Читать книгу Die Anbetung der Könige - Maximilian Mondel - Страница 12

EIN ARGER IMAGESCHADEN

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Das Da-Vinci-Gemälde ist weg! Gestohlen! Die Polizei ist bereits alarmiert! Sie müsste in zehn Minuten hier sein. Es ist eine Katastrophe«, brüllte Bruzzo ins Telefon, nachdem ihn Gasperini angerufen hatte, um ihm zu erklären, dass die Mitarbeiter von Mondo Animali verschwunden seien. Bevor Gasperini auch nur reagieren konnte, ließ Bruzzo eine Serie wüster Fäkalausdrücke auf seinen Mitarbeiter niederprasseln, atmete einmal tief durch und beendete dann das Telefonat grußlos.

Als Direttore Collocini wenige Sekunden später erfuhr, dass die »Anbetung der Könige« entwendet worden war, sagte er erst einmal gar nichts. Zu viele Gedanken auf einmal schwirrten ihm durch den Kopf, und nach Sekunden, die sich wie eine halbe Ewigkeit anfühlten, bat er Bruzzo, den Notfallplan in Kraft zu setzen: Poletti solle umgehend informiert, die Polizei herbeigerufen und die Versicherung in Kenntnis gesetzt werden. Er malte sich schon die Häme der Presse und der Konkurrenz und den Niedergang des Opificio delle Pietre Dure aus. Was für eine verdammte Scheiße, dachte sich auch Bruzzo und schickte ein Stoßgebet in Richtung Himmel, dass ihn der dreiste Diebstahl und die animalischen Umstände nicht den Job kosteten.

Eine Stunde später fand sich im großzügigen Büro von Maurizio Collocini eine illustre Runde ein: Neben dem Direktor des Opificio delle Pietre Dure, dem kaufmännischen Direktor Massimo Poletti und Chefportier Bruzzo waren Domenico Dal Fiesco, Capitano der Carabinieri, sowie Marcello Donati, Brigadiere der Carabinieri, zugegen. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde erläuterte Collocini die Ereignisse der vergangenen 20 Stunden im Zeitraffer. »Ein aus jetziger Sicht simpler Trick: Man stiftet Verwirrung und schlägt dann unerwartet zu«, zog er eine erste Bilanz.

Bevor die Polizeibeamten auch nur eine Frage stellen konnten, flehte der kaufmännische Direktor Poletti die beiden förmlich an: »Helfen Sie uns! Für das Opificio delle Pietre Dure ist der Verlust des Bildes eine Katastrophe, für die Kunstwelt sowieso. Unser Image steht auf dem Spiel. Kein Museum und kein Sammler der Welt wird uns jemals wieder ein Gemälde zur Restaurierung überlassen, wenn sie Angst haben müssen …«

Mit höflicher, aber nachdrücklich abwehrender Handbewegung schaltete sich nun Capitano Dal Fiesco, ein gertenschlanker, mittelgroßer Mann mit pechschwarzem Bürstenhaarschnitt und perfekt sitzender Uniform, ins Gespräch ein.

»Im Fall von Kunstraub ist Zeit ein ganz entscheidender Faktor. Brigadiere Donati und meine Wenigkeit werden jetzt in aller Detailliertheit die Fakten aufnehmen und dazu jeden Einzelnen von Ihnen befragen. Wir würden uns auch gern die Überwachungsvideos der – sagen wir – vergangenen 24 Stunden anschauen. Und dafür werden wir Verstärkung herbeiholen.«

Ein Blick in Richtung Donati verdeutlichte diesem, dass er sich darum zuallererst zu kümmern hatte.

»Ja, und dann sollten wir wohl die Jäger des verlorenen Schatzes hinzuziehen«, konstatierte Dal Fiesco, noch immer Donati fixierend.

Und weil Dal Fiesco bemerkte, dass ihn Bruzzo, Collocini und Poletti fragend anstarrten, erklärte er: »Eine Sondereinheit zum Schutz des kulturellen Erbes, das Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Culturale, kurz TPC. Die Kollegen bekämpfen den illegalen Handel mit Kunst- und Kulturgütern und sind in dieser Hinsicht ziemlich ausgeschlafene Burschen. Die meisten sind ausgebildete Kunsthistoriker. Wenn ein Kunstwerk auf dem Schwarzmarkt ist, dann bekommen die ganz schnell Wind davon und …«

Mit einem deutlich hörbaren Quietschen sprang die Tür zum Büro von Direttore Collocini auf. Herein marschierte eine Dame Mitte dreißig mit langen dunklen Haaren. Sie trug einen dunkelblauen Hosenanzug und eine weiße Bluse. Ein leichter Trenchcoat hing über ihrer Armbeuge. Und noch während sie ihre Sonnenbrille im dazugehörigen Etui verstaute, ergriff sie das Wort.

»Guten Morgen, meine Herren! Chiara Frattini, ich bin Ermittlerin der Versicherungsgesellschaft Art Exhibition Insurance of Europe, kurz AEIOU. Wer von Ihnen ist Direttore Collocini?«

Collocini löste sich aus der Gruppe, begrüßte Frattini höflich und begann die Herren reihum vorzustellen. Als er bei Dal Fiesco ankam, lächelte die Frau.

»Wir hatten bereits einmal das Vergnügen. Guten Morgen, Capitano. Sie erinnern sich an den Raub des Perugino-Gemäldes?«

»Wie könnte ich den Fall je vergessen!«, antwortete Dal Fiesco.

»Wir haben uns meines Wissens damals darauf geeinigt, dass wir beide unseren Anteil daran hatten, dass das Bild wiederbeschafft wurde«, erklärte Frattini mit einem Zwinkern.

»So ist es: Ohne Sie hätten wir das Gemälde nie wieder gesehen«, bestätigte Dal Fiesco.

An dieser Stelle unterbrach Collocini die beiden und kniff die Augen zusammen. »Dann wollen wir alle hoffen, dass Sie beide auch diesmal so erfolgreich sind. Nicht auszudenken, wenn die ›Anbetung der Könige‹ verschwunden bliebe: für das Opificio delle Pietre Dure, für die Uffizien und für die Kunstwelt.«

»Und für die AEIOU! Bei allem Respekt, aber auch wir als Versicherung würden einen enormen Schaden davontragen«, gab Frattini zu bedenken.

»Natürlich, natürlich«, beschwichtigte Collocini.

»Machen wir es doch so, dass Sie sich gleich an mich dranhängen, Signora Frattini«, drängte Dal Fiesco. »Dann erfahren Sie alles aus erster Hand. Signore Bruzzo und Signore Collocini, mit Ihnen beiden machen wir den Anfang.«

Bei Brigadiere Donati, der stets in seiner Näher stand, erkundigte sich Dal Fiesco noch schnell über die Fortschritte bei den Ermittlungen: »Die Kollegen, die sich die Überwachungskameras zu Gemüte führen sollen, sind schon am Weg?«

»So ist es«, erwiderte der dunkelhaarige Jungfamilienvater.

»Und die Kulturschützer sind auch informiert?«, wollte Dal Fiesco noch wissen.

»Ja, sie sollten in spätestens 15 Minuten hier sein.«

»Gibt’s schon etwas Neues von den Kollegen von der Spurensicherung oben in der Werkstatt?«

»Capitano! Die sind doch erst seit einer Viertelstunde an Ort und Stelle«, warf Donati ein, obwohl ihm durchaus bewusst war, dass Dal Fiesco mit seinen stakkatoartig vorgetragenen Fragen vor allem zum Ausdruck bringen wollte, dass er alles im Griff habe.

»Bevor wir loslegen und möglicherweise in die falsche Richtung galoppieren: Können Sie für Ihren Nachtportier, Giovanni Fiore, die Hand ins Feuer legen?«, begann Dal Fiesco mit der Befragung. Sofort protestierte Chefportier Bruzzo entschieden: »Diese Spur können Sie gleich wieder vergessen. Fiore ist seit sieben Jahren bei uns, absolut integer und sehr verlässlich. Aber von mir aus: Wecken Sie ihn auf! Holen Sie ihn aus dem Bett!«

Der von der Situation vollkommen überforderte Poletti war nicht weniger erbost: »Capitano, aus meiner Sicht verlieren wir hier Zeit mit sinnlosen Verdächtigungen!«

»Direttore Poletti, ich muss Sie das fragen. So gut wie bei jedem zweiten Überfall auf einen Geldtransporter sind die Fahrer auf die eine oder andere Art involviert. Wir müssen einfach in alle Richtungen ermitteln«, blieb Dal Fiesco gelassen. »Und noch etwas würde mich brennend interessieren: Kommt es öfter vor, dass man Ihnen südamerikanische Würgeschlangen ins Büro liefert? Und warum sind Sie nicht gleich stutzig geworden, als Sie eine Kiste mit einer Schlange zugeschickt bekommen haben? Als kaufmännischer Direktor eines Unternehmens, das auf die Restauration von Kunstgegegenständen spezialisiert ist, haben Sie ja wohl nicht sehr oft mit lebenden Schlangen zu tun, oder liege ich da falsch?«

Der kaufmännische Direktor Poletti atmete tief durch und faltete seine Hände.

»Capitano, Sie haben recht. Es ist ungewöhnlich, dass man mir eine Kiste mit einer Schlange ins OPD liefert. Aber ansonsten werden mir laufend Pakete geschickt. Für mich war die Geschichte mit der Schlange in dem Moment abgehakt, als in der Kiste keine Schlange war. Ich war am gestrigen Tag in erster Linie mit der Delegation aus China beschäftigt. Wir stehen kurz vor dem Abschluss eines lukrativen Deals mit den Chinesen. Die wollen einerseits, dass wir ihnen bei der Restaurierung von Gemälden zur Hand gehen, und andererseits, dass wir ihnen beim Neuaufbau ihrer Restaurationswerkstätte mit Know-how zur Seite stehen. Angesichts der zu erwartenden Zusatzeinnahmen von mehreren Millionen Euro bringt mich eine Babyschlange nicht so schnell aus dem Konzept. Ich wollte mich heute damit beschäftigen, wer mir eine Kiste mit einer Schlange geschickt hat, und vor allem warum. Aber heute haben sich die Ereignisse, wie Sie wissen, überschlagen.«

»Gutes Stichwort: Signore Bruzzo und Direttore Collocini, schildern Sie uns bitte in aller Breite, was sich seit gestern Mittag zugetragen hat«, wandte sich Capitano Dal Fiesco den anderen beiden zu.

Die Versicherungsermittlerin Frattini und Brigadiere Donati befüllten derweil eifrig die Seiten ihrer Notiz­bücher, während Bruzzo und Collocini abwechselnd die Ereignisse der vergangenen 20 Stunden wiedergaben. Nur einmal deutete Dal Fiesco zwischendurch an, dass er kurz telefonieren müsse, und verließ Collocinis Büro. Nach wenigen Minuten war er wieder zurück, und sechs Kilometer Luftlinie entfernt setzte sich ein Seat Leon mit zwei Polizeibeamten in Bewegung, die nachsehen sollten, ob der Nachtportier Fiore tatsächlich in seiner Wohnung schlief.

Chiara Frattini hatte der von Collocini und Bruzzo abwechselnd vorgetragenen Schilderung der Ereignisse andächtig gelauscht und nur einmal eine Zwischenfrage gestellt: Ob man noch genauer auf das Aussehen des vermeintlichen Mitarbeiters von Mondo Animali eingehen könne, der anscheinend seelenruhig mit einem der berühmtesten Gemälde der Welt durch den Vordereingang entschwunden war. Chefportier Bruzzo hielt übers Telefon kurz Rücksprache mit seinem Kollegen Gasperini, aber auch der konnte nur eine vage Personenbeschreibung abgeben: Recht groß sei er gewesen, mit dunklen, vollen und halblangen Haaren, einem dichten Schnauzbart und einem Bäuchlein. Und eine leicht abgedunkelte Brille sowie eine Mondo-Animali-Kappe und einen grünen Overall habe er getragen. Unabhängig davon sei alles sehr schnell gegangen, ertönte Gasperinis Stimme durch das Mobiltelefon.

»Fragen Sie ihn, ob der Mann einen ungewöhnlichen Akzent hatte«, bat Frattini den Chefportier, der die Frage eilends weitergab.

»Wie gesagt, es ging alles so schnell, ich war erst ein paar Minuten hier«, ließ sich Gasperini vernehmen. »Er hat ganz normal gesprochen. Und sehr viel hat er ja nicht gesagt. Da ist mir nichts aufgefallen.«

Die Anbetung der Könige

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