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3. Produktionskooperationen
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Es gibt vielfältige Arten der Kooperation bei der Herstellung von Waren oder der Vorbereitung und Durchführung von Dienstleistungen.[118] In Betracht kommen neben der gemeinsamen Produktion (ggf. durch ein Gemeinschaftsunternehmen) insbesondere auch Zuliefervereinbarungen, bei denen ein anderes Unternehmen die Produktion im Auftrag des „Herstellers“ übernimmt, sowie Spezialisierungsvereinbarungen, bei denen Unternehmen (ggf. wechselseitig) die Produktion bestimmter Produkte einstellen und diese künftig beim jeweiligen Kooperationspartner beziehen.[119] Derartige Produktionskooperationen eröffnen weitreichende Möglichkeiten für Wettbewerbsbeschränkungen, können auf der anderen Seite aber auch zu erheblichen Effizienzgewinnen zum Vorteil der Verbraucher führen, die mit der Produktionskooperation verbundene Wettbewerbsbeschränkungen wieder aufwiegen und somit zu einer Freistellung vom Kartellverbot führen können.
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Typische Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit Produktionskooperationen können sich bspw. aus einer Verringerung der Produkt- bzw. Angebotsvielfalt, der Produktqualität, der Produktionsmenge oder des Innovationswettbewerbs sowie aus einer Abstimmung der Verkaufspreise oder – insbesondere im Falle der wechselseitigen Spezialisierung – aus einer Markt- oder Kundenaufteilung ergeben.[120] Schon der bloße Umstand, dass bei der Produktion kooperiert wird, kann zudem in wesentlichem Umfang zu einer Angleichung der Kosten der kooperierenden Unternehmen und somit zu vergleichbaren Ergebnissen führen wie eine Abstimmung über die Verkaufspreise, weil sich mit den Kosten häufig auch die Verkaufspreise der Unternehmen angleichen werden.[121]
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An einer Wettbewerbsbeschränkung wird es dagegen regelmäßig fehlen, wenn es sich bei den im Rahmen der Produktion kooperierenden Unternehmen nicht um (potentielle) Wettbewerber in Bezug auf die von der Kooperation betroffenen Produkte handelt. Das kommt vor allem in Betracht bei Zuliefervereinbarungen, bei denen ein Unternehmen als (bloßer) Auftragsfertiger für ein anderes Unternehmen auf dessen Weisung produziert. Die Europäische Kommission hat die Grundsätze ihrer – für die Gerichte und andere Kartellbehörden nicht bindenden – Verwaltungspraxis zu Zuliefervereinbarungen in einer Bekanntmachung zusammengefasst.[122] Danach sollen Zuliefervereinbarungen und im Zusammenhang damit getroffene Geheimhaltungsverpflichtungen sowie Verwendungsbeschränkungen des Auftragsfertigers in Bezug auf das im Rahmen des Auftrags offenbarte Know-how des Auftraggebers keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, sofern der Auftragsfertiger nicht unabhängig vom Auftrag über das erforderliche Know-How verfügt, um mit dem Auftraggeber in Wettbewerb zu treten.[123]
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Lassen sich Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit einer Produktionskooperation nicht ausschließen, kommt aufgrund der mit Produktionskooperationen regelmäßig verbundenen objektiven Effizienzvorteile häufig eine Freistellung vom Kartellverbot in Betracht. Produktionskooperationen ermöglichen es oft, günstiger zu produzieren, weil mit steigender Stückzahl die Grenzkosten des Outputs sinken.[124] Zudem kann die gemeinsame Produktion durch die Bündelung des Know-how der beteiligten Unternehmen die Produktqualität verbessern.[125]
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Da die Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB in der Praxis mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden ist, weil die kooperierenden Unternehmen die unbestimmten Freistellungsvoraussetzungen selbst beurteilen und im Zweifelsfall nachweisen müssen, hat die Europäische Kommission bestimmte Formen von Produktionskooperationen in der Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen („Spezialisierungs-GVO“)[126] geregelt. Diese bildet einen verbindlichen Rechtsrahmen auch im deutschen Recht (vgl. § 2 Abs. 2 GWB), der im Rahmen seiner Voraussetzungen eine rechtssichere Gestaltung von Produktionskooperationen ermöglicht.
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Die Spezialisierungs-GVO erfasst neben bestimmten Formen der Spezialisierung, bei denen einer der Kooperationspartner (oder beide gegenseitig in Bezug auf unterschiedliche Produkte) die Produktion bestimmter Produkte einstellt und diese künftig beim anderen Kooperationspartner bezieht, auch die gemeinsame Produktion (Art. 1 Abs. 1 lit. a bis d Spezialisierungs-GVO). Vereinbarungen über die einseitige oder gegenseitige Spezialisierung oder die gemeinsame Produktion sind vom Kartellverbot freigestellt, wenn der gemeinsame Marktanteil der beteiligten Unternehmen auf den von der Kooperation betroffenen Märkten 20 % nicht übersteigt (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Spezialisierungs-GVO). Die Vereinbarungen dürfen jedoch insbesondere nicht zu Markt- bzw. Kundenzuweisungen oder Absatzbeschränkungen führen, z.B. indem eine der Parteien nicht nur (im Rahmen der Spezialisierung) von der Produktion der betroffenen Produkte absieht, sondern sich ganz als Anbieter dieser Produkte vom Markt zurückzieht (Art. 4 lit. b und c Spezialisierungs-GVO). Aus diesem Grund müssen die Parteien Liefer- und Bezugsverpflichtungen vereinbaren, um sicherzustellen, dass beide Parteien als Anbieter auf dem Markt erhalten bleiben (Art. 1 Abs. 1 lit. b und c, EGr. 9 Spezialisierungs-GVO). Die Parteien können die von der Kooperation erfassten Produkte aber auch gemeinsam vertreiben (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. q, Art. 4 lit. a, EGr. 9 Spezialisierungs-GVO).