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2. Einkaufskooperationen

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Kooperationen von Wettbewerbern beim Einkauf von Waren oder Dienstleistungen sind wettbewerblich ambivalent. Vor allem auf Märkten mit einem hohen Konzentrationsgrad auf der Anbieterseite und einer von kleinen und mittleren Unternehmen geprägten Nachfrage können Kooperationen von Nachfragern beim Einkauf den Wettbewerb beleben. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs bilden Einkaufskooperationen in derartigen Fällen ein bedeutsames Gegengewicht zur Verhandlungsmacht großer Anbieter und können sich somit in Form niedrigerer Preise zum Vorteil der Verbraucher auswirken.[96] Auch Kartellbehörden und nationale Gerichte stehen Einkaufskooperationen, vor allem von kleinen und mittleren Unternehmen, aufgrund der hiermit häufig einhergehenden Effizienzvorteile grundsätzlich positiv gegenüber.[97]

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Insbesondere im umgekehrten Fall, in dem große Nachfrager einer mittelständisch geprägten Anbieterseite gegenüberstehen, können Einkaufskooperationen aber auch schädlich für den Wettbewerb sein. Einkaufskooperationen können sich in solchen Fällen beispielsweise negativ auf die Angebotsvielfalt auswirken, indem sie übermäßigen Kostendruck erzeugen, der Investitions- und Innovationsanreize auf der Anbieterseite verringert oder sogar zum Ausscheiden von Anbietern aus dem Markt führt, wenn sie mit dem Kostendruck nicht mithalten können.[98] Zudem sinkt mit steigender Konzentration auf der Nachfrageseite die Wahrscheinlichkeit, dass die durch Einkaufskooperationen erzielten Einsparungen bei den Einkaufspreisen an die Verbraucher weitergegeben werden.[99] Das Bundeskartellamt beobachtet nach eigenen Angaben eine zunehmende Konzentration bei Einkaufskooperationen und greift Einkaufskooperationen in letzter Zeit auch verstärkt auf.[100]

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Aufgrund ihrer wettbewerblichen Ambivalenz bedürfen Einkaufskooperationen im Hinblick auf die mit ihnen verbundenen Wettbewerbsbeschränkungen auf der einen und die durch sie erzielbaren objektiven Effizienzvorteile auf der anderen Seite einer genauen Prüfung im Einzelfall. Trotz der in Summe häufig positiven Wirkungen von Einkaufskooperationen gibt es insbesondere kein kartellrechtliches Privileg für Einkaufskooperationen.[101] Hinzu kommt, dass Einkaufskooperationen, je nach Art der Kooperation, neben horizontalen auch vertikale Wettbewerbsbeschränkungen beinhalten können, z.B. wenn der gemeinsame Einkauf über eine selbstständige Gesellschaft, eine Unternehmensvereinigung oder ein von den Kooperationspartnern nicht kontrolliertes Gemeinschaftsunternehmen erfolgt.[102] In derartigen Fällen ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen, bei der in einem ersten Schritt das Horizontalverhältnis zwischen den an der Einkaufskooperation teilnehmenden Nachfragern und in einem zweiten Schritt das Vertikalverhältnis zwischen den teilnehmenden Nachfragern und der Einkaufsorganisation zu untersuchen ist.[103]

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Wettbewerbsbeschränkungen durch Einkaufskooperationen kommen grundsätzlich auf zwei Märkten bzw. Marktstufen in Betracht, zum einen auf dem Einkaufsmarkt, auf dem die Kooperationspartner als Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen deren Anbietern gegenüberstehen, und zum anderen auf dem nachgelagerten Verkaufsmarkt, auf dem die Kooperationspartner die Waren oder Dienstleistungen – ggf. in verarbeiteter Form – an Verbraucher bzw. die nächste Marktstufe weiterveräußern.[104]

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Eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem Einkaufsmarkt geht von Einkaufskooperationen i.d.R. schon deshalb aus, weil sie durch die Bündelung der Nachfrage die Anzahl der Absatzmöglichkeiten für die Anbieter auf diesem Markt verringert.[105] Das gilt besonders, wenn die Kooperationspartner auf einen selbstständigen Einkauf neben der Einkaufskooperation verzichten.[106] Eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem Einkaufsmarkt ist nur dann nicht zu erwarten, wenn die teilnehmenden Unternehmen erst durch die Einkaufskooperation Zugang zum Einkaufsmarkt erhalten, z.B. weil sie individuell die von den Anbietern geforderten Mindestabnahmemengen nicht erfüllen würden.[107] Der bloße Umstand, dass die Einkaufskooperation den teilnehmenden Unternehmen günstigere Einkaufspreise als bei individuellem Bezug ermöglicht, ist dagegen nicht geeignet, eine Wettbewerbsbeschränkung auszuschließen, kann aber aufgrund der hiermit verbundenen Effizienzvorteile zu einer Freistellung vom Kartellverbot führen.[108] Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Einkaufsmarkt können sich auch aus der Schaffung oder Bündelung von Nachfragemacht ergeben, wodurch die Angebotsvielfalt beeinträchtigt werden kann. Zudem können konkurrierende Nachfrager von notwendigen Bezugsquellen abgeschnitten werden, wenn die wesentlichen (effizienten) Anbieter auf dem Einkaufsmarkt durch Einkaufskooperationen gebunden sind und einen darüber hinausgehenden Bedarf nicht im erforderlichen Umfang decken können.[109]

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Wettbewerbsbeschränkungen auf einem nachgelagerten Verkaufsmarkt können zum einen unmittelbare Folge von Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Einkaufsmarkt sein. Beispielsweise kann ein Nachfrager auf dem Einkaufsmarkt, der durch die Einkaufsgemeinschaft von notwendigen Bezugsquellen abgeschnitten wird, auch auf dem nachgelagerten Verkaufsmarkt nicht wirksam mit den Teilnehmern der Einkaufsgemeinschaft konkurrieren. Durch die Einkaufsgemeinschaft verursachte Einschränkungen der Angebotsvielfalt wirken sich auf dem Einkaufsmarkt ebenso aus wie auf dem nachgelagerten Verkaufsmarkt. Darüber hinaus können sich aus Einkaufskooperationen selbstständige Wettbewerbsbeschränkungen auf nachgelagerten Märkten ergeben. Das gilt insbesondere für eine Koordinierung der Verkaufspreise. Diese kann sich nicht nur aus ausdrücklichen Vereinbarungen (z.B. über Mindestverkaufspreise)[110] oder einem Informationsaustausch[111] im Rahmen der Einkaufskooperation ergeben, sondern auch aus der Einkaufskooperation an sich, da der gemeinsame Einkauf gerade in Branchen, in denen die Einkaufspreise einen wesentlichen Teil der variablen Kosten ausmachen, neben der Angleichung der Einkaufspreise auch eine Angleichung der Verkaufspreise bewirken kann.[112]

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Aufgrund der mit Einkaufskooperationen verbundenen Effizienzvorteile kommt eine Freistellung vom Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB häufig in Betracht. Bei Einkaufskooperationen von kleinen und mittleren Unternehmen kann im deutschen Recht zudem § 3 GWB greifen. Im Rahmen ihrer Verwaltungspraxis zu Art. 101 Abs. 3 AEUV sieht die Europäische Kommission die Erfüllung der Freistellungsvoraussetzungen als wahrscheinlich an, wenn die Teilnehmer der Einkaufskooperation sowohl auf dem Einkaufsmarkt als auch auf den nachgelagerten Verkaufsmärkten einen geringen gemeinsamen Marktanteil von nicht mehr als 15 % haben.[113] Grund ist, dass wesentliche wettbewerbliche Bedenken bei Einkaufskooperationen mit der Schaffung von Marktmacht (auf den Einkaufs- und/oder Verkaufsmärkten) zusammenhängen, die bei derart geringen Marktanteilen aber unwahrscheinlich ist.

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Obwohl die Verwaltungspraxis der Europäischen Kommission für die nationalen Kartellbehörden und Gerichte nicht bindend ist, haben sich das Bundeskartellamt und teilweise auch die Rechtsprechung der Auffassung der Kommission angeschlossen.[114] Eine Freistellung kommt aber auch bei höheren gemeinsamen Marktanteilen im Einzelfall in Betracht, insbesondere wenn es darum geht, ein Gegengewicht zu starken Anbietern bzw. einer hohen Konzentration auf der Anbieterseite zu schaffen.[115] Freistellungsfähig sind in jedem Fall aber nur solche Wettbewerbsbeschränkungen, die zur Erzielung der mit der Einkaufsgemeinschaft angestrebten Effizienzvorteile unerlässlich sind (Art. 101 Abs. 3 AEUV/§ 2 Abs. 1 GWB). Aus diesem Grund scheidet die Freistellung einer Bezugspflicht über die Einkaufsgemeinschaft bei gleichzeitigem Ausschluss eines parallelen, eigenen Einkaufs der Teilnehmer regelmäßig aus[116] und kommt allenfalls in Betracht, wenn sie zur Erreichung des für die Erzielung von Größenvorteilen erforderlichen Einkaufsvolumens notwendig ist.[117]

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