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KAPITEL 6

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Mein Vater war so ziemlich die letzte Person im Elderreich, mit der ich mich an diesem Tag auseinandersetzen wollte. Ich hätte es so ziemlich mit jedem aufgenommen. Einer Horde Zombies, einer Herde Hydras oder einem mörderischen Minotaurus. Mit irgendwem. Ich hörte Quinn stöhnen und Bill wimmern.

Ja, mein Dad war tatsächlich so angsteinflößend, wenn er es sein wollte. Jeden seiner 20 Zentimeter Körpergröße umgab die Aura des majestätischen, überheblichen, harten Politikers, in eine purpurfarbene Toga gehüllt, die von seinem Abzeichen als Mitglied des hohen Rates zusammengehalten wurde. In Anbetracht des eingeschüchterten Ausdrucks auf den Gesichtern der Zuhörer und der Ratsmitglieder, die aufsprangen wie Marionetten, hatte ich mit meiner Behauptung, Bill sei die furchtsamste Kreatur des Elderreiches, vielleicht danebengelegen.

Mein Vater schwebte in gemäßigtem Tempo herbei und zeigte sein charakteristisches Stirnrunzeln, ohne auf die Unruhe einzugehen, die er verursachte. Stattdessen war sein Blick starr auf unsere bunt zusammengewürfelte Gruppe gerichtet und ich konnte ihm ansehen, dass er nicht begeistert war. Ganz und gar nicht.

Also ein typischer Tag mit meinem Vater.

„Du hättest dich zumindest dem Anlass entsprechend kleiden können“, sagte er, als er auf der Bank Platz nahm. Er wandte sich um und sagte beinahe im Plauderton zu den Reihen direkt hinter uns: „Verschwindet. Ich möchte mit meinem Sohn unter vier Augen sprechen.“

Es waren von Haus aus nur wenige so tapfer gewesen, in unserer Nähe zu sitzen, und sein Missmut reichte, um die übrigen in die Flucht zu schlagen.

„Dad, das ist ein öffentlicher Ort. Verdammt, wir sind nicht bei dir zu Hause. Du kannst hier nicht alle herumkommandieren, als wären sie deine Bediensteten.“

Er ignorierte mich und wandte sich Bill und Dickmore zu. „Verzieht euch, ihr üblen Kreaturen, ehe ihr wünscht, ihr wärt nie geboren worden.“

Dickmore quiekte und flüchtete den Gang hinauf, stieß Leute zur Seite, als er zum Ausgang hastete. Bill wurde blass, aber er wich nicht zurück. Übertriebene Loyalität. Er war gekommen, um meine Bewerbung zu unterstützen, und er würde mich auch unter dem drohenden Blick meines Vaters nicht im Stich lassen. Seine Krallen gruben sich in das Holz der Bank und er warf mir einen flehenden Blick zu. Obwohl ich immer noch sauer war, weil er mir kürzlich mein Schäferstündchen ruiniert hatte, verspürte ich Mitleid und nickte ihm zu.

Bill sprang auf und folgte Dickmore. Ich stellte anerkennend fest, dass er es langsamen, gemessenen Schrittes tat, als würde er nicht in Panik vor der Drohung meines Vaters flüchten.

Wir wussten es beide besser.

„Musst du Bill gegenüber so ein Mistkerl sein?“, fragte ich.

„Er hat deinen Bruder gefressen.“

„Halbbruder. Und wenn er es nicht getan hätte, hätte Nyx mich umgebracht. Er hat mir das Leben gerettet. Ist dir das klar?“

Mein Vater schnaubte und zog seine Toga zurecht. Ach ja. Richtig. Warum hatte ich erwartet, dass ihn das kümmern würde?

Also tat ich das, worin ich am besten war. Ich ging in die Offensive.

„Schön, dich zu sehen, Dad. Ich bin sicher, es hat nichts damit zu tun, dass du besorgt warst, ich könnte nicht erscheinen, um meine Kandidatur bekanntzugeben.“

Er winkte gelangweilt ab. „Kann ein Vater nicht mal nach seinem Sohn sehen?“

„Nein.“

Er lächelte. „Schön, dass du nicht mehr so naiv bist. Du hast die Papiere doch mitgebracht, oder?“

„Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, hätte ich mir nicht die Mühe gemacht. Ich schätze, du hast deine eigenen mitgebracht.“

„Natürlich. Es kann nie schaden, vorbereitet zu sein.“

„Dir ist schon klar, dass ich einen Fragebogen ausfüllen muss, oder?“

Mein Dad griff in seine Robe und zog eine Schriftrolle hervor. „Natürlich. Ich habe die Fragen für dich beantwortet. Es geht doch nichts über den Feinschliff eines Experten.“ Er lächelte beinahe. Das Aufblitzen seiner spitzen Zähne war kaum zu sehen. Er war in seinem Element.

„Ich werde deine Antworten nicht verwenden.“

„Er hat eine Menge Zeit dafür aufgewendet“, fügte Quinn hinzu und rutsche auf der Bank näher zu mir.

Ich zuckte zusammen. Ich wusste Quinns Versuch, den Blick meines Vaters auf sich zu ziehen, zu schätzen. Aber gewöhnlich endete das damit, dass mein Vater Quinn beleidigte, ich zornig wurde und meinen Vater aufforderte zu verschwinden, gefolgt von einer Woche der Funkstille, ehe sich der ganze Vorgang wiederholte.

„Ich glaube wohl kaum, dass du ein Experte in diesen Dingen bist“, schnaubte mein Vater. „Ich denke, deine Fähigkeiten liegen in anderen Bereichen.“

Quinn wurde rot. Mein Vater erinnerte ihn nur zu gerne an seinen früheren Status als Sexsklave. Ich öffnete den Mund, um meinen Vater wegzuschicken, als von Quinns Schulter ein leises Knurren erklang. Cookie missfiel offenbar der Ton, den mein Vater Quinn gegenüber anschlug. Ich mochte die kleine Fellkugel von Tag zu Tag lieber.

„Was zur Hölle ist das? Und was immer es ist, ich hoffe sehr, dass es keine Aufenthaltsgenehmigung braucht. Ich habe dir schon zu oft einen Gefallen getan.“

„Woran du mich mit Vorliebe erinnerst.“

Natürlich ignorierte er mich. Stattdessen begutachtete er Cookie und verzog ein wenig den Mund. Oh oh.

„Weißt du, was das ist? Wir haben versucht, es herauszufinden.“

Mein Vater hielt für etwa eine halbe Sekunde inne. Jemand, der mit seiner undurchsichtigen Art weniger vertraut war als ich, hätte dem keine Bedeutung beigemessen. Er wusste etwas.

„Möchtest du dazu etwas sagen?“

Er seufzte und machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung Cookie. „Du und deine Haustiere.“

Ich zählte bis zehn, um mich davon abzuhalten, vor dem versammelten Stadtrat eine Szene zu machen. Ich wollte nicht gewählt werden, ich hoffte sogar, dass ich verlieren würde. Aber ich würde meine Chancen nicht absichtlich untergraben. Wenigstens das schuldete ich meinem Vater. Selbst wenn er … nun ja, er selbst war.

Bevor ich mir noch eine passende Antwort ausdenken oder einen Versuch starten konnte, mehr Informationen aus ihm herauszuholen, brach in der Menge neuerlich Gemurmel aus. Was war denn nun schon wieder?

Eine männliche Fee in einer verzierten Lederuniform, deren Haar, Augen und Flügel in hellem Blaugrün leuchteten, betrat den Ratssaal. Zwei große, muskulös aussehende Gargoyles folgten ihm, aber alle Augen waren auf das Feenwesen gerichtet.

Wer war der Typ? Und warum versteifte sich mein Vater neben mir?

Die Fee kam auf uns zu, den stählernen Blick der ungewöhnlich gefärbten Augen auf meinen Vater fixiert. Mein Vater verschränkte die Arme, was seine Unruhe verriet, wenn man die Zeichen deuten konnte.

Quinn stieß mich in die Seite. Ich zuckte nur mit den Schultern. Ich hatte keine Ahnung, was da vorging.

Als das Feenwesen uns erreichte, sagte er: „Wir hatten das doch besprochen, Auric. Jetzt musste ich den ganzen Weg bis hierher zurücklegen, um dich zu einzusammeln.“

Hatte er meinen Dad wirklich gerade mit seinem Vornamen angesprochen? Niemand, und ich meine wirklich NIEMAND, benutzte den Vornamen meines Vaters.

Mein Vater atmete scharf ein. Oh Mann, wurde er tatsächlich gerade rot? Dann straffte er seinen ohnehin schon steifen Rücken. Seine Lippen kräuselten sich.

„Greyclover, zu was für einem berechenbaren Ärgernis du dich doch entwickelt hast.“

Stille senkte sich auf die Menge. Wahrscheinlich wollten alle hören, was gesprochen wurde. Selbst Quinn und ich machten große Augen. Greyclover. Mein Vater hatte ihn gelegentlich erwähnt. Auch ein Mitglied des hohen Rates. Ein Kollege, auf den mein Vater herabsah. Ich meine, mehr als auf die meisten anderen. Greyclover konnte kaum älter als dreihundert Jahre sein. Für ein Ratsmitglied war er also ziemlich jung. Während die tausend plus Jahre meines Vaters eher das typische Alter für die Mitglieder des Hohen Rates darstellten.

Greyclover lächelte. Sein Gesicht wirkte jungenhaft und hübsch.

„Komm schon, Auric. ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass du mich Novus nennen sollst. Zumindest in der Öffentlichkeit. Die Kosenamen können der Zeit hinter verschlossenen Türen vorbehalten bleiben.“

Quinn schnappte angesichts der naheliegenden Schlussfolgerung nach Luft. Moment, nein, das war ja ich gewesen. Hatte er gerade gesagt … Ich meine, ich wusste um die unersättlichen Gelüste meines Vaters, aber Greyclover deutete ein Maß an Vertrautheit an, das mein Vater seinen Sexpartnern gewöhnlich nicht zugestand.

Ich glaube nicht, dass mein alter Herr je mordlustiger ausgesehen hatte. All die Jahre des Trainings, in denen er mich darauf gedrillt hatte, Emotionen zu verbergen, seinen Feinden keinen Hinweis darauf zu geben, was man dachte, lösten sich in Luft auf.

„Was willst du, Greyclover? Ich bin ein viel beschäftigter Mann.“

„Du weißt, was ich will, Auric.“ Er wackelte mit den Augenbrauen.

Was für ein frecher Welpe! Ich mochte ihn jetzt schon. Was er dagegen an meinem Vater fand … Nun, über Geschmack ließ sich eben nicht streiten.

„Da das aber im Augenblick nicht machbar ist, bestehe ich darauf, dass du nicht wieder ohne deine Wächter verschwindest“, fuhr er fort. „Wir können keinen weiteren Anschlag auf dich erlauben. Der letzte war ein wenig zu knapp, um ihn auf die leichte Schulter zu nehmen, meinst du nicht auch?“

Moment, was? Quinn kniff mich in den Arm, während mein Gehirn versuchte, diese neue Wendung in der Konversation zu verarbeiten.

„Jemand hat versucht dich umzubringen, Dad?“

Mein Vater hatte offenbar vergessen, dass ich auch noch da war, denn sein Blick war voll und ganz darauf konzentriert, Greyclover in ein Häufchen Asche zu verwandeln. Er grunzte, wandte sich aber nicht von seiner türkishaarigen Nemesis ab.

„Oh pardon. Verzeih meine Unhöflichkeit. Er streckte seine winzige Hand aus und ich hielt ihm einen Finger zum Schütteln hin. „Ich bin ein Freund deines Vaters …“

„Ein Kollege. Kein Freund“, schnaubte mein Dad.

„Wie ich schon sagte, Ich bin ein enger Freund deines Vaters. Nach dem letzten Anschlag wollte der Rat …“

„Moment. Nach dem letzten? Plural?“

Mein Vater machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Nun, ich bin nicht überrascht, dass er dir nichts davon erzählt hat“, fuhr Greyclover fort.

„Er möchte nicht, dass seine Lieben sich Sorgen machen.“

Mein Dad und ich schnaubten gleichzeitig. Ja, sicher.

Greyclover sah zwischen uns hin und her. „Wie auch immer, der Rat ist der Meinung, dass es im besten Interesse deines Vaters ist, Leibwächter bei sich zu haben, wann immer er sich außerhalb seines Wohnsitzes aufhält. Schließlich wollen wir ihn ja nicht verlieren.“

„Ich brauche keine …“

„Ich bin Twig“, sagte ich und nahm meinem Vater den Wind aus den Segeln, bevor er noch richtig in Fahrt kam. Ich deutete auf Quinn. „Das ist mein Zauberer und Gefährte, Quinn Broomsparkle.“

Quinn streckte zögernd seinen Finger aus und erwartete, dass Greyclover sich so ablehnend verhalten würde, wie mein Vater und die Mehrheit der Alphae Gilde es taten. Immerhin war Quinn ein Mitglied der niedrigen Lovely Creatures Gilde. Oder der Gilde des letzten Auswegs, wie die überheblichen Alphae sie mitunter zu nennen pflegten.

Greyclover schenkte Quinn aber ein strahlendes Lächeln und ergriff eifrig seinen Finger.

„Es freut mich so, dich endlich kennenzulernen, Quinn. Der erste Zauberer in tausend Jahren! Twig muss extrem stolz auf dich sein.“

„Oh, danke. Ich freue mich auch, dich kennenzulernen.“ Quinn errötete, was ihn noch attraktiver aussehen ließ. Greyclover schien das durchaus auch zu bemerken.

„Mir war nicht bewusst, dass du obendrein auch noch schön bist. Aber Auric neigt dazu, sich mehr auf die inneren Werte als auf die äußere Erscheinung zu konzentrieren.“ Sein Grinsen war ansteckend und Quinn erwiderte das Lächeln und kicherte über den Scherz.

„Daran muss es liegen.“ Vielleicht war es auch mir nicht ganz gelungen, ein Lachen zu unterdrücken. Mein Vater und innere Schönheit passten einfach nicht in denselben Satz.

Aber Quinns Schultern entspannten sich und ich empfand Dankbarkeit, dass Greyclover sich meinem Gefährten gegenüber nicht so abweisend verhalten hatte wie viele andere.

Als die Gargoyles in unser Lachen einstimmten, richtete ich mich sofort zu meiner vollen Größe auf. Jemand versuchte, meinen Vater zu ermorden. Greyclover bemerkte die Veränderung in meiner Haltung sofort.

„Keine Sorge, Twig. Ich werde nicht zulassen, dass deinem Vater irgendetwas zustößt.“ Er deutete auf die Gargoyles. „Valod und Kizzaz sind zwei unserer besten Wächter. Sie werden uns nicht im Stich lassen.“

Beide Wächter nickten zustimmend und zeigten ihre bedrohlichen steinernen Zähne.

Wie auf Kommando streiften ein paar Reihen hinter uns sechs Kobolde ihre Kapuzen ab und stürzten sich auf unsere Gruppe. Innerhalb des Ratssaals funktionierte Magie nicht, dafür aber guter, altmodischer Stahl. Und davon hatten sie reichlich. Noch ehe ich mehr als entsetzt nach Luft schnappen konnte, drehten sich die Gargoyles mit einem Tempo, das ich bei Ihresgleichen noch nie gesehen hatte, um und rissen die Möchtegernangreifer in Stücke. Aus abgehackten Händen fielen Schwerter zu Boden, Degen ragten aus den Gürteln von nunmehr leblosen Körpern. Ein abgetrennter Kopf rollte sogar bis zu der Bank, die wir besetzt hatten.

Es war schrecklich, brutal und hässlich. Ich mochte diese Jungs.

Massenpanik brach aus. Reihe um Reihe der entsetzten Zuschauer stürzte auf die Türen zu. Wächter begleiteten die Ratsmitglieder zu einem privaten Ausgang.

Großartig. Nun würde ich später zurückkommen müssen, um meine Papiere abzugeben.

„Stopp!“, rief mein Vater und alle erstarrten, als hätte er sie mit einem Zauber belegt.

„Die Bedrohung wurde neutralisiert“, schnaubte er verächtlich. „Also schlage ich vor, dass wir fortfahren.“ Er setzte sich auf die Bank, als sei nichts Außergewöhnliches passiert, und ignorierte die Körperteile, die über den Boden des Saals verstreut lagen.

Und natürlich setzten sich auch alle anderen wieder hin. Ich eingeschlossen.

Mein Vater deutete auf den Rat. „Beginnen eure Treffen immer so spät? Ich habe Gesetze auszuarbeiten und politische Initiativen zu einem Abschluss zu bringen. Lasst uns weitermachen.“

Die Ratsmitglieder und besonders Flintheart wurden unter seinem Blick sichtlich blass.

Ein Hammer knallte auf den Tisch und sorgte für Ruhe im Saal.

„Hättest du mir je davon erzählt, Dad?“, flüsterte ich, als der Vorsitzende das erste Thema des Abends ankündigte.

„Nein“, schnaubte er.

„Ist das alles, was du zu sagen hast? Nein?“

„Es ist nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest. Glaubst du, es ist das erste Mal, dass jemand versucht hat, mich zu töten? Ich bin über zwölfhundert Jahre alt, Twig. Ich habe mich schon mit einigen Mordversuchen herumgeschlagen.“

„Auric, das ist kein Scherz. Das war jetzt Anschlag Nummer sechs. In einem Monat. Das ist nicht normal. Irgendwer will dich wirklich tot sehen.“ Grayclover legte einen Finger an sein Kinn. „Ich meine, mehr als sonst.“

Mein Vater würdigte Greyclovers Vorwürfe keiner Antwort. „Ich würde diesen letzten Angriff wohl kaum als ernsthaftes Attentat bezeichnen“, fügte er hinzu.

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