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5. Geburt – Neugeborenes
ОглавлениеDer Fetus wird geboren, die Nabelschnur durchtrennt, das neugeborene Kind muss selbständig atmen. Dieses Von-selbst-Atmen nennt man Spontanatmung. Sie geschieht „von selbst“, man kann sie nicht machen. Man kennt zwar die physiologischen Mechanismen im Atemzentrum im Stammhirn, aber das Phänomen des „Von selbst“ taucht auch hier wieder auf. Setzt die Spontanatmung beim neugeborenen Kind nicht ein, müsste es beatmet werden. Auf Dauer aber muss es von selbst atmen. Tut es dies nicht und muss beatmet werden, stellt sich irgendwann die Frage, wann man die Beatmungsmaschine abstellen darf. (Um hier ein Kriterium einzuführen, hat man vor etwa vierzig Jahren das Hirntodkriterium definiert. Dies besagt, dass man den Patienten für tot erklärt, wenn in den drei großen Arealen des Gehirns – Großhirn, Zwischen-, Mittel-, Kleinhirn und Stammhirn – keine Aktivitäten mehr gemessen werden können, das sogenannte Nulllinien-EEG.). Solche Beatmungen geschehen auch bei Operationen, nach denen der Patient wieder von der Beatmungsmaschine wegkommen muss oder auch nach sogenannten Re-anima-tionen (wörtlich: Wiederbeseelungen), wenn nach einem Herzstillstand das Herz wieder zum Schlagen gebracht wird. Dann muss der Mensch solange beatmet werden, bis der Organismus sich erholt hat. Auch dann muss der Patient irgendwann wieder von der Maschine loskommen und allein atmen.
In all diesen Bereichen geht es um ein „Von-Selbst“: Beim Atmen, beim Herzschlag, bei der physiologischen Lebensentfaltung. Alle diese Dimensionen haben etwas miteinander zu tun. Das findet sich in vielen Kulturen und Religionen. In Meditationstechniken lernt man, auf seinen Atem zu achten und dadurch still zu werden. Man findet diese Zusammenhänge in Begriffen wie atman, was mit Atem und mit dem Ewigen zu tun hat. Im Alten Testament heißt es, dass Gott dem Menschen den Atem einhaucht – dargestellt im Gemälde von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Rom – und dass der Mensch am Ende seines Lebens den Atem wieder aushaucht. Man sagt, seine Seele verlasse seinen Leib. (Das Christentum geht von einer Leib-Seele-Einheit und der leiblichen Auferstehung des Menschen aus, so dass hier einige theologische Fragen entstehen, wie die Leib-Seele-Einheit nach dem Tod zu denken ist.) Auch der Herzschlag geht von selbst. Das Judentum sieht das Herz als den Sitz der Seele und tut sich deshalb mit der Hirntoddefinition schwer. Es akzeptiert sie, wenn damit ein Leben gerettet werden kann. Auch das Leben, die Zellteilung, der Stoffwechsel, die Zellkommunikation geschieht „von selbst“, das Lebendige braucht von außen nur Nahrung, Wasser und Licht, alles andere geschieht von innen von alleine.
Der Fetus wird also abgenabelt und das Kind muss selbständig atmen. Selbstverständlich ist das nicht, denn auch hier können viele Störungen auftreten wie zum Beispiel ein Atemstillstand (der allerdings bei Kindern selten ist, bei Erwachsenen immer wieder vorkommt). Mit der Geburt beginnt eine erste Form von Eigenstand. Das Kind ist abgeschnitten von der Nabelschnur, es erblickt das Licht der Welt und muss „selbständig“ leben und atmen, ohne selbständig zu sein. Es ist total abhängig von seiner Umgebung. Es tritt in eine neue Beziehung mit der Mutter ein. Im Lächeln der Mutter erkennt das Kind die mütterliche Liebe und wird durch sie „ins Bewußtsein gerufen“.21 Im weiteren Verlauf dieser Begegnung eröffnet sich ihm
„der Horizont des gesamten unendlichen Seins und zeigt ihm vier Dinge: 1. Daß es, eins’ ist in der Liebe mit seiner Mutter, obwohl ihr gegenübergestellt, also daß alles Sein, eins’ ist. 2. Daß diese Liebe, gut’ ist: also alles Sein, gut’ ist. 3. Daß diese Liebe, wahr’ ist, also alles Sein, wahr’ ist. 4. Daß diese Liebe, Freude’ weckt, also alles Sein, schön’ ist.“22
Durch das Lächeln der Mutter hindurch erkennt das Kind das gesamte Sein in seiner Einheit, Gutheit, Wahrheit und Schönheit: „Das Lächeln der Mutter wird vom Kind verstanden, wobei hinter der Bilderwelt die Welt des Seins im Ganzen sich lichtet: gleichzeitig im Ich und im Du, im Innen und Außen.“23
Auch die Mutter muss sich auf das neue Kommunikationsgeschehen einstellen. Aus der genetischen, hormonellen, zellulären, pränatalen „Kommunikation“ ist eine Kommunikation von Ant-litz zu Ant-litz geworden. Die Mutter blickt das Kind an und das Kind blickt die Mutter an (ant-litz, ahd.: gegen-blicken). Der Mensch ist der Gegen-Blicker, so wie er der Gegen-Worter, der Ant-Worter ist. Das Kind wird angeblickt und angesprochen, es blickt zurück, kann aber noch nicht mit Worten antworten. Es ist auf Blicke und Zuwendung der Mutter angewiesen, es selbst kann sich nur äußern durch Bewegungen und Schreien. Übermäßiges Schreien deutet dabei bereits auf eine Kommunikationsstörung mit der Mutter im Mutterleib hin oder auf eine körperliche Störung. Die Not des Kindes besteht darin, sich nicht verbal verständlich machen zu können. Es kommen Hunger, Durst und womöglich erste Schmerzen hinzu. Außerdem ist das Kind total abhängig von der Mutter oder von anderen Menschen, die sich um das Kind kümmern.