Читать книгу Back to Italy! Und der Wahnsinn geht weiter! - Melanie Huber - Страница 9

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Kapitel 3

Es gibt keine Altersgrenze bei Schnepfen

Während meiner Schonzeit passte jemand ganz besonders darauf auf, dass ich mich auch wirklich nicht übernahm. Tom nahm sein Versprechen viel zu ernst. Er ließ mich nicht mal Kleinigkeiten erledigen, fürsorglich kümmerte er sich sogar um Franzl und Sissi die Zweite. (Ja, ihr habt richtig gelesen, mein männlicher Fisch heißt noch immer so, ich glaube, ihn stört das am allerwenigsten.)

Aber nach zwei Wochen hatte ich die Nase voll von Ruhe genießen, und ich trat meinen ersten Nachmittagsdienst an. Mein Brummschädel war so halbwegs okay und nur ein paar kleine Schrammen erinnerten noch an den Unfall.

Beim Arbeiten verhielt Tom sich wie eh und je. Professionell, aber auch leicht distanziert, außer ich brauchte Hilfe. Hinter der Bar war das eben eine ganz andere Situation. Wir trennten Berufliches von Privatem. So gut wir eben konnten. Berührten wir uns aber manchmal doch so ganz rein zufällig, huschte ihm ein süßes Lächeln über seine Lippen. Innerlich erlitt ich Stromschläge en masse, worüber meine Prellungen so richtig jubelten.

Es war knapp zwei Stunden vor Dienstschluss, als sich eine aufgedonnerte Dame in mittlerem Alter zu uns an die Bar setzte. Ihr überdimensionaler Vorbau drohte die Spannung zu verlieren und überzuquellen. Echt, da hatte man wirklich Angst, einen Schlag ins Gesicht zu bekommen und dabei K. o. zu gehen. Das Gesicht war faltenfrei an den Hinterkopf getackert, und so einen Minirock hätte ich noch nicht mal mit achtzehn getragen. Die Lady wollte nur von Tom höchstpersönlich bedient werden, und ständig lud sie ihn auch noch mit ein. Sie trank Wermut mit einer Zitronenscheibe, er schenkte sich etwas Alkoholfreies ein, ohne dass sie es checkte. Kaum stellte er neue Gläser auf den Tresen, krallte sich diese Hexe seine Hand, hielt ihn hartnäckig fest und ergriff jede Gelegenheit ihn anzumachen.

Tja, während meiner Abwesenheit hatte sich nicht sonderlich viel verändert. Ein paar Mal zu oft schenkte sie ihm einen verführerischen Blick inklusive billigem Wimpernaufschlag, um gleich darauf mit geübtem Schwung ihre langen, wasserstoffblonden Extensions nach hinten zu werfen und ihren Oberkörper straff aufzurichten. Boa hey, ich hätte auf der Stelle loskotzen können – aber so richtig. Diese gebotoxte Tussi hatte es sowas von nötig! Eine Schande für das Frauendasein.

Es war ja kein Geheimnis, dass Italiener auf Blondinen abfuhren, und Tom schien auch bei ihr festzukleben. Sie lachte viel zu laut über seine Witze, was mich richtig in Rage brachte, denn ich fand, er war heute überhaupt nicht witzig.

Nein – ich war total cool.

Die Ruhe in Person – zumindest noch.

Missmutig räumte ich schmutzige Gläser in den Korb, dabei ging auch noch eines kaputt. Mit einer guten Portion Skepsis musterte er mich – ich ignorierte das. Sauer auf mich selber sammelte ich die Scherben auf. Tom bediente gerade an einem anderen Tisch, als ich im Augenwinkel sah, dass sich diese Oma tatsächlich eine Zigarette anzündete. Hallo?! Wir hatten hier Rauchverbot. Egal ob Frau oder Mann, aber ich konnte Leute partout nicht ausstehen, die glaubten, ihnen würde die ganze Welt gehören, und sie müssten sich deshalb auch an keine Regeln halten. Und die hier schon erst recht nicht.

„Hey Lady, hier ist Rauchverbot, oder sind Sie zu blond für dieses Schild!“, knallte ich ihr gereizt an die Birne. Zusätzlich zeigte ich auf das Rauchverbotsschild und dachte noch, warum ich blöde Kuh nicht einfach die Klappe hätte halten können. Meine Wortwahl und mein Ton trafen es zwar auf den Punkt, waren aber absolut nicht mit den erwünschten Umgangsformen des Grand Hotel Paradiso in Einklang zu bringen, und natürlich bekam mein Vorgesetzter jedes gesagte Wort von mir mit. Es war so frustrierend. Verärgert schaute er mich an.

Bevor sie mir etwas entgegenschleudern konnte, versuchte er, meinen verbalen Ausrutscher wieder gutzumachen.

Signora McGowan, es tut mir sehr leid. Ich möchte mich aufrichtig für das Verhalten meiner KOLLEGIN entschuldigen, aber wenn Sie rauchen möchten, dann müssen Sie das auf der Terrasse tun.“

Für seine K-O-L-L-E-G-I-N!?

Pah!

„Wie schade“, meinte sie pikiert und ließ die Zigarette in ihr Martiniglas fallen.

Ha, eins zu null für mich – Oma!

„Sie soll uns nochmal dasselbe bringen.“ Ich war ihr nicht mal einen Konter wert? Dann fing sie richtig mit ihm zu flirten an, streichelte seine Hand und lächelte ihn so übertrieben verführerisch an, dass es mich richtig schauderte. Leider ließ das Botox nur eine minimale Mimik zu. Wie blöd aber auch! Kurz vorm Explodieren stellte ich dem jungen Glück zwei Gläser, randvoll gefüllt mit purem Alkohol, auf den Tresen. Skeptisch blickte er mich nach dem ersten Schluck an und ich grinste gekünstelt zurück.

„Na Süßer, wie lange hast du noch Dienst?“

„In einer Stunde ist Dienstwechsel.“

„Na, wie wär‘s? Meine Zimmernummer ist 438“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Augenzwinkernd ließ sie ein paar Geldscheine in die Brusttasche seines Poloshirts gleiten. Um sich davon zu überzeugen, dass ich ja alles haargenau mitbekam, schielte sie provokant zu mir herüber. Ich fasste es nicht! Jetzt nervte sie mich wirklich! Peinlich berührt rieb Tom sich den Nacken. Ehe er überhaupt etwas sagen konnte, brodelte es dafür aus mir heraus.

„Ist das nicht ihr Ehemann, der da draußen im Pool herumplanscht? … Er würde sich bestimmt sehr dafür interessieren, was SEINE FRAU hier so treibt!“ Tom starrte mich mit offenem Mund an.

„Schätzchen, meine Ehe geht Sie genau gar nichts an! Außerdem planscht mein Ehemann bestimmt nicht alleine da draußen herum.“ Sie lachte laut auf, als wäre das witzig.

„Glauben Sie ernsthaft“, fuhr ich sie weiter an, „er hätte nur einen Funken Interesse an einer alten Schachtel wie Ihnen?“ Keine Ahnung, ihre eingeschränkte Mimik ließ mich nicht allzu viel erkennen, aber sie sah irgendwie getroffen aus.

„So, und jetzt macht la signorina Becker eine PAUSE!“ Tom zog mit einer ruckartigen Bewegung die Geldrolle aus dem Shirt, knallte sie auf den Tresen, packte mich am Ellbogen und schleifte mich von ihr weg.

La signorina Becker will jetzt aber KEINE PAUSE machen!“

„Oh doch, will sie schon!“, presste er hervor.

„Oh nein, will sie NICHT!“, konterte ich.

„Mia! … Es reicht!! Wir müssen REDEN! Und zwar SOFORT!!“ Mit welchem Recht wollte er mir den Mund verbieten? Ich hatte noch so einiges, was ich loswerden wollte, also motzte ich ungebremst weiter: „Sie sind verheiratet! Sie haben sich ein Versprechen gegeben, wie kann man …“ Zu mehr kam ich nicht mehr, denn mein Vorgesetzter hielt fest die Hand vor meinen Mund und zerrte mich in die Küche. Mit dem Fuß machte er die Tür hinter sich zu, stellte mich ab und nahm vorsichtig seine Hand weg, aber sein Blick blieb böse auf mich gerichtet, und dann legte ich erneut los. Wild fuchtelte ich mit meinen Armen herum. Ich war so richtig in Fahrt und hatte keine Ahnung, wie ich wieder runterkommen sollte.

„Bist du jetzt auch noch ein Gigolo, der sich für Sex bezahlen lässt? Kommst du dir gar nicht schäbig dabei vor? Was ist mit deiner Selbstachtung passiert, mit deinem Stolz?! Die Schnepfe könnte deine Mutter sein, vielleicht sogar deine Oma!“ Schnaubend und mit verschränkten Armen machte ich mich auf den Anschiss meines Lebens gefasst.

Ich war bereit!

Seufzend musterte er mich eindringlich. Auf einmal wirkte er ausgesprochen ruhig. Ich wartete ab. Natürlich war mir klar, dass ich zu weit gegangen war. Mir waren wohl ein paar Sicherungen durchgebrannt, aber irgendwie hatte ich nicht anders gekonnt. Seine Gesichtszüge veränderten sich, er lächelte mir sanft zu.

Wo blieb meine Standpauke?

Ich verstand die Welt nicht mehr.

„Mia, du hast den Bogen echt überspannt, das weißt du selbst. Du kannst mit unseren Gästen nicht so reden.“

„Aber …“, ich blickte ihn flehend an, bat insgeheim um Verständnis. Wofür wusste ich selbst gerade nicht.

„Nichts aber“, ich drehte meinen Kopf zur Seite, „das bringt uns nur eine Menge Ärger ein. Solche Sachen regeln wir diplomatisch.“

„Du musst doch mehr von deinem Leben erwarten, als hinter einer Bar zu arbeiten, um Witwentröster zu spielen?“

Mehr? … Vielleicht will ich mehr, aber ich habe keine Ahnung, ob ich für mehr bereit bin. Warum Gefühle investieren, wenn es sich sowieso nicht lohnt.“ Ähm … also … so hatte ich das jetzt nicht gemeint. „Eigentlich müsstest du doch schon längst wieder in München sein, verheiratet mit diesem Glückspilz – oder nicht? Ich denke du bist genauso wenig bereit für mehr, wie ich es bin.“

Okay, irgendwann, irgendwo, irgendwie hatte ich wohl den Anschluss verpasst.

Auf einmal standen wir viel zu nah beieinander. Viel zu nah. Ich war überhaupt nicht in der Lage, ihm zu antworten. Hilfesuchend wandte ich mich von ihm ab. Sachte legte er seinen Zeigefinger an mein Kinn und drehte meinen Kopf wieder zu sich. Ohne den Blick auch nur eine Sekunde von mir abzuwenden, schaute er mir so tief in die Augen, dass ich nicht mehr wusste, ob ich überhaupt noch stand; und ja, der Durchfall war auch wieder im Anmarsch. Ich spürte es ganz deutlich. So ein Mist aber auch!

„Du brauchst gar nicht so eifersüchtig zu gucken, bella. Denn eigentlich bist du gerade dabei, dir mein Herz zu klauen.“

Mit Tränen in den Augen löste ich mich von ihm und schubste ihn zur Seite.

„Du Scheißkerl! Glaubst du wirklich, ich falle auf diesen Bullshit rein, nur weil ich dir eine heiße Nacht von vielen versaut habe! Diese Tour zieht bei mir NICHT!“ Dann stürmte ich heulend aus der Bar, dicht gefolgt von ihm. Wie konnte er mir ständig solche Sachen sagen, wenn er sie nicht so meinte.

„Mia, so warte doch …“, rief er mir hinterher. Die Gäste blickten uns konsterniert an, als wir so an ihnen vorbeisausten, aber das war uns gerade mal scheißegal. Privates von Beruflichem zu trennen, das war dann doch nicht ganz so unser Ding.

Ohne mich auch nur einmal umzudrehen, wartete ich auf den Fahrstuhl. Die Tür öffnete sich, und ich drückte wie eine Irre auf sämtlichen Tasten herum und sah nur mehr Toms geschockten Gesichtsausdruck, als sich die Fahrstuhltür langsam schloss.

Schluchzend kauerte ich mich in eine Ecke, riss mir die Schürze vom Leib, schmiss sie wütend an die Wand und bitzelte vor mich hin. Warum musste alles so kompliziert sein?!

„SCHEISSE! – SCHEISSE! – SCHEISSE!“, schrie ich und boxte mit geballten Fäusten in den Boden. Der Fahrstuhl blieb stehen. Ich merkte es nicht gleich, aber als ich zur Tür hinguckte, öffnete sie sich noch immer nicht. Panik machte sich in mir breit. Auf der Schaltfläche leuchteten ein paar Knöpfe orange. Über der Tür flimmerten die Zahlen eins und zwei in kräftigem Rot.

Das konnte nicht sein.

Ich hing tatsächlich in einem Fahrstuhl fest. Schlagartig hatte ich den Eindruck, dass die Luft um mich herum immer dünner wurde. Ich saß noch keine Minute fest, aber diese beklemmende Enge war jetzt schon nicht mehr auszuhalten. Panik stieg in mir hoch. Mit zitternden Händen raffte ich mich auf und drückte heftig auf den Knopf mit dem Glockensymbol drauf. Der Raum kam mir noch viel mickriger als sonst vor. Beklemmende Gefühle ließen mich erneut zusammensacken.

Nur knapp hatte Tom den Fahrstuhl verpasst. Wütend trat er gegen einen runden Abfalleimer, der unschuldig im Flur herumstand. Ein paar Leute drehten sich in der Lobby nach ihm um, tuschelten leise vor sich hin. Der Hausmeister, der gerade am Telefon hing und die Szene von Anfang an mitverfolgt hatte, schüttelte nur mitleidig den Kopf.

Mit beiden Händen fuhr sich Tom durch die Haare, stampfte wütend in den Boden, wollte nochmals umkehren, ließ es aber dann doch sein. Betroffen steckte er seine Hände in die Hosentaschen. Nur vage nahm er den Notrufklingelton wahr, der aus dem kleinen Büro des Hausmeisters kam. Er kannte diesen Ton genau, denn seit der letzten Wartung hatte es schon einige Probleme mit dem Fahrstuhl gegeben. Es verging keine Sekunde, als er auch schon zum Hausmeister hin eilte, der nun am Notruftelefon hing und mit der Person telefonierte, die im Fahrstuhl festhing.

„Hallo, hört mich jemand? … Der Fahrstuhl … die Tür … sie lässt sich nicht öffnen … ich sitz´ hier fest.“ Ausgesprochen klangen diese Worte noch viel bedrohlicher.

Signorina, ist mit Ihnen alles in Ordnung?“, fragte mich eine unbekannte Stimme und ich beruhigte mich ein wenig.

Der Empfang schien schlechter zu werden und ein lautes Rauschen war zu hören. Erneute Panik schoss in mir hoch, und ich klemmte mir meinen Kopf zwischen die Beine.

„Mia? … Kannst du mich hören, ich bin´s, Tom!“

„Tom“, sagte ich leise, „Ja, ich kann dich hören …“ Nur wusste ich nicht, ob ich jetzt tatsächlich erleichtert sein sollte.

„Mach dir keine Sorgen, wir holen dich da raus. Der Hausmeister macht sich gerade an die Arbeit, aber es wird eine Weile dauern.“

„Tom … ich hab Angst!“

„Ich weiß Süße, aber bitte mach´ mir jetzt bloß nicht schlapp! Versprich mir das!“

„Ich weiß nicht, es ist alles so eng hier … und ich bekomme … kaum Luft.“ Verstohlen blickte ich um mich. Das Sprechen fiel mir auf einmal viel schwerer, und ich fühlte mich so unsagbar schwach. „Konzentriere dich auf deine Atmung, Mia … atme langsam ein, so wie du es gelernt hast. Du bist stark! Ich weiß, dass du das schaffst.“

Musik, das wäre eine Möglichkeit, schoss es ihm durch den Kopf. Er fing an, den Schreibtisch des Hausmeisters durchzuwühlen, stöberte in allen Schubladen, suchte fast schon verzweifelt in den Regalen.

„Verdammt, gibt es hier keine einzige vernünftige CD!?“, schimpfte er vor sich hin, bis ihm eine in die Hände fiel, die ihn sogar zum Schmunzeln brachte. Er legte sie in den Player und schnappte sich erneut den Hörer.

„Mia, hörst du diese Musik? … Kannst du dich noch erinnern, bei deiner Ankunft hier, hörten wir diesen komischen Song zum ersten Mal!“

„Oh ja … ich weiß noch … hört sich wie die Mittagsmusik beim Chinesen an“, stammelte ich angespannt. Tom lachte. Immerhin war eine verkorkste Musik besser als gar keine.

„Ja genau … weißt du noch, damals hast du mich noch viel mehr gehasst als jetzt!“

„Ich habe dich nicht gehasst … naja, vielleicht ein wenig“, gab ich ehrlich zu.

Ruhig einatmen und wieder ausatmen, ging es mir wie ein Mantra durch den Kopf.

Nicht nur meine Stimme zitterte, auch meine Hände und Beine konnte ich nicht stillhalten, und erst die Enge in meinem Hals. Alles zusammen war kaum auszuhalten.

„Sollten wir mal rein zufällig zusammen in Österreich sein, aus welchen Gründen auch immer, würde ich gern mal mit dir zum Chinesen gehen.“

„Tom, du bist echt fies, … du nützt meine Lage aus!“, keuchte ich.

„Ich weiß, scusa. Aber du musst wissen, was ich auch zu dir gesagt habe, ich hab´s immer ehrlich gemeint.“

Stille.

„Mia? … Bist du noch da?“

Halloho, ich sitze hier im Fahrstuhl fest, wohin sollte ich denn auch gehen!?

Ich machte es mir bequem, legte mich auf den Boden und lehnte meine Beine hoch an die Wand.

„Ja“, antwortete ich ihm leise. „Dauert es noch lange?“

„Ich denke nicht.“

Tom quasselte mich noch eine halbe Stunde voll. Er erzählte mir Missgeschicke von Olli und sich. Er war witzig, und ich sah ständig sein lächelndes Gesicht vor mir, im Hintergrund die verkorkste Musik in Dauerschleife. Seine Ablenkung schien zu funktionieren, bis plötzlich, nach einem heftigen Ruck, der Fahrstuhl wieder zwei Stockwerke weiterfuhr und die Tür aufging. Reglos kauerte ich erneut auf dem Boden und traute mich kaum, mich zu bewegen oder zu atmen. Ich hatte Angst, die Tür würde erneut zugehen, aber da stand mein Retter schon vor mir. Keuchend, prustend mit hochrotem Gesicht, hielt er die beiden Aufzugstüren auseinander und grinste mir verschmitzt zu. Ein paar verschwitzte Haarsträhnen fielen ihm locker in die Stirn. Selbst da sah er einfach noch zu gut aus. Er musste die vier Stockwerke wie verrückt hochgerannt sein. Ohne zu zögern, hob er mich hoch und trug mich wie eine Braut runter auf unsere Etage. Aufgebracht hielt ich mich an seinem Hals fest, kuschelte mich in seine Halsbeuge und flüsterte ihm ins Ohr: „Sorry, dass ich so ausgetickt bin.“

„Ist schon okay, langsam gewöhn ich mich ja dran.“ Toll.

Vor meiner Zimmertüre setzte er mich ab. Mit meinen zittrigen Händen versuchte ich, fieberhaft die Tür aufzusperren, was nicht so recht funktionieren wollte, weil mir eine ganz andere Sache durch den Kopf ging. Angelehnt an die Wand beobachtete er mich gelassen. Mit dem Schlüssel in der Hand hielt ich inne.

„Willst du? … Ich meine könntest du vielleicht bei mir bleiben? … Nur heute Nacht?“ Dazu verstummte mein Verstand.

Mit einem verdutzten, aber dennoch süßen Blick schaute er mich eine Zeit lang bloß an. Er hatte absolut nicht damit gerechnet.

„Du überrascht mich immer wieder, bella! Ist das jetzt ein Test oder sind das immer noch die Nebenwirkungen von den Medikamenten, die sie dir im Krankenhaus verabreicht haben?“

„Weder, noch … Ich dachte nicht an …“, stammelte ich verlegen und druckste ein wenig herum, weil ich das Wort nicht mal aussprechen konnte.

„Ich auch nicht.“

Das überraschte mich jetzt.

„Ich möchte heute einfach nicht alleine sein … bräuchte eine starke Schulter zum Anlehnen. Natürlich, wenn das für dich okay ist.“

„Du möchtest diesen Gigolo hier zum Kuscheln ausnutzen.“

„Wenn du das so siehst, dann ist es wohl …“, dann unterbrach er mich.

„Also … ich würde gern mit dir kuscheln“, sagte er warm.

„Okay. Ähm … geht das mit der Bar klar?“, fragte ich noch nach. Ich hatte absolut keine Ahnung, wie spät es eigentlich war, wie lange ich überhaupt festhing.

„Milo macht Schlussdienst und überhaupt war schon Dienstwechsel … Kann ich dich noch kurz alleine lassen? Ich sollte vorher vielleicht noch duschen.“

„Oh natürlich, ich werde auch noch duschen.“

Tom verschwand und ich bewegte mich schlapp ins Bad. In der Dusche ließ ich mir das warme Wasser über den Kopf laufen.

Die letzten Tage waren hart gewesen. Zuerst der Reitunfall und jetzt auch noch diese dumme Geschichte mit dem Fahrstuhl. Ich fühlte mich, als würde ich gezwungen, ständig über meine Grenzen hinauszugehen. Es war, als würde jemand mit einem Kontroller in der Hand auf einer Wolke über mir schweben, amüsiert auf mich runterglotzen und, weil es ihm so viel Spaß machte, mein Leben von einem Desaster zum nächsten steuern. Dabei lacht dieses Wesen so laut, so richtig fies, dass es fast von seiner Wolke purzelt. Ich war ausgelaugt.

Total alle!

Bräuchte ein bisschen Zeit, meine Batterien wieder aufzuladen.

„Du da oben, könntest du dir vielleicht für ein paar Wochen eine Auszeit nehmen? Das wäre wirklich sehr nett von dir.“ So weit war es nun schon mit mir gekommen – Selbstgespräche! Altersdemenz machte sich dann doch schon in jungen Jahren bemerkbar.

Vielleicht würde er gar nicht kommen und in den nächsten Minuten absagen, weil etwas Wichtiges mit Lorenzo war, grübelte ich vor mich hin. War es ein Fehler gewesen ihn zu fragen?

Mit einem mittlerweile altbekannten Kribbeln im Bauch wickelte ich meine nassen Haare in ein Handtuch und machte mir einen Turban auf den Kopf. Leicht fröstelnd kuschelte ich mich in den weißen Hotelbademantel. Es klopfte. Mein Herz und ebenso an meiner Zimmertür. Nervös machte ich auf. Tom stand lässig im Türrahmen, sein süßestes Lächeln aufgesetzt, bekleidet mit einem weißen Shirt und einer gemütlichen Jogginghose. Seine Haare waren noch feucht. Er wirkte sportlich und so wahnsinnig sexy. Er roch nach frischem, herbem Duschgel und mir wurde schon wieder schummerig.

„Du bist barfuß“, bemerkte ich schmunzelnd.

„Tja, eine neue Angewohnheit.“ Verlegen bat ich ihn rein. Mit seiner Lässigkeit spazierte er durch den Vorraum und warf sich auf mein Bett. Ich tapste langsam näher und ließ mich auf die Bettkante sinken. Ich war mir nicht sicher, was ich da machte, was ich da von ihm verlangte und ob ich überhaupt noch wollte, dass er bei mir blieb. Außerdem kam ich mir schäbig vor, war ich doch keinen deut besser als all die anderen Frauen. Als würde er meine Gedanken lesen können, nahm er mich zart bei der Hand und zog mich langsam, ohne auch nur ein Wort zu sagen, zu sich. Ich wehrte mich nicht und legte mich auf Augenhöhe neben ihn auf das weiche Kissen. Einige Zeit sahen wir uns einfach nur an. Ich hätte ihm gern so vieles gesagt, auch die Wahrheit über den Pilz, aber meine Lippen blieben versiegelt. Fasziniert von seinem Anblick, studierte ich jedes kleine Grübchen in seinem klassischen, kantigen Gesicht. Ich entdeckte eine kleine Narbe am Kinn und drohte in seinen dunklen, funkelnden Augen zu versinken. Sein Blick war herausfordernd, wissend und klug und sein Benehmen oft ungehörig, obwohl ich da mittlerweile ein sehr ähnliches Problem hatte.

Seine Haare waren etwas länger geworden, was zu ihm passte. Sie sahen so weich aus und in mir keimte dieses Verlangen, ihm zärtlich über den Kopf zu streicheln. Natürlich machte ich es nicht. Hätte ich mich nicht bereits in einer waagrechten Position befunden, wäre ich vermutlich spätestens jetzt umgekippt. Ich fühlte mich wie sechzehn; schüchtern und so wahnsinnig feige. Er zog mich an sich und ich legte meinen Kopf auf seine Brust, schloss meine Augen und hörte seinen kräftigen Herzschlag, der im gleichen Rhythmus wie meiner schlug.

„Danke“, murmelte ich, „du hast etwas gut bei mir.“

„Ich hoffe dir ist klar, dass ich auf dieses Angebot bestimmt zurückkommen werde“, brummte er.

Ich fühlte mich beschützt von dem Mann, vor dem ich am meisten Angst hatte.

Back to Italy! Und der Wahnsinn geht weiter!

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