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Zolas Geschichte

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Columbia, South Carolina, 1733

Sie saßen am klobigen Holztisch und aßen. Zola hatte auf dem einzigen Holzschemel in der Hütte Platz genommen, Hugh schob wie immer eine schwere Holzkiste an die Tafel. Neben Zola lag der Wolf, der ebenfalls in der Hütte wohnen durfte. Mangels Kreativität sowie der Tatsache, dass er auf den Namen hörte, hieß er einfach nur »Wolf«.

»Hast du fein gekocht, wirklich fein.« Hugh schmatzte und führte den voll beladenen Löffel an seinen Bart, der genau an der Stelle, wo Zola seinen Mund vermutete, verschwand. Obwohl Hugh, wie Zola mit der Zeit erkannte, seinen Bart durchaus pflegte, war er von solcher Fülle, dass keine Lippen zu sehen waren. Haare an der Oberlippe verschmolzen mit denen der Unterlippe.

Zola hatte einen Eintopf zubereitet. Ihr Rezept: Heißes Wasser, angereichert mit Speck sowie einem Hüftknochen, der mit reichlich Fleisch bestückt war. Anschließend schnitt sie Rüben in den Topf und würzte mit ein wenig Salz und Kräutern aus dem Wald.

»Wirklich fein, wirklich fein.« Hugh schlürfte den nächsten Happen und biss sodann in eine geschälte, rohe Zwiebel. Wie immer, wenn er Zwiebeln aß, hielt er sie hoch und referierte: »Hält den alten Hugh gesund, weißt du?«

Zola gewöhnte sich an den Zwiebelgeruch und nahm ihn nach einiger Zeit nicht mehr wahr.

»Wir haben heute was zu feiern.« Hugh mampfte, während seine Augen zwinkerten. Zola sah ihn verwundert an, jedoch wollte ihr nicht in den Sinn kommen, was es zu feiern gäbe. »Na, Mädchen, genau vor einem Jahr haben wir uns kennengelernt. Ho, ho, und wie wir uns kennengelernt haben, was, Zola?« Dabei schlug Hughs flache Hand geräuschvoll auf seinen Oberschenkel.

»Ist das schon so lange her?«

»Aber natürlich, natürlich. Der alte Hugh hat so bei sich gedacht, das sollten wir feiern und einen kräftigen Schluck darauf trinken.«

Zola kannte den Fusel, welchen Hugh des Abends trank, um dann samt Kleidung schnarchend ins Bett zu fallen. Bevor sie etwas wie »Oh, nein« oder »Lass mal gut sein« erwidern konnte, stand Hugh plötzlich auf und verschwand aus der Hütte. Wo geht er hin?, überlegte Zola, indes sie zur tönernen Flasche Schnaps auf dem Wandregal sah.

Noch während sie grübelte, trat Hugh wieder in die Hütte. In seiner Hand hielt er stolz einen Schemel in die Höhe. »Ich kenne ja deinen Geburtstag nicht«, er wirkte etwas verlegen, »du hast ihn mir nie verraten, daher hat der alte Hugh so bei sich gedacht, na ja, jedenfalls ist der heutige Tag für mich dein Geburtstag.« Mit diesen Worten stellte er den Hocker neben Zola.

»Was ist das?«, fragte Zola zögerlich.

»Na, was wird das schon sein? Ein Schemel, damit ich nicht laufend die Kiste durchs Zimmer rücken muss. Zum Geburtstag macht man doch Geschenke, oder?«

Zola war tief gerührt. Sie kannte diesen Brauch, doch ein Geschenk hatte sie noch nie bekommen. Sie sprang auf, umarmte Hugh und drückte das Gesicht an seinen mächtigen, harten Bauch. »Danke, Hugh.«

»So, das haben wir ja jetzt«, räusperte sich Hugh, »dann lass uns mal weiteressen und anstoßen.« Er holte die Flasche aus dem Regal, zwei hölzerne Becher und setzte sich.

Zola tat es ihm gleich, doch nahm sie jetzt auf ihrem Geschenk Platz. »Fühlt sich gut an«, kicherte sie vor Freude, während sie mit ihrem Hintern hin und her rutschte.

Hugh reichte Zola den mit Schnaps gefüllten Becher. »Auf uns, Zola. Bin richtig froh, dass du da bist.« Er hob an und leerte den Becher in einem Zug.

Zola trank ebenfalls einen Schluck. Der Alkohol brannte derart in ihrer Kehle, dass sie husten musste. »Ha, ha«, war das Einzige, was Hugh hierzu einfiel.

»Ich habe ja nie gefragt«, begann Hugh, »es geht mich vielleicht auch nichts an, aber ich weiß so gar nichts über dich, weißt du?«

Zolas Blick senkte sich zu Wolf am Boden. Ihre Hand fuhr über sein Fell. Kurz erwog sie, Hugh nichts von sich preiszugeben. Nach wie vor hatte sie Angst, entdeckt zu werden. Noch immer plagten sie Albträume. Doch sie entschied anders.

»Hugh, ich bin geflohen. Nur gelaufen und gelaufen, immer am Fluss entlang, weg, weit weg von der Plantage.«

»Hat sich der alte Hugh schon gedacht. Und warum?«

Jetzt begann Zola zu erzählen. Erstmals redete sie sich alles Leid von der Seele, welches sie unter Baines Herrschaft erfahren musste. Sie berichtete von der Nacht, in der Mr. Baine über sie hergefallen war, von Sam und Tumelo und von ihrer Mutter. Kein Detail der Flucht ließ sie aus. Als sie zu der Stelle kam, an der die Schüsse fielen, rannen ihr die Tränen über die Wangen. »Ich habe keine Ahnung, ob Mutter lebt, doch …«, sie unterbrach, »doch ich fühle, dass sie nicht mehr am Leben ist.«

»Ach, Zola, sicher ist sie noch auf der Plantage und es geht ihr gut, ganz bestimmt.«

»Nein, gewiss nicht.« Erstmalig kamen Zolas Gedanken und Ängste über ihre Lippen. »Nein, ich weiß es genau.«

»Aber woher willst du das denn wissen, Kindchen?« Hugh ergriff über den Tisch hinweg Zolas Hände und sie verschwanden gänzlich in seinen Pranken.

»Der Sperling hat es angedeutet, nein, eigentlich hat er es mir gesagt.«

Nun runzelte Hugh die Stirn. Solch eine Begründung hatte er am allerwenigsten erwartet. »Hat der alte Hugh dich richtig verstanden? Ein Vogel hat dir das gezwitschert?«

»Ja, der Sperling.«

»Ho, ho, ho«, lachte Hugh laut auf, »das hab ich ja noch nicht erlebt. Der Sperling, ho, ho.« Doch sein Lachen brach unwillkürlich ab, als er Zolas Augen sah. Stolz und Glaube strahlten sie aus. Ernst flüsterte er: »Du willst mir also weismachen, dass du mit einem Spatz reden kannst?«

Zola nickte. »Anfangs dachte ich selbst, ich sei verrückt geworden. Doch er spricht zu mir und hat mir den Weg gewiesen. Auch in jener Nacht vor einem Jahr hat er mich aus dem Schlaf geweckt und zu Wolf geführt.«

»Na, dir werde ich noch mal von meinem Schnaps geben«, schnaubte Hugh, hob dabei die Flasche und betrachtete sie.

»Du wirst mich doch nicht verraten, oder?«

»Ja, wo denkst du denn hin, Kindchen. Du bist hier auf meinem Land, da gelten meine Gesetze. Auch wenn ich das mit dem Sperling kaum glauben kann, sei mir nicht böse, aber ein Vogel, der spricht.«

Zola entschied, ihn nicht weiter überzeugen zu wollen, während Hughs Barthaare sich zu einem Lächeln formten und seine Augen kopfschüttelnd eine liebevolle Güte ausstrahlten.

Da klopfte es leise. Ein gedämpftes Tacken aus Richtung der Fensterscheibe. Hugh vermutete zuerst, ein Ast würde durch den Wind ans Glas geschlagen, doch sein Blick fiel auf etwas Sonderbares. Er traute seinen Augen nicht. Auf dem Sims des Fensters saß ein … Sperling. »Ich werd verrückt«, entfuhr es ihm, als auch Zolas Blick zum Fenster wanderte.

Dass just in diesem Moment ihr Freund auftauchen würde, damit hatte selbst sie nicht gerechnet. Lange Zeit, genau genommen vor einem Jahr, hatte Zola ihn zuletzt gesehen. Manchmal zweifelte sie daher gar an seiner Existenz. Zola stand auf, tat ein paar Schritte und hob den Riegel, der den Fensterflügel verschlossen hielt. Der Spatz machte keine Anstalten davonzufliegen, selbst als der hochgewachsene, verdutzt dreinblickende Hugh hinzutrat.

»Was, was machst du hier? Wo warst du die ganze Zeit?«, fragte Zola.

»Immer an deiner Seite«, kam die piepsende Antwort.

Hugh rieb sich die Augen: Ein Sperling auf der Fensterbank, der lautes Gezwitscher von sich gab.

»Warum hast du dich mir nicht gezeigt?«

»War es vonnöten? Ich habe dich zu ihm geführt, er ist eine rechte Seele. Bleibe bei ihm.«

Zola sah kurz zu Hugh, der staunend neben ihr stand.

»Zola, es ist an der Zeit, dass ich dir etwas gebe. Vergiss nie deine Herkunft und gedenke immer derer, die dir aus schwerer Not geholfen haben. Es wird der Tag kommen, da andere deine Hilfe brauchen. Zögere nicht, auch wenn die Angst in dir übermächtig wird.«

Der Sperling senkte sein kleines Köpfchen und pickte an der Fensterbank. Als er seinen Kopf wieder anhob, steckte ein Gegenstand in seinem Schnabel, der einem Stück Leder glich. Zola fasste danach und begriff. Ihren Körper überkam eine Gänsehaut. In ihren Händen hielt sie ein Stück Haut, etwa dreimal drei Zentimeter groß. Auf der Rückseite getrocknetes Blut. Der Anblick der Vorderseite brachte ihre Atmung zum Stocken. Da war es wieder, das große, geschwungene »B«, welches viele Jahre, als schmerzvolle Zierde ihres Unterarms, eingebrannt war.

»Bewahre es gut, Zola. Es ist ein Symbol deiner Vergangenheit. Das Mal der Knechtschaft, jenes, das du abgelegt hast, um frei zu sein. Nutze die Freiheit. In dir ist mehr Macht und Kraft, als du glaubst. Nimm das Geschenk deiner Mutter Aba.« Mit diesen Worten breitete der Sperling die Flügel und verschwand in die Nacht.

Zitternd stand Zola am Fenster.

Hugh warf einen Blick nach draußen: »So was hab ich ja noch nicht erlebt, hab ich ja noch nicht.« Er griff nach Zolas Hand, in der sie das Hautstück hielt. Kopfschüttelnd betrachtete er das Brandmal, nahm sanft Zolas linken Unterarm und legte den Hautlappen auf ihre Narbe. Etwas kleiner als die Vernarbung, doch Hugh erkannte dennoch, dass dies das herausgeschnittene Hautstück von Zolas Arm war.

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