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Aus gutem Hause

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Später am Vormittag rief Ballauf seine Dienstgruppe in den Besprechungsraum. Nachdem Köhler, Grotewohl, Schmidt und Laußner sowie die beiden Nachwuchskommissare Müller und Brauer Platz genommen hatten, legte er einige Papiere vor sich auf den Tisch und räusperte sich.

»Wir konnten ein paar Ergebnisse zu der unbekannten Frauenleiche zusammentragen.« Er ließ seinen Blick von einem zum anderen schweifen. »Ohne dass es ein Obduktionsergebnis gibt, kann von einem gewaltsamen Tod ausgegangen werden. Ob es Mord oder womöglich ein Unfall war, werden wir sehen.«

Grotewohl schnaubte und unterbrach damit Ballauf in seinem Redefluss.

»Irgendwelche Anmerkungen, Frau Grotewohl?«

Im Raum strafften sich gleich mehrere Körper. Wenn der Chef jemanden aus der Truppe siezte, war Alarm angesagt.

»Das war ganz klar Mord.«

»Was macht dich da so sicher?«

»Die Frau hat sich ja wohl kaum selbst auf den Hinterkopf geschlagen.«

»Sie kann auch gestürzt sein. Wir sollten lieber den Obduktionsbericht abwarten.«

»Klar.« Der Sarkasmus in Grotewohls Stimme war greifbar. »Sie hat sich ein tödliches Loch im Kopf eingefangen, als sie auf der Wiese in den dort ausgestreuten Rindenmulch gefallen ist. Pfff, klingt logisch.«

Köhler, der meinte, vermitteln zu müssen, sagte: »Sie muss ja nicht unbedingt an dem Ort gefallen sein, an dem sie gefunden wurde. Die Wunde kann sie sich überall zugezogen haben.«

Grotewohl war anzusehen, dass ihr irgendetwas auf der Leber tanzte. Mit bockigem Blick und vor der Brust verschränkten Armen sah sie aus, als hätte sie den letzten Zug nach Hause verpasst. »Mit so einem Loch in der Rübe läufst du keinen Meter mehr.«

»Raus mit der Sprache!«, forderte Ballauf, der von Grotewohls Schauspiel genug hatte. »Wo drückt der Schuh?«

Grotewohl zögerte. Doch dann gab sie ihre Blockadehaltung auf. »Für mich hat es den Anschein, als würde man sich bei der Frau weniger Mühe geben, nur weil sie eine Obdachlose war.«

»Das weise ich entschieden von mir!« Ballauf wirkte ernsthaft erbost. »Was denkst du, was wir hier machen? Halma spielen?«

»War nur so ein Eindruck …« Grotewohl war immer noch unterschwellig aggressiv.

»Wenn es Mord war, werden wir den Täter genauso intensiv suchen wie bei jedem anderen Tötungsdelikt auch.«

»Auch die Täterin?«, warf Laußner ein, der gerade damit beschäftigt war, seine Nägel mit einer Büroklammer zu reinigen. Die letzte Silbe betonte er. Seine Erscheinung glich wie immer einem Klischee. Er war übergewichtig, aber nicht wirklich fett. Darüber hinaus war er starker Raucher und ein vehementer Verfechter der Sport-ist-Mord-These, was dazu führte, dass er der womöglich unfitteste Frankfurter Polizist war, der jemals dort seinen Dienst versehen hatte. Er trug ausschließlich schwarze T-Shirts in Kleidergröße Zirkuszelt, von denen er Unmengen besaß; und Jeans, die unterhalb seines Bauchs von einem Gürtel gehalten wurden. Es schien, als würde das T-Shirt den Bauch wie in einem Sack vor dem Hosenbund hertragen. Laußner hatte ein rundes Gesicht und erstaunlich dichtes Haar, das zu einer gegelten Igelfrisur getrimmt war. Unter seiner Nase trug er einen Oberlippenbart, der seiner Erscheinung die Würde nahm. Einzig seine grell-hellblauen Augen ließen den Betrachter vor Erstaunen ein zweites Mal hinsehen. Wie unbeteiligt lümmelte er in seinem Stuhl und blickte noch nicht einmal auf.

»Was sollte das jetzt?«, fragte Ballauf.

Laußner unterbrach seine Morgentoilette und blickte in die Runde. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Er breitete entschuldigend die Hände aus und sagte: »Was denn? Ich wollte es doch nur gendergerecht haben.«

»Bist du jetzt der neue Gleichstellungsbeauftragte, oder was?«, schnappte Köhler.

»Wie man’s macht, ists falsch. Echt jetzt.« Laußner schien ehrlich getroffen. »Wer sagt denn, dass es ein Täter war und keine Täterin?

»Wenn es überhaupt einen Täter gibt«, warf Schmidt ein, der allmählich wach wurde und seinem Freund zur Seite sprang. »Oder eine Täterin«, fügte er eilig hinzu.

Laußner bot ihm die Gettofaust, die Schmidt mit der seinen triumphierend berührte. Beide simulierten mit den Händen eine Explosion. Sie waren sich einig.

Ballauf stand am Kopf des Tisches, griff sich an die Nasenwurzel und zweifelte zum ungezählten Male an der Zurechnungsfähigkeit dieser beiden Kollegen. Die zwei waren ein wahrhaft kongeniales Duo.

Schmidt hatte rote, streng nach hinten gegelte Haare und lange Koteletten. Die Ärmel seiner stets karierten Hemden hatte er zur Hälfte aufgerollt. Schmidts Jeans wurden von einem Gürtel mit einer überdimensionierten Schnalle gehalten, und er trug doch tatsächlich Cowboystiefel! Zudem verströmte er einen Duft von Old Spice, in dem er scheinbar jeden Morgen badete. Über seinem Karohemd trug er ein Halfter, in dem seine Heckler & Koch P30 steckte. Auf der Straße verdeckte er die Waffe mit einer grünen Bomberjacke. Schmidt kam sich unglaublich lässig vor … immer. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit richtete er seine Frisur mittels eines Kamms, der stets in der Gesäßtasche seiner Jeans steckte. Kaum ein Fenster, das er nicht als Spiegel nutzte, um den Sitz seiner Haare zu kontrollieren und bei Bedarf richtend einzugreifen. Zur Krönung seines bizarren Anblicks trug er einen rotgrauen Ion-Tiriac-Bart. Es kursierte die weitverbreitete These, dass sowohl Schmidt als auch Laußner bei ihrer Einstellung lediglich gefragt worden seien, ob sie einen Moment Zeit hätten. Danach verlor sich ihre Spur.

Ballauf, der keine Lust auf Streit hatte, schloss die Sitzung mit den Worten: »Sobald wir alle Informationen den Tatort betreffend zusammenhaben, werden die Karten neu gemischt. Dann suchen wir den Täter beziehungsweise die Täterin.« Auch er betonte die letzte Silbe und bedachte Laußner mit einem undefinierbaren Blick. »Und selbstverständlich werden wir uns dabei die allergrößte Mühe geben.« Jetzt war es Grotewohl, die er prüfend ansah. »Bis dahin macht euch mal nützlich und findet raus, wer die Tote überhaupt ist.«

Stühle wurden gerückt, Papiere geordnet und allgemeines Gemurmel setzte ein.

Wenig später kehrten Köhler, Grotewohl, Müller und Brauer in ihr Büro zurück. Köhler holte sich einen Kaffee und einen Keks.

»Brauer, was macht die Statistik?«

Eifrig wühlte der junge Kollege auf seinem Schreibtisch nach den Ergebnissen, fand aber nichts, was ihnen weiterhalf. »Moment, ich schaue mal, was die Suche in der Vermisstenkartei ergeben hat.« Konzentriert blickte er auf seinen Bildschirm. »Da haben wir es …« Er betätigte einen Knopf auf der Tastatur. »Ich drucke es schnell aus, dann haben wir es leichter.«

Sekunden später summte der Drucker im Nachbarraum.

»Geh’n wir rüber ans Whiteboard«, schlug Brauer vor. Die drei anderen folgten ihm ins Nachbarzimmer, das ihnen als kleiner Besprechungsraum diente.

Brauer griff nach dem Ausdruck und studierte ihn. Zwischendurch runzelte er die Stirn und rieb sich das Kinn.

»Dürfen wir an deinen Gedanken teilhaben?«, erkundigte sich Köhler.

»Oh … sicher.« Brauer hielt den Ausdruck in die Höhe. »Wir haben ein paar Kandidatinnen.«

»Wie viele insgesamt?«, wollte Grotewohl wissen.

»Acht.«

Brauer übergab den Zettel an Köhler, der kurz draufschaute und ihn an Grotewohl weiterreichte. Müller sah ihr über die Schulter.

»Wir müssen die Bilder vergrößern und brauchen eines von der Toten für den Vergleich. Wer …«

»Wird erledigt!«, warf Müller ein. Fast schon übereifrig schnappte er sich den Ausdruck und lief nach nebenan. Köhler und Grotewohl grinsten sich an.

»Konkurrenz belebt das Geschäft«, sagte Köhler und nippte an seinem Kaffee. »Kippchen?«

»Klar«, erwiderte Grotewohl und gab sich betont gönnerhaft. »Schließlich müssen wir die Zeit, in der unsere Lakaien die Drecksarbeit erledigen, sinnvoll nutzen.«

Erst am nächsten Tag traf man sich wieder, um die neuesten Erkenntnisse zusammenzutragen.

»Der Obduktionsbericht ist heute Morgen eingetroffen«, eröffnete Ballauf. »Wir gehen jetzt von einem Mord aus. Brauer, wie sieht es mit den infrage kommenden Damen aus?«

Brauer sprang auf und trat an die Präsentationsfläche. Er hatte bereits alles vorbereitet und klappte den Laptop auf. Wenig später erschien ein Foto von der Leiche an der Wand. »Hier sehen wir ein Bild der unbekannten Frau aus dem Leichenschauhaus. Wie wir alle wissen, ist so etwas kein schöner Anblick.«

»Dafür können Sie ja nichts«, beruhigte Ballauf den Neuen.

Brauer räusperte sich verlegen und fuhr fort. »Nun … anhand der Daten aus unserer Vermisstenkartei habe ich mir die Fälle herausgesucht, die in etwa in das Profil passen, wie zum Beispiel Alter, Geschlecht, Haut- und Haarfarbe des Opfers. Das alles konnte ich anhand dieser Kriterien auf eine infrage kommende Frau isolieren.« Nach einem Mausklick erschien ein zweites Bild. Es zeigte eine dunkelhaarige Frau, die einen völlig anderen Anblick bot als die vorherige. Sie war gepflegt und lachte in die Kamera. Darüber hinaus war sie wesentlich jünger als das Opfer vom Mainufer. Allerdings war eine gewisse Ähnlichkeit nicht zu leugnen. Doch nicht alle sahen das so.

»Die sieht der anderen doch gar nicht ähnlich«, motzte Laußner.

Ballauf kniff die Augen zusammen und trat näher an das Bild heran, das die gesamte Wand einnahm. »Da muss ich ihm leider recht geben, Brauer«, sagte er und zeigte auf das Bild. »Wie kommen Sie darauf, dass es sich bei diesen beiden Frauen um ein und dieselbe handelt?«

»Statistik.« Brauer blieb selbstsicher. »Ich muss dazu sagen, dass dieses Bild bereits dreizehn Jahre alt ist. Die Frau wurde damals als vermisst gemeldet.«

Ballauf verzichtete auf eine Reaktion. Sein Blick genügte, um den jungen Polizisten, dessen Kopf sich tiefrot verfärbt hatte, weiterreden zu lassen.

»Wenn wir sämtliche Merkmale der Unbekannten als eine Markierung nehmen, zudem nach dem Ausschlussverfahren vorgehen und diese Daten in unsere Suchmaske eingeben, bleibt nur diese eine Frau übrig.«

»Und wer ist sie?«, wollte Grotewohl wissen.

»Laura Walkenhorst.«

»Moment …«, sagte Köhler. »Walkenhorst? Bist du dir sicher?«

»Absolut. Nur sie kommt infrage.«

»Was ist denn mit der?« Ballauf horchte auf. »Kennst du die?«

»Das ist die Tochter von Thomas Walkenhorst.«

»Du meinst den Baulöwen?«

»Genau den.«

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