Читать книгу Prophezeiung - Melanie Baumann - Страница 7
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Auch in der nächsten Pause versuche ich mit Tamara zu reden und sie mit ihrer anscheinenden Doppelmoral zu konfrontieren. Sobald der Gong, jedoch die Pause angekündet hat, ist sie aufgesprungen und förmlich vor mir geflüchtet.
Angepisst, gehe ich allein in die Cafeteria und murmle frustriert vor mich hin.
Wofür hat man den bitte schön eine beste Freundin, wenn die vor einem abhaut? Ich dachte, zwischen uns wäre alles geklärt, aber allmählich bekomme ich das Gefühl, dass es sich völlig anders verhält.
Nachdem ich allein mein Mittagessen gegessen habe und ebenso allein, auf derselben Bank sitze, wie vorhin bekomme ich das Gefühl, das hier etwas ganz gewaltig falsch läuft. Was passiert hier?
Was passiert mit meiner besten Freundin?
Niemals ist das ihre normale Reaktion. Sie ist die Verfechterin des Rechts. Sie stellt sich für gewöhnlich immer vor die Unschuldigen. Niemals verschließt sie vor so etwas die Augen oder versucht es wie jetzt, zu ignorieren. Sie hat sich immer alles angehört, was ich zu sagen hatte und erst darüber nachgedacht, bevor sie es kommentiert hat, doch nun?
Bevor ich weiter überlege, was ich als Nächstes tun soll, bewegen sich meine Beine bereits von allein über den Schulhof. Ich halte Ausschau nach dem Jungen mit den grauen Augen, doch weit und breit ist weder er noch jemand anderes aus seiner Entourage auszumachen. Aus Ermangelung des einen, versuche ich es mit dem anderen und suche nach Tamara, aber auch sie ist nicht zu entdecken.
Verwirrt stelle ich mich auf meine Bank und suche über den Köpfen nach irgendeinen der fremden Jungen oder meiner Freundin, aber keiner von ihnen ist zu finden.
Frustriert gebe ich einen Laut von mir, den ein Fünftklässler zusammenzucken lässt, als der gerade an mir vorbei geht.
Ich beschließe im Schulgebäude weiterzusuchen, schließlich müssen sie ja irgendwo sein. Ich habe die Nase voll von diesem Spiel. Ich werde diesen Jungen zur Rede stellen und herausbekommen, was hier los ist. Der Freak hat mir Rede und Antwort zu stehen, genauso wie meine Freundin.
Im zweiten Stockwerk angelangt, suche ich eilig die Gänge ab, doch wie auch schon eine Etage tiefer, ist keiner zusehen. Vor jeder Tür bleibe ich kurz stehen und lausche bis ich beim Bioraum eine Stimme höre, die mir bekannt vorkommt.
Was soll das denn?
Was macht sie da drin?
Ich verstehe kein Wort von dem, was gesagt wird und lege, um besser lauschen zu können, mein Ohr flach auf die Tür.
>> Ich kann das nicht länger durchziehen. Ihr ist bereits aufgefallen, dass ich mich merkwürdig verhalte. Wie soll ich ihr bitte erklären, dass ich mich spontan, um 180 Grad gedreht habe? Ihr hättet euch zurückhalten müssen! War das denn wirklich nötig vorhin? <<
>> Du musst und du wirst. Es ist zu gefährlich, sie jetzt schon einzuweihen. Du hast sie jetzt 17 Jahre studiert, du weißt, wie du auf sie zu reagieren hast, also stell dich nicht so an und mache deinen Job. <<
Was?
>> Das vorhin war ja nicht geplant und wird nicht mehr vorkommen, es… <<
Erklärt jemand anderes, doch wird von einer dritten Person unterbrochen.
>> Genau, das wird nicht mehr vorkommen. << ist alles, was die fremde Stimme erwidert und der Zweite beendet seinen unterbrochenen Satz.
>> sollte dich nicht vor ein Problem stellen, wenn du glaubwürdig versicherst, dass sie zu viel in die Sache hineininterpretiert hat. Darum wurdest du schließlich gebeten und du hast der Sache zugestimmt, vergiss das nicht.<<
>> Wie sollte ich? Aber wenn ihr euch alle mal ein bisschen zurückhalten würdet, wäre es vielleicht nicht so offensichtlich, dass hier etwas vor sich geht. Schraubt einfach mal eine Oktave tiefer, schafft ihr das? << giftet meine Freundin den Unbekannten an.
>> Zurückhaltung, hast ja gerade du richtig drauf. Wer hat denn das kleine Jüngelchen abserviert, als der Angebetete aufgetaucht ist? <<
Was zur Hölle geht hier vor? Ich starre die Tür vor mir an.
Mühevoll kämpfe ich gegen den Drang an einfach die Tür einzutreten und mir meine Erklärungen zu holen.
>> Leute wir müssen uns beeilen und dürfen nicht alle gleichzeitig hier raus. Ich würde sagen …<<
Schnell rücke ich von der Tür ab und sprinte zum Treppenaufgang der Feuertreppe, um in Deckung zu gehen.
Gerade, als ich die Tür lautlos hinter mir geschlossen habe und durch das kleine Fenster spähe, öffnet sich der Bioraum und herauskommen Tami, Maxwell, Lennox, Nummer Sieben, Nummer Acht sowie Mister X und sechs weitere Jungen, deren Namen ich bisher noch nicht in Erfahrung bringen konnte. Das ist die komplette Hälfte, der ausländischen Klasse, welche bei uns untergebracht wurde.
Verstohlen schiele ich durch das kleine Türfenster, bedacht drauf nicht entdeckt zu werden, auf jeden einzelnen der Jungen. Als die Mannschaft vom Flur verschwunden ist, lehne ich mich an die Wand und rutsche an ihr entlang zu Boden, meine Beine hätten mich keine Minute länger getragen.
Was soll ich jetzt nur tun?
Wie unter Schock starre ich ins Leere.
Weg.
Das ist der einzige Gedanke, der in meinem Kopf kreist.
Ich muss hier unbedingt weg.
Tamara hat mich belogen, meine beste Freundin hat mir etwas vorgespielt und diese Typen? Wer sind die?
Was wollen die von mir?
Was zum Teufel, wollen die alle von mir?
Ich fühle mich zutiefst verraten und hintergangen. Keine Minute länger halte ich es hier aus und ich setze mich bestimmt nicht zu diesen verlogenen Menschen, in den Klassenraum.
Vor Wut treten mir die Tränen in die Augen und ich kämpfe mich auf die Füße. Eilig laufe ich die Feuertreppe nach unten und warte bis der zweite Gong, der anzeigt das die Stunde beginnt, ertönt.
Vorsichtig blicke ich in alle Richtungen, versichere mich, dass ich nicht von anderen Schülern oder Lehrern gesehen werde und haste über den Hof. Sobald ich die Grenze des Schulgeländes erreicht habe, beginne ich zu rennen. Ich renne so schnell, dass meine Beine beginnen zu brennen und das Seitenstechen fast unerträglich wird.
Mein Zuhause kommt in Sicht und ich werde langsamer.
Zuhause, Sicherheit.
Glücklich darüber unser Haus zusehen, komme ich keuchend zum Stehen und stütze mich für einen Moment auf meinen Knien ab. Meine Eltern sind noch nicht zuhause, so kann ich, ohne verhört zu werden meine Sachen packen. Auf dem Weg hierher ist mir eingefallen, wohin ich gehen kann und ich so schnell nicht gefunden werde.
Mit großen Schritten fege ich die Treppe nach oben in mein Zimmer, schnappe mir meinen Campingrucksack und stopfe alles rein, um 2 bis 3 Tage über die Runden zu kommen. Zusätzlich mit meinem Schlafsack ausgestattet, mache ich einen Abstecher in die Küche, in der ich alles in den Rucksack werfe, wovon ich denke, dass ich es brauchen kann. Inklusive so viel Schokolade, wie ich in die Hände bekomme.
Damit Mom und Dad sich keine Sorgen machen, pinne ich schnell eine Nachricht an den Kühlschrank. „Schlafe die nächsten Tage bei Eva. Ich melde mich. Kuss Sophie“.
Vor Jahren haben Tamara und ich, uns Eva ausgedacht. Sie war unsere Lösung, um ungestört von unseren Eltern campen zu gehen.
Als wir das erstmal allein unterwegs waren, haben ihre, wie auch meine Eltern so oft angerufen und uns gefragt, ob wir noch am Leben sind, dass das den ganzen Spaß ruiniert hat.
Dem Rucksack füge ich mein Lieblingsbuch, sowie eine Taschenlampe aus der Küche hinzu und verschnüre alles bevor ich ihn schultere.
Wieder auf der Straße, schlage ich den Weg zum Wald ein, in den ich ziellos gehe.
Diese Freaks werden mich garantiert zuerst bei mir zuhause suchen, denke ich mit einem Lächeln auf den Lippen. Da wo ich hingehe, wird mich niemand finden, nicht einmal Tami.
Nach etwa 20 Minuten finde ich den richtigen Weg und brauche noch einmal 1 Stunde Berg auf, bis ein großes, freies Stück Wiese kommt. Von hier aus vergehen weitere 15 Minuten und endlich erstreckt sich vor mir ein kleiner Bergsee. Direkt hinter dem See, liegt versteckt eine kleine Höhle, in der ich, als ich noch sehr klein war, mit Dad verstecken gespielt habe.
Diesen Ort, der für die nächsten Tage meine Zuflucht sein wird, haben meine Eltern öfter besucht. Sie haben sich dorthin einfach zurückgezogen, als wir das alte Bauernhaus mit Garten noch nicht hatten.
Zielstrebig laufe ich auf die Höhle zu und beginne den heutigen Tag zu überdenken. Die Fragen, die sich heute zu denen von gestern gesellt haben, lassen sich jedoch nicht so leicht beantworten. Noch immer bin ich fassungslos darüber, dass meine beste Freundin in alles involviert ist und versucht hat mich zu manipulieren. Ich versuche mich an den genauen Wortlaut zu erinnern, den sie benutzt hat, doch die Worte wollen mir nicht einfallen. Das Einzige, an das ich mich erinnern kann, ist das sie seit Anfang an ein falsches Spiel gespielt hat.
Wie konnte ich so blind sein? Sie hat mich die ganze Zeit für dumm verkauft.
Hat sie mich immer belogen, die ganze Zeit?
Kann sich ein Mensch 17 Jahre verstellen?
Ich weiß einfach gar nichts mehr.
In der Höhle befreie ich mich von meiner Last, breite den Schlafsack davor aus und hole die erste Tafel Schokolade und ein Sandwich, welches ich im Kühlschrank gefunden habe, hervor.
Alles hier sieht so aus, wie ich es in Erinnerung habe. Kurz habe ich das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben. Leider weiß mein Kopf, das dem nicht so ist und die Harmonie, welche die Natur mir hier vorgaukelt, in meinem Leben nicht mehr existiert.
In den Tagen, die ich mir durch meine Auszeit verschafft habe, muss ich überlegen wie ich weiter machen will und wie ich mit meinem neuen Wissen umgehe.
Als ich nach der Schokolade greife, streifen meine Finger über mein Handy. Ich nehme es in die Hand und schalte es aus. Das hätte ich vorhin schon tun sollen. Diese fremden Jungen werden es wohl kaum anpeilen können, aber sicher ist sicher.
Satt lege ich mich auf mein Lager und versuche tiefatmend auszublenden, was in meinem Leben gerade alles schiefgeht.
Es gelingt mir nicht zu vergessen. Ohne Unterlass, kreisen die nervigen Gedanken, gepaart mit Fragen in meinem Kopf und ich stöhne frustriert auf. Ich kämpfe mit den Tränen, die sich immer schneller in meinen Augen bilden. Den Kampf verliere ich kläglich. Zu groß ist der Schmerz, welchen ich verspüre, wenn ich an meine Freundin denke.
Kaum, dass sich die erste Träne über meine Wange einen Weg in die Freiheit gebahnt hat, ist der Damm gebrochen. Ich weine um den Verrat und um den dämlichen Jungen mit den grauen Augen, obwohl ich nicht einmal seinen Namen kenne.
Das Schlimmste für mich, was mich noch mehr beschäftigt, als die Verschwörung, die sich um mich herum ausgebreitet hat, ist das dieser Fremde, in dessen Armen ich lag und in dessen Blick ich versunken bin, mich einfach nicht loslässt.
Ich kann ihn nicht einmal leiden, er ist viel zu arrogant und siegessicher. Allein bei dem Gedanken, wie er mit Lennox umgesprungen ist, verspüre ich eine nie gekannte Abneigung gegen ihn. Und doch hält er mich in seinem Bann gefangen.
Die Anstrengung der Wanderung macht sich bemerkbar und ich kann kaum noch die Augen offenhalten.
Die ganze Heulerei hat ihr übriges getan und so falle ich erschöpft in einen erschreckend realen Traum.
>> Seit Stunden stehe ich hier. Hoch oben am höchsten Punkt der Festung. Der Wind zerrt an meinem Kleid und meinem offenen Haar. Die Frisur, die mir meine Zofe aufwendig geflochten hat, hat sich längst aufgelöst.
In der Ferne sehe ich sie, gerade aufgerichtet auf ihren prachtvollen Pferden, die sich der Burg nähern. Elf Rösser mit elf Reitern, doch nur auf den einen warte ich. Bald wird er bei mir sein, bald kann ich ihn in meine Arme schließen.<<
Mit wild klopfendem Herzen schrecke ich auf und brauche einige Minuten, um mich zu orientieren. Wald, Höhle, See. Keine Burg, keine Reiter. Die Realität greift mit ihren Klauen nach mir und mir wird schmerzlich bewusst, warum ich mich hier befinde. Das Shirt, welches ich anhabe, klebt mir am Körper. Ich ziehe es mir über den Kopf, während ich aufstehe und auf den See zu gehe, dessen Wasser noch immer genauso glasklar ist, wie vor 12 Jahren.
Lange brauche ich nicht überlegen, ziehe mir auch meine Shorts aus und sehe mich um.
Soll ich es wagen?
Es ist ja niemand hier, der mich beobachten könnte. Kurzerhand entledige ich mich auch meines BHs und meines Höschens. Mit dem kleinen Zeh voran, teste ich das kühle Nass. Kurz bin ich verunsichert durch die Kälte, die das Wasser trotz der hohen Temperaturen hat, bin dann aber mit einigen, langen Zügen in der Mitte des Sees und tauche vollständig unter. Das kalte, klare Wasser ist wie Balsam auf meiner überhitzten Haut und für meine sich überschlagenden Gedanken. Auf den Rücken gedreht, lasse ich mich treiben. So schaue ich mit offenen Augen in den blauen Himmel. Die Geräusche um mich herum, nehme ich durch meine überreizten Sinne viel deutlicher wahr. Jeder Vogel, jeder knackende Ast im Unterholz, alles höre ich so laut, als würde es neben meinem Ohr geschehen. Als meine Haut schon schrumpelig ist, tauche ich noch einmal tief unter die Oberfläche und schwimme gemächlich zum Rand zurück.
Das Wasser hat mir gutgetan und mich ein wenig geerdet. So bleibe ich, wie Gott mich schuf Zurück in meinem Unterschlupf trinke ich mehrere Schlucke Wasser. Anschließend hole ich mein Buch heraus und versuche mich abzulenken, doch wie nicht anders zu erwarten, kann ich mich nicht konzentrieren.
Vielleicht sollte ich es mit Yoga probieren?
Nachdem ich, durch die aufgeheizte Luft schnell getrocknet bin, schlüpfe ich in meine Unterwäsche und Shorts und versuche mich an einer Meditation. Hoffentlich hilft mir das, einen klaren Kopf zu bekommen.
Im Schneidersitz und mit geschlossenen Augen atme ich tief ein und aus. Unvermittelt beginnt mein Unterbewusstsein, die Szenen aus meinem Traum zu wiederholen.
Wieso träume ich so etwas?
Was will es mir damit sagen?
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich in letzter Zeit einen Film gesehen habe, in dem es um Ritter ging. Auch in Geschichte sind wir bei einem vollkommenen anderen Thema und der letzte Urlaub, in dem ich Schlösser und Burgen besichtigen musste, ist schon länger her.
Bei meinen Eltern gehört das zum Kulturprogramm, schließlich soll ich auch die Geschichte des Landes, in dem ich bin, kennenlernen.
Der Traum tritt Bild für Bild vor mein inneres Auge und ich erkenne, dass die Frau, von der ich ausgegangen bin, ich zu sein, ein wenig anders aussieht.
Ihre Augen sind eine Spur heller als meine, ihre Nase ein kleines bisschen größer und ihre Lippen auf schöne weiße voller. Würde ich neben ihr stehen, könnte man uns für Zwillinge halten oder Doppelgänger. Im Traum war es so, als wären ihre Gefühle, die meinen, als wäre ich sie.
Es hat sich so echt angefühlt.
Die Sehnsucht, die ich verspürt habe, als ich die Reiter gesehen habe, war wie ein Stich ins Herz. Dasselbe Gefühl hatte ich, als der Junge mit den grauen Augen mich, nach unserem Zusammenstoß losgelassen hat.
Wahrscheinlich versucht mein Herz den Moment mit diesem eigenartigen Traum zu kompensieren, anders kann ich es mir nicht erklären.
Müde von meinem Gedankenkarussell, reibe ich mir über die Augen und fasse den Entschluss herauszubekommen, was Tamara‘s Verhalten und das Gespräch zwischen ihr und den Fremden zu bedeuten hat.
Ich muss wissen, was sie von mir wollen und wer noch alles mit drinsteckt. Um herausfinden, womit ich es zu tun habe, werde ich mitspielen und die ahnungslose, treuherzige und dumme Freundin mimen. Sobald ich weiß, was ich wissen will, werde ich alle zur Rede stellen. Angefangen mit Tamara. Nur muss ich aufpassen mich nicht zu verraten, ich darf mein Wissen nicht zu früh preisgeben.
Die Tamara, die ich als meine beste Freundin kenne, hat sich meistens verplappert, wenn sie ein Geheimnis bewahren sollte. Es wird also kein Problem darstellen, die Wahrheit aus ihr heraus zu kitzeln.
Morgen früh werde ich Tami auf den Zahn fühlen. Mit Sicherheit sucht sie schon nach mir. Diese Typen haben es geschafft meine Schule zu infiltrieren, dass sie mich noch nicht gefunden haben, liegt nur daran, dass Tamara den Ort hier nicht kennt. Sonst wäre sie schon längst hier aufgetaucht.
Durch die neugewonnenen Erkenntnisse und dem Wunsch meinen Plänen Taten folgen zu lassen, fühle ich mich gleich leichter ums Herz und ich schließe zufrieden die Augen. In dieser Nacht werden meine Träume zwar wieder von den grauen Augen begleitet, doch es ist ein erholsamer Schlaf. Die Sonne steht bereits hoch am Himmel, als ich erwache und die Temperaturen kratzen am unerträglichen.
Meinen Rucksack habe ich schnell gepackt und so bin ich in Windeseile bereit für den Weg zurück in die Zivilisation. Auf dem Wald Pfad schalte ich mein Handy wieder ein und wie nicht anders zu erwarten, ist die Mailbox genauso, wie mein WhatsApp Chat gefüllt mit Nachrichten.
Zufrieden stecke ich das Gerät wieder in meine Tasche, beschließe erst mein Gepäck zuhause abzuladen und mich dann bei ihr zu melden.
Zwei Stunden später stehe ich frisch geduscht am Schultor. Ich werde nicht enttäuscht, als sie mit Maxwell im Schlepptau kaum, dass der letzte Gong verhallt ist, auftaucht. Ihr fallen bald die Augen aus dem Kopf, als sie mich sieht. Let´s the Show begin, denke ich und starte das Schauspiel.
>> Tamiiiii. Endlich, mein Akku war leer und ich konnte es erst heute Morgen laden. Sorry, du bist mir aber nicht böse, oder? << frage ich.
Überrascht sieht sie mir entgegen und beschleunigt ihre Schritte, bis sie vor mir steht.
>> Wo warst du? Ich habe mir Sorgen gemacht und dich überall gesucht. Was ist denn bloß passiert? << platzt es aus ihr heraus.
Oook. Ich kann mich ja täuschen, aber ihre Sorge sieht für mich echt aus. Eventuell habe ich mich doch getäuscht und sie ist gar nicht so verlogen.
Stutzend blicke ich sie reumütig unter den Liedern hervor an, was so, wie ich hoffe, einen beschämten Eindruck auf sie macht.
>> Mir war gestern alles zu viel. Du warst so komisch zu mir und dann die Prügelei und das alles. Überhaupt war mein Tag gestern beschissen. Ich konnte einfach nicht hier in der Schule bleiben, das verstehst du doch. <<
Sie macht einen betroffenen Eindruck.
Super mein Talent scheint auszureichen.
>> Ach Süße, das war alles meine Schuld. Ich hätte dich nicht stehen lassen dürfen. <<
Ja genau, dass hättest du früher nie getan.
>> Wieso hast du mir denn nicht wenigstens kurz Bescheid gesagt, oder mir eine Nachricht hinterlassen? Ich habe bei deinen Eltern angerufen und sie sagten, du wärst bei Eva. << sprudelt es aus ihr heraus, sodass sie tief einatmen muss, bevor sie weiterredet.
>> Wo warst du denn nur? <<
Ja, das würdest du wohl gerne wissen. Das kannst du schön vergessen.
>> Wollen wir zu mir? Dann kannst du mir alles erzählen.<<
>> Ja ich denke, das sollten wir machen. << gebe ich so unschuldig, wie möglich zurück. Sie verabschiedet sich von Max, der Gentleman like in einigen Metern Entfernung gewartet hatte und tritt mit mir gemeinsam den Heimweg an.
Nachdem wir es uns auf dem Sofa, mit einer großen Portion Eiscreme und einem Krug Eistee, gemütlich gemacht haben, beginnt sie mit ihrer Inquisition.
>> So, nun erzähl mal. Wo warst du? <<
>> Ach eigentlich überall und nirgends. Hauptsächlich bin ich ziellos durch die Gegend gelaufen. Ich kann mich gar nicht so genau erinnern. << weiche ich ihr aus, als sie mich argwöhnisch ansieht.
>> Aber, wo hast du denn geschlafen? Wieso bist du nicht zu mir gekommen? <<
>> Ach eigentlich war der Ort, an dem ich geschlafen habe, gar nicht so weit von dir entfernt. Ich habe Zeit für mich gebraucht und weil du so komisch zu mir warst, wollte ich lieber allein sein. <<
>> Was meinst du mit, nicht weit entfernt? Ich war überall, konnte aber nirgendwo eine Spur von dir entdeckt. <<
>> Na ja, um ehrlich zu sein, habe ich in deinem Garten übernachtet, im Baumhaus. <<
Ich weiß, dass sie seit Jahren nicht mehr da war und sie hat mich garantiert nicht dort gesucht. Um ihr nicht ständig in die Augen sehen zu müssen, starre ich konzentriert auf mein Eis, das bereits beginnt zu schmelzen.
>> Im Baumhaus? Du hättest zu mir kommen sollen. Ich war völlig aufgelöst. Ich weiß, dass ich falsch reagiert habe. Das war nicht in Ordnung << wiederholt sie sich und mein Blick spiegelt anscheinend meine Gedanken, denn sie spricht weiter.
>> Ich, ich wusste ehrlich gesagt nicht, was ich dir sagen sollte. Akira steht auf dich und deswegen hat er Lennox eine reingehauen. Er ist eifersüchtig gewesen. Er hat bestimmt noch nicht mit dir gesprochen und da wollte ich nicht so weit vorweggreifen. <<
Wie vom Donner gerührt sitze ich da. Gerade wollte ich mir den Löffel in den Mund schieben, doch bei ihren Worten hält mein Arm mitten in der Bewegung inne.
>>Was? << frage ich verwirrt.
>> Na, es ist doch offensichtlich, dass er auf dich steht. Er hat dich keine Sekunde aus den Augen gelassen. <<
Von wem spricht sie? Sie meint doch nicht Mister X.
Der Psycho steht ganz bestimmt nicht auf mich, der hat einfach nur ernste Probleme.
Als ich nicht reagiere und sie nur konsterniert ansehe, fühlt sie sich anscheinend genötigt weiterzusprechen.
>> Ich wollte gestern nach dem Unterricht zu dir und dir alles erklären. Dir Akira vorzustellen, damit ihr dieses Missverständnis aus der Welt schaffen könnt, doch dann bist du von der Bildfläche verschwunden. << endet sie.
Wieder bringe ich nur ein äußerst originelles >>Was?<< zustande und habe das Gefühl, meine Augen müssten mir jeden Moment aus dem Kopf fallen.
>> Was, was? Warum siehst du mich denn so an. Jetzt sage mir bitte nicht, dass du das alles so falsch verstanden hast. Akira? Der Typ mit den grauen Augen? Der von dem du deine Augen nicht lassen konntest und in dessen Armen du gelegen hast? Klingelt da gar nichts bei dir? <<
Sie meint ihn wirklich.
Ich kann es nicht glauben.
Wie konnte sie sich so eine Geschichte ausdenken?
Tamara war noch nie besonders kreativ was Lügen angeht, das kann nie und nimmer ihre Idee gewesen sein. Meine Gedanken schlagen Purzelbaum und ich bin noch immer sprachlos.
>> Bist du sicher, dass es dir gut geht? Hast du dir vielleicht irgendwo den Kopf angeschlagen? <<
Akira. Endlich hat dieser Kerl einen Namen und was für einen. Je öfter ich die fünf Buchstaben in meinen Kopf wiederhole, um so richtiger fühlen sie sich an. Wieso nur habe ich das Gefühl, diesen Namen schon einmal gehört zu haben?
Bevor Tami noch auf die Idee kommt einen Arzt zurufen, räuspere ich mich mehrfach und lege meine Stirn in Falten.
>> Nein. << platzt es aus mir heraus, während mein Hirn versucht die ganzen Informationen abzuspeichern.
>> Nein? Was, nein? Nein du hast nicht bemerkt, dass er auf dich steht, oder nein, du hast dir nicht den Kopf gestoßen? <<
Ich schüttle leicht den Kopf. Jetzt bloß nicht die Deckung fallen lassen.
>> Sorry, ich musste das erst einmal verarbeiten und nein mit meinem Kopf ist alles in Ordnung. Wie hätte ich bei dem Kerl darauf kommen können, dass er Interesse an mir hat? Ich jedenfalls habe keines. Ich habe ihn nur deswegen angesehen, weil er Lennox geschlagen und mich penetrant beobachtet hat. Für mich war es eher unheimlich, so intensiv angeschaut zu werden. Ich meine, hallo wir haben, wie du schon gesagt hast, noch kein Wort miteinander gewechselt. Du musst ihn mir auch nicht vorstellen. Je mehr Abstand zwischen ihm und mir existiert, um so besser. <<
>> Du stehst nicht auf ihn? Wirklich nicht? Ich meine, bist du dir sicher? Du hast doch sogar von ihm geträumt. Ich dachte, dass würde etwas bedeuten, als ihr euch dann so angesehen habt. Ich dachte, bei euch hätte es gefunkt.<<
Pff.
Als würde ich so einen arroganten Schönling toll finden. Wozu ist sie eigentlich meine beste Freundin, wenn sie mich so schlecht kennt?
Sollte nicht gerade sie wissen, welchen Typ Mann ich mag? Das Eis habe ich schon längst vertilgt, also muss ich mich mit dem Eistee beschäftigen, damit ich ihrem Blick aus dem Weg gehen kann.
>> Du weißt, dass die Verpackung schön sein kann, aber wenn nichts als Luft im Inneren ist, habe ich kein Interesse. Dieser Freak sieht ja vielleicht ganz nett aus, aber nach seinem Verhalten zu urteilen, scheint er nicht besonders intelligent zu sein. Ach so und um dich aufzuklären, ich habe nicht von ihm geträumt, sondern von grauen Augen und auch nur diese eine Nacht, verstanden. Heute Nacht habe ich von Lennox geträumt, meinst du, ich male mir jetzt eine romantische Zukunft mit dem aus? <<
>> Du? Du hast von Lennox geträumt? << erklingt ihre nun schrille Stimme und ich schaue sie argwöhnisch an.
>> Ja. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass ich was von ihm will. <<
Sie hält sich die Hände vor die Augen und läuft plötzlich panisch von rechts nach links.
>> Nicht gut, das ist gar nicht gut. <<
Holla, was ist denn jetzt passiert?
Habe ich irgendwas verpasst?
>> Tami? Alles klar? Es war nur ein Traum. << als sie begreift, dass sie wie ein Aufziehmännchen auf Speed durch die Gegend rennt, bleibt sie abrupt stehen und sieht mich wortlos an.
>> Tamara? << wiederhole ich und stehe auf, um mich davon zu überzeugen, dass sie nicht gleich umkippt. Deutlich blasser als zuvor, versucht sie zu lächeln, was ihr jedoch gründlich misslingt.
>> Es ist alles in Ordnung. << sie räuspert sich, schließlich ist ihr selbst aufgefallen, dass sie nicht den Eindruck vermittelt, was sie von sich gibt, würde stimmen.
>> Bitte Sophie, du musst mir ganz genau erklären, was du geträumt hast. << drängt sie und ich ziehe fragend eine Augenbraue in die Höhe, als sie sich vor mich setzt.
Wieso ist es so wichtig, was ich träume?
Mir ist nicht wohl dabei ihr von meinem viel zu realen Traum zu erzählen, also denke ich mir eine Geschichte aus, welche ich ihr als Traum verkaufen kann. Sie sieht so aufgelöst und verzweifelt aus, dass ich Angst habe, sie könnte tatsächlich umfallen, sollte ich es nicht tun.
Schnell erzähle ich ihr von einem Einkaufstrip mit Lennox, der voll ausgestattet mit Reizwäsche, im Hunke Möller steht und Herrn Ostenwald, der ihn um Tipps bittet. Sie starrt mich mit offenem Mund an, ohne einen Ton von sich zugeben.
Mist, wahrscheinlich habe ich zu dick aufgetragen. Unvermittelt beginnt sie zu lachen und stürzt beinah vom Sofa. Das Gelächter wird nur von einem bösen Schluckauf unterbrochen, der sich dazwischenschiebt.
Unsicher beobachte ich sie dabei, wie sie sich auf dem Boden kringelt. Als ich mir die Geschichte im Kopf mit Bildern vorstelle, ergibt alles eine äußerst amüsante Story und ich stimme mit ein. Tami beruhigt sich nur sehr langsam und sieht mich immer wieder kopfschüttelnd an.
>> Wie kommt deine Fantasie denn bitte auf so was? <<
Ich zucke mit den Schultern, gebe ihr aber keine Antwort.
Die Anspannung, die zwischen uns geherrscht hat, ist durch diese Alberei von uns gefallen und Tamara hat mittlerweile wieder eine gesunde Gesichtsfarbe. Sie leert den halben Krug Eistee auf Ex, um den Schluckauf wieder loszuwerden.
>> Jetzt ernsthaft, hast du wirklich keinerlei Interesse an Akira? Es hat wirklich den Eindruck gemacht, als wäre da etwas zwischen euch. Außerdem ist er kein übler Typ, findest du nicht? Er ist doch ziemlich heiß. << fragt sie mit neu gewonnenem Ernst in der Stimme, nachdem sich das Hicksen beruhigt hat. Ich schaue sie verdutzt an und antworte ihr im selben ernsten Tonfall, die halbe Wahrheit.
>> Wie sollte es? Ich habe dir doch gesagt, dass ich ihn nicht kenne. Außer einigen grenzdebilen Blicken, die wirklich nicht als Kommunikation zu deuten sind, gab es nichts zwischen uns und es wird auch nichts geben. Ich kannte bis eben noch nicht mal seinen Namen. Jetzt zum letzten Mal, ich habe kein Interesse an diesem Typen. <<
Sie beugt sich über die Schüssel und murmelt dabei so leise, dass ich es kaum verstehen kann.
>> Das glaubst auch nur du. <<
Was?
Schnell stehe ich auf und drehe mich Richtung Küche. Sie soll nicht sehen, dass ich sie verstanden habe. Ich gebe vor unsere Schüsseln in die Spülmaschine räumen zu wollen und überlege, wie sie ihre unbedachten Worte gemeint haben könnte. Wenn ich sage, dass ich von dem Kerl nichts will, dann ist das so.
Wieso sollte sie denn von etwas anderem ausgehen?
Der Abend vergeht rasant und wir beschließen nach einem DVD-Marathon gegen 23 Uhr zu Bett zu gehen.
Mister und Miss Bryte arbeiten meist bis Spätabends und verlassen gegen Mittag das Haus. Tamara kann meist tun was sie will, doch bekommt sie dadurch auch viele Aufgaben aufgebürdet, vor denen ich verschont bleibe. Ella kommt nur noch an den Wochenenden nach Hause, hauptsächlich um ihre Wäsche zu waschen und den Kühlschrank leer zu räumen. Wir bleiben also von Ermahnungen verschont.
In unseren Pyjamas kuscheln wir uns in ihr Bett. Das haben wir bereits gemacht, seit wir klein waren.
Heute fühle ich mich allerdings, nicht ganz wohl neben ihr einzuschlafen. Sie hat mir mal verraten, dass ich im Schlaf rede.
Was mache ich, wenn ich ihr unbewusst beichte, dass alles gelogen war, oder ich habe wieder einen dieser abgedrehten Träume?
Nein, das geht nicht.
Ich beschließe zu warten bis sie eingeschlafen ist und werde dann ins Gästezimmer gehen.
Lange muss ich nicht warten, bis sie neben mir beginnt tief zu atmen und ich mir sicher sein kann, dass sie nicht mitbekommt wie ich verschwinde.