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4. Arbeitsgemeinschaften
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Kooperieren Unternehmen z.B. in Form von Bieter-, Projekt- bzw. Arbeitsgemeinschaften, Konsortien oder Subunternehmerverträgen bei der Abgabe eines Angebots bzw. der Durchführung eines Auftrags, kann hierdurch Wettbewerb nicht nur beschränkt, sondern im Gegenteil unter bestimmten Voraussetzungen auch erweitert oder erst ermöglicht werden. Das betrifft vor allem, aber nicht ausschließlich, Kooperationen kleiner oder mittlerer Unternehmen.[127] Können die kooperierenden Unternehmen sich objektiv nicht unabhängig voneinander an einer Ausschreibung, einem Auftrag oder Projekt beteiligen, weil ihnen hierzu individuell etwa die Kapazitäten, das Know-how, die technischen Möglichkeiten oder die Finanzkraft fehlen, handelt es sich jedenfalls in Bezug auf den konkreten Auftrag bzw. das konkrete Projekt nicht um potentielle Wettbewerber.[128]
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Die Kooperation als solche kann keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, wenn sie die Unternehmen erst in die Lage versetzt, sich am Wettbewerb um den Auftrag oder das Projekt zu beteiligen. An einer Wettbewerbsbeschränkung mangels potentiellem Wettbewerbsverhältnis zwischen den kooperierenden Unternehmen fehlt es somit nicht nur, wenn Unternehmen unterschiedlicher Branchen oder Gewerke kooperieren,[129] sondern auch, wenn es sich um Unternehmen auf demselben relevanten Markt handelt, die den konkreten Auftrag bzw. das konkrete Projekt aber objektiv nicht allein durchführen können.[130]
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Dieser sog. Arbeitsgemeinschafts- oder Markterschließungsgedanke,[131] wonach die Kooperation als solche keine Wettbewerbsbeschränkung begründet und somit schon nicht unter das Kartellverbot fällt, wenn die kooperierenden Unternehmen den Auftrag bzw. das Projekt, worauf sich die Kooperation bezieht, nach objektiven Kriterien nicht unabhängig voneinander durchführen könnten, ist in der Verwaltungspraxis der Europäischen Kommission anerkannt.[132] Auch die (einzelfallgeprägte und bisher nicht ausdrücklich verallgemeinerte) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich in diesem Sinne auslegen.[133]
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Anerkannt ist der Arbeitsgemeinschaftsgedanke auch in der deutschen Rechtspraxis.[134] Die von der deutschen Rechtsprechung an die Zulässigkeit von Arbeitsgemeinschaften gestellten Anforderungen sind geringer als diejenigen im europäischen Recht. Die deutsche Rechtsprechung prüft Arbeitsgemeinschaften nicht streng unter dem Gesichtspunkt der Markterschließung. Es soll nicht darauf ankommen, ob die an der Arbeitsgemeinschaft beteiligten Unternehmen objektiv in der Lage wären, den Auftrag auch unabhängig voneinander durchzuführen, sondern darauf, ob die selbstständige Angebotsabgabe bzw. Auftragsdurchführung wirtschaftlich zweckmäßig und kaufmännisch vernünftig wäre.[135] Ist Letzteres nicht der Fall, soll die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, weil nach der Lebenserfahrung davon auszugehen sei, dass Unternehmen sich individuell nur dann an einer Ausschreibung oder einem Projekt beteiligen, wenn dies wirtschaftlich zweckmäßig und kaufmännisch vernünftig ist.[136]
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An einer Wettbewerbsbeschränkung fehlt es nach der deutschen Rechtsprechung somit nicht erst, wenn die Arbeitsgemeinschaft die beteiligten Unternehmen überhaupt in die Lage versetzt, ein Angebot abzugeben bzw. den Auftrag durchzuführen, sondern schon dann, wenn sie den beteiligten Unternehmen ermöglicht, ein erfolgversprechendes Angebot abzugeben.[137] Maßgeblich ist insoweit die subjektive Beurteilung der beteiligten Unternehmen, die von den Gerichten im Rahmen einer Gesamtwürdigung auf Grundlage objektiver Faktoren darauf überprüft wird, ob sie sich im Rahmen eines wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Handelns bewegt.[138] Den beteiligten Unternehmen wird bei der Bildung einer Arbeitsgemeinschaft somit eine Einschätzungsprärogative zuerkannt, die auf ihre Vertretbarkeit hin kontrolliert wird.[139]
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Das Bundeskartellamt hat diese Rechtsprechung schon früh kritisiert, weil sie den Unternehmen unter dem Gesichtspunkt der kaufmännischen Vernunft einen nur eingeschränkt überprüfbaren Spielraum bei der Bildung von Arbeitsgemeinschaften einräumt und kaufmännisch vernünftiges Verhalten sich nicht zwingend mit wettbewerbskonformem Verhalten decken muss.[140]
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Nach Auffassung des Bundeskartellamtes soll die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft daher nur dann keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
1. | Keines der beteiligten Unternehmen ist im Hinblick auf den konkreten Auftrag bzw. das konkrete Projekt alleine leistungsfähig, |
2. | die konkrete Zusammenarbeit stellt eine im Rahmen wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Handelns liegende Unternehmensentscheidung dar und |
3. | erst die Kooperation ermöglicht ein zusätzliches (für sich genommen wirtschaftlich leistungsfähiges) Angebot.[141] |
Mit der zweiten und dritten Voraussetzung greift das Bundeskartellamt zwar die Kriterien der deutschen Rechtsprechung (wirtschaftlich zweckmäßiges und kaufmännisch vernünftiges Handeln, Ermöglichung eines wettbewerbsfähigen Angebots) auf, stellt diese jedoch unter den Vorbehalt einer (objektiv) fehlenden individuellen Leistungsfähigkeit der beteiligten Unternehmen in Bezug auf den konkreten Auftrag bzw. das konkrete Projekt (1. Voraussetzung).[142] Damit entspricht die Praxis des Bundeskartellamtes im Wesentlichen derjenigen der Europäischen Kommission, die ebenfalls die objektiv fehlende individuelle Leistungsfähigkeit der an der Arbeitsgemeinschaft beteiligten Unternehmen als zentrales Kriterium für eine fehlende Wettbewerbsbeschränkung ansieht. Nach der deutschen Rechtsprechung kommt es dagegen nicht darauf an, ob die beteiligten Unternehmen auch für sich genommen zur Leistung in der Lage wären, sofern die Arbeitsgemeinschaft wirtschaftlich zweckmäßig und kaufmännisch vernünftig erscheint.[143]
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Für die Prüfung der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Arbeitsgemeinschaften ergibt sich hieraus ein praktisch bedeutsamer Unterschied: Dienen Arbeitsgemeinschaften nicht der Herstellung, sondern der Verbesserung der Leistungsfähigkeit der beteiligten Unternehmen in Bezug auf den konkreten Auftrag bzw. das konkrete Projekt, kann das nach der deutschen Rechtsprechung schon eine Wettbewerbsbeschränkung und damit die Anwendung des Kartellverbots von vornherein ausschließen. Nach der europäischen Rechtspraxis und der Auffassung des Bundeskartellamtes ist die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der beteiligten Unternehmen dagegen allein eine Frage der Freistellung vom Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 3 AEUV/§ 2, 3 GWB.[144]
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Die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft ist nach den Anforderungen der deutschen Rechtsprechung somit unter erheblich erleichterten Voraussetzungen möglich. Danach muss anhand objektiver Faktoren nur aufgezeigt werden, dass die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft wirtschaftlich zweckmäßig und kaufmännisch vernünftig ist, also ein wettbewerbsfähiges Angebot ermöglicht, wobei den beteiligten Unternehmen eine Einschätzungsprärogative zukommt. Dagegen müssen nach europäischem Recht und der Auffassung des Bundeskartellamtes, wenn die Arbeitsgemeinschaft nicht objektiv notwendig ist, um den beteiligten Unternehmen überhaupt ein Angebot bzw. die Durchführung des Auftrags zu ermöglichen, die Freistellungsvoraussetzungen nachgewiesen werden, was in der Praxis mit erheblichem Aufwand und Rechtsunsicherheit verbunden ist.[145]