Читать книгу Niki Lauda "Es ist nicht einfach, perfekt zu sein" - Maurice Hamilton - Страница 12
KAPITEL 5 Und dann kam James
ОглавлениеDer für den Januar 1976 geplante Grand Prix von Argentinien musste aufgrund der dort herrschenden politischen Unruhen abgesagt werden. Ein passender Auftakt für eine von Streitereien und Intrigen geprägten Saison, auch wenn man nach den ersten zwei Rennen hätte meinen können, es sei alles beim Alten geblieben. Niki Lauda gewann beide.
In Maranello hatte es hinter den Kulissen eine wichtige personelle Veränderung gegeben: Luca di Montezemolo wurde wegbefördert und kletterte auf der Karriereleiter des Fiat-Konzerns einige Stufen nach oben. Ein herber Rückschlag für Lauda, der mit dem charismatischen Teammanager erfolgreich zusammengearbeitet hatte. Beide waren fast gleich alt und extrem ehrgeizig. Montezemolo ging wie Lauda die Dinge pragmatisch an, in seinem Vorgehen war er aber deutlich diplomatischer als dieser. Überdies konnte Montezemolo bei Enzo Ferrari erfolgreich Laudas Interessen vertreten, weil der Commendatore auf ihn hörte. Lauda war sich nicht sicher, ob Montezemolos Nachfolger von Ferrari genauso viel Vertrauen und Respekt entgegengebracht würde.
Der zur Fiat-Familie gehörende Daniele Audetto war zuvor Rallyemanager bei Lancia gewesen. Audetto war ein Arbeitstier und wollte innerhalb des Konzerns weiter nach oben. Ob ihm sein Engagement für den Formel-1-Rennstall dabei förderlich sein würde, hing ganz klar vom Abschneiden desselben ab, doch die Siege in Brasilien und Südafrika waren zweifellos schon mal ein guter Start. Er erzählte:
Mit dem Formel-1-Team von Ferrari war ich damals nicht gänzlich unvertraut. Nach Lucas Armbruch war ich 1975 bei einigen Rennen dabei gewesen. Ich half ein bisschen aus, und bei der Gelegenheit habe ich Niki Lauda kennengelernt. Mir war gleich klar, dass er ein ganz besonderer Typ ist. Ich merkte auch, wie nahe sich Luca und Niki standen. Die beiden waren wie Brüder, sie hatten fast das gleiche Alter und lagen auf derselben Wellenlänge. 1975 habe ich Ferrari bei ein paar Sitzungen der Formula One Constructors’ Association [FOCA, die gemeinsame Interessenvertretung der Formel-1-Teams gegenüber dem internationalen Automobilsport-Dachverband] vertreten und erste Erfahrungen gesammelt. Ich wusste also schon einiges über die Formel 1, als wir zum ersten Grand Prix nach Brasilien fuhren.
Auch in diesem Jahr hatte sich Ferrari dazu entschieden, bei den ersten Rennen (den sogenannten Übersee-Rennen) mit dem Vorjahreswagen anzutreten, bis man die Entwicklung des 312T2 abgeschlossen hatte, sollte der 312T zum Einsatz kommen. Lauda hätte das neue Auto gerne früher zur Verfügung gehabt, da sich in seinen Augen für Interlagos und Kyalami ernsthafte Konkurrenz anzukündigen schien.
Hinter dem McLaren-Team lag eine extrem unruhige Winterpause. Emerson Fittipaldi hatte völlig überraschend seinen Wechsel zu Copersucar-Fittipaldi verkündet, gemeinsam mit seinem Bruder wollte er für den ersten brasilianischen Rennstall antreten. In wirklich letzter Minute war McLaren von seinem Piloten im Stich gelassen worden. Die besten Fahrer hatten ihre Verträge für 1976 schon lange unter Dach und Fach. Alle Hoffnungen von McLaren ruhten auf James Hunt, der seinen Platz bei Hesketh verloren hatte, weil dem unkonventionell auftretenden Team Geld und Champagner ausgegangen waren. Trotz aller fahrerischen Brillanz, die immer wieder aufblitzte, war Hunts Bilanz eher gemischt, dennoch reichten die gelegentlichen Kostproben seines Könnens, damit ihm ein Werksvertrag beim Team des ehemaligen Weltmeisters angeboten wurde – das allerdings auch keine wirklich andere Wahl gehabt hätte.
Es war der Beginn einer fruchtbaren Partnerschaft, wie Lauda in Brasilien feststellen musste. Hunt prügelte den McLaren M23 auf die Pole Position und fuhr im Rennen solange um die Führung mit, bis an seinem Ford-Cosworth V8 die Drosselklappen blockierten und der rot-weiße Bolide im Fangzaun landete. Lauda kannte Hunt aus der gemeinsamen Zeit als Nachwuchsfahrer, und 1971 hatten sie sogar einige Zeit in London zusammen in einer Wohnung gelebt. In der Vorsaison war es nach einem hitzigen Duell während eines Formel-3-Rennens in Schweden zu einem ersten freundschaftlichen Gespräch gekommen. Hunt berichtete später davon:
Unter Rennfahrern ist der Tod eigentlich kein Gesprächsthema. Aber in dieser Nacht in Schweden hatten Niki und ich darüber diskutiert. Unser Fazit war damals eher praktischer als philosophischer Natur. Uns war klar, dass wir uns ein Metier ausgesucht hatten, in dem man Feiern besser nicht aufschiebt. Zugegeben, eine ziemlich schlichte Erkenntnis. Die Chancen standen nicht schlecht, dass wir beide nicht überleben würden. Also haben wir uns kurzerhand entschieden, einfach immer weiter zu feiern.
1971 trennten sich ihre Wege kurzzeitig. Lauda stieg in die Formel 2 auf und Hunt musste sich damit begnügen, noch eine Saison im Formel-3-Werksteam von March zu fahren. Im August des Jahres tauchten sie doch noch einmal auf derselben Starterliste auf, Hunt hatte sich für ein nicht zur Meisterschaft zählendes Rennen in Brands Hatch einen Platz in dem freien Formel-2-March sichern können. Sie hatten denselben Humor, wie Lauda sich am Beispiel eines Zwischenfalls an diesem Wochenende erinnerte:
Wir fuhren mehr oder weniger beide für March, ich mit meinem von der Bank gesponsorten Wagen, und James hatte irgendwie das Geld für dieses eine Rennen zusammenkratzen können. Während des Trainings machten bei uns beiden die Motoren Probleme und es stand, typisch für March mit seinem Nullbudget, nur ein Ersatzmotor zur Verfügung. Ich sprach also mit [Robin] Herd und [Max] Mosley darüber, was man jetzt tun solle und warum ich den Motor bekommen müsse, da kommt James rein und sagt ohne Umschweife – auf diese sehr britische Art, die er draufhatte –, dass der Motor zweifellos ihm zustünde. Als ich ihn nach dem Grund fragte, antwortete er: „Weil ich meinen als Erster ruiniert habe, mein Lieber!“ Das war so typisch für James! Er hatte diese selbstsichere Art, und man konnte gar nicht anders als ihn zu mögen. Für mich war er immer ein ehrlicher Kumpel. Er war genau mein Typ. 1976 galten wir als Rivalen, aber wir blieben immer gut befreundet.
Beim dritten Grand Prix des Jahres 1976 wurde Lauda unmittelbar Zeuge von Hunts ungestümem Naturell. Es war das erste Mal, dass auf den Straßen von Long Beach in Kalifornien ein Formel-1-Rennen stattfand. Im Kampf um Platz zwei wurde Hunt von Patrick Depailler im Tyrrell in die Leitplanken abgedrängt. Für den McLaren mochte das Rennen beendet gewesen sein, aber nicht für James. Der sprang sofort aus dem Cockpit, stellte sich an den Rand der Strecke und gestikulierte jedes Mal wütend, wenn Depailler vorbeikam. Das reichte ihm aber noch nicht. Hunt rauschte später unangekündigt in die Pressekonferenz der drei Bestplatzierten (Depailler war hinter den Ferraris Dritter geworden) und fing an, den Franzosen wüst zu beschimpfen – worüber Lauda sich köstlich amüsierte.
Obwohl Ferrari weiter das 1975er Modell einsetzte, hatte Regazzoni den Großen Preis der USA West dominiert. An diesem Wochenende war der Schweizer ganz in seinem Element gewesen. Clay liebte Kalifornien. Und Kalifornien – zumindest der größte Teil des Bundestaats – liebte ihn. Einige Tage zuvor hatte es allerdings Ärger gegeben. Regazzoni hatte eine Probefahrt in einem Streifenwagen unternommen, wobei das Problem darin bestand, dass keiner der beiden Beamten, denen der Wagen gehörte, mit darin saß und dass sie die Entwendung ihres Dienstfahrzeuges auch nicht auf die leichte Schulter genommen hatten. Die Rennleitung musste schon all ihre Kontakte spielen lassen und viel Überzeugungskraft aufbieten, damit Regazzoni wieder freikam – gerade rechtzeitig, um sich die Pole zu holen und das Rennen zu gewinnen.
Einige Monate zuvor hatte Ferrari den Medienvertretern den 312T2 vorgestellt. Kennzeichnend für das neue Modell waren zwei Einlässe links und rechts des Cockpits, über die dem Motor Luft zugeführt wurde – eine Änderung, die aufgrund des Lufthutzenverbots nötig geworden war. Bei Ferrari war man überzeugt, dass der Wagen für das Rennen in Spanien einsatzbereit war – im Gegensatz zu ihrem besten Fahrer, von dem man das nicht sicher wusste. „Ich hatte mir einen Traktor ausgeborgt, um bei meinem Haus an der Böschung unterhalb des Swimmingpools zu arbeiten“, erzählte Lauda. „Das Ding kippte um und begrub mich unter sich. Ich hatte Glück, denn es fehlten eigentlich nur ein paar Zentimeter, und ich wäre erschlagen worden. Ich hatte zwei gebrochene Rippen, die Schmerzen waren höllisch und zum Aufstehen brauchte ich Hilfe.“
Lauda hatte einen Architekten damit beauftragt, für ihn auf einem Grundstück oberhalb des Fuschlsees ein Haus zu bauen. Es sollte das neue Zuhause für ihn und Mariella Reininghaus werden, mit der er seit einigen Jahren zusammen war. Mariella hatte Niki immer treu unterstützt, jedoch selbst überhaupt kein Interesse am Rennsport. Sie war der Meinung gewesen, dass Lauda hätte zurücktreten sollen, nachdem er einmal Weltmeister geworden war. Ihr war die Rennfahrerei einfach zu gefährlich. Die Beziehung ging allmählich in die Brüche, wobei das endgültige Aus erst feststand, nachdem Lauda im Herbst 1975 Marlene Knaus kennengelernt hatte. Zwischen den beiden hatte es sofort gefunkt. Lauda war hingerissen von Marlenes lockerer und entspannter Art – etwas, das ihm selbst so gar nicht zu eigen war –, und dieser Eindruck verstärkte sich noch, als er ihre Familie zu Hause auf Ibiza besuchte und ihre spanische Mutter, ihre Schwester und ihren Bruder kennenlernte. Nach nur wenigen Monaten zogen sie in das neue Haus und heirateten auf dem Standesamt Wiener Neustadt – zuvor waren sie noch nach England geflogen und hatten Reading in Berkshire besucht. John Hogan berichtete:
Eines Tages rief mich Marlene im Büro an. Sie erzählte mir, dass sie heiraten wolle, und zwar sofort, und dass das, soviel sie wisse, in England einfach so ginge. Und da ich dort lebte und sie wusste, dass mir Niki auch in privaten Angelegenheiten vertraute, meldete sie sich eben bei mir. Ich war mir, was das spontane Heiraten anbelangte, nicht so sicher, wohnte damals aber zufälligerweise in der Nähe von Reading und wusste, wo dort das Standesamt war. Deshalb schlug ich vor, die beiden sollten schleunigst herkommen, und dann würden wir schon sehen.
Marlene und Niki kamen dann auch, ich holte sie in einem komplett mit Marlboro-Aufklebern zugepflasterten Ford Granada ab und wir fuhren zum Standesamt. Aus dem hübschen Rathaus kam ein sehr netter Herr heraus und fragte uns, ob wir Hilfe bräuchten. Als ich ihm erklärte, dass meine Freunde heiraten wollten, entschuldigte er sich vielmals und meinte, dass sich die Rechtslage geändert habe und man jetzt eine amtliche Heiratserlaubnis und noch einige andere Dokumente benötige. Unangemeldet vorbeischauen ginge nicht mehr. Darauf sagte Niki einfach: „Na gut, dann machen wir’s halt anders.“ Wir stiegen wieder ins Auto und fuhren zurück zum Flughafen. Und dann erhielt ich auch schon die Nachricht, dass er in Österreich geheiratet hätte.
Niki mag nicht sonderlich romantisch veranlagt gewesen sein, aber dafür konnte Marlene auch dem Rennsport nichts abgewinnen. Dennoch begleitete sie ihn gern zu den Grand Prix, setzte sich irgendwo an den Rand und stellte keinerlei Ansprüche – für ihren frisch gebackenen Ehemann genau das Richtige. Mit seinen gebrochenen Rippen war Niki auf die Hilfe seiner Frau angewiesen. Ihm war auch sofort klar, dass es hier nicht nur um seine kaputten Knochen ging und er Daniele Audetto bei Ferrari informieren musste. Audetto erinnert sich so: „Ich rief Signore Ferrari an – und er machte sich sofort auf die Suche nach einem Ersatzfahrer. Wir riefen Maurizio Flammini an, einen Italiener, der damals in der Formel 2 vorne mitfuhr und vom italienischen Automobilclub unterstützt wurde. Wir sagten ihm, er solle sich für Tests in Fiorano bereithalten. Als Niki das hörte, meinte er, er wäre fürs Rennen wieder fit. Was hätten wir sagen sollen, außer: ‚Wenn du sagst, dass du fit bist, ist alles okay.‘“
Weitaus weniger freundlich verhielt sich die italienische Raubtierpresse. Es gab gehässige Schlagzeilen: Der Ferrari-Weltmeister könne ja noch nicht mal einen Traktor fahren, von einem Rennwagen ganz zu schweigen. Es dauert nur ein paar Tage, dann hörte Lauda, dass sich im Nachbarort italienische Presseleute einquartiert hätten. Es gab Gerüchte, jemand hätte sogar ein riesiges Teleobjektiv auf der anderen Seite des Sees aufgestellt. Hogan erzählte: „Bei Marlboro hatten sie das mitbekommen und erwarteten jetzt von mir, dass ich mich darum kümmerte. Natürlich konnte ich kaum etwas tun – der Trottel hatte sich die Rippen gebrochen, und damit hatte sich die Sache. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Er baut sich dieses Haus an diesem Scheißhang, sitzt auf einem Trecker, fährt den Hang entlang und das Ding kippt um. Also schickte ich ihm ein Telegramm, um ihn ein bisschen aufzuheitern.“ Hogans Nachricht lautete wie folgt:
WELTMEISTER IM RASENMÄHEN. TUT MIR LEID DASS DU DIE KONTROLLE VERLOREN HAST. VIELLEICHT WÄRE MODELL MIT WENIGER LEISTUNG BESSER – CSI [im Motorsport für das Reglement zuständig] ERWÄGT ERNSTHAFT DIE EINFÜHRUNG EINER NEUEN SERIE FÜR KOMMENDE SAISON – ZWINGEND ERFORDERLICH SIND ÜBERROLLBÜGEL, GURT, ERFAHRENER FAHRER UND LEISTUNGDROSSELUNG AUF 10 PS – BARRIEREN RINGS UM SCHWIMMBECKEN UND UMSTEHENDE BÄUME PFLICHT. BIS BALD IN SPANIEN AUF DER POLE. HOGAN
„Das Entscheidende war“, erzählte Hogan, „dass ihm noch nie jemand auf diese Weise klargemacht hatte, wie unprofessionell das war. Niki fand das toll. Er meinte, ich sei ein ‚netter Kerl‘, meine Beziehung zu ihm ist dadurch noch enger geworden.“
Lauda empfand das Telegramm als nette, wohlmeinende Aufheiterung, während er sich ansonsten heftiger Kritik der Medien ausgesetzt sah. Im Grunde ging es in der über seine Nichtteilnahme am nächsten Rennen spekulierenden Berichterstattung darum, dass Ferrari nun die Chance hätte, einem italienischen Fahrer das Cockpit anzuvertrauen – was nach Meinung der zahlreichen fanatischen Leser nur recht und billig gewesen wäre. Lauda war sich (im Wortsinne) schmerzlich bewusst, dass er schnell wieder auf die Beine kommen musste – das nächste Rennen in Spanien fand in zwei Wochen statt. Der Arzt vor Ort ging davon aus, dass man für das vollständige Auskurieren der gebrochenen Rippen sechs Wochen veranschlagen würde. Wobei Lauda klar war, dass der Doktor dabei aus Unwissenheit völlig außer Acht gelassen hatte, welche Beschleunigungskräfte in einem Formel-1-Wagen wirken.
Jemand, der auch diese Dinge selbstverständlich mit im Blick hatte, war der Masseur und Gesundheitsexperte Willi Dungl, der damals die österreichischen Skispringer betreute. Ein Salzburger Rundfunkreporter hatte Lauda empfohlen, den Mann zu konsultieren. Dabei erkannte er in dem einsilbigen Dungl rasch einen Seelenverwandten, denn statt sein Mitgefühl zu bekunden, stellte dieser bei seiner ersten Visite gleich ein extrem hartes Behandlungsprogramm auf, das auch zur Genesung führen sollte – zumindest teilweise.
Lauda war also wie geplant in Spanien dabei, litt aber auf der Strecke von Jarama mit ihren engen Kurven und Unebenheiten unter großen Schmerzen. „Das Problem war“, sagte Audetto, „dass man mit einer gebrochenen Rippe Bettruhe halten soll, andernfalls besteht die Gefahr einer gefährlichen Lungenverletzung. Mit gebrochenen Rippen ein Rennen in der Formel 1 zu bestreiten war also eine ziemliche schlechte Idee. Aber … Niki ist nun mal Niki, und er wollte fahren.“
Lauda startete neben dem McLaren von Hunt auf der Pole Position aus der ersten Reihe und konnte diesen sofort hinter sich lassen. Hunt wartete auf Platz zwei liegend geduldig den richtigen Moment ab – irgendwann würde Lauda den Schikanen und engen Kurven schon Tribut zollen müssen. Es war noch nicht einmal die Hälfte der 75 Runden gefahren, als Hunt merkte, dass sein Rivale allmählich nachließ. Er übernahm die Führung und siegte mit einer halben Minute Vorsprung. „Als Lauda aus dem Wagen stieg, brach er zusammen“, berichtete Audetto. „Ich musste mit Hunt und Gunnar Nilsson [der Dritter wurde] aufs Podium, um den Pokal aus den Händen des spanischen Königs Juan Carlos entgegenzunehmen.“
Hunt hatte Laudas Vorsprung in der Gesamtwertung von 18 auf 15 Punkte verringert – vorerst. Bei der technischen Abnahme nach dem Rennen stellte sich heraus, dass Hunts McLaren 1,8 cm zu breit war. Der Sieg wurde also aberkannt – was Teddy Mayer, Teamchef von McLaren, als völlig unverhältnismäßige Strafe empfand. Mayer legte für McLaren Einspruch gegen das Urteil ein.
Nach Siegen in Belgien und Monaco sowie einem dritten Platz in Schweden hatte Lauda 55 Punkte in der Fahrerwertung. Hunt lag mit acht Punkten weit abgeschlagen hinter ihm. Binnen zwei Tagen sollte sich die Situation aber dramatisch ändern. Zuerst gewann Hunt den Großen Preis von Frankreich und danach erkannte das Berufungsgericht seinen Sieg in Spanien wieder an. Lauda (der in Frankreich mit Kurbelwellschaden ausgefallen war) hatte nun nur noch 53 Zähler, während Hunt mit jetzt 26 WM-Punkten einen Riesenschritt gemacht hatte.
Laudas Verhältnis zu den italienischen Medien hatte sich weiter verschlechtert: In der Berichterstattung war unterschwellig immer der Vorwurf herauszuhören, dass seine Siege langweilig seien. Erwartungsgemäß schenkte der WM-Führende dem keinerlei Beachtung, ein weiteres Problem für Audetto, der ohnehin schon viel um die Ohren hatte. Glücklicherweise – oder unglücklicherweise, je nach Standpunkt – gab es für den Teammanager von Ferrari bald ernstere Dinge zu regeln, als beim nächsten Rennen in Brands Hatch seine beiden Fahrer nach dem Start miteinander kollidierten.
Lauda hatte sich wieder die Pole gesichert und ging neben Hunt aus der ersten Reihe ins Rennen. Regazzoni startete aus der zweiten Reihe, direkt hinter dem McLaren. Beim Start kam Lauda sehr gut weg, Regazzoni allerdings noch besser: Er überholte Hunt und versuchte, Lauda vor der schwer zu fahrenden Bergabkurve Paddock Bend innen auszubremsen und in Führung zu gehen. Regazzoni wollte zu viel und war zu schnell, weshalb dann beim Bremsen die Räder blockierten – der Ferrari des Schweizers drehte sich und krachte in den seines Teamkollegen. Als die restlichen 24 Rennwagen über die Kuppe schossen, entstand ein fürchterliches Chaos.
Zu den Leidtragenden zählte auch Hunt: Sein McLaren touchierte eines der Hinterräder von Regazzoni, wurde in die Luft katapultiert und landete wieder auf der Strecke. Hunt war sofort klar, dass die Steuerung beschädigt und sein Rennen wohl gelaufen war. Noch ärgerlicher für ihn war, dass Lauda unversehrt davongekommen zu sein schien.
Zu dieser Zeit hatten Sicherheitsaspekte noch lange nicht den heutigen Stellenwert, Rennen wurden fortgesetzt, solange das auch nur irgendwie möglich war. Vor diesem Hintergrund kann man sich gut vorstellen, welche enorme Anzahl an Trümmerteilen hinter der Kuppe (auf dem nichteinsehbaren Teil der Strecke) gelegen haben muss, da sich die Rennleitung zum Zeigen der roten Flagge entschlossen hatte. Ein solcher Rennabbruch kam so selten vor, dass sich die Stewarts nicht sicher waren, wie sie bezüglich des Neustarts vorgehen sollten. Auch das Reglement war diesbezüglich nicht eindeutig: Handelte es sich nun um ein komplett neues Rennen, zu dem man mit den Ersatzautos antreten durfte, falls der ursprüngliche Rennwagen ausgefallen war? Oder war es vielmehr eine Fortsetzung des bestehenden Rennens, was bedeutet hätte, dass die Verwendung der Ersatzautos unzulässig gewesen wäre. Am Ende entschied sich die Rennleitung für Letzteres, erlaubte aber – um ganz sicher zu gehen – auch den Einsatz der Ersatzautos. Unberücksichtigt blieb dabei aber ein Punkt, den Ferrari vorbrachte.
Nach Blick ins Reglement wies Audetto darauf hin, dass nur die Fahrzeuge erneut starten dürften, die die ersten Runde vollständig absolviert hatten. Demnach wäre Hunt ausgeschieden – er hatte die Boxengasse durch eine Abkürzung angesteuert und somit, anders als Lauda, die erste Runde nicht beendet. Teddy Meyer zitierte darauf hin einen anderen Abschnitt, demzufolge alle „zum Zeitpunkt des Abbruchs“ noch im Rennen befindlichen Fahrer am Neustart teilnehmen dürfen. Meyer behauptete nun, dass Hunt durchaus noch im Rennen war – wenn auch langsam –, als die rote Flagge gezeigt und das Rennen abgebrochen wurde.
Während dieses ganzen Hin und Her saß Lauda in seinem Ferrari in der Boxengasse. Aufgebracht über die „Dummheit“ des Teamkollegen und von den Offiziellen dazu aufgefordert, sich auf den Weg zur Startaufstellung zu machen, gab Lauda Gas und jagte auf die Strecke, ohne sich um die Handzeichen seiner Mechaniker zu kümmern – und zog eine angeschlossene Starterbatterie hinter dem Ferrari her.
Die 77 000 Zuschauer, die an diesem ungewöhnlich heißen Sommertag vor sich hin schwitzen, wurden inzwischen langsam unruhig. Als über Lautsprecher verkündet wurde, dass Hunt eventuell nicht erneut startberechtigt sei, gab es prompte Reaktionen: Erst höhnisches Klatschen und Buhrufe, dann hagelte es Bierdosen auf die Fahrbahn. Von den Medien angestachelt, wollten die britischen Fans ihren Liebling über den vermeintlich so arroganten Österreicher im roten Ferrari siegen sehen, und jetzt schien Hunts Teilnahme an irgendwelchen albernen Regeln zu scheitern.
Seit dem ersten Start war nun mehr als eine Stunde vergangen, in der die McLaren-Mechaniker Hunts Boliden in Rekordzeit repariert und wieder startklar gemacht hatten. Dieses Mal kam das Feld ohne Zwischenfall durch die erste Kurve, Lauda führte vor Hunt. Doch dann machte sich beim amtierenden Weltmeister Getriebeprobleme bemerkbar, die möglicherweise auf die Kollision mit seinem Teamkollegen beim ersten Start zurückzuführen und in der Pause nicht aufgefallen waren.
Im Verlauf des Rennens nahmen die Probleme zu. Lauda konnte nicht mehr sicher sein, den fünften Gang zu finden und blieb daher im vierten. Hunt kam näher heran. In der 45. Runde zog der McLaren innen am Ferrari vorbei und übernahm die Führung. Das Publikum raste vor Begeisterung.
Der Jubel kannte keine Grenzen, als James Hunt 30 Runden später als erster Engländer seit 18 Jahren sein Heimrennen gewann. Lauda konnte sich trotz der Schwierigkeiten den zweiten Platz sichern. Damit war das Rennen beendet, aber in der Boxengasse gingen die Auseinandersetzungen nun erst richtig los.
Im Gespräch mit Peter Windsor vom Magazin Autocar machte Mauro Forghieri seinem Ärger Luft. „Ich habe den Offiziellen bereits gesagt, dass wir Beschwerde einlegen werden. ‚Warum denn?‘, haben sie gefragt. Schauen Sie, Niki absolviert das gesamte Rennen mit einem beschädigten Getriebe – vermutlich eine Folge des Unfalls –, und Hunt gewinnt in einem reparierten Auto. Außerdem hatte er die erste Runde des Rennens nicht beendet. Meiner Meinung nach“, fuhr Forghieri fort und erinnerte sich dabei womöglich an das heillose Durcheinander in genau dieser Boxengasse zwei Jahre zuvor, „ist dieses Rennen in England zum Kotzen. Zum Kotzen.“
Inzwischen hat sich Lauda zu ihnen gesellt. „Warum wurde das Rennen überhaupt unterbrochen?“, fragte Niki. „Gut, es lag einiges auf der Strecke, und es hätte Verletzte geben können. Aber als ich in der zweiten Runde des richtigen Rennens an der Stelle vorbeikam, lag genauso viel herum [als Folge einer Kollision zwischen den March-Fords von Ronnie Peterson und Hans-Joachim Stuck]. Warum wurde da nicht abgebrochen? Weil Hunt nicht darin verwickelt war?“
Hunt und Lauda lagen nun noch 23 Punkte auseinander, wobei über den von Ferrari eingelegten Protest noch nicht entschieden worden war. Als sich die Teams in dieser Nacht auf den Heimweg machten, befasste sich die Berichterstattung noch hauptsächlich mit der Addition von WM-Punkten. Aber das wurde schon bald zur absoluten Nebensache …