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ANGST VOR ALLEINGÄNGEN

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Nachdem ihm von Brigadiere Donati mitgeteilt worden war, dass die Autobahnpolizei den Lieferwagen von Mondo Animali leer vorgefunden hatte, widmete sich OPD-Direktor Maurizio Collocini erstmals dem Gedanken an eine Presseerklärung. Collocini war bewusst, dass nun eine Heerschar an Wichtigtuern auf kommunaler, regionaler und staatlicher Ebene auf den Plan treten würde. Ihm graute vor den politischen Würdenträgern, die sich in einem Fall wie dem vorliegenden in den Vordergrund spielen und ihre mehr als entbehrlichen Meinungen von sich geben würden. Besonders ekelte ihn vor den Assistenten und Aktenträgern, die fast noch unsympathischer waren als die eigentlichen Politiker. Er hasste diese Nichtsnutze, die das Unglück anderer weidlich ausnutzten, um ihre Profilierungssucht zu befriedigen. Gemeinsam mit dem kaufmännischen Leiter Massimo Poletti und seinem Sekretär Cesare Rizzoli tüftelte Collocini nun seit 30 Minuten an einer geeigneten Kommunikationsstrategie.

»Wir müssen Capitano Dal Fiesco und Capitano Lezzerini davon überzeugen, dass von den Begleitumständen des Diebstahls so wenig wie möglich an die Öffentlichkeit dringt. Man hört und liest doch immer von ›ermittlungstaktischen Gründen‹, deretwegen man auf keine Details eingehen könne«, schlug Poletti vor. »Und vor allem müssen wir die anderen Beteiligten darauf einschwören: die gesamte Belegschaft, den Schlangenexperten Bianchi, Uffizien-Direktor Ferro, die Leute von Mondo Animali sowie die Dame von der AEIOU. Es geht jetzt um Schadensbegrenzung auf der ganzen Linie.«

Cesare Rizzoli, der zuvor im Büro von Collocini die Visitenkarten aller handelnden Personen eingesammelt hatte, schrieb dienstbeflissen mit und gelobte seinem Vorgesetzten, die notwendigen Schritte zu tun.

»Als Ersten holen Sie mir bitte Capitano Dal Fiesco ans Telefon«, gab Collocini seinem Assistenten mit auf den Weg.

Eine Viertelstunde später fand sich das Direktorenduo Collocini und Poletti wieder in der hell erleuchteten Restaurationswerkstätte des Opificio delle Pietre Dure ein. Capitano Dal Fiesco hatte Collocini im Telefongespräch versichert, dass es auch im Interesse der Polizei war, »den Ball so flach wie möglich zu halten«, wie er sich ausgedrückt hatte.

»Weder dem OPD noch den Uffizien und schon gar nicht den ermittelnden Behörden ist gedient, wenn die Institutionen der Lächerlichkeit preisgegeben werden«, hatte Direttore Collocini gegenüber dem Capitano betont. »Genauso wünsche ich mir von Ihnen, dass es zu keinerlei Alleingängen kommt. Und wollen wir gemeinsam hoffen, dass auch Signora Frattini nicht die Pferde durchgehen. Ich kenne sie nicht, aber bei einem Diebstahl dieser Größenordnung kann es schon mal sein, dass der eine oder andere in den ­Medien ganz groß rauskommen will, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Capitano Dal Fiesco verstand zwar, was Collocini meinte, teilte dessen Meinung allerdings nicht. »Ich glaube, im Fall von Signora Frattini können Sie einigermaßen unbesorgt sein. Aber ich gebe Ihnen recht: Man kann nie vorsichtig genug sein. Ich werde sie beobachten.«

»Cesare, wo sind eigentlich Signora Frattini und Signore Bianchi abgeblieben? Sind die beiden noch im Haus?«, wollte Direttore Collocini gleich darauf von seinem Sekretär Rizzoli wissen.

»Signora Frattini ist meines Wissens unten bei den Portieren und schaut sich die Videoaufnahmen der Sicherheitskameras an. Und Signore Bianchi hat das Haus vor rund einer Stunde verlassen. Die Transportkiste von Mondo Animali hat er mitgenommen. Er wollte sie hier in Florenz in einem Labor untersuchen lassen. Und die beiden jungen Herren aus dem Tierheim sind auch schon weg. Sie stimmen sich aber mit Bianchi ab, und eventuell kommen sie heute um 18 Uhr wieder, um gemeinsam mit ihm Ausschau nach der Schlange zu halten. Natürlich ist es in hohem Maße wahrscheinlich, dass es nie eine Schlange gegeben hat – aber ganz ausschließen kann man es nicht, hat auch Bianchi gemeint. Von der Analyse der Transportkiste erwartet er sich weitere Anhaltspunkte.«

»Ok, danke, Cesare«, sagte Collocini, fixierte Poletti und raunte ihm zu: »Und wir zwei müssen jetzt bei Uffizien-­Direktor Ferro zu Kreuze kriechen. Sonst bekommen wir von ihm nie wieder einen Auftrag. Sei so gut und schlage ihm vor, dass er sich morgen Mittag um 13 Uhr in der Cantinetta Antinori mit mir treffen möge.«

Zwei Etagen tiefer blätterte Chiara Frattini in der Besucherliste des Vortages und ließ sich von Chefportier Bruzzo erläutern, aus welchen Beweggründen jeder Einzelne in der Liste das Opificio delle Pietre Dure besucht hatte. Frattini lauschte aufmerksam und machte sich zu diesem oder jenem Besucher Notizen. Auf den ersten Blick erschien ihr – und da ging sie mit Bruzzo konform – nichts und niemand auffällig. Sämtliche eingetragene Besucher waren aus der Liste auch wieder ausgetragen worden.

»Gestern war eigentlich ein ganz normaler Tag, wenn man von der Lieferung der Boa constrictor absieht«, zuckte der korpulente Chefportier mit den Schultern. »Ins OPD wird ja alles Mögliche geliefert: Gemälde, Vasen, Möbel, Lampen, Skulpturen, Material für Restauratoren, Bücher, Unterlagen und natürlich auch mal eine Pizza oder Sushi. Aber schauen Sie sich ruhig auch die Besucherlisten vergangener Tage an! Die sehen ganz genau so aus. Ich kann da keine Abweichungen erkennen.«

Frattini dankte Bruzzo, erbat vom Chefportier lediglich eine Kopie der Besucherliste vom Vortag und gesellte sich zu den Carabinieri Gianni De Luca und Enrico Calabrese, die sich seit fast zwei Stunden mit den Überwachungsvideos beschäftigten: Aufzeichnungen vom Eingangsbereich innen und außen sowie Aufzeichnungen von der Etage, auf der sich die Restaurationswerkstätten befanden. Nach einem groben Scan der Videos im Schnelldurchlauf achteten De Luca und Calabrese nun in der Feinanalyse auf jedes Detail und drückten nur an jenen Stellen auf »Fast Forward«, wo offensichtlich gar nichts geschah. Das Hauptaugenmerk der beiden Carabinieri lag – und das war der erklärte Auftrag ihrer Vorgesetzten Dal Fiesco und Donati – auf den Abend- und Nachtstunden. »Findet heraus, ob jemand das Gebäude zwischen 18.00 und 22.40 Uhr über den Haupteingang betreten hat. Denn um 22.40 Uhr ging der erste Alarm beim Nachtportier ein«, lautete ihre Mission.

»Na, wie geht’s euch? Schon etwas gefunden?«, wollte Frattini von den beiden Jungpolizisten wissen, die ihre Uniformjacken und ihre Kappen abgelegt hatten.

»So richtig aufschlussreich war das jetzt noch nicht«, meinte Calabrese. »Aber ein paar Dinge sind doch interessant. Erstens: In der Transportkiste von Mondo Animali war sehr wohl etwas Lebendiges, und die Wahrscheinlichkeit, dass es eine kleine Schlange oder zumindest ein Tier mit einem langen, dünnen Schwanz war, ist sehr groß. In einer Einstellung ist ganz klar zu sehen, dass sich etwas aus der Kiste in Richtung Treppenhaus bewegt. Wenn ich es richtig verstanden habe, kommt der Schlangenexperte aus Rom heute Abend ohnehin noch einmal hierher. Zumindest kennen wir die Richtung, aus der der Gemäldedieb mitten in der Nacht in die Werkstatt gekommen ist. Es ist zwar nur ein undeutlicher Schatten, den man bei genauem Hinsehen erkennen kann, aber wenn man sich dort oben umsieht und dann noch einmal den Nachtportier interviewt, dann sollte man eruieren können, wo sich der Dieb versteckt hat. Und wenn man erst einmal sein Versteck gefunden hat, dann stößt man im Idealfall auch auf Spuren«, ereiferte sich Calabrese.

Dass er und De Luca vergleichsweise offen mit Chiara Frattini plauderten, hatte seinen Grund: Capitano Dal Fiesco hatte die beiden dahingehend gebrieft, dass man mit der Versicherungsdetektivin eng zusammenarbeiten solle, da sie sich erstaunlich gut in Kunstdiebe hineinversetzen könne.

»Wenn wir mit ihr kooperieren, wird sie auch mit uns kooperieren, und vor allem wissen wir dann immer, wo sie gerade ist und welche Spur sie gerade verfolgt«, hatte Dal Fiesco mit einem Augenzwinkern angemerkt.

Die Anbetung der Könige

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