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cc) Faktische Preisbindung durch Druck oder Anreize als Grenzen der zulässigen Preise
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Nach Art. 4 lit. a 2. HS sind Höchstpreise und UVP dann als Kernbeschränkung zu qualifizieren, wenn sie infolge der Ausübung von Druck oder der Gewährung von Anreizen faktisch wie Fest- oder Mindestverkaufspreise wirken, also die Preissetzungsfreiheit des Abnehmers in einer mit Fest- oder Mindestpreisbindungen vergleichbaren Intensität beschränken.[183] Im Sinne eines Umgehungsverbots soll damit verhindert werden, dass das Preisbindungsverbot durch Höchstpreise und UVP unterlaufen wird, die wie gebundene Preise wirken.[184]
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Ob eine solche faktische Wirkung anzunehmen ist, ist nach der Rechtsprechung des EuGH durch eine umfassende Einzelfallwürdigung festzustellen. Dabei sind sämtliche vertraglichen Verpflichtungen sowie das Verhalten der Parteien einzubeziehen.[185] Aus diesem Ansatz folgt eine gewisse Rechtsunsicherheit, zumal die Vertikal-LL nur grobe Anhaltspunkte liefern. Für in Deutschland tätige Unternehmen wird diese Unsicherheit zumindest teilweise dadurch beseitigt, dass die Praxis des BKartA in den letzten Jahren eine weitreichende Kasuistik zur Behandlung von de facto-Preisbindungen hervorgebracht hat.[186]
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Im Falle einer Gewährung von Anreizen wird eine Preisunterbietung oder -abweichung durch (wirtschaftliche) Vorteile faktisch verhindert, die dem Händler bei Einhaltung eines bestimmten Preises in Aussicht gestellt werden.[187] So können Lieferanten/Hersteller etwa durch die Gewährung von Boni oder Rabatten,[188] Kick-Back-Zahlungen[189] oder Werbekostenzuschüssen für den Händler derart starke finanzielle Anreize schaffen, dass dieser aus wirtschaftlichen Erwägungen von seiner rechtlich gegebenen Preissetzungsfreiheit faktisch keinen Gebrauch macht.[190]
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Die Ausübung von Druck liegt demgegenüber vor, wenn der Anbieter seine Abnehmer (Händler) durch Androhungen, Einschüchterungen und Sanktionsmaßnahmen zur Einhaltung eines bestimmten Preisniveaus beim Weiterverkauf der Waren „bewegt“. Dabei sind sämtliche Vorkehrungen erfasst, die dem Händler für den Fall des Abweichens Nachteile auferlegen, also von einer Verknappung der Liefermenge[191] über Lieferverzögerungen[192] und Liefersperren[193] bis hin zur Vertragskündigung.[194] Als weitere Nachteile wurden in der Praxis etwa eine Verschlechterung der Einkaufskonditionen sowie unterschiedliche Beschränkungen des Online-Vertriebs (etwa Sperrung bei Online-Plattformen wie eBay) bewertet.[195]
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Im Hinweispapier LEH betont das BKartA, dass es für die Annahme einer verbotenen Preisbindung nicht erforderlich ist, dass unter dem Einfluss von Druck oder Anreizen tatsächlich eine Veränderung der Preisstellung zustande kommt.[196] Vom Kartellverbot sollen vielmehr auch solche Verhaltensweisen erfasst sein, die auf einem gleichgerichteten Interesse beider Seiten beruhen.[197] Denn ein Händler lasse sich auf eine Verpflichtung zu einer bestimmten Gestaltung der Weiterverkaufspreise regelmäßig nur in der Erwartung ein, der Hersteller werde auch konkurrierende Händler zu entsprechenden Zusagen bewegen.[198]
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In Deutschland ist der Hersteller einem Zuwiderhandlungsrisiko auch dann ausgesetzt, wenn es nicht zu einer solchen Übereinkunft kommt. Nach § 21 Abs. 2 GWB und der sehr weitgehenden[199] Rechtsauffassung des BKartA soll nach Übersendung einer unverbindlichen Preisempfehlung bereits jedes Gespräch des Lieferanten mit Händlern über deren Preisgestaltung als nach § 21 Abs. 2 GWB unzulässige Einflussnahme anzusehen sein.[200] Ob dies zutreffend ist, hat der BGH zwar ausdrücklich offengelassen, jedoch klargestellt, dass ein Verstoß gegen § 21 Abs. 2 GWB jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn der Händler eine Kontaktaufnahme durch den Hersteller nur dahingehend verstehen kann, dass dieser gegen die Unterschreitung seiner unverbindlichen Preisempfehlung interveniert.[201]
Beispiel:
– | Der Händler unterschreitet die UVP des Herstellers für Rucksäcke und Schulranzen deutlich. Daraufhin wird der Händler von einem Außendienstmitarbeiter des Herstellers angerufen, der ihm mitteilt, er könne die Preiskalkulation des Klägers für bestimmte Rucksäcke „betriebswirtschaftlich nicht nachvollziehen“. |
– | Auf die Frage des Händlers, ob dies bedeute, dass der Hersteller ihn nicht mehr beliefern werde, antwortet der Außendienstmitarbeiter nur, dies nicht gesagt zu haben. Er wiederholt seine Aussage zur wirtschaftlichen Nachvollziehbarkeit und äußert sich nicht zur weiteren Belieferung des Händlers. |
– | Nach der Rechtsprechung habe der Händler den Anruf des Herstellers nur so verstehen können, dass dieser angesichts der erheblichen Abweichung der Preise des Händlers im Interesse einer Preisangleichung intervenierte, so dass eine unzulässige Preisbindung angenommen wurde. |
– | Zu beachten ist ein aktuelles Urteil des OLG Düsseldorf v. 27.9.2019 in einem Kartellzivilverfahren (VI-U (Kart) 3/19 „Reuter/Cor“, noch nicht veröffentlicht). Hiernach sei die Auffassung des BKartA nicht vertretbar, bereits in jeder Thematisierung von UVP (nach ihrer einmaligen Erläuterung) eine unzulässige Druckausübung zu sehen. Das OLG Düsseldorf hat strengere Voraussetzungen für die Annahme einer Vereinbarung i.S.d. Kartellverbots gestellt und auch der Umsetzung von UVP durch den Handel erhebliche Bedeutung beigemessen. Angesichts der Praxis des BKartA sowie der Rechtsprechung des BGH dürfte dieses Urteil zwar den wissenschaftlichen Diskurs intensivieren, die Praxis einstweilen aber nicht beeinflussen, die sich weiter am BKartA orientieren sollte. |
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Der Adressat der Druckausübung oder Vorteilsauslobung muss kein Bußgeld befürchten, „so lange er nicht auf den Vorschlag einer Preisbindung eingeht.“[202] Auch wenn diese Äußerung des BKartA Gegenteiliges suggeriert, kann es dem Abnehmer im Einzelfall durchaus erhebliche Schwierigkeiten bereiten, ein Bußgeld abzuwenden. Anders als es mit Blick auf die Äußerung des BKartA naheliegt („nicht eingehen“), wird bloße Passivität vielfach nicht ausreichen:[203]
Druck und Anreize – Verhaltensempfehlungen des BKartA:
– | Das BKartA legt betroffenen Händlern nahe, sich dem Versuch der Einflussnahme zunächst unter Hinweis auf die Freiheit der Preisbestimmung zu widersetzen. Zu Nachweiszwecken sollten sowohl das ggf. rechtswidrige Ansinnen des preisbindenden Anbieters als auch die abwehrende Reaktion des Händlers klar dokumentiert werden: „Wir weisen darauf hin, dass uns die Hoheit der Preisbestimmung obliegt und jegliche Beeinträchtigung unserer Preissetzungsfreiheit verboten ist. Wir weisen Ihren Vorschlag daher zurück und fordern Sie auf, künftig von solchen Forderungen Abstand zu nehmen.“ |
– | Ergänzend empfiehlt das BKartA, „erforderlichenfalls“ die Kartellbehörden einzuschalten. |
– | Kommt eine Zurückweisung „ausnahmsweise nicht als realistische Handlungsoption“ in Betracht (etwa weil ein Händler von der Belieferung durch einen Hersteller abhängig ist), sollte zumindest die Drohung dokumentiert werden. In einem ggf. nachfolgenden Kartellverfahren könne so nachgewiesen werden, dass die Initiative zur Preisbindung nicht vom Händler ausging. Dies könne zugunsten des Händlers Berücksichtigung finden, der formal aber ebenso am Kartellverstoß beteiligt wäre wie der Hersteller. |