Читать книгу Back to Italy! Und der Wahnsinn geht weiter! - Melanie Huber - Страница 10

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Kapitle 4

Blonde Tomate

„Seid ihr noch ganz bei Trost, ihr könnt doch nicht mit unseren Stammkunden so umspringen! Gerade jetzt, wo die Zeiten härter werden!“ In den ganzen Jahren, in denen ich Gianni kannte, hatte ich ihn noch nie so erbost gesehen. Er sah aus wie eine überreife Tomate.

„Mia trifft keine Schuld“, verteidigte mich Tom. Wie ein Uhu starrte ich ihn an.

„Gerade von dir hätte ich mehr Professionalität erwartet! Was sollte das?! Erst lässt du den Sohn des Senators rauswerfen … okay, ich hab nur deshalb nichts gesagt, weil mir dieser Rotzbengel ja selber auf die Nerven ging, … aber DAS jetzt, das geht eindeutig zu weit! Und dann haut ihr auch noch einfach ab! Was habt ihr euch nur dabei gedacht? Sagt mir, wollt ihr mich in den Ruin treiben?!“

Wie zwei kleine Schulkinder, die etwas ausgefressen hatten, standen wir vor ihm und ließen uns beschimpfen, während er wütend vor seinem Schreibtisch auf und ab spazierte. Wandte er uns kurz den Rücken zu, grinste mich Tom an und äffte ihn nach, und das so gekonnt, dass ich mir das Lachen echt verkneifen musste. Giannis ermahnender Blick traf mich überraschend. Räuspernd konzentrierte ich mich wieder voll und ganz auf die blonde Tomate vor mir.

„Jetzt komm mal wieder runter, der Typ ist zu recht geflogen!“, konterte ihm Tom. Vermutlich hatte er sich zum Ziel gesetzt, meinen persönlichen Verteidiger zu spielen.

„Gianni, wir sind Kellner und machen unseren Job. Wir müssen uns nicht alles gefallen, und uns schon gar nicht als Freiwild behandeln lassen“, verteidigte ich dieses Mal uns beide. Ein kurzes, anerkennendes Lächeln huschte über Toms Lippen.

Unsere Gegenargumente beruhigten die blonde Tomate aber kein bisschen.

Ich weiß nicht, aber dieser Morgen hatte schon komisch begonnen. Als ich aufwachte, war Tom bereits weg. Statt seiner fand ich neben mir nur ein Post-it mit einer Nachricht darauf:

Buongiorno, bella!

Musste leider los –

wir sehen uns später! x Tom

Mit einem Cut hatte er unsere Kuschelnacht einfach so beendet. Eine erneute Flucht, oder gab es wirklich einen triftigen Anlass dafür, einfach abzuhauen? Zu gern wäre ich gemeinsam mit ihm aufgewacht. Andererseits konnte ich mich wieder sicher in mein Schneckenhaus verkriechen, was mir meinen gewohnten Abstand verschaffte.

Wer weiß wohin es geführt hätte, wäre er geblieben …

Ach, ich wusste ja selbst nicht, was ich wollte.

So gesehen hatte ich also auch keinen plausiblen Grund, weshalb ich eilig in den Tag starten sollte. Gemächlich spazierte ich ins Bad, machte mich fertig und nach einem ausgiebigen, späten Frühstück kam mir Milo auch schon entgegen und meinte, dass der Chef mich dringend in seinem Büro sprechen wolle. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen machte ich mich auf den Weg dorthin, weil ich mir schon denken konnte, worum es ging. Der Flüchtling glänzte bereits mit Anwesenheit. Mit verschränkten Armen traf mich sein zerknirschter Blick, als ich die Tür öffnete, wobei ihm ein kleines Lächeln über die Lippen huschte, als er mich erkannte. Die Diskussion war bereits voll im Gange und Gianni ziemlich aufgebracht. Machte ich gern bei privaten Diskussionen mal die Fliege, lief ich bei Auseinandersetzungen beruflicher Natur normalerweise zur Höchstform auf. Aber dieses Mal war es anders.

Ähm … naja, wir hatten Scheiße gebaut – okay zugegeben: Ich hatte Scheiße gebaut.

Aber so richtig doll!

T-O-T-A-L U-N-C-O-O-L!

„Du hast sie alte Schachtel genannt! So was sagt man doch nicht zu einem Gast, der seit Jahrzehnten unser Hotel besucht und ausnahmslos das teuerste Apartment bucht! Die haben wir bestimmt zum letzten Mal hier gesehen!“ Die Betonung lag bei Jahrzehnten und das sah man ihr, trotz Botox, auch an. Alles andere war eine Augenauswischerei. Mein Blick switchte im Raum herum und blieb an einem Bild an der Wand kleben, das mir zuvor noch nie aufgefallen war. Fünf Jungs, alle noch ziemlich jung, standen im Halbkreis und lachten übers ganze Gesicht. Ich erkannte Gianni, Tom, Olli und Marco, der fünfte im Bunde war mir unbekannt.

„Jetzt beruhig dich mal wieder Gianni. Mia hatte das nicht so gemeint.“

Ähm, eigentlich schon. Verlegen blickte ich zu Boden und rubbelte an meiner Stirn.

„Es ist halt blöd gelaufen, wir werden uns entschuldigen und ihr einen extra Service anbieten.“ Ich riss meine Augen auf und starrte ihn an, wobei er mir nur gelassen zuzwinkerte. Wir schauten beide zu Gianni, der langsam wieder ruhiger wurde. Tief seufzend spazierte er um seinen Schreibtisch, ließ sich in den schweren Chefsessel plumpsen, verschränkte die Hände im Nacken und starrte uns an. Wäre die Situation etwas entspannter gewesen, hätte ich ihm tolle Bürosessel empfehlen können, mit Wippfunktion und so, die nebenbei auch noch sehr entspannend sein konnten. Abwartend steckte ich meine Hände in meine hinteren Hosentaschen und zog meine Zehen, so gut es ging, in meinen Sneakers zusammen. Eine blöde Angewohnheit, die immer durchbrach, wenn ich mich in einer stressigen Situation wie dieser hier befand. Gianni schaute uns abwechselnd streng an.

„Im Grunde verstehe ich euch ja, mir würde es wahrscheinlich nicht anders gehen. Aber bitte – egal, was da zwischen euch läuft oder auch nicht läuft, k-l-ä-r-t das! Und fangt an, Privates von Beruflichem zu trennen.“

Eine klare Ansage. Aber jetzt hatte ich noch so einiges in petto, das ich unbedingt loswerden wollte, doch da ging plötzlich die Tür auf und seine bessere Hälfte stapfte herein – ebenfalls stinksauer. Ihr Gesichtsausdruck verriet einfach zu viel, da musste man sie nicht mal besonders gut kennen. Nicht mal ein ‚Hallo Schatz‘ rutschte ihr über die Lippen, geschweige denn ein Kuss. Für diese Sache waren wohl wir nicht verantwortlich. Nach einem gebrummten „Morgen“, spazierte sie mit hoch erhobenem Haupt in ihr Büro. Da war der nächste Sturm im Anmarsch. Mit einem Wink deutete uns unser Big Boss an, dass wir verschwinden sollten. Erleichtert verließen wir zusammen das Büro.

„Oh Mann, da gibt es wohl Ärger im Paradies“, flüsterte ich Tom zu.

„Sieht ganz danach aus … so wütend habe ich ihn schon lange nicht mehr gesehen … Was hältst du davon, wenn wir gemeinsam zu der alten Schachtel gehen und uns entschuldigen?“

„Und ihr gemeinsam deinen Spezial-Service, was immer das auch ist, anbieten? Danke! Keine Lust.“

„Mia, Süße, ich dachte an einen extra Wellness-Gutschein und ein Verwöhnprogramm auf Kosten des Hauses. Außerdem hätte ich sie an unseren Souschef weitervermittelt, der fährt voll ab auf reifere Damen.“

„Aber sicher.“ Wir waren beim Fahrstuhl angelangt. Ich kam mir gerade ziemlich blöd vor, vor allem auch, weil Tom mich gerade vielsagend angrinste.

„Ich hasse dieses überhebliche Grinsen!“

„Tust du nicht. In Wahrheit liebst du es.“ Ich fragte mich ehrlich, was das sollte!

„Minderwertigkeitskomplex ist wohl ein Fremdwort für dich.“

Bella …“

Ich atmete tief durch und rubbelte an meiner Stirn. „Hör mal, du bist mir keine Rechenschaft schuldig und ich glaube, ich werde das besser alleine tun. Schließlich war ich es ja, die den Promigast verärgert hat. Ich sollte jetzt los, bis später …“ Ich eilte die Stufen nach oben. Den Fahrstuhl zu nehmen kam mir nicht mehr in den Sinn. Außerdem konnte ja ein bisschen Sport nicht schaden.

Völlig außer Puste kam ich im vierten Stock an, und erst, als ich wieder Luft hatte, klopfte ich zögernd an die Zimmertür mit der Nummer 438. Mensch, mir rutschte fast mein Herz in die Hose.

„Hallo Frau McGowan … sind Sie da? Hier ist Mia Becker.“

Ein leises Raunen war zu hören, aber es war die alte Schachtel höchstpersönlich, mit überdimensionalem Sonnenhut und ihrem unpassenden Hüftschwung, die mir die Tür öffnete. Glitzernde Edelsteine auf ihrem schwarzen Badeanzug sprangen mir ins Auge. Ihr Blick schien genauso einzufrieren wie meiner, als sie mich erkannte. An ihrem Martiniglas nippend – es war noch nicht mal Mittag, steckte sie sich ihre Sonnenbrille an den Hut.

„Was wollen Sie?“, fragte sie mich schnippisch mit einer Alkoholfahne, dass es mir übel wurde. Das fing ja schon mal toll an. Beim Treppensteigen hatte ich gedanklich die Worte geübt, die ich sagen wollte, aber jetzt, wo ich so vor ihr stand, ein bisschen verloren, war alles wie weggeblasen. Ich versuchte mich, zu sammeln und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

„Frau McGowan, ich möchte mich für mein Verhalten gestern entschuldigen. Es war äußerst unangemessen und ich bedaure sehr, was ich zu Ihnen gesagt habe.“ Außerdem versuchte ich, so ehrlich wie möglich zu klingen. Mit einem abschätzigen Blick musterte sie mich von oben bis unten, und ich fühlte mich kleiner als klein.

„Naja …“, gab sie trocken von sich und nippte wieder an ihrem Glas. „Sie haben wirklich Mut Schätzchen, das muss man Ihnen lassen. Vor fünfundzwanzig Jahren hätte ich vermutlich auch noch so reagiert, wenn sich jemand an meinem Mann rangemacht hätte.“ Sie zuckte amüsiert zusammen und stieß einen überheblichen Lacher aus. Die Art, wie sie mit mir redete, mochte ich nicht und Schätzchen genannt zu werden, mochte ich erst recht nicht, aber ich hielt tapfer meinen Mund.

„Da haben Sie etwas falsch verstanden, er ist nicht mein …“

„Ach bitte, verschonen Sie mich doch mit Ihrer Gefühlsduselei. Sie haben sich in diesen Barkeeper verliebt“, fiel sie mir lachend ins Wort, als wär das auch noch witzig.

„Verliebt? Ich? Nein, … natürlich nicht … er ist mein Chef …“

„Ach kommen Sie Schätzchen, Sie können mir nichts vormachen. Mir nicht. Dass er Sie auch mag, war ja nicht zu übersehen. Aber eines rate ich Ihnen, solche Männer hat man niemals für sich alleine. Das können Sie mir gern glauben, denn ich habe einen solchen Mann geheiratet … hicks …“ Kichernd nahm sie noch einen Schluck Martini, und bevor sie mir die Tür vor der Nase zuknallte, zwinkerte sie mir noch zu. Eigentlich wollte ich ihr noch vom Spezial-Service unseres Hauses erzählen, aber das hatte sich wohl erübrigt. Irgendwie tat mir die alte Schachtel jetzt leid.

Es war eigenartig. Gedanklich malte ich mir gerade ihre Jugendzeit aus. Ich konnte sie mir gut als junge Frau vorstellen, die ihren Mann wie verrückt geliebt und ihm allein ihre ganze Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Bis sie eines Tages aufwachte und verbittert feststellen musste, dass diese Liebe nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Dass er sie, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, mit anderen, jüngeren Frauen betrog. Dieser Schmerz, diese Demütigung war wahrscheinlich fast nicht zu ertragen. Trotzdem hatte sie Angst, ihn zu verlieren und alleine zu sein. Und irgendwann betäubte sie den Schmerz in ihrer Brust mit Alkohol. Ich vermutete, sie wollte es ihm nur heimzahlen, indem sie mit anderen Männern schlief. Vermutlich scherte er sich nicht im Geringsten darum, was sie nur noch mehr zur Verzweiflung brachte – bis nichts mehr von der jungen Frau übrig war, die sie einmal gewesen war.

Egal – vielleicht reichte meine Tragträumerei nicht mal im Ansatz an ihre Realität heran, war sie doch eine einsame und verbitterte verheiratete Frau.

So lief es doch immer … mit solchen Männern.

Der reinste Albtraum!

Nein, so eine Zukunft wollte ich nicht für mich, da war ich mir sicher. War es möglich, sich sein Schicksal selbst auszusuchen, hier und da ein bisschen zu drehen?

Konnte man sich aussuchen, in welchen Kerl man sich verliebte?

Zwischendurch zwängten sich Gedankensplitter in meinen Kopf und ich fühlte, wie Tom mich küsste. Mein Blutdruck jagte in die Höhe. Oh nein, was dachte ich da nur wieder?

Wie konnte ich nur so dämlich sein, ihn auch noch in meinem Bett schlafen lassen – freiwillig! Man lädt doch auch nicht einen Feind zu sich nach Hause ein, wenn man Angst vor ihm hat! Ich meine, das war doch nicht normal – oder?

Mein Entschluss stand fest. Diese Teenie-Schwärmerei musste endlich aufhören! Ich beschloss, Abstand zu halten, und wählte den Notausgang, solange ich noch konnte. Seit einer sehr langen Zeit war mein Verstand wieder mal richtig stolz auf mich.

Back to Italy! Und der Wahnsinn geht weiter!

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