Читать книгу Klausurenkurs im Arbeitsrecht II - Matthias Jacobs - Страница 14
6. Umgang mit unbekannten Problemen
Оглавление31
Ist eine Problematik im Sachverhalt zwar angelegt (insbesondere durch Ausführungen der beteiligten Parteien), dem Bearbeiter aber nicht bekannt, sollte der einschlägige Rechtssatz nach den klassischen Auslegungskanones Wortlaut, Historie/Genese, Systematik und ratio ausgelegt werden (weitere Kriterien daneben sind z.B. der Vorrang des allein verfassungs- oder richtlinienkonformen Auslegungsergebnisses, Praktikabilität und Bedürfnisse des Rechtsverkehrs, Prozessökonomie und ökonomische Folgen einer bestimmten Rechtsanwendung).
32
Wie dargelegt, wird eine ausführlichere Argumentation idealerweise nicht nur logisch, sondern auch optisch durch Absätze gegliedert. Allein durch eine solche Gliederung der Argumentation zeigt ein Klausurbearbeiter, dass er seine Gedanken zu systematisieren vermag – was deutlich überzeugender wirkt als eine „freie“ Aneinanderreihung verschiedener Wertungen, die dann auch häufig nicht mehr ans Gesetz oder einen bestimmten Rechtssatz anknüpft.
33
Was „freie“ Wertungen anbelangt, ist im Arbeitsrecht insbesondere darauf hinzuweisen, dass der pauschale Verweis auf den „Arbeitnehmerschutzgedanken“ niemals genügt.[8] Arbeitsrecht ist stets ein gerechter Ausgleich verschiedener, auch arbeitgeberseitiger Interessen. Wenn also mit der Schutzbedürftigkeit einer Seite argumentiert wird, so ist diese möglicht präzise und konkret herauszuarbeiten.
34
Die übermäßige Zuweisung verschiedener Auffassungen zur Rechtsprechung (z.B. „Das BAG vertritt die Ansicht, dass…“) oder Literatur (z.B. „Die Literatur will hingegen…“) sollte bei der Darstellung von Streitständen ebenfalls vermieden werden. Zum einen sind solche Gruppierungen selten trennscharf (auch unterschiedliche Senate desselben Gerichts argumentieren bisweilen verschieden). Zum anderen erweckt eine solche Darstellung den Eindruck, die Berufung auf eine externe Autorität solle die fehlende Überzeugungskraft des Gutachtens wettmachen, insbesondere wenn ohne weitere Argumente eine (angeblich) „herrschende Meinung“ bemüht wird. Die Berufung auf die „h.M.“ ersetzt aber niemals die eigene Argumentation. Wenn es nicht um besonders wichtige Entscheidungen oder sehr bekannte Minderheitenauffassungen geht, sollte sich eine Klausurbearbeitung darauf beschränken, die jeweils entscheidenden Argumente darzustellen.
35
Für die erforderliche Breite der Ausführungen gilt die Faustformel: Je mehr von der vorherrschenden Auffassung abgewichen wird, desto ausführlicher muss auch die Argumentation ausfallen. Umgekehrt macht der bloße Verweis auf eine (angeblich) herrschende Meinung eine Argumentation aber keinesfalls entbehrlich (nicht etwa: „Nach h.M. genügt das für den Zugang der Kündigungserklärung.“).