Читать книгу Das sagt aber - Matthias Eckert - Страница 11
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ОглавлениеNachdem ich es geschafft hatte nicht lachend vom Stuhl zu fallen würgte ich POR Fahles Versuch einen Schwatz über irgendwelche Nichtigkeiten anzufangen ab und ging zurück in den Dosencontainer. Durch die Einleitung des Disziplinarverfahrens war eine baldige Anstellung vollends unrealistisch. Während eines laufenden Disziplinarverfahrens wurden keine Beförderungen oder beförderungsähnlichen Personalmaßnahmen, worunter eine Anstellung fiel, vorgenommen. Dementsprechend musste erst einmal das Disziplinarverfahren abgeschlossen werden. Und zwar mit nichts anderem als einer Einstellung nach § 32 Absatz 1 Nr.1 Bundesdisziplinargesetz (BDG), weil „ein Dienstvergehen nicht erwiesen ist“. Ansonsten würde der Ausgang des Verfahrens als Rechtfertigung für die Probezeitverlängerung und eine anschließende Entlassung dienen.
Grund, oder Vorwand, für das Disziplinarverfahren waren zwei Ereignisse bei denen ich mich angeblich dreier Dienstvergehen schuldig gemacht hatte.
Der erste Vorwurf lautete, am Abend des 15.02.2009 hätte eine im Rollstuhl sitzende nur mit Mantel und Schlafanzug bekleidete ältere Dame die Bahnhofsmission Stuttgart um einen Schlafplatz ersucht. Eine Mitarbeiterin der Bahnhofsmission vermutete daraufhin, die Dame sei aus einem Heim abgängig und kontaktierte die BPOL. Dabei sei es zu einem Wortwechsel mit mir gekommen bei dem ich, „neben weiteren verbalen Entgleisungen“, geäußert hätte „die BPOL sei kein Sozialunternehmen“. Ich hätte dann die Personalien der Dame im Fahndungssystem überprüft aber ansonsten keine Maßnahmen getroffen und dadurch gegen die Pflichten zur vollen Hingabe zum Beruf gemäß § 61 Absatz 1 Satz 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) und zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten gemäß § 61 Absatz 1 Satz 3 BBG verstoßen. Der Vorfall war in dem Gespräch am 29. Mai nicht zur Sprache gekommen. Wahrscheinlich wahr die Sache erst später an ihn oder PHK Kauf herangetragen worden. Vor so was hatte PHKin Beck mich ja gewarnt.
Der zweite Vorwurf der schon am 29. Mai erwähnte „Vorfall mit einer gewichtigen Person“ und sollte ebenfalls einen Verstoß gegen § 61 Absatz 1 Satz 3 BBG darstellen. Zur Einleitung des Disziplinarverfahrens machte sich POR Fahle die Mühe etwas präziser zu werden. Demnach hätte ich, „während meiner Verwendung in der ehemaligen BPOLI Ulm“, einen namentlich nicht genannten Kollegen mit den Worten „mein Gott schau die Fette an“ auf eine vor der Wache befindliche Dame aufmerksam gemacht. Deren anwesende Mutter hörte es, verlor die Fassung und fand sie erst durch beruhigendes Zureden mehrerer Kollegen wieder.
Neben der Schilderung meiner Schandtaten enthielt die Einleitungsverfügung eine Belehrung über seinen Ablauf. Aufgeführt waren die Rechte einen Beistand hinzuzuziehen, die Möglichkeit sich mündlich oder schriftlich zu äußern und die dafür vorgesehenen Fristen. Alle weiteren Rechte die ich als Betroffener im Disziplinarverfahren hatte wurden nicht erwähnt und ich halte die Belehrung für missverständlich. So zum Beispiel: „Es steht ihnen frei, sich zu den genannten Vorwürfen mündlich oder schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Sie können sich jederzeit im Verlauf des Disziplinarverfahren eines Bevollmächtigten oder Beistands bedienen (§ 20 Abs. 1 BDG). Für die Abgabe einer schriftlichen Äußerung setze ich Ihnen eine Frist von einem Monat. Falls Sie sich mündlich äußern wollen, bitte ich Sie um entsprechende Erklärung innerhalb von zwei Wochen (§ 20 Abs. 2 Satz 1 BDG). Die Anhörung wird dann innerhalb von drei Wochen nach Eingang der Erklärung durchgeführt (§ 20 Abs. 2 Satz 2 BDG). Die jeweilige Frist beginn nach Zugang es Schreibens. Falls Sie aus zwingenden Gründen gehindert sind, die genannten Fristen, einzuhalten, bitte ich Sie um unverzügliche Mitteilung (§ 20 Abs. 2 Satz 3 BDG). Die Erklärung, ob Sie von ihrem Recht auf mündliche Äußerung Gebrauch machen wollen, bitte ich, an mich als zuständigen Dienstvorgesetzten im Sinne der Verordnung zu § 82 BDG zu senden.“
Das konnte, meines Erachtens, den Eindruck erwecken der Beschuldigte dürfe sich einmal, und zwar zu Beginn des Verfahrens zu den Vorwürfen äußern. Dagegen war in § 30 BDG ausdrücklich das Recht eines Beamten festgelegt sich erst oder erneut nach Abschluss der Ermittlungen zu äußern. Eventuell klingt es nur für mich so. Eventuell kennt jeder andere Beamte § 30 BDG und sonstige Vorschriften zum Disziplinarverfahren auswendig und wenn nicht kann ja jeder im Gesetz nachsehen. Ich war in meinem Wissen und meinen geistigen Fähigkeiten aber stark eingeschränkt und POR Fahle wusste es. Daher enttäuschte mich die Unvollständigkeit der Belehrung, gerade in Anbetracht seiner sonst so vorbildlichen Fürsorge mir gegenüber, doch ein wenig.
Glücklicherweise war PHM Rund so nett mir die entsprechenden Paragraphen des BDG vorzulesen und deren Bedeutung zu erklären. Weshalb POR Fahles versehentliche Nachlässigkeit, es musste sich um ein Versehen handeln, er würde mich nie bewusst täuschen wollen, ohne Folgen blieb. Gerade nachdem er sich mir als Ansprechpartner in allen Fragen zum Disziplinarverfahen und der Probezeitverlängerung empfohlen hatte wäre so eine List umso hinterhältiger gewesen.
Als Ermittlungsführer im Disziplinarverfahren war POK Blech bestimmt worden. Aufgabe des Ermittlungsführers war es die Zeugenvernehmungen durchzuführen, Beweise zu sammeln, sie in einem Ermittlungsbericht zusammenzufassen und dem Disziplinarvorgesetzten vorzulegen. Der würde den Ermittlungsbericht objektiv beurteilen und das Verfahren dann entweder einstellen oder sich für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme entscheiden.
Die möglichen Disziplinarmaßnahmen reichten von einem Verweis, der in der Regel ein Schreiben mit der Aufforderung so etwas nicht wieder zu tun war, über eine einmalige Geldbuße bis zur Kürzung der Dienstbezüge. Was bedeutete, dass der Dienstherr das Gehalt für bis zu drei Jahre um bis zu 20 Prozent kürzen konnte. Alle genannten Maßnahmen konnte der Disziplinarvorgesetzte, bei mir der Leiter der BPOLI S, vorschlagen. Woraufhin sie vom Leiter der BPOLD S genehmigt werden mussten und daraufhin, sollte der Beschuldigte keinen Widerspruch einlegen, rechtskräftig würden. Als schwerste Disziplinarmaßnahmen gab es die Zurückstufung, umgangssprachlich als Degradierung bezeichnet, oder die Entfernung aus dem Dienst. Die konnte die BPOLD S jedoch nicht selbst verhängen, sondern müsste sie beim zuständigen Verwaltungsgericht einklagen.
Soweit im Grundsatz. Der jedoch von einem Beamten auf Lebenszeit ausging. Dank POR Fahles Bemühungen war ich noch Beamter auf Probe. Dazu stand in § 31 Absatz 1 Nr. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG), „der Beamte auf Probe kann entlassen werden wenn ein Verhalten vorliegt, das bei einem Beamten auf Lebenszeit mindestens eine Kürzung der Dienstbezüge zur Folge hätte“.
§ 31 BBG enthielt noch weitere Wege einen Beamten auf Probe loszuwerden. Gleich unter Absatz 1 Nr. 2 fand sich die für meinen Fall eigentlich passende Variante. „mangelnde Bewährung (Eignung, Befähigung, fachliche Leistung“. Passend weil POR Fahle, seinen Einlassungen vom 29. Mai zu Folge, der Meinung war genau das sei bei mir der Fall. Jedoch musste eine mangelnde Bewährung belegt werden. Hierzu war der Haufen unbewiesener Anschuldigungen mit dem ich damals eingedeckt worden war unzureichend. Weshalb Frau Dr. März schon bei der Rechtsberatung am 29. Juli vorhersagte, das Justitiariat würde die Entlassung ablehnen. Einfach ärgerlich wenn kleinliche Paragraphenreiter einen Visionär wie POR Fahle an der Entfaltung seines Genies hindern. Zur Verteidigung des Justitiariat ist anzufügen. Eine Entlassung wegen mangelnder Bewährung konnte vor dem Verwaltungsgericht angefochten und dort für ungültig erklärt werden. Da ich immer an das Gute im Menschen, besonders in Bediensteten der BPOL glaube, gehe deshalb davon aus, dass das Justitiariat meine Entlassung nicht aus Bösartigkeit, sondern um der BPOL ein aussichtsloses Gerichtsverfahren zu ersparen, ablehnte.
Außerdem konnte gemäß, § 31 Absatz 1 Nr. 3 BBG in Verbindung mit § 42 BBG, eine Beamter auf Probe entlassen werden wenn er „aufgrund seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig)“ war. Was allerdings ein Arzt feststellen musste und wohl kaum geschehen wäre. Zwar hatte ich die erwähnten Wahrnehmungsstörungen. In einer Organisation in der Schreiben spurlos verschwanden um dann wieder aufzutauchen. In der angesehene Angehörige Indikativ und Konjunktiv nicht auseinander halten konnten. In der noch viel angesehenere Angehörige sich zum einzigen Ansprechpartner in einem von ihnen eingeleiteten Disziplinarverfahren ernannten, kurz nachdem sie eine Einleitungsverfügung aushändigten in der ausdrücklich auf das Recht sich eines Beistandes zu bedienen hingewiesen wurde. In einer solchen Organisation bedeuteten ein paar Wahrnehmungsstörungen keine Dienstunfähigkeit. Wahrscheinlich war es ohne gar nicht auszuhalten.
Blieb § 31 Absatz 1 Nr. 4 BBG nach dem ein Beamter auf Probe entlassen werden konnte wenn durch: „Auflösung, Verschmelzung oder wesentliche Änderung des Aufbaus der Beschäftigungsbehörde, wenn das Aufgabengebiet des Beamten von der Auflösung oder Umbildung berührt wird und einer anderweitige Verwendung nicht möglich ist“.
An sich keine schlechte Lösung. Einfach die BPOL entsprechend umbauen und schon stünde meiner Entlassung nichts mehr im Weg. Gut dabei müssten vermutlich ein paar weitere Beamte auf Probe dran glauben. Aber für ein höheres Ziel muss man hin und wieder ein Opfer bringen. Leider übertraf der dafür nötige Umbau POR Fahles Kompetenzen.
In Anbetracht dessen war der Weg über das Disziplinarverfahren keine schlechte Idee. Sobald eine Kürzung der Dienstbezüge rechtskräftig würde konnte ich problemlos entlassen werden. Sicher wäre rein formal eine Klage gegen die Entlassung möglich gewesen. Aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage aber wahrscheinlich reine Zeit- und Geldverschwendung. Da kam es für POR Fahle natürlich äußerst ungelegen, dass ich Kontakt zu Kollegen hatte die intelligent genug waren einen Gesetzestext zu lesen. Weshalb der Zweck des Disziplinarverfahrens und dessen Gefahren schnell durchschaut waren. An sich war das nicht verwunderlich. In Anbetracht der Umstände musste jeder, bei dem es im Kopf nicht völlig zappenduster war, von einer Verbindung zwischen Probezeitverlängerung und Disziplinarverfahren ausgehen.
Da die erhobenen Vorwürfe nicht zutrafen sah ich dem Disziplinarverfahren gelassen entgegen. Zumindest kurzzeitig. Denn bei näherer Betrachtung wollte ich mich darauf nicht verlassen. Die Erfahrung mit dem Gespräch vom 29. Mai und der Erstellung des Gesprächsprotokolls verleitete mich zur Vermutung, POR Fahle würde bei dem Disziplinarverfahren keinen gesteigerten Wert auf die Feststellung der Tatsachen legen. Sondern sie so hinbiegen wie es seinen Interessen entsprach. Was durch die Formulierung der Einleitungsverfügung genährt wurde. In ihr stand gegen mich werde, „wegen des Verdachts eines Dienstvergehens ein Disziplinarverfahren“ eingeleitet. Der Verdacht „ergibt sich aus den nachfolgend genannten Sachverhalten“. Deren Schilderung, jetzt muss wieder zum Thema Indikativ und Konjunktiv kommen, durchweg im Indikativ erfolgte und so den Eindruck erweckte es würde sich um bewiesene Tatsachen handeln. Folgte POR Fahle seinem Grundsatz „das sagt aber ein Hauptkommissar“ und das Disziplinarverfahren sollte überhaupt nicht klären was geschehen war, sondern lediglich das vermeintliche Geschehen bewerten? Wenn sich dabei herausstellen sollte, dass es sich um Dienstvergehen handelte würde POR Fahle leider keine andere Wahl haben, als eine angemessene Disziplinarmaßnahme zu verhängen. Schließlich war er diesbezüglich sicher an Vorschriften gebunden.
Die Stellung des Dienstvorgesetzten im Disziplinarverfahren war ausgesprochen stark und bot ihm entsprechend Gelegenheit zu dessen Beeinflussung. Er erhob Anklage und bestimmte den Ermittlungsführer. Welcher in der Regel, auch in meinem Fall, aus der selben Dienststelle kam und für sein dienstliches Fortkommen daher vom Dienstvorgesetzten abhängig war. Was, da es in einer Dienststelle mit mehr als 200 Beamten immer einen gab der für die Karriere so ziemlich alles tat, nicht unterschätzt werden sollte.
Wenn es seine Absicht war so einen zu finden hatte POR Fahle jedoch mächtig daneben gegriffen. So zumindest die übereinstimmende Meinung von PHM Rund, mir und vielen anderen. POK Blech trauten viele vieles zu, aber bestimmt nicht einen Kollegen für eine Beförderung, Leistungsprämie oder was ein Inspektionsleiter sonst zu bieten hatte zu verkaufen. Allerdings können sich auch viele täuschen. An jenem 20. Juli lachten PHM Rund und ich jedenfalls über die Wahl des Ermittlungsführers und fragten uns wie POR Fahle auf POK Blech gekommen war.
Zurück zum Ablauf eines Disziplinarverfahrens. Der Ermittlungsführer legte also einen Bericht vor, auf dessen Grundlage der Dienstvorgesetzte entschied, ob und wenn ja was für eine Disziplinarmaßnahme verhängt würde. Zwar musste er sie vom nächst höheren Vorgesetzten genehmigen lassen. Aber da würde eine Krähe der anderen schon kein Auge aushacken. Ich meine natürlich, wenn ein Leistungsträger aus dem höheren Dienst nach reiflicher Überlegung und Würdigung der Fakten eine Entscheidung fällt, wird ein anderer Leistungsträger aus dem höheren Dienst nach selbigem bestimmt zum gleichen Ergebnis kommen.
Gegen die Entscheidung konnte zwar Widerspruch eingelegt und sie letztlich vor Gericht angefochten werden. Das war aber zeitaufwändig und mit laufendem Disziplinarverfahren konnte man nicht nur nicht befördert werden, sondern sich nicht einmal für bestimmte Verwendungen bewerben. Gut, wenn man entlassen wurde erst recht nicht.
Unabhängig davon war ich nicht bereit irgend eine Disziplinarmaßnahme zu akzeptieren. Nicht einmal die Möglichkeit einer Einstellung nach § 32 Absatz 1 Nr. 2, nach der: „das Disziplinarverfahren eingestellt wird, wenn ein Dienstvergehen zwar erwiesen ist, eine Disziplinarmaßnahme jedoch nicht angezeigt erscheint“, wollte ich hinzunehmen. Zum einen war ich der festen Überzeugung kein Dienstvergehen begangen zu haben. Zum anderen weil selbst eine Disziplinarmaßnahme die unter der Kürzung von Dienstbezügen blieb als Rechtfertigung für die Probezeitverlängerung und eine anschließende Entlassung herangezogen werden konnte. Im Zweifel halt mit irgend etwas kombiniert. Schließlich war mir am 29. Mai noch mehr vorgehalten worden. Zusätzlich war in der Zwischenzeit offensichtlich weiter gesammelt worden. Sonst hätte POR Fahle nichts von der älteren Dame gewusst.
Dabei war so viel Misstrauen überhaupt nicht angebracht. Das Disziplinarverfahren hatte ja nichts mit der Probezeitverlängerung zu tun. Sagte zumindest POR Fahle und der musste es wissen.