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8. Pubertät als Krise
ОглавлениеMit der Pubertät beginnt der zweite Abnabelungsprozess des jungen Menschen von der Mutter und den Eltern. Alles gerät durcheinander, alles wird infrage gestellt. Hormone spielen verrückt, aus dem Jungen wird ein junger Mann, aus dem Mädchen eine Frau. Die Geschlechtsreife beginnt und bald können die Jugendlichen eigene Kinder zeugen. Werte brechen um, die Absolutheit der Eltern wird hinterfragt. Bei manchem bricht Langweile oder die Null-Bock-Mentalität auf. War bei den Kindern noch ein intuitiver Zugang zum Religiösen möglich, wird auch dieser jetzt infrage gestellt. Der Sinn von Religion überhaupt wird bei vielen fragwürdig. Religion ist für die einen gar nicht mehr „cool“, andere wollen verstehen, wozu der Glaube an Gott überhaupt gut sein soll. Der junge Mensch sucht nach Antworten und setzt sich kritisch mit seinen Eltern und mit allem, was ihm von außen vorgegeben ist, auseinander. Das dient der Findung des Eigenstandes. Die Eltern werden in die Auseinandersetzungen einbezogen oder abgelehnt, sie müssen vieles aushalten und argumentativ erläutern. Um hier mit den Kindern im Gespräch zu bleiben, müssen sie sich weiterhin mit den wesentlichen Fragen des Lebens auseinandersetzen und neu argumentieren lernen.
Fragen und Antworten will gelernt sein, und das kann man trainieren. Im Mittelalter gab es eine eigene Methode des Fragens und Antwortens, eine Anleitung zum Argumentieren. Bei diesem Argumentationstraining sollte man im Gespräch zunächst wiederholen, was der andere gesagt hat, sich rückversichern, dass man ihn richtig verstanden hat und dann erst antworten. Wie viele Missverständnisse kämen gar nicht erst zustande, wenn man sich so verhielte. Und zweitens sollte man im Disput das Argument des anderen stark machen und nicht schwächen. Das eigene Argument sollte besser sein als das stärkste des Gesprächspartners.
Die Diskussionen sollten bei aller Unterschiedlichkeit der Meinungen in angemessenem Respekt und mit Wohlwollen so geführt werden, dass man den anderen nicht bewusst missversteht und verletzt. Philosophieren heißt Weiterfragen, so hat es Carl Friedrich von Weizsäcker einmal formuliert. Mit dem Weiterfragen und dem Versuch der Beantwortung einer Frage entstehen neue Fragen, und neue Fragen bringen das Interesse voran. Dieses Interesse des Fragens und Suchens sollte man auch bei Jugendlichen fördern. Immerhin heißt es: wer suchet, der findet (Mt 7,8).
Was also macht der junge Mensch mit diesem Durcheinander, mit diesem Chaos, mit dieser Krise? Was geschieht jetzt? Wie soll dieser Umbruch der beginnenden Herauslösung aus dem Elternhaus gelingen und gestaltet werden? Der junge Mensch will schon ganz frei und selbstständig sein und kann doch nicht allein leben. Er hat schon Allmachtsphantasien und ist doch noch ganz abhängig. Er ist gerade zwölf bis fünfzehn Jahre alt. Wie löst man diese Spannung? Und woher bekommt man Antwort?
Offensichtlich ist dieser Prozess nicht nur ein Prozess der Befreiung von etwas, also von den Eltern und anderen Fremdbestimmungen, sondern auch ein Prozess zu etwas hin, nämlich zum Finden der eigenen Identität, Wahrheit und Berufung. Wie kann der junge Mensch zu diesem Eigenen durchreifen? Er ist noch sehr jung, kann noch nicht ganz weg vom Elternhaus, aber ganz zu Hause ist er auch nicht mehr. Wie kommt er aus der Spannung des Nicht-mehr-ganz-bei-den-Eltern- und Noch-nicht-ganzbei-sich-selbst-Seins, aus dem Frei-sein-Wollen, aber noch nicht ganz Freisein-Können heraus?
Bedarf es gerade zum Aushalten dieser Spannung und für das Überwinden dieses Abgrundes und des Zwischen-den-Welten-Seins einer ganz anderen Dimension, eines Überstieges in eine andere Welt, die jetzt in diesem Chaos tragende Kraft bekommt und neue innere Ordnung schafft? Bedarf es gerade für diesen schrittweisen Überstieg zur Selbstwerdung einer ganz anderen Ebene? Das klingt paradox. Der Mensch soll ja gerade aus der Fremdbestimmung durch die Eltern langsam zum eigenen Ich heranreifen. Und jetzt soll noch eine andere zusätzliche Ebene, womöglich eine neue „fremde Macht“ ins Spiel kommen? Soll der junge Mensch aus einer Fremdbestimmung in eine andere Fremdbestimmung hineingeraten? Das klingt widersprüchlich.
Damit das nicht geschieht, müsste diese „andere Dimension“ „da“ sein und doch nicht vereinnahmen, sie müsste ganz zurücktreten und doch Halt geben. Sie müsste im innersten Innen des Menschen ansetzen und doch Orientierung geben, sie müsste Wegweisung sein und doch Raum geben zur Selbstentfaltung. Sie müsste von innen her Halt geben und in den Eigenstand und die Freiheit führen. Sie dürfte den jungen Menschen nicht wiederum von außen her fremd bestimmen wie eine äußere Autorität, sondern müsste eine innere Autorität sein, die dem Menschen wie ein Kompass den Weg weist. Sie müsste ihm helfen, zu sich selbst zu erwachen und den eigenen Lebensweg schrittweise zu finden. Sie müsste die Selbstwerdung fördern und nicht blockieren, sie müsste den Menschen groß machen und nicht klein, ihn wachsen lassen und nicht schrumpfen, ihm Vertrauen schenken und nicht Angst einflößen, den Weg ins Unbekannte bahnen helfen und nicht im Alten stecken bleiben. Eine solche Macht müsste den Menschen überschreiten und doch in ihm sein, sie müsste dem Menschen innerlicher sein als er sich selbst innerlich sein kann.
Bevor diese Macht und innere Autorität näher beschrieben wird, sollen zunächst zwei weitere grundsätzliche Fragen bedacht werden: Zum einen jene über die Brüchigkeit der Welt, die sich gerade in Krisen- und Umbruchszeiten zeigt, und zum anderen jene über die Grundstruktur des Menschen, die sich vor allem in seinem Geist- und Vernunftcharakter zeigt. Wer diese Zwischenüberlegungen nicht mitvollziehen will, möge gleich zum Teil C „Pubertät als existentieller Umbruch“ übergehen.