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aa) Preisbindung zulasten der Abnehmer
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Als Kernbeschränkung nach Art. 4 lit. a Vertikal-GVO sind vertikale Preisbindungen zulasten der Abnehmer (Preisbindung der zweiten Hand)[133] zu qualifizieren. Beschränkungen der Preisbildungsfreiheit des Anbieters/Lieferanten (Preisbindung der ersten Hand) z.B. in Form von Bestpreisklauseln, wonach der Anbieter (auch) dem Abnehmer stets seinen günstigsten Preis anbieten muss, stellen keine Kernbeschränkung i.S.d Vertikal-GVO dar.[134] Dies bedeutet aber nicht, dass solche Regelungen keine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellen, sondern lediglich, dass Preisbindungen zulasten der Anbieter – im Unterschied zu Preisbindungen der zweiten Hand – einer Freistellung nach der Vertikal-GVO zugänglich sind.
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Eindeutig erfüllt ist das Preisbindungsverbot i.S.d. Vertikal-GVO, wenn Fest- oder Mindestpreise für den Weiterverkauf der gelieferten Produkte durch den Abnehmer (Händler) unmittelbar vorgegeben oder vereinbart werden. Nicht freistellungsfähig sind dabei sowohl Vorgaben des Lieferanten (Hersteller oder Großhändler) gegenüber dem Händler, die einheitlich gebundene Preise gegenüber dessen Kunden vorsehen, als auch solche, die den Händler zu einer differenzierten Preisgestaltung nach Käufergruppen oder Absatzkanälen verpflichten (z.B. Preisdifferenzierung für Verkäufe des Händlers in seinem Ladengeschäft und Online).[135] Unzulässig sind demnach etwa die nachstehend beispielhaft aufgeführten Abreden:[136]
Unmittelbare Festlegung der Mindestpreise:
– | „Der Normalpreis beträgt 2,89 EUR, der Aktionspreis mindestens 2,59 EUR.“ |
– | „Die UVP darf um maximal 3 % unterschritten werden.“ |
Anknüpfung an die Preise von Dritten:
– | „Der Normalpreis darf den Wiederverkaufspreis des Händlers Y nicht unterschreiten.“ |
– | „Der Wiederverkaufspreis von mindestens 2,89 EUR wird nicht unterschritten, solange sich die wesentlichen Wettbewerber X und Y an die UVP halten.“ |
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Eine unzulässige Preisbindung in diesem Sinne liegt nach dem Wortlaut von Art. 4 Vertikal-GVO auch dann vor, wenn Weiterverkaufspreise nur mittelbar oder indirekt gebunden werden.[137] Die nach Art. 4 lit. a Vertikal-GVO missbilligte Beschränkung der Preissetzungsfreiheit des Abnehmers gegenüber seinen Kunden erstreckt sich deshalb nicht nur auf die End- oder Abgabepreise des Händlers, sondern erfasst bereits die Bindung einzelner Preisbestandteile und anderer preisbildender Faktoren.[138] Eine indirekte bzw. mittelbare Preisbindung liegt beispielsweise in folgenden Fällen vor:[139]
Abmachungen über Absatzspannen oder Nachlässe, die der Händler auf ein vorgegebenes Preisniveau höchstens gewähren darf:
– | „Der Wiederverkaufspreis wird durch den netto/netto Einkaufspreis zuzüglich 25 % gebildet.“ |
– | „Der Wiederverkaufspreise muss zwischen 80 EUR und 100 EUR liegen.“ |
– | „Der Aktionspreis darf die UVP nicht um mehr als 20 % unterschreiten.“ |
Bestimmungen, nach denen die Gewährung von Nachlässen oder die Erstattung von Werbeaufwendungen von der Umsetzung eines vorgegebenen Preisniveaus abhängig gemacht wird (s. auch unten zur sog. „Preispflege“).
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In der Praxis kommt es häufig zu Diskussionen über Deckungsbeiträge. Ausgehend vom Preisbindungsverbot stellt sich dabei zum einen die Frage, inwieweit der Hersteller in diesbezüglichen Gesprächen das Risiko für eine Fehleinschätzung des zukünftigen Marktpreises übernehmen, also eine (Mindest-)Spanne des Händlers garantieren darf. Zum anderen erscheint fraglich, ob der Händler daran gehindert ist, in Nachverhandlungen einen Ausgleich vom Hersteller zu fordern, wenn sich Spannenerwartungen nicht realisieren ließen.[140] Zwar sind derartige Garantien oder Ausgleichsforderungen, sofern sie „im freien Spiel der Kräfte“ zustande kommen, dem Grunde nach kartellrechtlich zulässig. Die konkrete Ausgestaltung kann im Lichte des Preisbindungsverbots dennoch problematisch sein.[141]
Beispiele: Spannengarantie/Kompensation
– | So kann die Spannengarantie eines Herstellers als Zusicherung dafür gewertet werden, dass der Handel eine UVP insgesamt umsetzt. Die individuelle Zusicherung dürfte dabei regelmäßig bereits als nach § 21 Abs. 2 GWB unzulässige Anreizgewährung qualifiziert werden.[142] Geht der Händler auf ein solches Angebot ein, läge eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung i.S.v. Art. 101 Abs. 1 AEUV/§ 1 GWB vor. |
– | Als unproblematisch erachtet das BKartA dagegen nachträgliche Forderungen des Handels nach einer wirtschaftlichen Kompensation für enttäuschte Ertragserwartungen: „Die Forderungen des Händlers können [. . .] bei entsprechend starker Marktposition unter dem Aspekt der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende oder marktstarke Unternehmen problematisch sein. Für sich genommen vermitteln sie aber noch keinen hinreichenden Schluss auf eine kartellrechtswidrige Vereinbarung über die Verkaufspreise des Händlers. Hierfür müssen vielmehr weitere Anhaltspunkte hinzukommen.“[143] |
– | Weist der Händler den Hersteller darauf hin, dass seine Konkurrenten die UVP nicht befolgen, könnte dies dahingehend verstanden werden, dass der Händler die Preisbindung des Herstellers billigt und ihn im Sinne einer Bedingung für die Umsetzung auffordert, für die Einhaltung des Preisniveaus durch die Konkurrenten zu sorgen („Preismoderation“).[144] |
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Die Wirksamkeit direkter wie indirekter Maßnahmen zur Preisfestsetzung wird erhöht, wenn der Lieferant sie mit Maßnahmen zur Preisüberwachung kombiniert oder die Händler verpflichtet, Mitglieder des Vertriebsnetzes zu melden, die vom Standardpreisniveau abweichen.[145] Kartellrechtliche Bedenken der Europäischen Kommission bestehen dabei insbesondere mit Blick auf den Online-Handel: Der Abschlussbericht zur Sektoruntersuchung E-Commerce hebt hervor, dass die Preistransparenz im Internet und die Entwicklung von Preisbeobachtungssoftware die Identifikation von abweichendem Preissetzungsverhalten der Händler stark vereinfacht habe.[146] Diese Bedenken dürften ganz besonders bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Preisempfehlungen des Herstellers zum Tragen kommen (s. sogleich).
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Beschränkungen des Händlers bei der Bewerbung von Preisen sind grundsätzlich nicht anders zu behandeln als die Einwirkung auf die Preisbildung selbst.[147] Dieser Grundsatz wurde jüngst durch mehrere Entscheidungen der britischen Kartellbehörde (Competition and Market Authority, „CMA“), bestätigt. Diese hat Hersteller sanktioniert, die ihren Händlern vorgeschrieben hatten, zu welchen Preisen sie Produkte im Internet mindestens bewerben müssen (sog. Minimum Advertised Price „MAP“).[148] Das Bundeskartellamt hat entsprechende Verhaltensweisen zuletzt im sog. Matratzenfall (2014-2015) sanktioniert und Bußgelder in Höhe von ca. 27 Mio. EUR verhängt.[149]
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Als etwaig faktische Preisbindung wird auch der Aufdruck von UVP auf Verpackungen diskutiert. Nach Einschätzung der Kommission soll ein entsprechender Aufdruck den Anreiz der Händler zur Preissenkung verringern.[150] Nach Ansicht des BGH kann ein Packungsaufdruck jedenfalls in Verbindung mit flankierenden Werbemaßnahmen als faktische Preisbindung wirken, wenn die Verbindung von Aufdruck und Werbung Abweichungsmöglichkeiten faktisch beschränkt.[151] Diese Rechtsauffassung erscheint fraglich. Schon die Annahme, der Anreiz der Händler zur Preissenkung werde verringert, überzeugt nicht uneingeschränkt. Vielmehr erscheint auch das Gegenteil plausibel: So macht gerade die aufgedruckte UVP Preissenkungen attraktiv, weil sich Händler gegenüber Kunden als besonders preisgünstig positionieren können.[152] Demgegenüber wird argumentiert, dass entsprechende Aufdrucke Anreize zur Preissenkung verringern. Dem lässt sich entgegenhalten, dass Höchstpreisbindungen grds. zulässig sind (Art. 4 lit. a Vertikal-GVO) und aufgedruckte UVP ähnlich wirken bzw. jedenfalls höheren Preisen entgegenstehen. Vor diesem Hintergrund dürften entsprechende Aufdrucke v.a. in Verbindung mit anderen, unmittelbaren oder mittelbaren Maßnahmen, die die Preissetzungsfreiheit des Handels faktisch beschränken, als unzulässige vertikale Preisbindung zu qualifizieren sein.[153]