfallen. Eltern sollten sich herausfordern lassen durch die Fragen der Kinder. Sie sollten sich bemühen, kindgerechte Antworten zu geben und die Fragen nicht als kindlich abzutun. Dazu müssen sich die Eltern selbst mit den existentiellen Fragen des Lebens auseinandersetzen. Bemühen sie sich nicht um gute Antworten und schieben die Fragen der Kinder als lächerlich beiseite, erlischt mit der Zeit deren Interesse und die Bereitschaft zum Fragen. Mit jeder unbeantworteten Frage wächst die Frustration und führt langsam dazu, nicht mehr zu fragen.

Umgekehrt wächst mit jeder Antwort die Neugierde weiterzufragen und durch den Dialog und das Sprechen mit den Kindern deren Interesse an den Dingen, die sie umgeben. Man sieht nur, was man weiß. Das heißt, dass mehr Wissen den Menschen auch mehr sehen lässt und ein Mehr-Sehen wieder zu mehr Wissen und zu mehr Inter-esse führt (inter-esse, dazwischen sein, drinnen sein). Schließlich wächst auch die Nähe zwischen Eltern und Kind. Denn beide arbeiten gemeinsam an einem Problem oder erschließen sich ein neues Gebiet und kommen sich so näher. Gemeinsam gelebtes Leben und gemeinsames Ringen vertieft die Beziehung.

Das Schlimmste ist, wenn Eltern nicht für Gespräche zur Verfügung stehen und Kinder keine Fragen mehr stellen. Derjenige, der keine Fragen mehr stellt, ist womöglich so enttäuscht worden, dass er gar nicht mehr damit rechnet, Antworten zu bekommen. Eine als lächerlich abgetane Frage verunsichert den jungen Menschen. Eine Mischung aus dem Nichtmehr-weiter-Fragen und einer wachsenden inneren Unsicherheit kann sich im Laufe des Lebens zur Arroganz (a-rogare, nicht fragen) entwickeln, die meint, schon alles zu wissen. Halbbildung macht frech, sagt der Volksmund. Daher ist das Wecken des Interesses in Sinne des Wissen-Wollens und Weiterfragens so wichtig, da dieses Fragen zu den letzten Fragen des Seins führt und gleichzeitig bescheiden macht angesichts des Wissens, was man alles nicht weiß und dass man nichts weiß (Sokrates).

Wer immer weiter fragt, kommt schließlich auf einen letzten Grund. Thomas von Aquin war der Meinung, dass der Mensch, der immer weiter fragt, schließlich auf diesen letzten Grund stößt und diesen letzten Grund nennen alle Gott. Es ist der Grund, der alles trägt und auf den man sich verlassen kann. Es ist der Grund, der die Welt trägt und im Innersten Halt gibt. Aus diesem Grund heraus wachsen dem Menschen – wie von selbst – jene Kräfte zu, die er zum Leben braucht. Dieser Grund ist wie ein Quell lebendigen Wassers im Innersten des Menschen. Manchmal muss der einzelne im späteren Leben erst zu-grunde-gehen, um wieder Anschluss an diesen Quellgrund zu bekommen.

Wenn der Grund und damit die Kraftquelle verschüttet sind, ist der Mensch kraftlos, leer, vielleicht depressiv. Dann muss dieser Grund wieder frei gelegt werden, vielleicht in einem ersten Schritt durch Psychotherapie, letztlich aber durch die Wiederanbindung an den Grund durch Stille, Meditation, Gebet. Die geringfügige „Arbeit“, die man leisten muss, um an diesem Grund dran zu bleiben, ihn nicht zu verlieren oder wieder zu ihm zurückzukehren, ist täglich ein wenig Rückzug und Stille sowie ein Hören auf das göttliche Wort. Dazu muss der Mensch sich je neu freischaufeln von all dem, was ihn im Alttag zuzudecken und zu erdrücken droht.

So sollte eine gute Pädagogik das Fragen der Kinder und Jugendlichen – übrigens auch der Erwachsenen – fördern und es ihnen nicht abgewöhnen. Der Mensch, der nicht mehr fragt, ist wie abgestorben, innerlich tot und desinteressiert. Dabei ist das Inter-esse, das Dazwischen-Sein, ein zentrales Moment am Menschsein. Der Mensch kann mit seinem Intellekt (intus legere, drinnen lesen) in den Dingen und hinter den Dingen lesen. Das schafft die Möglichkeit, sich in dieser Welt zurechtzufinden, sich zu orientieren und die Größe der Welt und des Lebens zu entdecken. Dazu sollten bereits Kinder angeleitet werden.

Um das zu können, müssen Kinder Sprechen, Lesen, Schreiben lernen, sie müssen sich verständlich machen können und Kommunikation üben, soziales Verhalten lernen und die eigenen Grenzen und die des anderen respektieren lernen. Da dies ein großes und anstrengendes Programm ist, dürfen Ruhe und Versammlung, aber auch Spielen, Sport, Freizeit und Musizieren nicht fehlen. Vor allem Sprechen, Schreiben und Kommunikation sind von zentraler Bedeutung für die Entwicklung des Kindes. Ein junger Mensch, dessen Kommunikation mit der Umwelt nicht gelingt, vereinsamt. Er wird nicht sozialisiert. Menschen, die nicht Lesen und Schreiben können, sind von großen Teilen der Welt ausgeschlossen. Kommunikationsstörungen führen auf Dauer zu Beziehungsstörungen und Beziehungsstörungen führen zu Kommunikationsstörungen. Beides führt zu Leid, Einsamkeit und Verzweiflung.

So ist es wegen der hohen Intuition der Kinder für existentielle und religiöse Fragen sinnvoll, schon kleine Kinder in die Grundfragen der Religion einzuführen. Zum Beispiel können schon im Kindergarten einfache Gebetsformen eingeübt und religiöse Fragen beantwortet werden. Zusammen mit guten menschlichen Kontakten wird dies dem Kind Halt und Ausrichtung geben. Es ist auch sinnvoll, zum Beispiel die Feier der Erstkommunion (im katholischen Raum) in dieser frühen Phase vorzunehmen, da Kinder vieles intuitiv aufnehmen, obwohl sie noch nicht alles verstehen können. Aber auch der Erwachsene ringt ein Leben lang um dieses Verständnis. Daher sollte man auch Eltern in die religiöse Erziehung der Kinder mit einbeziehen, wenn ihre Kinder im christlichen Kontext an die Sakramente (Erstkommunion, später Firmung, Konfirmation) herangeführt werden. Symbole und Zeichen müssen erklärt werden, auch sie sind eine Art Sprache.

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