Читать книгу Niki Lauda "Es ist nicht einfach, perfekt zu sein" - Maurice Hamilton - Страница 8
KAPITEL 1 Der Wahnsinn der frühen Tage
Оглавление„Ich schau ja aus wie ein Schulbub! Wo ist das?“
„Das war in Mallory Park, März 1971. Dein erstes Rennen in der Formel 2.“
„Könnte sein … Erinnern kann ich mich ned. Wo hast du das her?“
„Selbst geschossen! Damals war ich einfach nur Fan und zu der Zeit kam man noch problemlos in die Boxen. Ich hab allerdings keine Ahnung, warum ich dich fotografiert hatte, zu der Zeit warst du noch ein Nobody!“
„Stimmt! Interessant ist der Ring, den ich hier trage. Das war der Siegelring meiner Familie, schau, hier ist das Familienwappen. Mein Großvater und mein Vater hatten ihn vor mir getragen.“
„Ein echtes Erbstück also.“
„Kann man so sagen. Ich hab ihn bekommen und zu dem Zeitpunkt war ich auch noch deppert genug, ihn zu tragen! Meine Familie ist wer in Österreich, Aristokraten, wenn man so will. Merkwürdige Leute. In England gibt’s davon einen Haufen, in Österreich weniger. Na ja, ich war halt sehr jung – siehst, wie ich hier ausschau – und ich hab gedacht, es wär richtig, den Ring zu tragen.“
„Du trägst ihn links, das wirkt so, als ob du verheiratet wärst.“
„Ich war ned verheiratet, überhaupt ned. Ich hatte keine Ahnung, wie man ihn richtig trägt, das zeigt nur, wie deppert ich war. Ein sehr interessantes Bild, vielen Dank, dass du mir das gezeigt hast. Dass ich den Ring zu Beginn meiner Rennkarriere noch hatte, war mir komplett entfallen. Ich weiß noch, dass ich ihn bald danach weggeschmissen hab. Ich hab alles hinter mir gelassen, das ganze Aufwachsen in der Familie und die guten Manieren, all dieses Zeug, und mich dazu entschieden, ein richtiger Rennfahrer zu werden!“
Laudas Versuche, 1971 in einem Formel-2-Wagen als „richtiger Rennfahrer“ aufzutreten, hinterließen – zumindest zu Beginn – zu wenig Eindruck bei den Eigentümern von March Engineering. Aber das mussten sie auch nicht. Für March – der Firmenname setzte sich aus den Initialen der Gründer zusammen – Max Mosley, Alan Rees, Graham Coaker und Robin Herd – ging es ums nackte Überleben. Zuallererst interessierte die Briten an den Möchtegernchampions das Geld, das man ihnen abknüpfen konnte. Die eigentlichen Erfolgschancen waren eher zweitrangig.
Coaker hatte Erfahrung in Verwaltung und Produktion, Rees – selbst als Formel-2-Fahrer hoch gehandelt – war Teammanager, der geniale Herd, der sein Oxford-Studium in Physik und Maschinenbau jeweils mit Bestnote abgeschlossen hatte – kümmerte sich um Technik und Design, Mosley – Rechtsanwalt und früherer Amateurfahrer – vertrat eloquent und mit Verve das Unternehmen nach außen. Mosley erzählte:
March war knapp bei Kasse. Niki kam und traf sich mit Alan Rees, nicht mit mir. Er verfügte über 8000 £, was damals eine Menge Geld war. Alle mochten ihn, als Mensch hat uns Niki sehr beeindruckt. Er war ausgesprochen intelligent. Ich erinnere mich an ein gemeinsames Abendessen mit ihm und meiner Frau Jean in einem indischen Restaurant in South Kensington. Man fühlte sich sehr wohl in seiner Gesellschaft. Jean und ich waren von London nach Oakley gezogen, in die Nähe des March-Werks in Bicester, und Niki mietete kurzzeitig unsere Wohnung in Victoria. Wir hielten ihn als Fahrer nie für besonders schnell, er war es einfach nicht. Er war nicht so schnell wie Ronnie – aber so schnell war damals keiner, glaube ich.
Es war typisch für Lauda, dass er sich permanent mit Peterson, der einen ähnlichen Formel-2-Boliden fuhr, verglich – an ihm konnte er seine Fortschritte messen. Damals teilte er sich eine Wohnung mit Mike Hailwood, dem vormaligen Motorradweltmeister, der zu der Zeit in der Formel 1 fuhr. Das Appartement war günstig gelegen (im Bezirk Heston, nahe dem Flughafen Heathrow), zudem lebten Peterson und seine Frau Barbro im selben Haus. Lauda erzählte:
Ronnie und Barbro hatten die Wohnung unter mir gemietet. Für mich war Ronnie „der Meister“. Ich fuhr häufig mit ihm im Mercedes nach Bicester [zum March-Werk] und ich kann mich gut daran erinnern, dass er immer mit links bremste. Ich wollte wissen, warum er das machte – der Wagen hatte schließlich eine Handschaltung, also hätte er eigentlich mit rechts Bremse und Gas betätigen müsse. Er meinte, er mache das als Training. Damals hatte ich noch keine Ahnung, wofür er damit trainierte. Aber Ronnie war so anpassungsfähig, man merkte als Beifahrer überhaupt nicht, ob er nun mit rechts oder mit links bremste. Da war er unglaublich geschickt. Mich hat er in jeder Hinsicht beeindruckt. Wenn ich gegen ihn fuhr, dann habe ich gemerkt, worauf es beim Rennfahren eigentlich ankommt. Ronnie war zu der Zeit einfach der Schnellste.
Peterson probierte auf den Fahrten nach Bicester noch andere Dinge aus. Mosley berichtete davon:
Auf der Strecke nach Bicester gibt es eine Stelle – zwischen Long Crendon und Oakley –, an der die Straße erst bergauf verläuft, dann einen Knick nach rechts und schließlich einen nach links macht. Diese Kurve war ziemlich berüchtigt, und Ronnie war davon überzeugt, sie nehmen zu können, ohne vom Gas gehen zu müssen. Einmal nahm er einen Reporter aus Skandinavien mit, der mir hinterher erzählte, dass Ronnie wissen wollte, wie schnell er in der Kurve war. Er wusste bereits, dass er sie Vollgas fahren konnte, jetzt interessierte ihn die Geschwindigkeit. Also musste der Reporter den Tacho im Auge behalten, während sich Ronnie aufs Fahren konzentrierte. Wenn man durch diese Kurve fährt, dann ist die Vorstellung, da in einem Mercedes mit Vollgas … nun ja … anscheinend hat er’s gemacht. Der arme Reporter war kreideweiß, als er davon erzählte. Und Niki, da bin ich mir sicher, wird bei Ronnie im Auto ähnliche Aktionen miterlebt haben.
Abgesehen von einem bemerkenswerten sechsten Platz auf dem Nürburgring, gab es für Lauda in der ersten Saisonhälfte angesichts von zahlreichen Ausfällen nicht viel zu feiern. Und einmal verpasste er sogar die Qualifikation – ausgerechnet in Crystal Palace, einer in einem Park gelegenen Rennstrecke, auf der sein Landsmann Jochen Rindt mit einem spektakulären Sieg seinen internationalen Durchbruch gefeiert hatte. Dann ging es für Lauda zum ersten Mal aufwärts. Am 27. Juni wurde in Rouen-Les-Essarts gestartet, auf einer zum größten Teil über öffentliche Straßen führenden Rennstrecke, die vor allem für die rasanten Bergabpassagen mit einem entsprechenden Anstieg auf der Gegenseite und einer sehr schnellen Zielgeraden bekannt war. Lauda berichtete:
In der Formel 2 war ich einmal schneller als Ronnie. Das war in Rouen und lag nur daran, dass die March-Leute unterschiedliche Heckflügel ausprobierten. Bei Ronnie hatte man einen neuen, kleineren Flügel montiert, der auf der Geraden besser war. Ich hatte den normalen Flügel – und hängte ihn mühelos ab, weil ich wegen des Heckflügels auf den Bergabpassagen deutlich schneller war. Das fühlte sich total seltsam an, denn, wie gesagt, Ronnie war wirklich der Meister.
Bei diesem Rennen wurde Lauda Vierter, sein bestes Resultat in dieser Saison. Peterson gewann am Ende locker die Formel-2-Europameisterschaft 1971, Lauda lag in der Gesamtwertung auf Platz 10. John Watson erzählte:
Je länger die Saison dauerte, umso deutlicher traten Nikis Qualitäten zutage. Nicht nur als kompetenter Rennfahrer, sondern als intelligenter Mensch, der Robin Herd und dem Team gut erklären konnte, wie er sich die Abstimmung des Wagens wünschte und was man zusätzlich noch verbessern könne. Vor allem wegen dieser Rückmeldungen wurde er vom Team mehr und mehr geschätzt. Man bekam mit, dass sich die Techniker und Mechaniker immer häufiger an ihn wandten, um von ihm zu erfahren, wie man das Set-up des Wagens weiter verbessern konnte. Und er besaß noch ein anderes bemerkenswertes Talent: Er konnte Geld auftreiben. Dass er aus einem reichen Elternhaus kam, mag ihm geholfen haben, aber es war schon beeindruckend, mit welchem Selbstvertrauen er zu diesem Zeitpunkt zur Bank ging – und mit einem Sponsorenvertrag zurückkam. Es wurde immer klarer, dass Lauda keiner dieser reichen Schnösel war, die einfach nur Lust hatten, mal ein bisschen Rennen zu fahren.
Mit seinen Leistungen überzeugte Lauda auch die ihm gegenüber bisher sehr kritischen österreichischen Journalisten, zu denen auch Helmut Zwickl zählte, der damalige Motorsportjournalist der Wiener Tageszeitung Kurier. Zwickl berichtete:
Zu Beginn seiner Laufbahn sah ich Niki sehr kritisch. Er war kein geborener Siegfahrer ab der Formel 3 aufwärts. Wir hatten kein besonders gutes Verhältnis. Im Vorjahr hatten wir Jochen Rindt verloren [der Österreicher war bei der Qualifikation zum Großen Preis von Italien tödlich verunglückt und am Ende der Saison posthum Weltmeister geworden]. Lauda war ein ganz anderer Typ als Jochen. Vor allem hatte er dessen Charisma nicht. Ich war nicht der Meinung, dass er ein großer Fahrer werden könne – da lag ich völlig falsch! Aber im Laufe des Jahres 1971 wurde deutlich, dass er ein guter werden könnte. Unser Verhältnis verbesserte sich deutlich und wir wurden sehr gute Freunde.
In seinem Saisonrückblick schrieb Ian Phillips, Formel-2-Korrespondent der Autosport: „Aufgrund seines Alters hatte Niki Lauda noch relativ wenig Erfahrung, stellte sich aber rasch auf den March ein und zeigte einige sehr vielversprechende Rennen, was mit dazu beitrug, dass er für das kommende Jahr mit einem beneidenswerten Vertrag ausgestattet wurde.“ Phillips hatte den Rückblick im November 1971 geschrieben und zuvor dank seiner exzellenten Kontakte in Erfahrung gebracht, dass Lauda 1972 für March sowohl in der Formel 1 als auch der Formel 2 antreten sollte. Der 22 Paragrafen umfassende Vertrag, den Lauda am 23. September unterzeichnete, enthielt die Zusage, dass Lauda in beiden Formelserien der zweite Fahrer (hinter Peterson als Nummer eins) werden sollte.
Paragraf 11 des dreiseitigen Vertrages legte fest: „Bei Vertragsunterzeichnung entrichtet der Fahrer für seinen Platz in der Formel 1 und Formel 2 an das Team die Summe von 50 000 £. Der Fahrer erhält vom Team 45 Prozent aller Start- und Preisgelder, die er mit dem Fahrzeug des Werkteams verdient.“ Die Zahl „50 000 £“ hatte man durchgestrichen und mit Tinte handschriftlich korrigiert in „2 500 000 S (Österreichische Schilling)“, statt „Bei Vertragsunterzeichnung“ hieß es nun: „Wie in Paragraf 22 dieses Vertrags festgelegt“.
Der handschriftlich am Ende der letzten Seite eingefügte Paragraf 22 lautete: „Bedingung dieses Vertrages ist, dass die Bezahlung der gemäß Paragraf 11 fällig werdenden Summe entweder am 29. September 1971 durch den Fahrer erfolgt oder dieser eine von seinem Vater unterzeichnete Sicherheit vorlegt, dass diese vor dem 31. Oktober 1971 entrichtet wird. Bei Nichterfüllung dieser Bedingung kann das Team ohne Anerkennung einer Rechtspflicht seine Zusage zurückziehen.“ Die Änderungen und Zusätze waren von Lauda und Mosley unterzeichnet bzw. paraphiert worden.
Lauda ging fest davon aus, dass er das Geld würde auftreiben können. Die Erste Österreichische war mit dem 1971 erreichten Werbewert zufrieden gewesen und gab die Zusage für die Finanzierung eines weiteren Jahres. Dann, aus heiterem Himmel, wurde ihm von der Bank mitgeteilt, dass der Vertrag geplatzt sei. Lauda fand heraus, dass sein Großvater Hans Lauda, der von Anfang gegen Nikis Rennfahrerambitionen war, Freunde im Aufsichtsrat der Bank kontaktiert und diese dazu gebracht hatte, die Zusage zu kassieren – „um den Buben zur Vernunft zu bringen“. Wie man das von ihm erwarten konnte, reagierte Lauda prompt und ohne Umschweife:
Ich rief meinen Großvater an und bat ihn, sich verflucht noch mal nicht in meine Angelegenheiten einzumischen. Er weigerte sich und meinte, dass ein Lauda nie ein Rennfahrer werden könne, dass ich in die Wirtschaft gehen und mich aus diesem bescheuerten und gefährlichen Sport raushalten solle. Bis zu seinem Tod habe ich nie wieder mit ihm gesprochen, leider verstarb er, ehe ich Weltmeister wurde. – Aber jetzt steckte ich in der Klemme. Ich hatte einen Vertrag unterzeichnet und keine Möglichkeit, die vereinbarte Summe zu bezahlen – und so war ich nicht erzogen worden. Aus meiner Sicht wollte ich March einfach nicht enttäuschen.
Angesichts des bedrohlich näher rückenden Fälligkeitsdatums wandte sich Lauda an eine andere Bank, die Raiffeisenkasse. Lauda erzählte:
Ich traf dort einen ziemlich guten Mann, Karlheinz Oertel. Er verschaffte mir einen zinslosen Kredit über fünf Jahre, dafür würde mein Auto und mein Helm den Namen seiner Bank tragen. Dann fragte er mich, was im Falle meines Todes passieren würde. Ich dachte: „Mist, daran hab ich noch gar nicht gedacht.“ Zur Absicherung des Kredits haben wir dann eine Lebensversicherung abgeschlossen. Allerdings musste ich – wenn mir nichts zustieß – den Kredit natürlich immer noch zurückzahlen. Jetzt hatte ich keinen Schilling mehr, aber enorme Schulden.
Ian Phillips war über die neue Entwicklung schnell im Bilde und schrieb in der Autosport:
Die Raiffeisenkasse teilt mit, dass Niki Lauda bei seinen Formel-1- und Formel-2-Rennen für March in den Farben der Bank antreten wird. Die Bank gewährte Lauda einen Kredit in Höhe von bis zu 38 000 £, den Niki binnen drei Jahren durch Einnahmen aus Start- und Preisgeldern tilgen muss. Mit 6000 £ wird dabei das Fahrzeug gesponsert. Für seine Partner stellt Lauda, Sohn eines vermögenden Bankaufsichtsrats, aufgrund seines wohlhabenden Elternhauses kein finanzielles Risiko dar, da sich die Familie zur Absicherung des Kredits verpflichtet hat.
Es ist fraglich, ob die Familie von dieser Verpflichtung wusste. Auf jeden Fall würde man Lauda bei March Engineering Limited nicht vor die Tür setzen. Die Firma hatte einen Verlust von 73000 £ gemacht und Bankschulden in Höhe von 40000 £, was Ende 1971 beträchtliche Summen waren. Lauda hatte den Vertrag unterschrieben und zugesagt, seine finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. In Anbetracht der enormen Summe, um die es ging, hatte Mosley Lauda um eine Bankgarantie von seinem Vater gebeten. Er erzählte:
Ich wusste damals nicht viel über seine Familienverhältnisse. Von der Geschichte mit dem Großvater und dem Geld habe ich erst später erfahren. Ich hatte keine Ahnung, dass seine Familie in Österreich so einflussreich war, Niki war keiner, der mit so etwas hausieren ging. Auf jeden Fall hatte er zugesagt, den gewünschten Garantiebrief vorzulegen. Ich erinnere mich daran, wie ich unserem Sachbearbeiter bei der Bank erklärte, dass alles okay wäre: Das Geld sei unterwegs. Aber das Geld kam nicht, und Niki sagte: „Kein Problem, kein Problem, ich bringe das in Ordnung.“
Schließlich kam er mit diesem Brief. Er schien auf derselben Schreibmaschine und demselben Papier getippt worden zu sein wie Nikis sonstige Korrespondenz, die Unterschrift war ziemlich unleserlich, schien aber gewisse Ähnlichkeiten mit Nikis Handschrift aufzuweisen. Was hätten wir machen sollen, wir bekamen ja von nirgendwoher sonst Geld. Dem Bankangestellten erzählte ich dann, dass alles okay wäre, sein Vater hätte ja die Garantie abgegeben. Natürlich hatten die bei der Bank kein Interesse daran, unserem Laden das Licht auszuknipsen. Als das Geld schließlich eintraf, meinte der Sachbearbeiter: „Ich fasse es nicht. Das ist ja, als ob man die Trustee Savings Bank [Kreissparkasse] dazu überredet, die Formel 1 zu kaufen.“
Lauda meinte:
Es war schon ein Wahnsinn, ein riesiges Lotteriespiel. Aber ich war jung und sicher, dass es klappen würde. Von meiner Familie würde ich fürs Rennfahren eh kein Geld bekommen. Ich hatte das Gefühl, dass das der richtige Weg war, um schnell nach oben zu kommen – die Saison würde ich durchziehen, zeigen, dass ich schnell bin, und im folgenden Jahr würde man sich dann um mich reißen und ich würde genug verdienen, um mit den Rückzahlungen anzufangen. Ich ging fest davon aus, dass ich das schaffen würde. Aber natürlich musste das Auto mitspielen.
Der zweite Formel-1-Wagen von March hatte Lauda beeindruckt. Mit dem 711 hatte Peterson 1971 vier zweite Plätze erreicht, in Monaco, Silverstone, Monza und auf der Mosport-Rennstrecke in Kanada. Alles sprach dafür, dass es 1972 mit einem noch besseren Rennwagen weiter bergauf gehen würde. Tatsächlich erwies sich dieser aber als einer der schlechtesten, den March je gebaut hatte, eine kaum fahrbare Fehlkonstruktion. Der ehrgeizige Robin Herd hatte sich schlichtweg zu viel auf einmal vorgenommen. Dazu Lauda:
Robin und Max hatten mir vorgeschwärmt von dem neuen Wunderauto, dem 721X, den ich in der Formel-1 fahren würde. Es hatte ein zwischen Differential und Chassis liegendes Sportwagengetriebe von Alfa-Romeo. Das meiste Gewicht sollte in der Fahrzeugmitte liegen: Das Ziel war ein niedriges polares Trägheitsmoment zu erreichen, damit der Wagen auf Lenkbewegungen besser ansprach. Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln, schließlich war Ronnie 1971 Zweiter in der WM-Gesamtwertung geworden.
Zu Saisonbeginn 1972 fuhr ich noch das überholte 71er-Modell, das zwar noch brauchbar, aber eigentlich veraltet war. Beim ersten Rennen in Argentinien wurde ich Elfter. In Südafrika wurde ich Siebter, nur zwei Plätze hinter Ronnie, und der galt zu dem Zeitpunkt als das große Talent in der Formel 1. Für mich als Formel-1-Neuling war das also okay. Aber wir brauchten dringend ein neues Auto – diesen tollen 721X.
Der neue Wagen sollte auf der Rennstrecke in Jarama getestet werden, eine Woche vor dem dort stattfindenden Großen Preis von Spanien. Lauda hatte kein Problem damit, dass der 721X zunächst Peterson überlassen wurde – zumal dieser den Wagen danach lobte. Lauda erzählte:
Ronnie testete den Wagen, weil er die Nummer eins war, ich war der Lehrbub. Zwei Tage fuhr und fuhr und fuhr Ronnie damit. Es sah alles gut aus, vor allem, weil die Rundenzeiten nicht schlecht waren im Vergleich zu Jackie Stewart [dem damaligen Weltmeister], der zur gleichen Zeit seinen Tyrrell testete. In der letzten Stunde am zweiten Tag durfte ich dann auch mal ran.
Ich fuhr zwei Runden und sagte: „Das ist der größte Scheiß, mit dem ich je gefahren bin.“ Ein bisschen beeindruckt hat Herd meine Meinung schon – aber glücklich war er damit natürlich nicht. Der Wagen untersteuerte [schob in Kurven über die Vorderräder], übersteuerte [brach mit dem Heck aus], war auf der Geraden langsam und schaltete sich furchtbar. Wenn man vom fünften in den vierten Gang schalten wollte, landete man manchmal im zweiten oder ersten. Ob man den richtigen Gang erwischte, war reine Glückssache. Aber am schlimmsten war das Handling. Zwischen Fahren und Rutschen gab es einfach keinen Spielraum, um noch einzugreifen.
Ronnie verstand nicht, wovon ich redete, weil er mit seinem fahrerischen Talent alle Fehler des Autos ausgleichen konnte. Ihm fehlte das Gespür dafür, wie schlecht oder gut ein Auto war, er hatte da keine Ahnung. Er bewegte den Wagen einfach am Limit und kam mit dem zurecht, was das Auto dann machte. Das war für mich unvorstellbar – das konnte ich schlichtweg nicht! Als ich nach einigen weiteren Runden Robin erzählte, dass ich mit dem Auto nicht zurechtkam, sagte er zu mir: „Wenn du einmal soviel Erfahrung hast und so gut fahren kannst wie Ronnie Peterson, wirst du das auch schaffen.“ Ich habe mir jedes einzelne Wort gemerkt. Bei mir hat das einen großen Eindruck hinterlassen.
Herd zweifelte an Laudas Urteil, weil Peterson sich so positiv äußerte und seine Rundenzeiten fast so gut waren wie die von Stewart. Bei diesem Vergleich wurde allerdings nicht berücksichtigt, dass Tyrrell verschiedene Neuentwicklungen ausprobierte, die nicht wie gewünscht funktionierten, und wie zum Beweis war der sonst so zuverlässige und präzise Weltmeister mehrfach von der Strecke abgekommen.
Mit Beginn des offiziellen Trainings zum Großen Preis von Spanien ging allmählich allen ein Licht auf. Peterson qualifizierte sich als Neunter (1,4 Sekunden langsamer als Jacky Ickx mit seinem Ferrari, der sich die Pole gesichert hatte, bzw. eine halbe Sekunde hinter dem Viertplatzierten Jackie Stewart auf Tyrrell) und ein extrem unglücklicher Niki Lauda fand sich auf Position 25 in der letzten Startreihe wieder, unglaubliche fünf Sekunden hinter Peterson, ganz zu schweigen von dem Rückstand auf die Bestplatzierten. Im Rennen fiel Laudas Wagen schon früh aus, und auch Peterson schied vorzeitig aus aufgrund von technischen Problemen mit seinem 721X.
March machte bis zum nächsten Rennen in Monaco unbeirrt weiter – was man dort wohl im Nachhinein bereut haben dürfte. 1971 war Peterson auf dieser Strecke noch über sich hinausgewachsen, nun reichte es für ihn – obwohl er wieder alles gab – in der Qualifikation nur zu Platz 15. Für Lauda, der auch in Monaco von ganz hinten starten musste, war das tröstlich. Im Rennen schaffte er es irgendwie, sich auf der extrem nassen Strecke von den Leitplanken fernzuhalten und kam als 16. ins Ziel, allerdings mit sechs Runden Rückstand. Peterson wurde am Ende Elfter – und war damit „nur“ vier Runden hinter dem siegreichen Jean-Pierre Beltoise im BRM ins Ziel gekommen. Herd wusste längst, dass Lauda mit seinem drastischen ersten Urteil über das neu entwickelte Auto offenbar ins Schwarze getroffen hatte:
Ronnie war einer der besten Freunde in meinem Leben, ein fantastischer Fahrer und liebenswerter Mensch. Aber er war in der Lage, sich etwas vorzumachen – genau wie ich. Der 721X war furchtbar. Es spielt keine Rolle, ob man – in der Hoffnung, dass sich das Auto dann besser fährt – das Getriebe vor die Hinterachse setzt, ein Rennwagen muss zunächst mal mit den Reifen harmonieren, und schon das war beim 721X überhaupt nicht der Fall. Beim Einfahren in eine Kurve untersteuerte das Ding irrsinnig, um dann plötzlich total zu übersteuern. Sowohl Ronnie als auch ich wollten unbedingt, dass der Wagen funktioniert. Ronnie legte sich mächtig ins Zeug – und dann war Niki an der Reihe. Niki war immer sehr offen, und so war auch seine Einschätzung des 721X brutal ehrlich. Und auch wenn ich das damals nicht gleich akzeptieren wollte, lag er damit vollkommen richtig.
Das bestätigte einen Eindruck, den ich schon früher von ihm gehabt hatte. Als ich das erste Mal das Gefühl hatte, dass er ein richtig guter Fahrer werden könne, waren wir mit ihm und Ronnie zu Tests in Thruxton [in Hampshire]. Zu dem Zeitpunkt hatte Niki bereits ein paar Formel-2-Rennen absolviert, war dabei aber nicht besonders aufgefallen. Er übernahm die ersten zehn Runden, damit wir eine Vergleichszeit hatten, anschließend war Ronnie im selben Auto an der Reihe. Ich fuhr mit Niki zum schnellsten Abschnitt der Strecke, wo wir Ronnie zusehen wollten. In der Aufwärmrunde kam er schon driftend durch die Kurve. Der Wagen sprang über eine Bodenwelle, die Reifen qualmten – typisch Ronnie eben. Niki machte einen Schritt zurück und wurde buchstäblich kreideweiß. Er war total still und sagte dann: „Robin, nie im Leben könnte ich einen Rennwagen so fahren.“ Man konnte ihm ansehen, dass er den Glauben an sich komplett verloren hatte.
Ronnie drehte seine zehn Runden und auf dem Weg zurück zu den Boxen fragte ich Niki, welche Zeit Ronnie seiner Meinung nach wohl gefahren ist. Niki überlegte und sagte dann: „Ich hatte eine 1:14. Er dürfte zwei Sekunden schneller gewesen sein – sagen wir eine Minute 12.“ Tatsächlich hatte Ronnie aber eine Minute und 14,3 Sekunden benötigt. Damals dachte ich, dass Niki wirklich ein richtig Guter werden könne.
An der Rennstrecke von Thruxton mag Lauda für einen Moment niedergeschlagen gewesen sein, nun war er komplett entmutigt. Er kam mit dem 721X überhaupt nicht zurecht: „In der Woche zwischen diesem ersten Test und dem Beginn des Trainings zum Großen Preis von Spanien habe ich nur noch an mir gezweifelt“, erzählte er. „Ich hab geglaubt, ich hab keine Chance, je so schnell wie ‚der Meister‘ zu sein. Aber dann fuhren wir im offiziellen Training in Spanien und plötzlich sah der 721X nicht mehr ganz so großartig aus.“ Er fuhr fort:
Nach Monaco ersetzte man das Alfa-Romeo-Getriebe durch ein Hewland-Getriebe. Schalten konnte man so besser, aber der Rest des Autos war so heillos wie zuvor. Richtig heftig wurde es, als Ronnie sich darüber beklagte, dass ihn auf der Geraden beim Großen Preis von Belgien [in Nivelles] ein Privatfahrer in einem Formel-2-March mit einem Formel-1-Motor abgehängt hatte. Beim nächsten Rennen [dem Großen Preis von Frankreich in Clermont-Ferrand] war genau das unsere Lösung: ein Formel-2-Auto mit einem Formel-1-Motor. Freilich, das war nicht besonders toll, aber eine deutliche Verbesserung. Wenigstens konnte ich versuchen, damit zu fahren.
Herd erinnert sich so daran: „Den ungeliebten 721X ersetzten wir durch ein Auto auf Formel-2-Basis. Es trug die Bezeichnung 721G. Das G stand dabei für Guinness, weil wir in unserer Verzweiflung bis zur Fertigstellung nur neun Tage brauchten, was unserer Meinung nach für einen Eintrag im Guinness Buch der Rekorde gereicht haben dürfte.“ Mit diesem Wagen schaffte Lauda gerade noch einen weit abgeschlagenen neunten Platz beim Großen Preis von Großbritannien, ansonsten fiel er entweder mit technischen Defekten aus oder landete auf Platz 10 oder schlechter. Im Gesamtklassement wurde er mit null Punkten unter „ferner liefen“ geführt. Der als das überragende Fahrertalent in der Formel-1 gehandelte Peterson wurde in der Gesamtwertung Neunter – was sich für ihn kaum besser angefühlt haben dürfte als der 99. Platz.
Lauda erzählte:
Der 721X hätte meine Karriere beenden können, noch ehe sie richtig losging. Für mich war das damals eine Katastrophe. Ronnie galt schon etwas, für ihn war das nicht so schlimm. Er konnte sich vom Acker machen – und tat das auch, er ging 1973 zu Lotus. Aber für mich sah es so aus, als wäre ich damit endgültig gescheitert. Ronnie
hat mich in dieser Zeit sehr unterstützt. Er half mir, sprach mir Mut zu, vor allem auf den gemeinsamen Fahrten in seinem Auto nach Bicester. Einer der Gründe, warum ich eben nicht verzweifelte, war, dass meine Zeiten bei Tests immer nah an Ronnies waren, manchmal auch schneller. Da er einer der Besten war, konnte ich also gar nicht so schlecht sein. Und wenn wir in der Formel 2 gegeneinander antraten, konnte ich mit ihm mithalten.
In der europäischen Formel-2-Meisterschaft schaffte es Lauda 1972 drei Mal aufs Podium. Gleichzeitig gab es auch ein britisches Formel-2-Championat, eine eher unbedeutende Serie mit fünf Rennen. In zwei davon konnte Lauda nachhaltig auf sich aufmerksam machen: Am Karfreitag 1972 hatte Lauda das Regenrennen in Oulton Park gewonnen, an dem Peterson nicht teilgenommen hatte, und im September – beim zweiten Rennen auf der in Cheshire gelegenen Strecke – wurde er dort Zweiter, hinter Peterson und vor Hunt (der in einem March als Privatfahrer teilnahm). „Niki hat an diesem Tag in Oulton Park mit seinem Sieg ein deutliches Zeichen gesetzt“, sagte Mosley. „Es sagt viel über einen Fahrer aus, wenn er bei Nässe schnell ist. Darauf schaue ich immer mit als Erstes. Nikis Talent wäre sicher viel früher erkannt worden, wenn sein Teamgefährte nicht Ronnie gewesen wäre.“
Aber als es um die Entscheidung ging, wer 1973 für March fahren sollte, reichte großes Talent – ob bemerkt oder nicht – allein nicht aus, so sehr beide Seiten auch guten Willens waren. Lauda hatte das Gefühl, alles Menschenmögliche getan zu haben. Und in Anbetracht des miserablen Wagens, den man ihm zu Beginn der Saison zur Verfügung gestellt hatte, war das Team bereit, Zugeständnisse zu machen.
Am 4. November 1972 fuhr Lauda gemeinsam mit Jody Scheckter (der bald darauf ins „Driver to Europe“-Förderprogramm aufgenommen und später Weltmeister wurde) im March-BMW ein Neunstundenrennen im südafrikanischen Kyalami. Lauda holte nicht nur einen vierten Platz, er schöpfte auch neue Hoffnung: Anlässlich des Rennens besprach Herd mit ihm detailliert die Formel-1-Pläne von March für das kommende Jahr. Herd reizte allein die technische Herausforderung, für die neue Saison einen komplett neuen Formel-1-Wagen zu entwickeln, von der schwierigen finanziellen Situation des Unternehmens hatte er keine Ahnung bzw. wollte davon einfach nichts wissen. Wie Lauda bald herausfinden sollte, sah das Geschäftsergebnis nicht anders aus als im Vorjahr. Er berichtete:
Im Dezember fuhr ich nach Bicester, wo mir Max [Mosley] mitteilte, dass kein Geld da sei, um mich in der Formel 1 starten zu lassen. Er meinte, ich könne Formel 2 fahren und das Testen des Formel-1-Wagens übernehmen – inzwischen hatte man kapiert, wie gut ich darin war, aber für mich kam das alles etwas zu spät. Mehr gab es nicht zu sagen. Ich war am Boden zerstört. Ich hatte kein Geld, zwei Millionen Schilling Schulden, keinen Vertrag, und das hauptsächlich, weil ich dieses Scheißding von 721X hatte fahren müssen.
Auf der Strecke vom March-Werk gab es eine T-Kreuzung mit Stoppschild, dahinter eine solide Mauer. Für eine Sekunde durchzuckte mich der Gedanke, dass ich einfach in die Mauer fahren und mich umbringen könnte: Es gab keine Möglichkeit, das Geld zurückzuzahlen, und ich hatte komplett versagt bei dem Versuch, mich in der Formel 1 durchzusetzen. Gott sei Dank war dieses Gefühl schnell vorbei und ich hatte mich wieder unter Kontrolle. Aber an diesen Moment kann ich mich gut erinnern.
Später dachte ich darüber nach, was ich jetzt machen könnte. Mit einem Zivilberuf würde ich das Geld nie zurückzahlen können, das würde bis zum Ende meines Lebens dauern. Es gab also keine andere Wahl: Ich musste mich als Formel-1-Fahrer durchsetzen. Und das bargeldlos. Ein weiterer Kredit war nicht drin.
Mosley erzählte:
Niki hat mir davon [seinen spontanen Selbstmordgedanken] erst viel später erzählt. Wenn man von unserem Betriebsgelände in der Murdock Road Richtung Hauptstraße fuhr, hielt man an einer Stelle vor einer Mauer. Er dachte: „Warum bleib ich nicht voll am Gas?“ Zum Glück hat er sich dann eines Besseren besonnen, aber in dem Augenblick war er völlig verzweifelt.
Damals hatte nur Robin mit ihm zu tun – ich hab Niki nicht oft getroffen –, aber Robin hasste jede Form von Auseinandersetzung. Also war es an mir, Niki die Hiobsbotschaft zu überbringen. Mir war klar, dass das, was ich Niki mitteilen musste, eine Katastrophe für ihn war – aber ich hatte keine andere Wahl. Dann fuhr er weg und wollte Schluss machen. Wir haben uns später oft darüber unterhalten. Es war ein furchtbarer Moment. Und wenn jemand wie Niki solche Gedanken hat, dann zeigt das schon, wie sehr ihm das in dem Moment den Boden unter den Füßen weggezogen hat.
Als er den Flughafen erreicht hatte und in der Maschine nach Wien saß, fing Lauda an, einen neuen wagemutigen Plan zu schmieden. Eine wichtige Rolle kam darin dem Boss eines Formel-1-Rennstalls zu – der selbst hochfliegende Träume hatte.