Читать книгу IF TH€R€'$ MON€¥ - Max Adolph - Страница 2
Kapitel 1
ОглавлениеGegenwart
„Halt die Kiste ruhig, verdammt“, schrie Orvik.
Sein Revolver blitzte unter dem eigenen Mündungsfeuer auf und erhellte für einen kurzen Augenblick die rabenschwarze Landstraße. Die Scheinwerfer unserer Verfolger hatte er bereits vor einem Kilometer ausgeschaltet. Würde er beim Eliminieren von Fahrern dieselbe Präzision an den Tag legen, die er Glühbirnen zu widmen schien, wären wir schon lange aus unserer derzeitigen Lage entkommen.
„Probleme damit bewegte Ziele zu treffen?“, raunte ich und krallte meine Hände noch ein wenig fester um das Lenkrad, als ein weiteres Schlagloch unseren Wagen erbeben ließ.
„Probleme damit die verdammten Reifen auf dem Asphalt zu behalten?“, gab Orvik zurück und feuerte einen weiteren Schuss ab, der unsere Verfolger jedoch meterweit verfehlte.
Er konnte froh sein, dass ich zu sehr damit beschäftigt war unseren Arsch aus der Schlinge zu ziehen, um ihm bei seinen Zielübungen zuzugucken. Andererseits hätte ich ihm wohl mal einen Test auf Nachtblindheit empfohlen.
Zugegeben, ich trug fast genauso viel Schuld an unserer Situation wie er, aber man baut seinen Frust nun mal nicht ab, indem man sich Fehler eingesteht.
Ein weiterer Schuss löste sich, der jedoch zu den Leuten im Fahrzeug hinter uns gehörte. Die Kugel versenkte sich klirrend ins Metall der deformierten Kofferraumklappe, doch Orvik hielt es trotzdem für klüger kurz auf das Polster der Rückbank herunter zu sinken. Tatsächlich eröffneten unsere Verfolger einen kurzen Kugelhagel und ich beschloss ebenfalls meinen Kopf einzuziehen, als der Innenraum des Wagens von zischenden Geschossen erfüllt wurde. Heck- und Frontscheibe hatten wir bereits vor einer Weile verloren. Die Heckscheibe hatte Orvik herausgetreten um eine freie Schussbahn zu haben und die Frontschutzscheibe hatte den Geist aufgegeben, als ich einen Wegweiser übersehen hatte, dessen Fundament nun zwischen Kühlergrill und Motorhaube steckte.
„Hoffen wir, dass denen der Sprit ausgeht, oder hast du noch sowas wie ne echte Idee?“, fragte Orvik genervt.
„Was is aus dem Plan geworden sie einfach abzuknallen?“, gab ich zurück und zuckte hinter dem Lenkrad zusammen, als ein Querschläger dem Armaturenbrett einen Kratzer verpasste.
Orvik sparte sich die Antwort. Tatsächlich schien die Sache langsam kein Spaß mehr für ihn zu sein und auch ich musste zugeben, dass uns so langsam die Optionen ausgingen.
„Du musstest ja unbedingt...“, stöhnte Orvik.
Ich wusste genau, was er sagen wollte.
„Leck mich“, fuhr ich ihm über den Mund, „glaub nich, dass du das mir in die Schuhe schieben kannst.“
Ich war mir jedoch nicht einmal sicher, ob er das musste, denn ganz unschuldig war ich an unserer Lage auch nicht. Um das zu erklären sollte ich aber vermutlich ein wenig eher ansetzen.
Zwei Tage zuvor
Orvik nippte lächelnd an seinem Rum und nickte, während er das Glas wieder sinken ließ. In seiner massigen Hand wirkte es eher wie ein Shotbecher, was auch besser zu der Art und Weise passte, mit der er seinen Rum herunter kippte. Genau genommen ließ Orvik alles um sich herum ein wenig kleiner wirken, was in unserem Geschäft gar nicht so unpraktisch war. Hinzu kam, dass massige Gestalten oft für etwas dumm gehalten wurden, was in Orviks Fall ein fataler Fehler war. Sicher, keiner von uns würde als ein Genie durchgehen, aber man überlebt in der Unterwelt von Mardigard nicht lange, ohne eine gewisse Cleverness an den Tag zu legen.
„Klingt gut“, sagte er matt.
Sein mit einem Stoppelbart bedecktes Kinn kräuselte sich nachdenklich und die breite Stirn, die in tiefen Geheimratsecken zum kurz geschnittenen, schwarzen Haarschopf überging, legte sich in breite Falten.
„Klingt gut?“, lachte ich, „das is verdammt nochmal eine der besten Gelegenheiten, die wir je haben werden.“
„Abwarten Tara“, murmelte Orvik, „wie gut ne Gelegenheit is, weiß man immer erst hinterher.“
„Kannst du dich nich einmal mal über nen Job freuen?“
„Ich hab doch gesagt, es klingt gut“, entgegnete er und schaute mich über den Rand seines Glases an.
Ich kannte den Blick. Es war der den er immer aufsetzte, wenn er sich über meine Unerfahrenheit amüsierte. Ich konnte meine mangelnde Erfahrung jedoch nicht einmal abstreiten. Vermutlich sah ich mit meinem legeren Pferdeschwanz und dem luftigen weißen Top aus als sei ich Orviks Tochter. Das konnte schon vom Alter her gar nicht stimmen, doch Orvik legte nicht viel weit darauf sein Äußeres jung zu halten.
Tatsächlich kleidete ich mich bewusst leger, um nicht aufzufallen. Jedes knappere Shirt würde meinen ungewöhnlich muskulösen Oberkörper preisgeben und mein Pferdeschwanz verdeckte geschickt die kleine Platzwunde am Hinterkopf, die ich einer übereilten Flucht und einer unbeleuchteten Verladerampe zu verdanken hatte. Ebenso kaschierte die lange Jeans meine Beinmuskulatur, auch wenn es eigentlich nicht geschadet hätte den restlichen Männern der Bar zu signalisieren, dass ich sie problemlos fertig machen könnte. Nach all den Abenden hatte ich mich jedoch an die Blicke gewöhnt die man nun einmal kassierte, wenn man die einzige Frau an der Theke war. Zudem kannten wenigstens die Stammgäste langsam mein Gesicht und Orviks als ständige Begleitung tat sein übriges betrunkene Halbstarke abzuschrecken.
„Wenn du Recht behältst haben wir ohnehin noch genug Zeit zum schmollen. Für den Moment schadet‘s nich das ganze positiv zu sehen“, raunte ich und nahm ebenfalls einen Schluck Rum.
Es war keine besonders gute Sorte, doch sie brannte in der Kehle und betäubte den Kopf, womit sie alles erfüllte, was man von Rum erwarten konnte.
„Sorry, wenn ich die nötige Weitsicht beweise, statt mit dem Schwanz zu wedeln, sobald ich nen Knochen sehe...“
„Selbst trinken wird mit dir zu ner verdammten Tortur“, stöhnte ich genervt und leerte den Rest des Glases in einem Zug.
„Du bist doch die, die unbedingt in ner Bar über Arbeit reden will“, gab Orvik zurück und grinste überheblich in sein Getränk.
„Wir können gern das Thema wechseln“, antwortete ich.
„Ich bitte darum“, stimmte er zu und hob die Hand, um die Kellnerin auf sich aufmerksam zu machen, „aber erstmal brauchen wir Nachschub.“
„Also fessle ich ihn mit nem Kabelbinder an seinen Ofen, schnapp mir die Drogen und haue ab“, beendete Orvik eine seiner alten Geschichten.
Es brauchte nicht viel Rum, um ihn dazu zu bringen in Erinnerungen zu schwelgen und auch wenn ich die Geschichte vermutlich schon mal gehört hatte, war es immer wieder unterhaltsam ihn von seinen Abenteuern erzählen zu lassen.
„Du hast ihn einfach da gelassen?“, fragte ich ungläubig.
„Was hätte ich machen sollen?“, rechtfertigte sich Orvik, „Ich hatte dem Typen ein Bein gebrochen und ne Schulter ausgekugelt und er kriecht mir immer noch hinterher wie n verkackter Zombie. Ich meine n normaler Mensch wäre längst bewusstlos gewesen.“
„Und du findest es nicht übertrieben, ihn für sone Aktion zu verkrüppeln?“
„Nein“, gab Orvik deutlich zurück, „Das is das Problem mit Amphetaminen. Wenn jemand so drauf is lässt er mir keine andere Wahl als ihn außer Gefecht zu setzen.“
„Er hat das Zeug sicher nich genommen, weil er dich erwartet hat...“, murmelte ich skeptisch.
„Ok, ja, ich hab n wenig überreagiert“, lenkte er ein, „aber das würdest du auch, wenn du jemandem mit nem Schlag die Nase brichst und der nichmal das Gesicht verzieht.“
„Vielleicht“, stimmte ich zu, „aber hoffen wir einfach, dass ich das nie herausfinde.“
Orvik leerte das halbe Glas vor sich und goss sich aus der Flasche nach, die die Kellnerin uns gleich dagelassen hatte. Normalerweise schenkte man hier nur Gläser aus, doch die Bedienung war es irgendwann leid alle paar Minuten mit einem Tablett zu unserem Tisch zu watscheln und hatte sich bereit erklärt uns einfach eine Flasche zu verkaufen.
„Wieso erzählst du nich mal ne Geschichte?“, fragte Orvik.
„Wüsste nich welche“, gab ich ehrlich zu.
„Du wirst doch irgendwas Spannendes erlebt haben.“
„Schon, aber bei all den Sachen warst du mit dabei...“
„Du willst mir erzählen, dass du nichts Spannendes erlebt hast, bevor ich und Garry dich aufgegabelt haben?“
„Nichts, was wirklich Unterhaltungswert hätte...“
„Ach komm Tara, das kannste mir nich erzählen“, sagte er ungläubig und sah mich erwartungsvoll an.
„Meinetwegen... “, gab ich widerwillig zurück und nahm noch einen Schluck Rum.
Die Geschichte die mir einfiel war definitiv nicht von Orviks Kaliber, aber vielleicht war es gar nicht übel mal über andere Sachen zu reden.
„Du erinnerst dich doch sicher an den Kurs, bei dem wir uns das erste mal gesehen haben.“
Orvik nickte, ohne sein Glas abzusetzen.
„Naja, mein Bruder hat mir den damals geschenkt, weil ich mal abends überfallen wurde. Damals hatte ich nach ner kleinen Barrunde in Newport meinen Bus verpasst und hielt es für ne gute Idee den Weg einfach zu laufen. Oben beim Wilton Drive hat man die Option den ganzen Schlenker um die Brückenauffahrt zu nehmen, oder einfach durch den alten Austin-Park und zwei drei Gassen abzukürzen.“
Orvik lächelte, da er bereits wusste, für welche Option sich die besoffene Tara entschieden hatte.
„Jedenfalls halte ich es für ne gute Idee die schnellere Route zu nehmen und höre irgendwann Schritte hinter mir. Ich dreh mich um und seh nen Jungen, vielleicht achtzehn oder so. Er kommt auf mich zu und fragt mich, ob ich ihm mein Geld geben würde. Einfach so. Er will nich mein Portemonnaie oder sonst irgendwas, sondern einfach n paar Scheine als Preis für die Idiotie nachts um zwei durch ne dunkle Gasse zu schlendern.“
„Is ja geradezu nett von ihm“, kommentierte Orvik.
„Ja, find ich jetz auch“, stimmte ich ihm lächelnd zu, „Damals dachte ich aber einfach nur, dass mich da irgendein Mistkerl ausrauben will und stürz mich auf ihn. Am Ende hatte er einen abgebrochenen Zahn, ein blutiges Auge und mit seinen Hoden bin ich auch nicht zimperlich gewesen. Angezeigt hat er mich zum Glück nich. Schätze das ganze war ihm so schon peinlich genug.“
„Du hast ihm in die Augen gegriffen? Weil er dich um nen Schein erleichtern wollte? Also der macht sicher nie wieder den Fehler nett zu seinen Opfern zu sein.“
Ich zuckte verlegen mit den Schultern und beendete dann meine Geschichte.
„Jedenfalls meinte mein Bruder dann, dass ich allein schon zum Schutz meiner Mitmenschen lernen sollte, wie man sich in derartigen Situationen verhält und kontrolliert verteidigt.“
Orvik nickte grinsend. Ich war ein wenig enttäuscht von der Reaktion, auch wenn ich eigentlich nicht wusste, was ich erwartet hatte. Orvik schien jedoch für heute genug Geschichten erzählt und gehört zu haben und wechselte wieder das Thema.
„Ich weiß, wir wollten die Arbeit nich mehr anschneiden, aber hast du‘s auch schon Garry erzählt?“, fragte er.
Statt zu antworten starrte ich in mein Glas und atmete tief durch. Ich musste nicht einmal hinsehen um zu wissen, dass Orvik ein breites Grinsen aufgesetzt hatte.
„Hab ich mir gedacht“, murmelte er.
„Ich sag‘s ihm morgen früh. Allzu viele Vorbereitungen müssen wir eh nich treffen.“
„Du wolltest erst meine Zustimmung, damit er leichter einknickt“, nannte Orvik unverblümt meinen wahren Grund.
Ich nickte und spülte meinen letzten Rest Beschwingtheit mit dem verbliebenen Rum herunter.
„Kannst ihm sagen, dass ich dabei bin“, sprach Orvik weiter.
Ich hob überrascht meinen Kopf konnte mir ein dankbares Lächeln nicht verkneifen, während ich versuchte aus Orviks Gesicht den Grund für sein plötzliches Umdenken zu lesen.
„Ich hab nie gesagt, dass ich die Sache nich mag“, rechtfertigte er sich, „ich bin nur nich ganz so angetan davon wie du, aber das Geld können wir gut gebrauchen.“
„Trotzdem danke“, sagte ich immer noch lächelnd.
„Wer weiß, vielleicht erlebst du dabei ja mal was, das sich wirklich als Geschichte eignet.“
Es war fast schon beruhigend zu sehen, dass Orvik seine Geste immerhin noch in Spott verpacken konnte. Andererseits hätte ich meine Sicht auf ihn tatsächlich überdenken müssen.
„Frühstück is fertig“, rief ich durch die halb offene Tür.
„Was gibt es denn?“, hallte mir Garrys Stimme entgegen.
„Orvik hat Donuts geholt“, antwortete ich, als sich Garrys Tür zu öffnen begann.
„Das nennst du Frühstück?“, raunte er.
„Es is was zu essen“, gab ich schulterzuckend zurück, „aber ich hab dich nich nur deswegen unterbrochen.“
„Das will ich hoffen... Wenn ich Hunger habe, kann ich auch die Pizza aufessen, die unter meinem Bett liegt.“
Ich war von dieser Äußerung nicht einmal schockiert, was Garry ein wenig enttäuschte. Er mochte es Leute mit seinem abnormalen Lebensstil zu überrumpeln.
Mir war von Anfang an klar gewesen, dass mein Besuch ihn stören würde. Dazu musste ich nicht einmal in seine übermüdeten Augen sehen. Garry war immer damit beschäftigt irgendwelche Informationen zu beschaffen, einen Code fertig zu stellen oder sein Waffenarsenal in Schuss zu halten. Wie man vielleicht erraten konnte, war er quasi das Hirn unseres Teams. Seit ich mich ihm und Orvik vor zwei Jahren angeschlossen hatte, hatte er so gut wie jeden Auftrag an Land gezogen, jeden Plan ausgearbeitet und uns aus jeder Form von Ärger herausgehalten, die unser Job so nach sich ziehen konnte. Er war auch der einzige mit einer wirklichen Ausbildung, auch wenn er nicht verraten wollte, wo genau er diese genossen hatte. Orvik war kaum mehr als ein gewöhnlicher Schläger gewesen, bevor er und Garry sich vor sechs Jahren zusammengerottet hatten und ich hatte vor alle dem hier gar nichts mit Verbrechen am Hut gehabt. Nach allem was ich wusste war ich nur Teil der Truppe, weil ich mich auf dem Schießstand gut angestellt hatte, doch das ist eine Geschichte für ein andermal. Obwohl ich ihn für seine Fähigkeiten und nicht zuletzt das Geld das er uns verschaffte respektierte, hätte ich nie behauptet ihn wirklich zu mögen. Garry gehörte jedoch zu der Art Mensch, die darauf auch gar keinen Wert legte.
„Ich hab nen Job aufgetrieben“, setzte ich an.
Garry erwiderte nichts, sondern hob den kahl geschorenen Kopf, bis er mir endlich in die Augen sehen konnte. Dass er mich um etwa zwanzig Zentimeter überragte machte das ganze noch ein wenig absurder. Seine dicken, dunklen Augenbrauen wellten sich fragend und mir wurde klar, dass er vermutlich mehr Informationen hören wollte.
Trotz seiner Größe besaß er einen schmaleren Körperbau als ich und dennoch hatte ich nie das Gefühl im physisch überlegen zu sein. Wenn Orvik ein kräftiger, ehrlicher Bär wäre, wäre Garry die clevere, hinterhältige Hyäne, mit der sich niemand anlegen wollte.
„Morgen Abend haben n paar Punks vor nen Geldtransport zu kidnappen. Wenn wir‘s clever anstellen können wir die überraschen während sie das Ding knacken und dann mit der Kohle abhauen.“
„Und die Cops wissen nicht einmal, dass wir da waren“, schlussfolgerte Garry nachdenklich.
„Naja, die Typen werden uns sicher verpfeifen.“
„Aber welcher Cop glaubt schon einer Bande von Dieben...“, murmelte er, behielt jedoch seine nachdenkliche Miene.
„Morgen Abend...“, fuhr er fort, „das ist verdammt kurzfristig.“
„Schätze die haben das selbst nich viel länger geplant.“
Garry überging den Kommentar, während er weiter grübelte.
„Was sagt Orvik?“
„Er is einverstanden“, antwortete ich ohne zu zögern.
„Du hast es ihm vor mir erzählt?“, lachte Garry, „muss ich mir Gedanken machen?“
„Machst du dir die nich sowieso?“
Er nickte lächelnd und nahm dann wieder seine Zimmertür in die Hand, was für üblich seine Art war zu zeigen, dass ein Gespräch abgeschlossen war.
„Schreib mir am besten alle Deails auf die du hast und lass sie mir zukommen“, murmelte er, „zusammen mit ein paar Donuts, wenn möglich.“
Noch bevor ich auch nur die Chance hatte etwas zu erwidern fiel die Tür ins Schloss. Eigentlich hätte ich mich freuen sollen. Immerhin hatte ich mir seit gestern Abend Sorgen gemacht, dass Garry etwas gegen den Plan hätte, doch seine Art allein sorge dafür, dass man Gespräche mit Garry nie wirklich erfreulich fand.
„Er is dabei“, informierte ich Orvik, als ich die Küche betrat.
Viel mehr als eine Mikrowelle und einen Wasserkocher besaß der Raum zwar nicht, doch damit war er immer noch mehr Küche als jedes andere Zimmer des Hauses. Orvik hatte bereits die Hälfte der Donuts selbst verputzt, was seine eigentlich selbstlose Geste sie zu besorgen wieder auf ein realistisches Maß zurück stutzte. Ich schnappte mir einen der übrigen Teigringe, einen Zettel und einen Stift und setzte mich ihm gegenüber an den Esstisch.
„Was wird das?“, fragte Orvik interessiert.
„Ich soll Garry die Details aufschreiben“, antwortete ich beiläufig und fing an Eckdaten zu notieren.
„Und außerdem will er noch was von den Donuts“, fuhr ich fort, als sich Orvik wieder an der Packung zu schaffen machte.
„Wieso hast du ihm verraten, dass ich welche geholt hab?“, raunte er enttäuscht und zog seine Hand wieder aus der Schachtel.
„Ich brauchte was um das Gespräch einzuleiten.“
„Apropos“, sagte Orvik und beäugte die Infos, die ich auf den Zettel kritzelte.
Ich war mir jedoch ziemlich sicher, dass man eine Handschrift wie meine über Kopf beim besten Willen nicht entziffern konnte.
„Woher hast du die Infos eigentlich?“
Ich war überrascht, dass mir weder Garry noch er diese Frage bis jetzt gestellt hatten.
„Corry hat den Funk von einem seiner Ex-Kollegen abgefangen.“
„Also schulden wir ihm dafür was?“
„Schätze nein“, erwiderte ich kopfschüttelnd.
Corry hatte nichts Derartiges erwähnt und er war einer der Typen, die Dinge gern von vornherein klar machten, was das arbeiten mit ihm recht angenehm gestaltete.
„Reicht ihm wohl, wenn wir als Gegenleistung seinen alten Kollegen in die Suppe spucken.“
Orvik gefiel die Antwort nicht, doch ich hatte ihm damit alles gesagt, was ich wusste.
„Nen Gefallen kostet immer“, murmelte er, „auf die eine, oder die andere Art.“
„So früh am Morgen schon philosophisch?“, lachte ich spöttisch, „normalerweise lässt du derart nebulöse Phrasen erst los, wenn du vier Bier intus hast.“
„Wenn du denkst, dass ich bis jetz nur die Donuts hier zu mir genommen hab, is dir nich mehr zu helfen“, gab er grinsend zurück.
Ich beschloss, dass ich diese Antwort gar nicht genauer erläutert haben wollte. Stattdessen überflog ich meine eigenen Notizen und versuchte mir ein Bild des Auftrages zu machen. Tatsächlich hatte ich bisher keinen Moment daran verschwendet das ganze selbst zu durchdenken.
Es war alles vorhanden. Eine Adresse, eine Uhrzeit und sogar eine Beschreibung der Gauner. Laut Corry war sein alter Partner der Kopf der ganzen Sache. Das eigentliche Team bestand hauptsächlich aus kleinen Tagedieben, die sich von Zeit zu Zeit ein bisschen Geld verdienten, indem sie sich als Schläger anboten. Keiner dieser Typen hatte das nötige Knowhow um einen Geldtransport zu knacken und es musste mindestens noch einen im Team geben, der mehr von seinem Fach verstand als ein üblicher Gauner.
Mir fielen eine Handvoll Leute ein, die man für einen derartigen Job ins Boot ziehen konnte, aber Corry wusste selbst nicht, wen sich sein alter Kollege diesmal geangelt hatte.
Gut bewaffnet schien die Mannschaft jedenfalls nicht zu sein. Corry hatte von einer gestohlenen Ladung Pistolen erzählt, die mit der Sache zusammenhängen könnte, aber mehr als eine Handvoll halbautomatischer Bleipumpen würde uns nicht erwarten.
Das klang auf den ersten Blick beruhigend, aber letzten Endes war es egal welches Kaliber das Gegenüber mit sich führte. Eine Kugel war eine tödliche Waffe, ganz gleich aus welchem Lauf sie stammt. Es war jedoch besser, sich diese Tatsache nicht ständig vor Augen zu führen.
Als ich meinen kleinen Notizzettel fertiggestellt hatte, schnappte ich mir noch die restlichen Donuts.
„Echt... zwei?“, raunte Garry und fischte sich den Notizzettel aus meiner Hand.
„Beschwer dich bei Orvik“, gab ich zurück.
„Was würde das bringen?“
Er wollte genauso wenig eine Antwort auf diese Frage wie ich eine Erwiderung auf meinen Tipp gewollt hatte und ich entschied mich dafür einfach still zu bleiben.
„Ich gehe die Informationen durch und mache einen Plan“, sagte Garry, während er das Gekritzel überflog.
Selbst wenn er es nicht hätte entziffern können, hätte er vermutlich so getan. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er irgendwo in seinem Müllhaufen von Zimmer irgendein Script herumliegen, das sogar damit fertig wurde.
„Kannst du was zum Mittag besorgen?“, fügte er hinzu.
„Koch dir doch was...“, entgegente ich forsch.
„Wer hat dir denn in den Brei gepisst?“
„Ich hab meinen Morgen damit verbracht zwischen dir und Orvik Slalom zu laufen, das würde jeden seiner Lebensfreude berauben“, antwortete ich.
„Das lasse ich einfach mal so stehen“, murmelte Garry und zog erneut die Tür vor meiner Nase zu.
Ich leistete seiner Bitte überraschender Weise sogar Folge. Nicht unbedingt seinetwegen, doch ich hatte selbst lange nichts Ordentliches mehr gegessen und alles war besser als den ganzen Tag in unserem Quartier zu verbringen.
Ich wusste selbst nicht, wieso ich derart angefressen war. Vielleicht war es einfach die Anspannung. Eigentlich hatte ich mich über die Gelegenheit gefreut selbst einen Auftrag zu besorgen, da Garry sonst immer der war, der Jobs an Land zog, doch nun fühlte ich mich verantwortlich für die ganze Sache und wer mochte schon Verantwortung.
Abgesehen davon war es eigentlich gar kein schlechter Tag. Es war warm genug um im Shirt auf die Straße zu gehen und die Sonne spendete durch eine dünne Wolkendecke angenehm gedämmtes Licht. Hier und da führte jemand seinen Hund Gassi oder hetzte geschäftig zum nächsten Supermarkt, doch die eigentlich belebte Hauptstraße, die von Broker Springs, durch Ridgewood hindurch direkt in die Heights führte, zeigte sich extrem ruhig. Einer der Vorteile des Lebens als Krimineller war es eben keine echte Arbeitswoche zu haben. Die Krankenversicherung konnte man vergessen, aber dafür sprengte die Gefahrenzulage alle Erwartungen.
Es war noch nicht lange her, dass Garry uns das Quartier in Ridgewood besorgt hatte. Vorher hatten wir aus einem Verschlag in Crows Pit heraus gearbeitet, was gegenüber Newport, dem Stadtteil aus dem ich ursprünglich stammte, sogar noch ein Abstieg gewesen war. Während man in Newport theoretisch zu jeder Zeit in eine Schlägerei verwickelt werden konnte und man in Crows Pit geradezu bescheuert sein musste um allein aus dem Haus zu gehen, war man hier für gewöhnlich der einzige in einem Radius von einem Kilometer, der eine Waffe bei sich trug. Man musste im Allgemeinen keine Angst vor unliebsamen Begegnungen haben, da selbst Kollegen, die einem hier über den Weg liefen, professionell genug waren um keine Schießerei auf offener Straße anzufangen.
Nach meinem kurzen Bummel entschied ich mich für einen kleinen Dönerladen, der ein halbes Dutzend Blocks von unserem Quartier entfernt war. Auf dem Weg hatte ich unzählige Asia-Schuppen passiert, aber ich konnte Reis und gebratene Nudeln einfach nicht mehr sehen. Vielleicht war ich dazu einfach noch zu neu im Team. Orviks Nahrungspyramide schien mittlerweile nur noch aus Teig und Rum zu bestehen und Garry... Was Garry aß, wollte ich eigentlich gar nicht so genau wissen.
„Drei große Kebap mit Schafskäse“, gab ich meine Bestellung bei dem Mann auf, der gelangweilt hinter der Theke saß und in seiner Zeitung stöberte.
Eigentlich war es nicht allzu außergewöhnlich sich um die Mittagszeit einen Döner zu besorgen, weshalb ich seine Verblüffung kaum nachvollziehen konnte. Ich überlegte einen kurzen Moment, ob Orvik und Garry eigentlich Schafskäse aßen, doch es hätte mich gewundert, wenn Garry irgendetwas nicht gegessen hätte und falls Orvik seinen Döner nicht mochte hieß das nur mehr für mich.
„Kräuter oder scharf?“, fragte der Mann, dessen harte Kinnpartie seine südliche Herkunft erahnen ließ, und klappte seine Zeitung zusammen.
„Scharf“, antwortete ich.
„Mit allem?“
Ich nickte.
„Kann n paar Minuten dauern“, warnte mich der Mann vor, doch das hatte ich mir bereits gedacht, als ich ihn mit der Zeitung in der Hand gesehen hatte.
„Dann nehm ich noch ne Limo“, fügte ich hinzu.
„Bedien dich“, erwiderte der Mann und zeigte auf den kleinen Kühlschrank neben der Theke, in dem man Softdrinks und Bier aufgereiht hatte.
Es war tatsächlich eine Weile her, seitdem ich eine kalte Limo hatte. Der Kühlschrank im Quartier war durchgängig mit Alkohol belegt und auch wenn das zum sonstigen Lebensstil der beiden passen würde, konsumierten sie keinerlei Softdrinks. Stattdessen beschränkte sich ihre Auswahl an unalkoholischen Getränken auf Leitungswasser, was vermutlich einfach ihrer Faulheit geschuldet war.
Ich überlegte kurz, ob ich den beiden noch etwas zu trinken mitbringen sollte, doch eigentlich war bereits der Döner das höchste der Gefühle.
Auch wenn Orvik noch so viel erzählte, wusste ich, dass er noch nicht ein einziges Mal Donuts besorgt hätte, wenn die Bäckerei mehr als zwanzig Schritte von unserem Hauseingang entfernt gewesen wäre.