Читать книгу Niki Lauda "Es ist nicht einfach, perfekt zu sein" - Maurice Hamilton - Страница 9
KAPITEL 2 Hilfe von oben
ОглавлениеLouis Stanley trat gern wie der Eigentümer von BRM auf, was er allerdings nicht war. British Racing Motors war 1945 gegründet worden, unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Idee dahinter war klar: Bündelung der Kräfte, damit Großbritannien wieder stolz sein konnte auf das, was die eigenen Ingenieure und Fahrer im Motorsport leisteten. Die Finanzierung erfolgte über einen speziell aufgelegten Fonds, wobei sich jedoch schon bald herausstellte, dass sich die beteiligten Unternehmen der britischen Automobilindustrie nur schwer koordinieren ließen – ähnlich wie bei einem sehr ambitionierten, aber übermäßig kompliziert konstruierten Rennwagen blieben die Ergebnisse weit hinter den Erwartungen zurück. Und das hatte zur Folge, dass die Unterstützung für dieses Projekt zusehends schwand, bis schließlich Sir Alfred Owen, der zuvor schon am Fonds beteiligt war, das Unternehmen übernahm.
Auf diese Weise wurde BRM zu einem kleinen Anhängsel des riesigen Rubery Owen Konzerns. Nach Sir Alfreds Willen sollte der Rennstall die Leistungsfähigkeit des Unternehmens demonstrieren. Doch der Erfolg ließ lange auf sich warten. Erst 1959 feierte man den ersten Sieg in der Formel 1, 1962 folgte dann der Gewinn der Weltmeisterschaft. Jetzt war man endlich erfolgreich, und zwar richtig. Und das verdankte BRM zumindest zu einem gewissen Teil einem Mann, der ursprünglich kaum beziehungsweise gar keine Ahnung vom Motorsport hatte: Louis Stanley.
Stanley war Geschäftsführer des Hotels Dorchester in London und mit Jean Owen, der Schwester von Sir Alfred, verheiratet. 1959 war das Ehepaar zufällig in Monaco, als dort das Grand-Prix-Rennen stattfand. Sie schauten es sich an und schon war Stanleys Interesse am Motorsport geweckt. Als BRM dann beim nächsten Rennen den ersten Formel-1-Sieg errang, schien der Bann endgültig gebrochen zu sein, und Stanley wurde tätig. Als erfahrenem Manager war ihm die Unruhe im Team nicht entgangen. Um dem technischen Personal mehr Einfluss zu verschaffen, krempelte er den ganzen Rennstall um und besetzte zentrale Stellen mit Ingenieuren. Damit machte er BRM in den frühen 1960er-Jahren deutlich wettbewerbsfähiger. Der Rennwagenhersteller gehörte nun zu den profiliertesten Teams der Formel 1– wovon Stanley bestens zu profitieren verstand.
Da der strenggläubige Sir Alfred es ablehnte, zu den Sonntagsrennen zu reisen, übernahm es nun Stanley BRM zu repräsentieren – etwas, das ihm Dank seines ausgeprägten Selbstbewusstseins nicht sonderlich schwer fiel. Er war eine imposante Erscheinung, doch sein Auftreten wirkte oft ziemlich überheblich – zumal im Ausland. Sprach ihn jemand, der es nicht besser wusste, als „Lord Stanley“ an, was insbesondere bei Rennen in den USA durchaus vorkam, war ihm das alles andere unrecht: Statt diese Beförderung in den Adelsstand höflich zurückzuweisen, trat er gleich noch etwas großspuriger auf.
Er hatte auch seine zweifellos guten Seiten. Er unterstützte beispielsweise Jackie Stewarts Kampf für die dringend notwendige Verbesserung der medizinischen Notfallversorgung bei Rennen, aber am Ende musste vor allem sein eigenes Team wiederbelebt werden. Als Sir Alfred 1969 einen Herzinfarkt erlitt und sich zurückziehen musste, hatte Stanley freie Hand. Er tat mit Marlboro einen neuen Sponsor auf und schmiedete mit diesem hochfliegende Pläne – BRM expandierte, sodass man am Ende vier Werkswagen im Einsatz und zahlreiche Fahrer unter Vertrag hatte, neun allein im Jahr 1972.
Lauda hatte das natürlich mitbekommen. Er nahm an, dass es bei Stanley am erfolgversprechendsten sein würde, ihm einerseits zu schmeicheln und andererseits Geld in Aussicht zu stellen. Lauda vereinbarte ein Treffen mit ihm. Er erzählte:
Ich wusste, dass Stanley auf der Suche nach Sponsoren war. Ich rief ihn an und sagte: „Sir, ich möchte unbedingt einen ihrer Rennwagen fahren, bla, bla, bla.“ Ich gab vor, einen Sponsor an der Hand zu haben – was nicht der Fall war. Er meinte, er würde sofort nach Wien kommen, um mit mir den Vertrag auszuhandeln. Wir trafen uns am Flughafen und er verhandelte mit mir und dem Bankdirektor, den ich mitgebracht hatte. Das war der [Oertel], dem ich den letzten Kredit schon zu verdanken hatte, und nun wollte ich Stanley überzeugen, dass der mich erneut sponsoren würde. Der Bankmann sprach kaum Englisch, ich übersetzte so, dass ich – vorsichtig gesagt – gut dabei wegkam. Ich brachte Stanley dazu, für die Zahlung des „Sponsorengeldes“ einen späteren Termin als den ursprünglich vorgesehenen zu akzeptieren, und zwar im Mai, so um den Großen Preis von Monaco herum.
BRM hatte mit [Jean-Pierre] Beltoise und [Clay] Regazzoni schon zwei Fahrer unter Vertrag, als dritten hatte man [Vern] Schuppan im Visier. Ich überzeugte Stanley, mir das dritte Cockpit zu lassen. Wir vereinbarten damals, dass meine erste Sponsorenrate an BRM im Mai fällig wäre. Dann meinte Stanley, dass ich nur die ersten drei Rennen fahren dürfe [Argentinien im Januar, Brasilien im Februar, Südafrika im März, alle neben Regazzoni], dann würde Schuppan übernehmen. Ich sagte, dass mir das nicht reichen würde. Aber mir war natürlich klar, dass alles Weitere von den ersten Rennen abhing.
Im ersten Rennen der Saison 1973, in Buenos Aires, fiel Lauda mit Motorschaden aus, im zweiten, in São Paulo, wurde er Achter, wobei er jeweils der langsamste BRM-Pilot war. In Südafrika änderte sich die Lage allerdings schlagartig. Nach einer Kollision zog Mike Hailwood Regazzoni aus dessen brennendem Wagen, und Beltoise musste nach wenigen Runden aufgeben. Lauda blieb als einziger BRM im Rennen und hielt sich auf einem beeindruckenden sechsten Platz, bis auch bei seinem Auto der Motor streikte. Ob das wohl reichte, um sich für weitere Rennen bei BRM zu empfehlen? Lauda erinnerte sich:
Schuppan fuhr bei einem Rennen in Brands Hatch, das nicht in die Weltmeisterschaftswertung einging. Sonderlich toll war er nicht, glaube ich [in der Qualifikation wurde Schuppan Dritter, fiel dann aber im Rennen infolge eines Unfalls aus]. Ist ja auch egal, wie das genau war, auf jeden Fall hatte man mitbekommen, wie schnell ich von Anfang an gefahren bin – besonders in Südafrika –, also durfte ich weiter ran. Dann wurde ich in Belgien Fünfter und holte die ersten WM-Punkte meines Lebens. Das Problem war, dass Mr. Stanley in Monaco natürlich auf sein Geld warten würde – und ich hatte keins. Nicht einen Groschen.
Lauda blendete die Geldsorgen aus und konzentrierte sich mit dem ihm eigenen Pragmatismus voll und ganz auf den berühmten Stadtkurs. Nach umfangreichen Bauarbeiten präsentierte sich die Rennstrecke in diesem Jahr entlang des Hafens völlig neu – die erste große Veränderung seit dem ersten hier ausgetragenen Grand Prix im Jahr 1929. Lauda stellte sich rasch auf den engen Kurs ein und war bei zwei der drei Trainings der schnellste BRM-Fahrer. Sein rot-weiß lackierter Wagen startete damit von Position sechs, direkt vor Regazzoni.
Beim Start kam Lauda gut weg und arbeitete sich bald auf den dritten Platz vor – hinter dem Tyrrell von Jackie Stewart und dem Lotus von Emerson Fittipaldi. Jetzt war er nicht nur bester BRM, er hatte auch die Ferraris hinter sich gelassen – und das registrierte man auch in Maranello, wo Enzo Ferrari verfolgte, wie sich seine Autos schlugen. 25 Runden lang konnte Lauda diesen wunderbaren Moment genießen, dann fiel der BRM mit Differenzialschaden aus. Lauda war, wie er selber sagte, „in großem Stil aufgefallen“, nur konnte er Stanley immer noch nicht die vertraglich vereinbarte Summe zahlen. Als er am Abend eine Einladung zum Essen im Hôtel de Paris erhielt, war ihm völlig klar, dass sein Gastgeber dort mehr von ihm erwartete als nur Komplimente für die Wahl des edlen Weins:
Als mich Stanley fragte: „Wo bleibt mein Geld?“, konnte ich ihm keine richtige Antwort darauf geben. Aber das hatte er schon vorher gewusst. Darauf meinte er: „Dass du in Schwierigkeiten steckst, weiß ich, aber du bist nicht nur hier [in Monaco], sondern auch insgesamt bisher so überzeugend gefahren, dass ich bereit bin, dir auch ohne Sponsorengelder einen Platz als Fahrer bis zum Jahresende anzubieten. Wenn du für zwei weitere Jahre bei BRM unterschreibst, bekommst du ein Jahresgehalt von 30 000 £.“ Ich hab noch am selben Abend unterschrieben und bin am nächsten Tag zurück nach Österreich.
Niki lebte damals in Salzburg, wo er ein kleines Büro seines Cousins mitnutzen konnte. Lauda erzählte:
Mit der Sekretärin meines Cousins, die auch für mich ein paar kleinere Sachen erledigte, hatte ich einen Running Gag. Beim Rausgehen sagte ich immer: „Bitte gleich Bescheid sagen, wenn Ferrari anruft.“ Und wenn ich reinkam, fragte ich: „Hat Ferrari schon angerufen?“, und sie meinte dann: „Nein, heute noch nicht“ oder „Telefonstörung“, oder sonst etwas. Als ich am Montag nach Monte-Carlo zurückkam, sagte sie: „Ferrari hat angerufen.“ Ich hab mit irgendeinem Schmarrn geantwortet, aber sie meinte: „Nein, nein, Ferrari hat wirklich angerufen. Schau, hier ist die Telefonnummer.“ Ich sagte: „Ist das dein Ernst? Wen soll ich denn kontaktieren?“ Als sie sagte, es sei ein „Monte-sowieso“ [Luca di Montezemolo, der Rennleiter von Ferrari], da wusste ich, dass sie tatsächlich die Wahrheit sagte.
Also rief ich Montezemolo an, und der erzählte mir, dass Signore Ferrari von meiner Leistung in Monaco sehr beeindruckt gewesen sei und sich mit mir unterhalten wolle. Am nächsten Tag bin ich runter nach Italien und sprach mit [Enzo] Ferrari, der zu mir meinte: „Ich hab gesehen, wie du in Monaco unsere tollen Ferraris in Schach gehalten hast. Ich möchte, dass du für uns fährst.“ Ich sagte zu ihm, dass ich mich zwei Tage vorher als Fahrer vertraglich an Mr. Stanley gebunden hätte. Ferrari antwortete: „Lass das meine Sorge sein. Ich regle das schon. Ich möchte nur, dass du bei uns unterschreibst.“
Ich hatte mir angesehen, über was Ferrari in Maranello alles verfügte: Eine eigene Teststrecke mit automatischer Zeitnahme, mit Videoüberwachung und Computern, dazu die entsprechende Technik mit jeder Menge Personal. Wenn ich die Ausstattung bei Ferrari mit dem verglich, was mir bei March und BRM zur Verfügung stand, dann war das ein himmelweiter Unterschied. Mein erster Gedanke: „Warum gewinnen die nicht jedes Rennen?“ Eigentlich wollte ich gleich loslegen, ganz egal, was dabei rauskommt. Zu der Zeit [1973] lief’s nicht gut bei ihnen, aber ich hatte gleich das Gefühl, dass sie daran arbeiteten und bald Fortschritte machen würden. Ich war mir ziemlich sicher, dass Ferrari auf einem sehr guten Weg war und einiges drin sein würde.
Dass Ferrari mit Lauda richtig lag, zeigte sich in Silverstone. Lauda – als schnellster BRM-Fahrer – lag hier kurzzeitig auf Platz zwei (nach einem Neustart, in der ersten Runde hatte es eine Massenkarambolage gegeben) und war schon im Begriff, den führenden Peterson im Lotus anzugreifen. Da spielten allerdings die Reifen nicht mit und Lauda fiel allmählich zurück. Aber er hatte erneut gezeigt, was er draufhatte. Lauda erinnerte sich so daran:
Mir taugte Silverstone vor dem Umbau. Ich werd nie vergessen, wie ich als kleiner Fahrer in der Formel 3 vor irgendeinem Rennen [der nicht zur WM zählenden International Trophy] beim Training der Formel 1 zusah. Ich stand an der Woodcote-Kurve, vor der Boxengasse. Jochen Rindt schoss quer liegend um diese Kurve. Das Bild hab ich immer noch in meinem Kopf. Es war unglaublich. Und ich erinnere mich noch an den dort ausgetragenen Grand Prix 1973, als [Jody] Scheckter mit seinem Unfall diese Massenkarambolage am Ende der ersten Runde auslöste. Ich war mit gebrochener Halbachse auf der Startlinie liegen geblieben und hatte nicht starten können. Damit hatte ich gleich in zweierlei Hinsicht Glück. Ich war von der Kollision verschont geblieben, und als ich sah, dass das Auto von Beltoise so stark beschädigt war, dass er beim Neustart nicht mehr antreten konnte, ließ ich den Mechaniker seine Halbachse bei mir einbauen. Alles lief gut, ich konnte am Neustart teilnehmen und fuhr sehr gut mit, bis ich Reifenprobleme bekam – die hatte ich kommen sehen, aber so lange alles lief, hatte ich getan, was ging.
Auch beim Großen Preis der Niederlande sollten Reifenprobleme daran Schuld sein, dass er das Rennen vorzeitig beenden musste, aber davor hatte er noch etwas erleben müssen, dass diesen Tag zu einem der, wie er später sagte, deprimierendsten Tage seiner Rennsportkarriere machte. In der achten Runde kam Roger Williamson im March von der Strecke ab, vermutlich aufgrund eines Defekts an der Aufhängung oder eines Reifenschadens. Das Auto krachte in die Leitplanken, die sich unter der Wucht des aufprallenden March verbogen, überschlug sich, rutschte quer über die Fahrbahn und blieb schließlich mit den Rädern nach oben brennend liegen – ein Benzintank auf der rechten Seite war aufgerissen worden.
Der zum Zeitpunkt des Unfalls unmittelbar hinter Williamson fahrende Brite David Purley hielt sofort an und lief zurück, um seinem Freund zu helfen. Seine Versuche, ihn aus dem brennenden Wrack zu bergen, waren vergeblich – der Wagen lag so unglücklich, dass es Purley nicht gelang, diesen ohne Unterstützung der ihn hilflos umringenden Streckenposten [die weder feuersichere Kleidung trugen wie die Fahrer noch über geeignete Feuerlöscher verfügten] wieder auf die Räder zu stellen, während die Flammen immer weiter um sich griffen. Die gesamte Zeit über lief das Rennen weiter, aus heutiger Perspektive undenkbar.
Beim Passieren der Start-und-Ziel-Geraden gaben die Fahrer zwar Handzeichen, aber da eine Telefonverbindung zu den Streckenposten am Unfallort fehlte, wusste die Rennleitung die Signale nicht zu deuten. Auch die Fahrer waren irritiert. Lauda erklärte später, dass es für sie so aussah, als ob ein ausgestiegener Fahrer versucht, sein eigenes brennendes Auto zu löschen – tatsächlich war es Purley, der verzweifelt versuchte, seinen Freund vor dem Feuertod zu bewahren (Purleys Auto stand außerhalb des Sichtfelds auf der anderen Seite der Strecke und war zudem vom Rauch des brennenden March umhüllt). Williamson war 25, es war erst sein zweiter Grand Prix. Später erzählte Lauda dem mit ihm befreundeten Journalisten Herbert Völker:
[Roger] war nicht irgendeiner, sondern einer von den Lieben. Ich mochte ihn, und ich hatte engen Kontakt zu seinem Sponsor Tom Wheatcroft, der ein herzlicher und gescheiter Mensch war. Wir kannten einander alle aus der Formel 3, unsere Beziehung war also familiär, durchaus nicht Formel-1-mäßig. … Als wir nachher mitkriegten, was wirklich passiert war, waren wir zutiefst betroffen. Das tränenüberströmte Gesicht des zusammengesunkenen Tom Wheatcroft werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen. […] Auch heute noch empfinde ich das Rennen von Zandvoort 1973 als einen der deprimierendsten Tage meiner Karriere.
Was Laudas Worte hier so bedrückend macht, sind die Parallelen zwischen Williamsons Unfall und seinem eigenen drei Jahre später, den er fast nicht überlebt hätte. Aber soweit war es lange noch nicht. Nun mussten zunächst einmal die letzten Details der Vereinbarung mit Ferrari geklärt werden, alles in der Hoffnung, dass es bei der Auflösung des BRM-Vertrags keine allzu großen Schwierigkeiten geben würde. Enzo Ferrari dürfte in der Zwischenzeit mit einem gewissen Wohlwollen mitbekommen haben, dass Lauda beim Regentraining in Zandvoort der schnellste Mann war. Unter solchen Bedingungen zeigt sich, was ein Fahrer wirklich kann – Max Mosley hatte das bereits in Bezug auf Laudas Formel-2-Sieg im Dauerregen von Oulton Park 1972 betont.
Einen schmerzhaften Rückschlag musste Lauda auf dem Nürburgring einstecken, wo er in einer schnellen Bergaufpassage direkt nach dem Bergwerk von der Strecke abkam (kurz davor liegt die Stelle, an der er 1976 weitaus schlimmer verunglücken würde). Beim Aufprall gegen die Leitplanken erlitt der BRM einen Totalschaden, doch bis dahin hatte Lauda ein überzeugendes Rennen gefahren und auf einem sehr guten vierten Platz gelegen. Der renommierte Journalist Denis Jenkinson berichtete darüber im Magazin Motor Sport:
Als Lauda in der zweiten Runde die scharfe, leicht ansteigende Rechtskurve am Bergwerk erreichte, bemerkte er an seinem BRM ein ungewohntes Fahrverhalten. Genaueres konnte er nicht mehr feststellen, denn auf der Vollgaspassage durch die Links- Rechts-Kurven des Kesselchens kam er von der Strecke ab. Der BRM war nach einer langen Rutschpartie schrottreif, er selbst war mit einem Handgelenkbruch glimpflich davongekommen. Ursächlich war wohl ein Druckverlust im Hinterreifen. BRM hat im Gegensatz zu anderen Herstellern zur Zeit nur selten Probleme mit der Aufhängung, den Rädern oder Teilen der Lenkung.
Der Zeitpunkt des Unfalls war für Lauda denkbar ungünstig, unter anderem, weil er aufgrund der Verletzung beim folgenden Heimrennen in Österreich nicht antreten konnte. Seine Rückkehr ins Cockpit feierte er beim Großen Preis von Italien, wobei die Freude darüber durch die Leistungsschwäche des Motors, die sich auf den langen Geraden in Monza besonders bemerkbar machte, erheblich getrübt wurde. Allerdings war man bei BRM gerade auf seinen Zwölfzylinder besonders stolz, schließlich handelte es sich um eine komplette Eigenentwicklung. Für die Kritik seiner Fahrer an diesem Antrieb hatte Stanley nicht viel übrig. Lauda berichtete:
Ich hatte ihm schon die ganze Zeit davon erzählt. Wenn man mit Stanley über so etwas reden wollte, empfing er einen zum Nachmittagstee im Dorchester in London. Man kann sich vorstellen, wie das war: Er führte sich auf, als gehöre ihm der Laden. Einmal erklärte ich ihm, dass sein großartiger Zwölfzylinder nicht genug Leistung bringe, was er sich sehr höflich, seinen Tee trinkend, anhörte. Darauf sagt er, dass er dieses Problem nun auf der Stelle lösen werde. Dann steht er auf und geht aufs Klo. Er ist gut zehn Minuten weg, kommt dann zurück und sagt, auf diese sehr förmliche und steife Art: „Ich habe soeben mit dem Motorenprüfstand gesprochen. Wir haben im Auspuffsystem noch 20 Pferdestärken gefunden.“ Natürlich war’s dann so, dass man beim nächsten Rennen mit genau derselben Maschine angetreten ist.
In den Kurven und Kehren des Mosport würde die Leistung des Motors allerdings keine entscheidende Rolle spielen, zumal der Große Preis von Kanada bei Regen gestartet wurde. Falls es irgendwo noch einen Formel-1-Experten gab, der nicht mitbekommen hatte, zu welchen Leistungen Lauda unter schwierigen Bedingungen imstande war, dann musste ihm dies spätestens mit diesem Rennen klargeworden sein: Von Position acht aus ins Rennen gegangen, arbeitete sich Lauda bis auf den dritten Platz vor. Für die Motor Sport berichtete damals Andrew Marriott von diesem Rennen:
Mann der Stunde war auf jeden Fall Lauda, dessen knallroter Helm auch in der Gischt gut zu erkennen war. Anfangs der dritten Runde schob er sich bei der Einfahrt in die erste Kurve innen an [Jody] Scheckter vorbei und eroberte den zweiten Platz. Eine Runde später führte er zum ersten Mal in seiner Rennkarriere einen Grand Prix an. Nach zwei weiteren Runden hatte er seinen Vorsprung auf acht Sekunden ausgebaut, in Runde zehn auf mehr als eine Viertelminute, zudem hatte Lauda zu diesem Zeitpunkt bereits die letzten acht Fahrer im Feld überrundet. Es war ein bemerkenswert überlegener Auftritt im Regen, und auch wenn dem BRM mit seinen Firestone-Reifen bekanntermaßen solche Bedingungen liegen, gebührt Lauda für seine Leistung große Anerkennung.
Auch wenn Lauda das Publikum nachdrücklich beeindruckte, ins Ziel schaffte er es wieder einmal nicht. Nachdem er bis zur 20. Runde seine Führung verteidigen konnte, fiel er schließlich mit Getriebeschaden in der 62. Runde an dritter Stelle liegend aus.
Ferrari musste nicht weiter überzeugt werden, der Vertrag für 1974 war bereits unterschrieben worden. Lauda erinnerte sich so:
Als ich bei Ferrari unterschrieb, ging ich wieder ein großes Risiko ein. Mir war klar, dass BRM dagegen gerichtlich vorgehen würde. Aber es war damals wirklich unübersehbar, dass man bei BRM auf der Stelle trat, und wenn ich es als Fahrer zu etwas bringen wollte, musste ich den Ferrari-Vertrag annehmen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Ferrari mich nochmal gefragt hätte, wenn ich nicht gleich zugesagt hätte. Aber für mich war das natürlich alles Neuland, ich hatte noch keine Ahnung, auf welche Details man bei der Zusammenarbeit mit den Italienern achten musste. Diese und viele andere Erfahrungen standen mir alle noch bevor.