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8. Vergleiche, Abgrenzungsvereinbarungen und Schiedssprüche
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Als Vereinbarungen i.S.d. Kartellrechts fallen grundsätzlich auch Vergleiche, markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen sowie Schiedssprüche eines Schiedsgerichts unter das Kartellverbot, soweit sie Wettbewerbsbeschränkungen beinhalten.
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Es gibt kein allgemeines „Vergleichsprivileg“, wonach Vergleiche, die der Beilegung eines Rechtsstreits dienen, nicht unter das Kartellverbot fallen.[202] Unabhängig davon, ob es sich um gerichtliche oder außergerichtliche Vergleiche handelt, sind Vergleiche wie andere zivilrechtliche Verträge auch am Kartellverbot zu messen.[203] Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen lassen sich also nicht dadurch legitimieren, dass sie in Form eines Vergleichs geschlossen werden.[204]
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Eine Besonderheit gegenüber anderen Formen zivilrechtlicher Verträge besteht bei Vergleichen jedoch regelmäßig darin, dass sie zur Beseitigung einer bestehenden Rechtsunsicherheit geschlossen werden (vgl. § 779 BGB). Es stellt sich somit die Frage, ob den Parteien bei Abschluss eines Vergleichs aufgrund unsicherer Rechtslage ein kartellrechtlich möglicherweise eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist.[205]
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Besondere praktische Bedeutung hat die Frage eines Beurteilungsspielraums für Streitbeilegungsvereinbarungen im Zusammenhang mit gewerblichen Schutzrechten, mit denen langjährige rechtliche Auseinandersetzungen über die Reichweite von Patenten, Urheberrechten oder anderen Rechten des geistigen Eigentums vermieden werden.[206] Streitbeilegungsvereinbarungen können, insbesondere wenn sie zur unmittelbaren Lizensierung des streitbefangenen Schutzrechts führen, Wettbewerbshindernisse beseitigen, die sich im Zusammenhang mit der zeit- und kostenintensiven Klärung der Rechtslage ergeben würden.[207]
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fällt eine Streitbeilegungsvereinbarung deshalb nicht unter das Kartellverbot, wenn objektiv nachprüfbare, ernst zu nehmende Zweifel am Bestehen bzw. Nichtbestehen des streitgegenständlichen Anspruchs oder Rechts bestehen und die Vereinbarung nicht über das zur Überbrückung der Zweifel erforderliche Maß hinausgeht.[208] Hierbei soll es sich – vergleichbar der Rechtsprechung zu Wettbewerbsverboten in Unternehmenskauf- oder Subunternehmerverträgen – um eine tatbestandliche Einschränkung des Kartellverbots handeln.[209] Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt die Wertung zugrunde, dass die Parteien nicht gezwungen sein sollen, einen ggf. wirtschaftlich unvernünftigen Rechtsstreit zu führen, und ihnen die vom Gesetzgeber vorgesehene und geförderte Möglichkeit eines Vergleichs nicht abgeschnitten werden soll.[210] Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs deckt sich im Wesentlichen mit der früheren Praxis der Europäischen Kommission, wonach eine Streitbeilegungsvereinbarung, die eine Lizensierung des streitgegenständlichen Schutzrechts im Gegenzug für eine auf das Schutzrecht bezogene Nichtangriffsabrede, aber keine weitergehenden Wettbewerbsbeschränkungen vorsieht, unter der Voraussetzung vom Kartellverbot ausgenommen sein sollte, dass ernsthafte Zweifel am Bestand des Schutzrechts bestehen.[211]
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Eine tatbestandliche Reduktion des Kartellverbots für Streitbeilegungsvereinbarungen und andere Formen von Vergleichen, wie sie in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der früheren Praxis der Europäischen Kommission zum Ausdruck kommt, ist im Anwendungsbereich des EU-Kartellrechts jedoch zweifelhaft. Der Europäische Gerichtshof ist der früheren Praxis der Europäischen Kommission ausdrücklich entgegengetreten und hat betont, dass das Kartellverbot nicht zwischen Vereinbarungen, die der Beendigung eines Rechtsstreits dienen, und Vereinbarungen, die anderen Zwecken dienen, unterscheidet.[212] Auch die Europäische Kommission geht in ihrer jüngeren Praxis zu Streitbeilegungsvereinbarungen von einer Gleichstellung mit anderen Formen von Vereinbarungen und nicht von einer tatbestandlichen Ausnahme vom Kartellverbot aus.[213] Zumindest im Anwendungsbereich des EU-Kartellrechts fallen Wettbewerbsbeschränkungen in Streitbeilegungsvereinbarungen und anderen Arten von Vergleichen somit unter das Kartellverbot und können erst auf Ebene der Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV (vgl. § 2 Abs. 1 GWB) durch mit der Streitbeilegung einhergehende objektive Effizienzvorteile (z.B. den früheren Markteintritt eines Unternehmens, das zugunsten einer Lizenzvereinbarung auf eine langjährige Anfechtung des lizensierten Schutzrechts verzichtet) ggf. gerechtfertigt werden.
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Kartellrechtlich unproblematisch ist in Streitbeilegungsvereinbarungen damit nur die reine Lizenzvergabe am streitgegenständlichen Schutzrecht, weil die Wettbewerbsmöglichkeiten durch das hiermit verbundene Nutzungsrecht nicht eingeschränkt, sondern erweitert werden.[214] Alle weiteren Regelungen in Streitbeilegungsvereinbarungen einschließlich der hierin ggf. vereinbarten Zahlungen bedürfen einer einzelfallspezifischen Prüfung auf Wettbewerbsbeschränkungen und etwaige Effizienzvorteile, die Wettbewerbsbeschränkungen i.S.v. Art. 101 Abs. 3 AEUV rechtfertigen könnten.[215] Dabei kommt es in erster Linie darauf an, ob und inwieweit es sich bei den Parteien um (potentielle) Wettbewerber handelt, da Lizenzvereinbarungen zwischen Wettbewerbern insbesondere zur Marktaufteilung und zum Abkauf von Wettbewerb, also z.B. dem vergüteten Verzicht auf die Nutzung des lizensierten Rechts für eine bestimmte Zeit („pay for delay“) oder einen bestimmten Anwendungsbereich, genutzt werden können.[216]
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Die Europäische Kommission erkennt aber an, dass eine Nichtangriffsabrede in Bezug auf das lizensierte Recht i.d.R. erforderlich sein wird, um sich überhaupt auf eine Lizensierung einigen zu können. Nichtangriffsabreden in Lizenzvereinbarungen sollen daher i.d.R. nicht wettbewerbsbeschränkend i.S.v. Art. 101 Abs. 1 AEUV sein.[217] Das läuft zwar wieder auf eine tatbestandliche Reduktion des Kartellverbots hinaus, allerdings nur bezogen auf die mit der Lizensierung als kartellrechtsneutralem Hauptzweck notwendigerweise einhergehende Nichtangriffsabrede und nicht (wie nach der früheren, vom Europäischen Gerichtshof abgelehnten Kommissionspraxis) bezogen auf die Streitbeilegungsvereinbarung als Ganzes.
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Für die Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV gilt, dass durch die Vorteile der Streitbeilegung bzw. eines Vergleichs regelmäßig nur Beschränkungen aufgewogen werden können, die sich aus dem Streitgegenstand ergeben, nicht jedoch darüber hinausgehende Beschränkungen.[218] In einer Streitbeilegungsvereinbarung können somit grundsätzlich nur Beschränkungen vorgesehen werden, die sich aus dem Schutzumfang des streitgegenständlichen gewerblichen Schutzrechts ergeben würden.[219] Die Vereinbarung weitergehender Beschränkungen wird durch die vorzeitige Erledigung des Rechtsstreits regelmäßig nicht zu rechtfertigen sein. Insoweit wird es schon an der „Unerlässlichkeit“ der Wettbewerbsbeschränkung für die mit der Erledigung verbundenen Effizienzvorteile i.S.v. Art. 101 Abs. 3 AEUV fehlen.[220] In Betracht kommt jedoch die Einbeziehung paralleler Schutzrechte (z.B. für weitere Länder) in die Streitbeilegungsvereinbarung, bei denen sich die Streitfrage ebenfalls stellt.[221]
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Für markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen, mit denen zwei Markenrechtsinhaber den Schutzumfang identischer oder ähnlicher Marken gegeneinander abgrenzen, um einen (weiteren) Rechtsstreit zu vermeiden,[222] gilt im Ergebnis nichts anderes als für Streitbeilegungsvereinbarungen. Abgrenzungsvereinbarungen zwischen Wettbewerbern können wie Streitbeilegungsvereinbarungen insbesondere zu einer Wettbewerbsbeschränkung in Form der Marktaufteilung führen.[223] Sofern sie nicht im Sinne einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung als Deckmantel für eine Marktaufteilung oder andere schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen verwendet werden, sind Abgrenzungsvereinbarungen aber häufig durch objektive Effizienzvorteile i.S.v. Art. 101 Abs. 3 AEUV/§ 2 GWB gerechtfertigt, weil sie den Parteien eine rechtssichere Verwendung ihrer Marken im Rechtsverkehr ermöglichen und ihnen erlauben, das mit der Marke verbundene Wettbewerbspotential auszuschöpfen.[224]
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Außerdem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Parteien einer Abgrenzungsvereinbarung nicht zwangsläufig um (potentielle) Wettbewerber handelt. Aus dem bloßen Umstand, dass die Parteien ihre Marken gegeneinander abgrenzen (müssen), folgt nicht schon ein Wettbewerbsverhältnis im kartellrechtlichen Sinne, da sich der Schutzumfang einer Marke durch die Eintragung bestimmt und insbesondere auch auf ähnliche Waren oder Dienstleistungen erstreckt (vgl. § 14 Abs. 2 MarkenG), während es für ein Wettbewerbsverhältnis auf die Austauschbarkeit der Produkte aus Sicht der Marktgegenseite ankommt (Bedarfsmarktkonzept).[225]
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Die Parteien von Abgrenzungsvereinbarungen werden grundsätzlich auch nicht von der Tätigkeit auf bestimmten Märkten ausgeschlossen, weil eine Abgrenzungsvereinbarung nur dem Vertrieb von Produkten unter der betreffenden Marke, nicht aber den Vertrieb unter anderen, nicht von der Abgrenzungsvereinbarungen erfassten Marken entgegensteht.[226] Abgrenzungsvereinbarungen betreffen nicht den Marktzugang als solchen, sondern nur die Möglichkeit, mit einer bestimmten Marke zu werben.[227] Deshalb enthalten Abgrenzungsvereinbarungen häufig schon keine spürbaren Wettbewerbsbeschränkungen.[228] Vor diesem Hintergrund werden Abgrenzungsvereinbarungen sowohl in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als auch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kartellrechtlich grundsätzlich positiv beurteilt.[229]
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Neben einvernehmlichen Regelungen zur Streitbeilegung können auch Schiedssprüche eines Schiedsgerichts zu kartellrechtswidrigen Ergebnissen führen. Die Befolgung eines Schiedsspruchs schützt nicht vor Kartellverstößen.[230] Steht ein Schiedsspruch im Widerspruch zum Kartellverbot, steht dies der Anerkennung des Schiedsspruchs entgegen und bedingt die Aufhebung des Schiedsspruchs durch die nationalen Gerichte (vgl. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO).[231] Das Kartellverbot zählt zum „ordre public“ und lässt sich daher auch im Rahmen der Rechtswahl in der Schiedsabrede nicht abbedingen.[232] Aus diesem Grund ist auch die Vollstreckung eines dem Kartellverbot widersprechenden Schiedsspruches zu versagen und ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung von den nationalen Gerichten abzulehnen.[233]