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5. Forschungs- und Entwicklungskooperationen
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Kooperationen im Bereich der Forschung und Entwicklung werden kartellrechtlich grundsätzlich positiv beurteilt. Denn diese Kooperationen versetzen die beteiligten Unternehmen häufig erst in die Lage, in einem bestimmten Bereich Forschung und Entwicklung zu betreiben, z.B. weil die Unternehmen allein nicht über das erforderliche Know-how oder die notwendigen Mittel verfügen.[146] Das gilt besonders für Forschungs- und Entwicklungskooperationen kleiner und mittlerer Unternehmen.[147] Sind die beteiligten Unternehmen objektiv allein nicht in der Lage, das Forschungs- und Entwicklungsprojekt durchzuführen, handelt es sich nicht um (potentielle) Wettbewerber und von der Forschungs- und Entwicklungskooperation als solcher kann damit i.d.R. schon keine Wettbewerbsbeschränkung ausgehen.[148] Insoweit kommt der Arbeitsgemeinschaftsgedanke zum Tragen.[149]
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Sind die beteiligten Unternehmen dagegen auch individuell zur Durchführung des Forschungs- und Entwicklungsprojekts in der Lage, sind sie zwar als (potentielle) Wettbewerber anzusehen.[150] Auch in diesem Fall fehlt es aber häufig an einer (spürbaren) Wettbewerbsbeschränkung.[151] Abgesehen von Ausnahmefällen, in denen die Forschungs- und Entwicklungskooperation als Deckmantel für die Unterbindung eigenständiger Forschungs- und Entwicklungsbestrebungen oder andere bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen dient,[152] sind Wettbewerbsbeschränkungen durch Forschungs- und Entwicklungskooperationen eher unwahrscheinlich, sofern nicht mindestens eine der Parteien über Marktmacht auf einem der betroffenen Märkte verfügt oder der Innovationswettbewerb spürbar verringert wird.[153] Von Letzterem ist grundsätzlich nur auszugehen, wenn es wie z.B. im Pharmabereich von vornherein konkurrierende Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen (sog. „F&E-Pole“) gibt, deren Anzahl sich durch die Forschungs- und Entwicklungskooperation verringert.[154] Ansonsten gehen von reinen Forschungs- und Entwicklungskooperationen, bei denen sich die Parteien nicht auch im Hinblick auf die Verwertung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse koordinieren, regelmäßig keine Wettbewerbsbeschränkungen aus.[155] Das gilt besonders für Forschungs- und Entwicklungskooperationen in einem frühen Stadium, das weit entfernt ist von der Verwertung möglicher Ergebnisse.[156]
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Gehen von Forschungs- und Entwicklungskooperationen im Einzelfall Wettbewerbsbeschränkungen aus, kommt aufgrund der mit Forschungs- und Entwicklungskooperationen regelmäßig verbundenen Effizienzvorteile eine Freistellung vom Kartellverbot (Art. 101 Abs. 3 AEUV/§§ 2, 3 GWB) in Betracht.[157] Kooperationen ermöglichen durch die Bündelung von Know-how häufig einen schnelleren Abschluss der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sowie bessere Ergebnisse und fördern dadurch die Innovation.[158] Durch die Bündelung von Mitteln sinken für die Kooperationspartner zudem die individuellen Kosten und Risiken des Forschungs- und Entwicklungsprojekts, was im Ergebnis günstigere Produkte für die Abnehmer bzw. Verbraucher ermöglicht.[159]
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Da die Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB in der Praxis gleichwohl mit Rechtsunsicherheit verbunden ist, hat die Europäische Kommission Forschungs- und Entwicklungskooperationen in einer eigenen Gruppenfreistellungsverordnung („F&E-GVO“) geregelt.[160] Danach sind Forschungs- und Entwicklungskooperationen zwischen Wettbewerbern bis zu einem gemeinsamen Marktanteil der Parteien von höchstens 25 % auf den von der Kooperation betroffenen Märkten unter bestimmten Voraussetzungen vom Kartellverbot freigestellt (Art. 2, 4 Abs. 2 F&E-GVO). Sind die Parteien keine Wettbewerber gilt die Freistellung während der Forschungs- und Entwicklungsphase zunächst marktanteilsunabhängig (Art. 4 Abs. 1 S. 1 F&E-GVO). Mit Abschluss der gemeinsamen Forschung und Entwicklung werden die Parteien jedoch zu (potentiellen) Wettbewerbern. Kooperieren die Parteien auch bei der Verwertung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse, also z.B. bei der Lizensierung der gemeinsam entwickelten Technologien oder der Herstellung bzw. dem Vertrieb der hierauf beruhenden Produkte (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. a, g und m F&E-GVO), gilt die Freistellung deshalb nicht unbeschränkt weiter. Auch für die gemeinsame Verwertung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse greift die Marktanteilsschwelle von 25 %, wobei Unternehmen, die erst durch den Abschluss der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu Wettbewerbern werden, ein Übergangszeitraum von sieben Jahren eingeräumt wird, in dem die Ergebnisse ohne Rücksicht auf die Marktanteilsschwelle gemeinsam verwertet werden können (Art. 4 Abs. 1–3 F&E-GVO).
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Voraussetzung für die Freistellung nach der F&E-GVO ist insbesondere, dass die Parteien, abgesehen von etwaigen Einschränkungen während einer gemeinsamer Verwertung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse, uneingeschränkten Zugang zu den Endergebnissen sowohl zum Zwecke weiterer (auch eigenständiger) Forschung und Entwicklung als auch zum Zwecke der Verwertung erhalten (Art. 2 Abs. 4 F&E-GVO). Die gemeinsame Verwertung darf sich zudem nur auf (zumindest als Know-how geschützte) Ergebnisse beziehen, die zur Herstellung der aus der gemeinsamen Forschung und Entwicklung hervorgegangenen Produkte unerlässlich sind (vgl. Art. 3 Abs. 4 F&E-GVO). Hiermit soll verhindert werden, dass die gemeinsame Forschung und Entwicklung von den Parteien nur als Vorwand für eine umfassende Produktions- oder Vermarktungskooperation verwendet wird.[161]
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Die Forschungs- und Entwicklungskooperation darf auch keine sog. Kernbeschränkungen, d.h. besonders schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen, enthalten (vgl. Art. 5 F&E-GVO). Es muss den Parteien u.a. möglich sein, während der gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf anderen Gebieten auch unabhängig voneinander Forschung und Entwicklung zu betreiben und nach Abschluss der gemeinsamen Forschung und Entwicklung außerdem in hiermit zusammenhängenden Bereichen (Art. 5 lit. a) F&E-GVO). Kernbeschränkungen lassen die gesamte Freistellung nach der F&E-GVO entfallen.
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Darüber hinaus darf die Forschungs- und Entwicklungskooperation auch bestimmte weitere Formen von Wettbewerbsbeschränkungen nicht enthalten, sog. „graue“ Klauseln (Art. 6 F&E-GVO).[162] Diese führen zwar nicht zum Wegfall der Freistellung für die Forschungs- und Entwicklungskooperation, können aber für sich genommen gegen das Kartellverbot verstoßen.[163] Das gilt insbesondere für Nichtangriffsvereinbarungen in Bezug auf geistige Eigentumsrechte der Parteien (Art. 6 lit. a F&E-GVO).