Читать книгу Wettbewerbs- und Kartellrecht - Meinrad Dreher - Страница 11
1. Der Schutz des wirtschaftlichen Wettbewerbs als Ausgangspunkt
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a) Das „Wettbewerbs- und Kartellrecht“ findet sich seit langem in den Justizausbildungs- und Prüfungsordnungen.[1] Seitdem hat die Lehre zwei teilweise einander benachbarte und miteinander verflochtene, teilweise recht heterogene Gebiete als „Wettbewerbsrecht im weiteren Sinne“ zusammengefasst: das Recht gegen unlauteren Wettbewerb (Unlauterkeitsrecht oder Wettbewerbsrecht im engeren Sinn) und das Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellrecht). Die beiden Gebiete stehen einander insoweit nahe, als jedes von ihnen – in je eigener Weise – den wirtschaftlichen Wettbewerb gegen Beeinträchtigungen schützt. Während aber das Wettbewerbsrecht i. e. S. seine Verbote ganz überwiegend mit klassischen privatrechtlichen Mitteln (Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche) sowie einigen wenigen Straf- und Bußgeldvorschriften durchsetzt, sieht das Kartellrecht neben privatrechtlichen Ansprüchen vielerlei Eingriffe spezieller Behörden (Kartellbehörden) vor und nähert sich insoweit dem Wirtschaftsverwaltungsrecht, also dem öffentlichen Recht.
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Die begriffliche Zusammenfassung beider Gebiete als „Wettbewerbsrecht im weiteren Sinn“ gibt der Lehre einige Probleme auf. In den Lehrbüchern findet sich die gemeinsame Darstellung beider Rechtsgebiete immer seltener.[2] Andererseits arbeitet die juristische Praxis in vielen Fällen wie selbstverständlich parallel mit den Normen des Kartellrechts und des Unlauterkeitsrechts, auch wenn Kartellstreitsachen und UWG-Sachen jeweils besonderen Spruchkörpern der ordentlichen Gerichte zugewiesen sind (vgl. §§ 87, 89, 91, 92, 94 GWB und § 14 UWG). Auch international gesehen ist die scharfe Trennung beider Materien eher die Ausnahme, zumal einige Rechtsordnungen ohne ein Recht gegen den unlauteren Wettbewerb auskommen.
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b) Einheitsstiftendes Element der beiden Rechtsgebiete ist der Schutz des wirtschaftlichen Wettbewerbs. Über den Begriff des Wettbewerbs hat man allerdings viel gestritten, ohne dass klar geworden ist, ob den verschiedenen Normen des Wettbewerbsrechts (i. w. S.) überhaupt ein und derselbe rechtliche Wettbewerbsbegriff zugrunde liegt. Der Rückgriff auf die Wirtschaftswissenschaften, auf Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, kann zwar manches aufhellen.[3] Aber die Erkenntnisse halten sich in Grenzen. Wettbewerbspolitik und -theorie kämpfen mit den sich schnell und vielfältig wandelnden tatsächlichen Verhältnissen, so dass vorzeitige Generalisierungen oder schlichte Modellvorschläge mit Recht auf Skepsis stoßen. Ebenso verbietet es sich, den Wettbewerbsbegriff durch ein Bestimmungswort näher festzulegen und damit praktisch einzuengen. Einige Verwirrungen haben namentlich die Komposition „Leistungswettbewerb“ und die mit ihr verbundenen Bewertungen von Wettbewerbshandlungen gestiftet.[4]
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Den wirtschaftlichen Wettbewerb, wie er von zahlreichen, wenn nicht den meisten Normen der beiden Rechtsgebiete gesehen wird, kennzeichnen vielmehr ein tatsächliches und ein rechtliches Element. In tatsächlicher Hinsicht handelt es sich um einen Koordinierungsprozess zwischen Anbietern und Nachfragern wirtschaftlicher Leistungen. In rechtlicher Hinsicht ist der wirtschaftliche Wettbewerb notwendige Voraussetzung für den privatrechtlichen Vertrag. Denn der Vertrag setzt den Wettbewerb, die Wahlfreiheit jedes Vertragspartners, voraus. Zugleich erreicht der Wettbewerb seine Erfüllung, sein Ziel, immerfort in dem Abschluss von Verträgen.[5] Vertrag und Wettbewerb bedingen sich also gegenseitig, so dass der wirtschaftliche Wettbewerb essentiell in die Funktionszusammenhänge des Rechts eingebunden ist. Die „spontane Ordnung“ F. A. von Hayeks ereignet sich, rechtlich gesehen, in Vertrag und Wettbewerb.
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c) Eine positive Definition des Rechtsbegriffs Wettbewerb hat der Gesetzgeber allerdings mit Recht vermieden. Denn der wirtschaftliche Wettbewerb, um den es hier allein geht, widersetzt sich der gesetzlichen Definition. Er stellt nicht nur ein „komplexes Phänomen“ dar, sondern auch ein „Entdeckungsverfahren“ – beides ebenfalls Kennzeichnungen durch F. A. von Hayek –[6] und muss als solches offen (für neue Ergebnisse, Verhaltensweisen, Strukturen) bleiben. Eine gesetzliche Definition käme jedoch kaum ohne Annahmen und Vorgaben für Marktstrukturen, -verhaltensweisen oder -ergebnisse aus und liefe dadurch Gefahr, die prinzipielle Offenheit des Wettbewerbsprozesses zu verfehlen.[7]
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Der juristisch-begrifflichen Fixierung entzieht sich der wirtschaftliche Wettbewerb auch deswegen, weil sich in ihm der Fundamentalwettbewerb der Menschen untereinander abspielt, ein anthropologisches Phänomen, das selbst in der Wettbewerbstheorie nicht immer genug Beachtung findet.[8] Dieser Fundamentalwettbewerb manifestiert sich in vielen Arten, so z. B. in der Konkurrenz um Leistungsbeurteilungen, Arbeitsplätze oder Ämter in Ausbildung, Arbeitsleben, Politik oder Wissenschaft. Es fehlt aber an einheitlichen Regeln, die ohne weiteres auf den wirtschaftlichen Wettbewerb übertragen werden könnten. Das gilt insbesondere für die sportlichen Wettkämpfe. Zwar werden sie seit Adolf Lobe[9] gerne mit dem wirtschaftlichen Wettbewerb verglichen. Doch zeichnet sportliche Wettbewerbe nicht die gleiche Offenheit aus wie den wirtschaftlichen Wettbewerb, so dass der Vergleich unzutreffend ist. Sportliche Wettkämpfe finden in einem determinierten System statt, das genaue Bestimmungen über Anzahl und Zustand der Teilnehmer, die zu verwendenden Geräte und die zu erbringenden Leistungen enthält und lediglich dazu dient, die unter diesen Bedingungen erzielten Ergebnisse miteinander zu vergleichen.
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d) Auch wenn sich danach Begriff und Voraussetzungen des wirtschaftlichen Wettbewerbs einer gesetzlichen Definition entziehen, kommt keine moderne Rechtsordnung ohne den wirtschaftlichen Wettbewerb aus. Die Alternative, dass der Staat die gesamte Wirtschaft organisiert und leitet, hat der Kommunismus in der Sowjetunion und der DDR als unter neuzeitlichen Verhältnissen unmöglich demonstriert. Je komplizierter eine Wirtschaft und eine Gesellschaft sind, umso mehr Aufgaben müssen sie dem Wettbewerb und der privatautonomen Gestaltung der Einzelnen überlassen. Deswegen können wir nicht (mehr?) zwischen Zentralverwaltungswirtschaft und Verkehrswirtschaft wählen,[10] wir sind zum Wettbewerb „verurteilt“, können ihn allenfalls in gewissen Grenzen regeln. Diese Konsequenz hat namentlich die Europäische Union von Anfang an gezogen.[11]
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e) Auch von der – deutschen und europäischen – Verfassung her gesehen[12] steht die unmittelbare privatautonome Gestaltung durch die Einzelnen im Zentrum. Es gilt insoweit – für die Gestaltung der Sozialbeziehungen – der Vorrang des Privatrechts bzw. der Privatautonomie.[13] Die verfassungsrechtliche Literatur lässt dies allerdings nicht immer deutlich genug erkennen, weil sie, konzentriert auf die Probleme des Staates und der Grundrechte, die Phänomene und Funktionsweisen des Privatrechts und des Wettbewerbs vernachlässigt.[14] In der „spontanen Ordnung“ durch Vertrag und Wettbewerb werden jedoch die weitaus meisten Rechtsverhältnisse geregelt, freilich still und unauffällig, aber – sowohl für die Beteiligten als auch sub specie juris – keineswegs weniger befriedigend als durch hoheitliche Gestaltung, die sich mehr oder weniger öffentlich vollzieht und deswegen mehr Beachtung findet. In einer Gesamtordnung, die von der Gleichheit und Freiheit aller Menschen ausgeht, verdient jedoch die privatautonome Gestaltung, die die Menschen selbst (mit-)gestalten lässt, den Vorrang vor einer vom Einzelnen bloß mittelbar – durch Wahlen – zu beeinflussenden hoheitlichen Gestaltung.