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3. Das Verhältnis von Unlauterkeitsrecht und Kartellrecht zueinander
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a) Während das Unlauterkeitsrecht (Wettbewerbsrecht i. e. S.) gegen deliktsartige Wettbewerbshandlungen schützen soll, richtet sich das Kartellrecht gegen Einschränkungen der Wettbewerbsfreiheit. Soweit sich diese Einschränkungen aus Zusammenschlüssen ergeben (§§ 35 ff GWB, VO 139/04), stehen sie dem Unlauterkeitsrecht fern. Soweit sie dagegen Zweck oder Folge von Vereinbarungen (§§ 1 ff GWB, Art. 101 AEUV), vor allem aber von einseitigen Handlungen (§§ 19 ff GWB, Art. 102 AEUV) sind, gibt es viele Berührungspunkte. Zahlreiche Sachverhalte, etwa der Boykott oder der Verkauf unter den eigenen Kosten, können unter die Normen beider Rechtsgebiete fallen.[1] Dann ergänzt das Kartellrecht die privatrechtlichen Rechtsfolgen des Wettbewerbsrechts um verwaltungs- und bußgeldrechtliche Sanktionen. Darüber hinaus setzen das Wettbewerbs- und das Kartellrecht in mancher Hinsicht die Wertungen des jeweils anderen Rechtsgebietes voraus.[2] Das gilt etwa für die Wettbewerbsregeln der §§ 24 ff GWB.[3]
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Historisch gesehen wurden die sachlichen Zusammenhänge zwischen dem Unlauterkeits- und dem Kartellrecht in Deutschland zunächst dadurch verdunkelt, dass das GWB weniger als Ergänzung und Fortentwicklung des überkommenen Rechts konzipiert wurde, sondern als ein völlig neuer, in erster Linie von dem neoliberalen Programm und von den Besatzungsmächten geforderter legislatorischer Ansatz.[4] Durch eine Reihe von Entwicklungen im Verfahrens- und im materiellen Recht sind aber die sachlichen Zusammenhänge zwischen den beiden Rechtsgebieten inzwischen viel stärker hervorgetreten.
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b) Zunächst ist verfahrensrechtlich sowohl ein anwachsender Gebrauch von Zivilklagen im Kartellrecht („private enforcement“) als auch die Zunahme von Behördenbefugnissen im Wettbewerbsrecht festzustellen. Soweit es um die kartellrechtlichen Zivilklagen geht, standen diese zwar lange Zeit im Schatten der verwaltungs- und bußgeldrechtlichen Verfahren der Kartellbehörden. Inzwischen haben aber vor allem Schadensersatzklagen betroffener Abnehmer gegen an Kartellen beteiligte Unternehmen eine große Bedeutung.[5]
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Im Unlauterkeitsrecht wurden und werden dagegen immer neue Behördenbefugnisse geschaffen.[6] Keine Bedenken verursachen die dem Wettbewerbszivilprozess vorgeschalteten Einigungsstellen bei den Industrie- und Handelskammern und einige zivilprozessuale Aufgaben des Bundesamts für Justiz. Die Durchsetzung der – nicht sehr zahlreichen – Bußgeldvorschriften im Bereich der unlauteren Geschäftspraktiken ist aber bereits auf mehrere Stellen aufgeteilt und wird weiter ausgebaut.[7] Darüber hinaus hat die europäische Zusammenarbeit im Bereich des Verbraucherschutzes[8] zur Ermächtigung des Bundesamts für Justiz nach dem EU-VSchDG geführt, in Deutschland unionsrechtlich relevante Verstöße gegen verbraucherschützende Vorschriften, die es auch im UWG gibt, zu verfolgen. Freilich soll sich das Amt dabei der nach dem UWG klagebefugten Verbände und Kammern bedienen (§ 7 EU-VSchDG). Weiter ist das Bundeskartellamt ermächtigt, im Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts Sektoruntersuchungen durchzuführen (§ 32e Abs. 5 GWB) und sich als „amicus curiae“ an wettbewerbsrechtlichen Zivilprozessen zu beteiligen (§ 90 Abs. 6 GWB).[9] Vor allem von Seiten der Literatur zum Unlauterkeitsrecht wird schließlich teilweise gefordert, dem BKartA die Kompetenz zur behördlichen Durchsetzung des Lauterkeitsrechts zu geben.[10]
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c) Auch materiell-rechtlich bewegen sich das Wettbewerbs- und das Kartellrecht aufeinander zu. Seit dem UWG 2004 und dem GWB 2013 bringt der übereinstimmend verwendete Begriff des „unverfälschten Wettbewerbs“ (§ 1 S. 2 UWG) bzw. der „Verfälschung des Wettbewerbs“ (§ 1 GWB; vgl. ferner Art. 101 AEUV) den gemeinsamen Ausgangspunkt beider Rechtsgebiete, den unverfälschten Wettbewerb, deutlich zum Ausdruck. Damit hat der Gesetzgeber ausdrücklich anerkannt, dass sowohl das Wettbewerbs- als auch das Kartellrecht den Wettbewerb gegen Verfälschungen schützt, wenn auch gegen Verfälschungen unterschiedlicher Art und nicht immer mit denselben Instrumenten. Deutlich wird der übereinstimmende Schutzzweck beider Rechtsgebiete ferner bei den einseitigen Handlungen, bei denen der Gesetzgeber den Schutz derselben Marktteilnehmer (Konkurrenten, Lieferanten und Abnehmer) parallel sowohl in §§ 19 bis 21 GWB als auch in § 4 UWG (Behinderung von Mitbewerbern) und § 4a UWG (aggressives Verhalten gegenüber der Marktgegenseite) durch Verschärfungen und Klarstellungen immer weiter ausgebaut hat. Spezielle Branchenvorschriften treten hinzu.[11]
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Darüber hinaus haben Praxis und Wissenschaft, dem Grundsatz der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung folgend, Regelungskonflikte und Wertungswidersprüche im Verhältnis von Wettbewerbs- und Kartellrecht durch Rückgriff auf die Vorschriften und Grundgedanken des jeweils anderen Rechtsgebietes zu vermeiden gesucht.[12] Bei der Anwendung des Unlauterkeitsrechts waren etwa die Behinderung (§ 4 Nr. 4 UWG) und der Rechtsbruch (§ 3a UWG) mit dem Kartellrecht abzustimmen.[13] Fraglich war auch, ob das UWG im Vorfeld kartellrechtlicher Vorschriften, die ein bestimmtes Maß an Marktmacht voraussetzen (§§ 19, 20 GWB, Art. 102 AEUV), angewendet werden kann, oder ob das Kartellrecht in diesen Fällen „Sperrwirkung“ besitzt.[14] Bei der Anwendung des Kartellrechts war wiederum zu beachten, dass den Schutz seiner Wettbewerbsfreiheit gegen Beschränkungen nicht beanspruchen kann, wer unlauter handelt.[15] Auch die Anwendung der Vorschriften über die Wettbewerbsregeln (§§ 24 ff GWB) kommt nicht ohne Rückgriff auf die Wertungsgedanken des Unlauterkeitsrechts aus.[16]
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d) Trotz des gemeinsamen Ausgangspunktes (Schutz des unverfälschten Wettbewerbs) und trotz der aufgezeigten Konvergenzbewegungen bilden das Wettbewerbs- und das Kartellrecht insgesamt aber kein einheitliches Rechtsgebiet.[17] Denn beide Rechte regeln nicht nur überwiegend unterschiedliche Arten der „Verfälschung“, sondern unterscheiden sich auch in vielen Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen. Außerdem ist das Kartellrecht von einer erheblichen „Ökonomisierung“ geprägt,[18] die dem Wettbewerbsrecht als Deliktsrecht fremd ist. Die These, die kartellrechtlich geregelten Arten der Wettbewerbsverfälschung – einschließlich der Zusammenschlüsse – könnten ohne weiteres auch als unlautere geschäftliche Handlungen i. S. d. § 3 Abs. 1 UWG angesehen werden,[19] macht es sich daher zu leicht. Das Verhältnis von Wettbewerbs- und Kartellrecht ist vielmehr ein solches der Gleichberechtigung. Zivilrechtlich besteht bei Überschneidungen grundsätzlich Anspruchskonkurrenz.
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Zu einem einheitlichen Rechtsgebiet werden das Wettbewerbs- und das Kartellrecht auch nicht dadurch, dass der Gesetzgeber sie in zunehmendem Maße für Zwecke des Verbraucherschutzes in Anspruch nimmt. Insbesondere die UWG-Novellen seit 2004[20] und die GWB-Novelle von 2017[21] sollten in beiden Rechtsbereichen den Verbraucherschutz stärken. Dieser ist jedoch nur eines von mehreren Anliegen des Wettbewerbs- und des Kartellrechts. Denn beide Rechte verfolgen einen ganzheitlichen, „integrierten“ Ansatz und schützen neben den Verbraucherinteressen gleichzeitig und gleichberechtigt auch die Interessen der übrigen Marktteilnehmer und den Wettbewerb als solchen, als Prozess (vgl. § 1 UWG). Da die Handlungen der Marktteilnehmer im Wettbewerb notwendig mehrdimensional sind und ihre Auswirkungen im Verhältnis zu Konkurrenten, Lieferanten und Kunden rechtlich wie tatsächlich nicht sinnvoll voneinander getrennt werden können, vermag der Verbraucherschutz, erst recht bei isolierter Betrachtung, weder dem Wettbewerbs- oder dem Kartellrecht noch ihrer Zusammenführung zu einem einheitlichen Rechtsgebiet teleologisch eine tragfähige Grundlage zu geben.
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Allerdings leisten das Wettbewerbs- und das Kartellrecht mit dem Schutz des Wettbewerbs gegen Verfälschungen unterschiedlicher Art einen zentralen Beitrag zum Verbraucherschutz. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die einzelnen Verbraucher bei der Rechtsdurchsetzung selbst nur eine untergeordnete Rolle spielen. Denn die Rechtsdurchsetzung durch Konkurrenten und Verbände im Wettbewerbsrecht und durch die Kartellbehörden sowie betroffene Unternehmen im Kartellrecht hat sich grundsätzlich bewährt.