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AM ANFANG WAR ES NICHT MEHR ALS EIN TRAUM

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Mein Wecker klingelte morgens um 3:30 Uhr. Noch drei Stunden bis zum Start. Gemeinsam mit einem Freund setzte ich mich ins Auto, und wir fuhren zum Langener Waldsee vor den Toren Frankfurts. Es war der 5. Juli 2009. Im Startbereich am See herrschte eine mystische Stimmung. Man konnte die Anspannung der Teilnehmer förmlich spüren. Noch 60 Minuten bis zum Start. Ich beendete die letzten Vorbereitungen an meinem Triathlonrad, zog meinen Neoprenanzug an und ging hinunter zum Seeufer. Was mache ich nur bei einem dieser Rennen? Noch zehn Minuten. Ich habe noch nie so viele Menschen auf einem Haufen so still erlebt. Noch 60 Sekunden.

Fragen schossen durch meinen Kopf: Bin ich gut genug vorbereitet? Schaffe ich das? Wie groß werden die Schmerzen sein? Dööööööd, die Startsirene ertönte, und ich stürzte mich zusammen mit über 2.000 Athletinnen und Athleten in ein ungewisses Abenteuer.

Das Schwimmen verlief mäßig, doch mit einer Mischung aus Brust- und Kraulschwimmen schaffte ich die Distanz und wechselte zur nächsten Disziplin. 180 Kilometer Radfahren standen an. Nach ungefähr 120 Kilometern wurde die Frage in meinem Kopf immer lauter: Was zur Hölle machst du hier eigentlich? Aber ich trat weiter. Nach fast sieben Stunden Renndauer wechselte ich zum Laufen. Erschöpfung, Schmerz, Selbstzweifel – sie alle nagten an mir, aber ich lief einfach immer weiter.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich endlich das Ziel. »Matthias, you are an Ironman«, brüllte mir der Moderator ins Gesicht. Ich hatte elf Stunden und 30 Minuten gebraucht, im Ergebnis Platz 1.122.

Gar nicht mal so schlecht, oder? Ich war jedenfalls richtig stolz! Meine erste Langdistanz und mein zweiter Triathlon überhaupt. Was mir zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht ganz klar war: Um nach Hawaii zu kommen, muss man sich als einer der ersten Fünf in der Altersklasse 25–29 platzieren, und dafür war damals eine Endzeit von unter neun Stunden nötig. Ich war also mehr als zweieinhalb Stunden zu langsam. Dieses Rennen entzündete jedoch ein Feuer in mir, und zwar für den Triathlonsport. Ich hatte noch nie wirklich Schwimmen, Radfahren oder Laufen betrieben, aber ich merkte bereits direkt nach dem Rennen, dass ich in diesem Sport noch einiges vorhabe. Ich wollte zu dieser Weltmeisterschaft nach Kona, Hawaii.

Im folgenden Jahr startete ich dann in Roth und verbesserte mich auf knapp unter zehn Stunden. Eine tolle Leistungssteigerung, aber noch viel zu weit weg, um ernsthaft in den Kampf um die begehrte Qualifikation in meiner Altersklasse einzugreifen. Also trainierte ich ein weiteres Jahr sehr intensiv neben meinem Sportstudium. Hawaii entwickelte sich zu so einem konkreten Ziel, dass es zu meinem Lebensmittelpunkt wurde. Jede freie Minute steckte ich in mein Training, und nach monatelangen Vorbereitungen war es dann endlich so weit: Race Day 2011.

Es war ein brutales Rennen. Tageshöchstwerte von maximal 13 °C, ständige Regenschauer und Windböen von bis zu 90 Stundenkilometern. Niemand war so schnell, wie er bei besserem Wetter hätte sein können. Während des Rennens merkte ich allerdings, dass ich besser mit den Bedingungen zurechtkam als viele der anderen Triathleten. Ich kämpfte mit allem, was in mir steckte, und erreichte das Ziel mit einer neuen persönlichen Bestleistung von neun Stunden und 27 Minuten … Das musste reichen.

Doch für die Hawaii-Qualifikation fehlten 41 SEKUNDEN! Nach neun Stunden und 27 Minuten fehlten mir 41 Sekunden zu meinem großen Lebenstraum!

Das ist so ein kritischer Punkt, an dem viele Menschen aufgeben und ihr großes Ziel nicht mehr verfolgen. Klar, das war am Anfang auch für mich eine herbe Enttäuschung, und ich habe auch kurz ans Aufgeben gedacht, aber Niedergeschlagenheit und Enttäuschung wichen ganz schnell einem unglaublichen Gefühl von Motivation und Tatendrang. Ich war ja so nah dran! Für mich war es selbstverständlich weiterzumachen, also meldete ich mich direkt wieder für den nächsten Ironman Frankfurt an.

Von jetzt an war ich auf einer Mission. Ich trainierte wie ein Besessener. Jede freie Minute steckte ich in meine Vorbereitung. Auf Warnsignale meines Körpers achtete ich nicht. »Je mehr Training, desto besser«, dachte ich damals. Ich hatte nur ein Ziel, und ich war bereit, alles zu investieren, was nötig war, um mir meinen Traum der Hawaii-Qualifikation zu erfüllen.

Race Week 2012, noch sechs Tage bis zu meinem großen Rennen! Ich konnte es kaum erwarten! Fünf Tage vor dem Wettkampf absolvierte ich ein letztes kurzes Koppeltraining, und da passierte es: Zack, wie ein spitzes Messer stach es in mein Knie. Ich knickte leicht weg und konnte nur noch humpeln. Das war’s, ich wusste es sofort. Zwei Tage später wurde ich bereits am Innenmeniskus operiert. Nach der OP musste ich noch zwei Wochen an Krücken gehen und bekam für die nächsten drei Monate Laufverbot erteilt.

Ich war komplett am Boden zerstört. Vier Jahre Training und jetzt das? Am Anfang war es nicht mehr als ein Traum gewesen, aber über die Jahre hinweg war ich besser und besser geworden und hatte gemerkt, dass ich eine realistische Chance besaß. Es war, als würde mir der Boden unter den Füßen weggerissen. Mein Lebensmittelpunkt zu der damaligen Zeit war zerstört.

Ich nahm über zehn Kilogramm zu, und von Triathlon wollte ich überhaupt nichts mehr wissen. Ich bin in ein richtiges Loch gefallen.

Zum Glück verheilte mein Knie ziemlich gut, und ich wollte zumindest wieder mein zusätzliches Gewicht loswerden. Also fing ich ganz langsam wieder mit Radfahren an. An einem Tag geschah nach einem kurzen Training dann etwas Sonderbares: Ich kam zwar ziemlich erschöpft zu Hause an, aber ich war glücklich. Ich habe mich zum ersten Mal seit vielen Wochen wieder richtig zufrieden gefühlt.

Mein Glück und meine Freude lagen – und liegen bis heute – in diesem Sport, und diese Freude gibt mir immer wieder Motivation. Ich musste das einfach machen, also meldete ich mich erneut für den Ironman Frankfurt an.

Mir war klar, wenn ich irgendwie in diesem Sport weiterkommen möchte, muss ich einiges ändern! Mein bisheriges Vorgehen hatte mich nicht in den Flieger nach Hawaii, sondern lediglich auf den OP-Tisch gebracht. Zudem hatte ich auch nicht mehr die üblichen neun bis zehn Monate an Vorbereitungszeit. Durch meine Verletzung, die anschließende Rehabilitation sowie meine Phase des Selbstmitleids hatte ich jetzt nur noch sechs Monate Zeit bis zum Rennen.

Ich nahm mir also vor, intelligenter zu trainieren. Möglichst lange und hart waren nicht mehr die einzigen Kriterien. Ich las jeden Artikel und jedes Buch über Triathlontraining, das ich finden konnte. Daraufhin habe ich mein Training komplett umgestellt und bin von der klassischen Trainingsperiodisierung zum ersten Mal zu einer Art »Reverser Periodisierung« gewechselt, aber dazu später mehr. Ich schaute, was die Profis im Training machen, und suchte mir Trainingspartner, die schon dort gewesen waren, wo ich noch hinwollte. Ich habe mein gesamtes bisheriges Vorgehen hinterfragt und alles neu ausgerichtet.

Der Kona-Code

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