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Rätsel

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»Okay, Leute«, eröffnete Ballauf die Sitzung am nächsten Morgen. »Falls es noch nicht jeder mitbekommen hat: Laura Walkenhorst wurde nicht am Main umgebracht. Die Spurensicherung besagt eindeutig, dass die Frau bereits tot war, als sie dort abgelegt wurde. Weder Blut- noch Kampfspuren. Keinerlei DNA von ihr rund um die Fundstelle und auch kein Hinweis auf ein Tatwerkzeug. Die Befragungen, die in der Umgebung durchgeführt wurden, fielen durchweg negativ aus.«

Die Tür flog auf und Staatsanwalt Berner betrat den Raum. Sein grau melierter Bart und sein volles Haar waren frisch vom Profi bearbeitet worden. Berners Anzug saß perfekt und seine Schuhe waren spiegelblank poliert. Wie aus dem Ei gepellt ließ er seinen Blick schweifen. Jede Modellagentur hätte ihn vom Fleck weg engagiert.

»Morsche zusammen!«, trällerte er. Er versprühte eine ungeahnte Energie, strahlte über das ganze Gesicht und begrüßte jeden mit Handschlag. Ballauf nahm er sogar in den Arm. Schließlich schnappte er sich einen Stuhl, warf sich darauf und fragte mit einem breiten Grinsen: »Und? Wie läuft denn der Laden? Gibts was Neues? Haben wir den Fall Walkenhorst schon aufgeklärt?«

»Äh … nein.« Ballauf war ebenso verwundert über das Auftreten des Staatsanwaltes wie der Rest der Truppe. Keiner von ihnen traute sich, etwas zu sagen. »Wir stehen noch am Anfang. Aber Müller hat einen Zeugen aufgetrieben.«

»Fantastisch, Müller!« Berner sprang auf und klopfte dem jungen Kollegen auf die Schulter. »Sie werden noch Karriere machen, das sehe ich doch!« Er blickte auf seine Uhr, die mehr gekostet haben musste, als so mancher im Raum im Monat verdiente, und sog scharf die Luft ein. »Schon so spät? Ich muss los, Leute! Ballauf, ruf mich an, wenn es was Neues in dem Fall gibt. Das sind wichtige Leute, diese Walkenhorsts.« Damit verschwand er genauso schnell, wie er gekommen war.

Als Berner nur noch eine flüchtige Erinnerung zu sein schien, sagte Grotewohl: »Der hat eine neue Freundin … ist halb so alt wie er.«

Verständnis machte die Runde und lieferte die Erklärung für das obskure Verhalten des sonst so mies gelaunten Staatsanwaltes.

»Gut, vergessen wir, dass dieser Auftritt jemals stattgefunden hat.« Ballauf übernahm wieder das Zepter. »Müller, du gehst noch mal das Umfeld der Toten durch. Shaft, Grotte, wann kommen die Walkenhorsts zur Vernehmung?«

»Der Senior um elf, der Junior um vierzehn Uhr.«

»Prima. Dann los, ihr habt zu tun!«

Die Versammlung löste sich auf. Müller, der seltsam in sich gekehrt schien, blieb am Tisch sitzen.

»Müllerchen, was ist?«, fragte Grotewohl einfühlsam »Du hast doch den Chef gehört. Durchleuchte mal das Umfeld. Ist das nicht genau dein Ding?«

Müller schniefte.

Grotewohl war verunsichert. So still und traurig kannte sie den Kollegen nicht. »Was ist denn los?«, fragte sie und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Ulla hat mich verlassen.«

»Aha.« Grotewohl war erleichtert. Zum Glück war nichts Schlimmes passiert. »Mann, jetzt stell dich nicht so an!«, sagte sie. »Du bist doch noch jung und andere Mütter haben auch hübsche Töchter.«

Müller wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. »Ich weiß, aber Ulla war echt perfekt … dachte ich zumindest. Und das Schlimmste, die hat mich für so einen alten Sack verlassen.«

»Das ist bitter, ich weiß.«

»Nur weil er Kohle hat, ein dickes Auto fährt, Golf spielt und mit ihr nach Mauritius fliegen kann.«

Grotewohl wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Das alles war ihr im Grunde auch egal. Müller hatte doch ständig neue Freundinnen.

»Ich weiß, ich habe ständig neue Freundinnen«, fuhr er fort, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Aber mit Ulla war es mir ernst. Ich hätte sie geheiratet.«

»Gut, dass du es nicht getan hast.«

Müller sah Grotewohl fragend an.

»Mann, was soll ich denn sagen?«, versuchte sie zu erklären. »Ich bin noch nicht so oft verlassen worden.« Eigentlich noch nie, dachte sie, verschwieg die Tatsache jedoch. »Ich bin dir da zwar keine große Hilfe, weiß aber, dass es keinen Sinn macht, jemandem nachzutrauern, der einen wegen materieller Dinge verlassen hat.«

Müller blickte auf.

»Und guck mal, wie der Staatsanwalt wegen seiner neuen Flamme drauf war.« Grotewohl lächelte ihn an. »Selbst der aufgeblasene Lackaffe findet immer wieder eine Frau. Das wirst du ja wohl auch schaffen, und dann wirst du derjenige sein, der uns alle mit seiner guten Laune nervt … hm?« Sie berührte ihn mit beiden Händen im Gesicht. »Bist doch ein hübscher Bursche. Da werden wir bestimmt was finden, nicht wahr?«

Müller brachte jetzt immerhin ein Lächeln zustande.

»Siehste, geht doch. Und jetzt hör auf, der blöden Kuh nachzutrauern. Schnappen wir uns lieber den Mörder von Laura Walkenhorst!«

Müller holte tief Luft, nickte zustimmend und schien auf dem besten Weg zu sein, sich mit der Trennung abzufinden.

Im selben Moment flog die Tür auf und Brauer stürmte herein. »Ich weiß jetzt, warum niemand was gesehen hat.« Er war völlig außer Atem.

»Schätzelein, ich sage es nur ungern …« Grotewohl kam sich vor wie eine Kindergärtnerin. »… aber wir wissen, dass sie nicht am Main getötet wurde.«

»Jaja«, machte Brauer und wischte den Gedanken mit einer fahrigen Handbewegung fort. »Ich habe mich da wohl falsch ausgedrückt.« Er setzte sich an den Tisch und schob Grotewohl einen Zettel rüber. »Unser Opfer war gar nicht obdachlos. Deshalb kennt sie keiner der anderen Obdachlosen.« Er grinste breit. »Laura Walkenhorst hatte eine Wohnung in Nieder-Erlenbach.«

Grotewohls Blick zeugte von Verwunderung.

Als Brauer stolz nickte, zog Müller den Zettel zu sich heran. »Das ist die Meldebestätigung«, folgerte er.

»Zeig her!« Grotewohl griff nach dem Zettel, überflog ihn und ließ ihn in ihren Schoß sinken. »Na das ist ja mal was, da können wir doch ansetzen. Super, Brauer. Gut gemacht!«

Wenig später hatten sowohl Köhler als auch der Rest des Teams die Neuigkeiten erfahren.

»Grundsätzlich ist das ein gewaltiger Fortschritt«, resümierte Grotewohl und ging zur Kaffeemaschine. Sie drückte auf den Startknopf des Vollautomaten und wandte sich zum Team um. »Aber auf Dauer kann doch niemand so blöd sein zu glauben, dass wir nicht rausfinden, wer die Tote ist und wo sie wohnt.«

»Für den Anfang kann es womöglich reichen«, ergänzte Köhler.

»Wie meinst du das?«

»Na ja …« Er gesellte sich zu ihr und griff nach der frisch mit Kaffee befüllten Tasse. Grotewohl warf ihm einen tadelnden Blick zu. Der Kommissar hob die Schultern und nippte provozierend an dem Heißgetränk. Grotewohl schüttelte den Kopf und machte sich wortlos daran, einen neuen Kaffee zu bereiten, während Köhler seine Theorie erläuterte.

»Wie wir alle wissen, sind die ersten achtundvierzig Stunden bei einer Mordermittlung unter Umständen entscheidend. Vielleicht wollte der Mörder einfach Zeit gewinnen.«

»Das ist aber schon ein wenig blauäugig«, kommentierte Grotewohl das Gesagte. Voller Ungeduld wartete sie darauf, dass die Kaffeemaschine ihren Dienst tat. Gedankenlos griff sie nach einem der Kekse, die neben der Maschine auf einem Teller lagen. Sie biss davon ab und verzog das Gesicht. »Sind die Dinger noch von letztem Weihnachten?« Angewidert spuckte sie das Abgebissene in die Hand und sah sich suchend um.

»Du bist so ekelhaft!«, schimpfte Köhler.

»Nee, die Kekse sind ekelhaft.« Grotewohl warf den zerkauten Brei in den Mülleimer und wischte sich die Hand an einer Papierserviette ab, die noch vom Frühstück auf Köhlers Schreibtisch lag.

»Ablenkung«, warf Müller ein.

»Was?«

»Ablenkung.« Er stand auf. »Wie ihr beiden gerade.«

»Was meinst du damit?«

»Ihr scharwenzelt hier die ganze Zeit um diese blöde Kaffeemaschine herum wie die Aasgeier um das tote Vieh. Dabei konzentriert ihr euch nicht im Geringsten auf den Fall. Um es mit anderen Worten zu sagen: Ihr seid nicht bei der Sache. Und genau das wollte der Mörder erreichen.« Müller setzte sich wieder. »Muss denn Ballauf immer in der Tür stehen und rumbrüllen, damit hier Zug auf die Kette kommt? Kann man nicht mal aus eigenem Antrieb konzentriert arbeiten?«

Die anderen drei Ermittler sahen sich schweigend an. Schließlich sagte Grotewohl: »Da hat er recht.«

Müller grinste.

»Gut, dass wir das geklärt haben.« Köhler klatschte in die Hände. »Aber jetzt mal los!« Er verteilte die Aufgaben. »Müller, du kümmerst dich um einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung von der Walkenhorst.« Er deutete auf Grotewohl. »Und wir zwei Hübschen kümmern uns um die Vernehmung der beiden Hinterbliebenen.« Er klopfte ihr auf die Schulter. »Hopp, hopp!«

»Und was mache ich?«, fragte Brauer.

»Du kaufst frische Kekse.«

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