Читать книгу Back to Italy! Und der Wahnsinn geht weiter! - Melanie Huber - Страница 12

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kapitel 6

Was du und ich wollen, sind zwei grundverschiedene Dinge

Tom lag schräg auf meinem Bett, als wäre es das Normalste auf der Welt. Gemütlich blätterte er in einer Fernsehzeitschrift und tat so, als würde er nicht bemerken, dass ich, nur mit einem Handtuch umwickelt, im Raum herumspazierte. Dabei spürte ich jeden Blick von ihm, wie er mich über den Zeitungsrand beobachtete, und ich muss ehrlich sagen, ich genoss es. Ordentlich wie ich plötzlich war, hängte ich meine Sachen zum Trocknen über die Stuhllehne und spazierte federnd in den Vorraum zu meinem Schrank, an dem mein Bild lehnte. Es war kein Drama, dass es verschmiert war. Ganz im Gegenteil, es hatte eine gewisse Eigendynamik entwickelt – da konnte man wirklich noch was daraus machen.

Ich suchte mir Jeans und ein langärmeliges schwarzes Top, dazu noch die neuen, schicken Schuhe und verschwand wieder im Bad.

Er blätterte gerade um und meinte nebenher: „Ach, meinetwegen kannst du dich auch hier umziehen, lass dich von mir nicht stören.“

„Machos die Tom heißen, warten für gewöhnlich vor der Tür!“

„Tatsächlich?!“ Die Zeitung raschelte erneut. „Pack noch ein paar Sachen mit ein, wir bleiben über Nacht.“

Verblüfft lugte ich aus dem Badezimmer-Türspalt und starrte ihn fragend an.

„Was ist? … Ich denke nicht, dass einer von uns zwei noch fähig sein wird, ein Auto zu fahren. Schon vergessen – wir fahren zu einer W-e-i-n-v-e-r-k-o-s-t-u-n-g.“

„Nur, wenn ich ein eigenes Zimmer haben kann!“

„Aber sicher doch.“ Das klang zwar nicht so, als würde er es ehrlich meinen, dennoch begann ich ohne Widerrede meinen Rucksack zu packen und wir düsten los.

Wir waren schon eine Stunde mit dem Auto unterwegs, befanden uns außerhalb der Stadt und fuhren in eine ganz andere Gegend als sonst. Zufrieden genoss ich die idyllische Hügellandschaft.

„Wohin fahren wir eigentlich?“

„Zu Giannis Onkel, Fernando Salvatore. Er ist Weinbauer. Ist eine sehr schöne Gegend da … ich hab da ein Teil meiner Kindheit verbracht … ich bin mir sicher, es wird dir gefallen.“

Das Gewitter hatte sich verzogen, am Horizont blinzelte die Sonne wieder durch, und die noch dunklen Wolken verzogen sich allmählich. Die Landschaft dampfte vor sich hin, war wie reingewaschen. Tom fuhr einen Hügel hoch, neben uns prächtige Weinstöcke. Von weitem sah ich einen einsamen Bauernhof, auf den wir zusteuerten. Durch ein großes, rustikales Tor aus massivem Holz gelangten wir in den Innenhof. Weißer Kies knirschte unter den Reifen, und Tom stellte sein Auto in einer Ecke ab.

„Wir sind da, bella!“

Neugierig stieg ich aus dem Auto, blickte mich um. Mitten im Hof befand sich eine kleine Garteninsel mit einem winzigen Teich, Ziergräsern und kleinen Olivenbäumen. Steinskulpturen und verrostete Gegenstände dienten als Deko. Die liebevolle Renovierung des Bauernhofs im Vintage-Stil fiel mir als Erstes auf. Die Mauern des Hauptgebäudes bestanden zum größten Teil aus antiken Steinen, wobei der obere Stock in warmem Karminrot gehalten war. Bunte Balkonblumen schmückten jedes Rundbogenfenster, was diesem Platz hier ein besonders romantisches Flair gab, und die dunkelgrünen Fensterläden fand ich einfach nur originell. Während ich mich umsah, beobachtete Tom mich genau.

Bellend eilte ein kleiner Hund auf uns zu, gefolgt von seinem massigen Herrchen in gelbem Hemd und mit Hosenträgern.

„Keine Sorge, der tut nix“, sagte Tom zu mir. Ja, ja, ich weiß, fast ein jeder Hund trägt den Namen TUTNIX! Aber ich glaubte ihm, denn der Kleine sah nicht gerade gemeingefährlich aus. Als hätten sie sich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, umarmten sich die beiden Männer herzlich.

„Benvenuto, Tom! Benvenuto!“ Giannis Onkel klopfte ihm kräftig auf die Schulter.

„Come stai, Fernando?“

„Bene, grazie!“, erwiderte der und rieb sich dabei erfreut seinen Bauch.

„Fernando, ich darf dir jemanden vorstellen … das ist la signorina Mia!“

„Buona sera“, fröhlich riss er seine Augen auf, „bella donna!“ Höflich streckte ich ihm meine Hand entgegen. Er verbeugte sich, zwinkerte meinem Kollegen zu, zog seine Baskenmütze vom Kopf und küsste meinen Handrücken. Wie vornehm dachte ich noch, aber da zog er mich auch schon an sich, schloss mich genauso herzlich wie Tom vorhin in die Arme, und drückte mir noch links und rechts einen fetten Schmatz auf die Backe. Völlig überrumpelt und mit aufgerissenen Augen starrte ich verlegen zu Tom rüber.

„Italien halt“, gab er achselzuckend von sich.

Giannis Onkel stellte sich zwischen uns, zeigte uns den Hof, wobei mein Fotografenauge so einige gute Motive fand. Nach dem Rundgang führte er uns durch eine in die Jahre gekommene, knarrende Holztür, hinaus zu einer wunderschönen Weinlaube. Kaum saßen wir auf den Holzbänken, war der quirlige Hausherr auch schon im Haus verschwunden, kam aber gleich darauf mit einem Dekanter und ein paar Rotweingläsern zurück. Derweilen genossen wir den unbeschreiblich herrlichen Ausblick auf die Landschaft vor uns. Das Ambiente, die Weinberge mit den reifen Trauben und in weiter Ferne die Stadt, waren einfach wunderschön. Am Horizont verfärbte die Sonne bereits den Himmel in den schönsten Rosa- und Orangetönen. Es war herrlich, und ich genoss dieses friedliche Stückchen Land in vollen Zügen. Er goss einen Schluck Rotwein in ein Weinglas, ließ Tom zuerst kosten und wartete gespannt dessen Reaktion ab. Mein Kollege nickte ihm anerkennend zu, dann erst füllte er die anderen Gläser. Während sich die beiden unterhielten, spürte ich, wie mich der alte Mann, der so eine enorme Ruhe ausstrahlte, immerzu musterte. Da Fernando nur gebrochen deutsch sprach, übersetzte Tom mir alles. Es schien ihm gar nichts auszumachen, obwohl es bestimmt mühselig für ihn war. Die beiden witzelten, lernten mir ein paar italienische Ausdrücke und lachten herzhaft, als ich mich in ihrer Sprache übte.

Nebenbei bemerkt war Giannis Onkel ziemlich neugierig. Er wollte alles Mögliche wissen, wie es im Hotel so lief, wie es seinem blonden Neffen und dessen Frau so erging und natürlich auch alles über Lorenzo. Seine Fragerei ging so lange weiter, bis eine unausweichlich war, und Tom mich spitzbübisch anlächelte.

„Er möchte wissen, wo ich meine bella donna kennengelernt habe.“ Das hatte sogar ich verstanden. Ich schluckte laut. Zwei auf mich gerichtete Augenpaare starrten mich erwartungsvoll an.

„Deine Frau?! … Tom, du stellst das sofort klar!“ Er grinste nur, ließ mich zappeln und erst nach einer kurzen Weile begann er weiterzureden.

Er erklärte ihm, dass ich die beste Freundin von Malou bin und seit ein paar Monaten im Hotel aushelfe. Ganz korrekt. Als er dann von meinen Fotos schwärmte, wurde ich tatsächlich rot.

Aber am allermeisten schmeichelte mir die bestimmte Art, wie er ständig meinen Namen aussprach. Mein Vorname ließ nicht allzu viele Kosenamen zu. Hatte ich etwas angestellt, klang er betont ruppig – vorwiegend die Tonlage meiner Mom. Aber Toms Mia hatte plötzlich so viel Weiches an sich, und es schwang darin auch eine gehörige Portion Achtung und Respekt mit.

„Ahh, sì, sì!“ Fernando Salvatore tätschelte unsere Hände, die ruhend auf dem Holztisch lagen und mir entging nicht, dass er Tränen in den Augen hatte. Dann eilte er wieder ins Haus zurück.

Tom lehnte sich entspannt zurück und streckte seinen Arm über die Rücklehne der Bank, auf der wir saßen. Nur ein kleines Stück hätte ich mich bewegen müssen, um seine Hand an meinem Rücken zu spüren. Da wäre gar nicht mal viel nötig gewesen und es hätte völlig unbeabsichtigt passieren können. Aber ich blieb starr wie ein Stein und bewegte mich keinen Millimeter. Innerlich fühlte ich mich wie ein durcheinandergeratener Ameisenhaufen, äußerlich allerdings nippte ich scheinbar völlig relaxed an meinem Rotwein. Ich versuchte, mich wieder voll und ganz auf die herrliche Aussicht zu konzentrieren, und probierte etwas abzuschalten.

„Gefällt es dir hier?“, fragte Tom in die Stille hinein, und schaute mich mit seinem durchdringenden Blick an.

„Mmh … hier lässt es sich schon aushalten, dieser Platz ist wunderschön“, antwortete ich ihm ehrlich und tief durchatmend.

„Sei bella“, sagte er mit so tiefer Stimme, dass es mir unter die Haut ging.

„Was heißt das? Dass ich recht habe?“

„Das erklär ich dir ein andermal.“ Misstrauisch guckte ich ihn an.

„Und?! Die wievielte bella bin ich, die du hier hochschleppst?“ Er schaut mich völlig irritiert an, nahm den Arm von der Lehne und setzte sich seufzend nach vorne.

„Jedes Jahr fahre ich mit einer anderen hier hoch – zufrieden?!“ Seine Antwort klang fast, als hätte ich ihn gekränkt. Unser Thema ausführlicher zu besprechen, blieb uns keine Zeit, denn da kam Herr Salvatore wieder. Mit unseren Weingläsern wanderten wir in Richtung Weinkeller weiter, wo uns bereits seine liebevolle Frau Ludovica mit italienischen Köstlichkeiten erwartete. Ciabatta, Oliven, selbst gemachte getrocknete Tomaten mit Schafkäsefüllung und in Öl eingelegte, geröstete Paprika. Neben Salami und Prosciutto gab es auch noch verschiedene Käsesorten, und selbstverständlich durfte auch würziger Parmesan nicht fehlen. Wir machten es uns im Gewölbe gemütlich und saßen an einem ovalen Tisch aus Olivenholz. Vor uns waren Nischen, gemauert aus Klinkerziegeln, die weit ins Innere des Kellers reichten. Darin lagerten die leicht verstaubten Schätze des Weinbauern.

Fernando präsentierte uns stolz eine Flasche nach der anderen, trocken, halbtrocken, lieblich – er ließ uns alles probieren. Beide erklärten mir die Faszination Wein und was es bedeutete, Wein mit allen Sinnen zu erleben. Zwischendurch wurde viel gelacht und ein ‚Salute‘ folgte dem anderen. Allerdings vergaßen wir sehr oft, den Spuckkelch zu benutzen. Wäre auch zu schade gewesen …

Tom notierte jeden Wein auf einer Liste, fragte mich ausnahmslos nach meiner Meinung und kreiste diejenigen ein, die wir beide gut fanden. Herr Salvatore erklärte mir in gebrochenem Deutsch vieles über sein Land, und über den Zusammenhang zwischen der Bodenbeschaffenheit und der Qualität des von ihm erzeugten Weines. Hauptverantwortlich für den besonderen Geschmack war die mediterrane Wärme, geprägt vom Voralpenklima. Interessiert hörte ich ihm zu. Nachdem wir sämtliche Kostproben durch, und uns alle pappsatt gegessen hatten, half ich Fernandos Frau beim Abräumen. Da sie kein Wort Deutsch verstand, versuchten wir, uns mit Körpersprache mitzuteilen. Was teilweise zu Missverständnissen führte, aber ganz schön lustig war.

Leicht fröstelnd setzte ich mich wieder neben meinen Kollegen hin, der mittlerweile ein angespanntes Gespräch mit Fernando zu führen schien. Auch Ludovicas Blick in die Runde war besorgt. Sie versuchte, die beiden auf ein anderes Thema zu bringen, wobei mir Tom leicht betreten süße Blicke zuwarf. Ich war etwas irritiert, dennoch entging mir nicht, dass ihm der Themenwechsel von Giannis Tante gerade recht kam. Außerdem war unschwer zu erkennen, dass er meine Anwesenheit sichtlich genoss.

„Ludovica möchte gerne wissen, ob du Lust hast, im Heu zu schlafen?“

„Im Heu?“, fragte ich skeptisch nach.

„Sie bieten Heuübernachtungen in kleinen Zimmern an. Naturfreaks fahren voll darauf ab.“

Irgendwo in mir steckte vielleicht eine kleine Ökotussi mit eingeschränkten Weltverbesserungsideen, aber dennoch liebte ich den Komfort eines warmen Bettes, mit gemütlicher Matratze und weichen Decken über alles, doch …

„Warum nicht, ist mal etwas Anderes“, beide nickten wir zu Ludovica.

Mein Verstand: Ernsthaft?!

„Aber du sagst ihr, dass wir getrennte Zimmer wollen!“, fügte ich noch rasch hinzu.

„Ach, wollen WIR das wirklich?“

„Tom!“, warnend bohrte ich meinen Zeigefinger in seine Rippen, aber er zuckte nur lächelnd zusammen.

„Gar keine Angst vor Mäusen?“, fragte er mit gruseligem Unterton.

„Das sollte ein Witz sein – oder?!“

Worauf er mega geheimnisvoll irgendetwas zu Fernandos Frau sagte, die mir wiederum mit leuchtenden Augen zu schmunzelte.

Also wirklich!

Ich hasste es, nichts, aber auch gar nichts zu verstehen.

Und dann war dieser Kerl wieder so fürsorglich …

„Ist dir kalt bella?“, fragte er mich nach einer Weile, als er mitbekam, dass ich an meinen Armen rubbelte.

„Ein bisschen …“

„Ich hol dir mal deine Jacke aus dem Auto.“ Bei der Gelegenheit ging Ludovica mit ihm, um unseren Schlafplatz zu richten. Ich saß alleine mit Fernando am Tisch, der gerade ein paar Kerzen anzündete und eine besondere Flasche Wein öffnete.

„Siamo lieti … wir … äh … freue uns sehr für unsere Tom, … naturlich fur euche beide!“, sagte er wieder mit Tränen in den Augen.

„Ich sage immer … komme zue mir mit deine donna, aber er nicht komme und heute komme er endlich mite Mia!“ Erfreut tätschelte er mit beiden Händen meine Wangen, und laut schluckend lächelte ich ihn verlegen an.

Hä?!

Hatte er mir gerade gesagt …

„Tom fährt hier also nicht öfters mit anderen Frauen hoch?“, fragte ich vorsichtig nach.

„No, no. Er ware schon Jahre nichte mehr bei uns. Ich kenne ihn, seite er kleine Junge war.“ Er hielt seine sehnige Hand etwa einen Meter über dem Boden und schien in Erinnerungen zu schwelgen. „Sehe ihn immer, vor meine Auge wie Pietro und er spiele zusamme …“ Kopfschüttelnd zog er ein in Mitleidenschaft gezogenes Stofftaschentuch aus seiner Hose und wischte seine feuchten Augen ab. „… ahh es iste nix gut …“ Es war herzzerreißend, und ich brachte es nicht übers Herz, ihm die Wahrheit zu sagen.

„Ist Pietro Ihr Sohn?“, fragte ich nochmals zögerlich nach.

„No, no Pietro, nipote mio … wie heiße nochmal … Sohn von meine sorella.“

„Ah, ihr Neffe?“

„Sì, sì … meine Neffe.“

Mein fürsorglicher Begleiter kam mit meiner Jacke zurück, half mir ganz gentlemanlike beim Anziehen und teilte mir mit, dass er unser Gepäck bereits auf den Dachboden gebracht hätte. Fernando schenkte uns den edlen Tropfen ein. Es war ein Jahrgang, der nur für besondere Anlässe geöffnet wurde. Er erzählte mir noch ein paar Geschichten von Tom und seinem Neffen Pietro, auch eine, wie sie zusammen Seifenkisten bauten, um über den Weinberg zu rasen. Ausführlich wurde mir beschrieben, mit welcher Präzision und exakter Planung die beiden Jungs daran gebastelt hatten. Für die gefährliche Testfahrt musste die Katze herhalten. Anscheinend bekam die schon immer einen Anfall zu Beginn der Sommerferien, wenn der Besuch der Jungs anstand. Katzen spürten so was schon viele Tage vorher. Herzhaft lachte ich laut auf über seine Geschichten und konnte gar nicht genug davon kriegen, obwohl mir die Katze doch ziemlich leidtat. Angeblich ging die Sache nicht immer glimpflich aus. Einmal, da hatten sich die Jungs sogar jeweils einen Arm gebrochen. Pietro den rechten und Tom den linken Arm. Theatralisch bemitleidete ich das damalige Unfallopfer. Es war nicht zu übersehen, wie Fernando uns glücklich über das ganze Gesicht anstrahlte. Dabei verrieten die tiefen Falten in seinem Gesicht, dass er noch eine Menge mehr an Geschichten zu erzählen hatte. Ich hätte ihm stundenlang zuhören können. Tom betrachtete mich amüsiert – manchmal länger als nötig, und wenn ich ihn dann mit einem fragenden Blick anstarrte, schenkte er mir ein schiefes Lächeln.

Obwohl die Stimmung gut war und der Wein köstlich schmeckte, schwang doch manchmal etwas Trauriges in den Blicken von beiden mit. Alte Geschichten reißen oft auch alte Wunden wieder auf, und manchmal wirkte Tom hin und her gerissen von seinen Gefühlen. Der Abend neigte sich langsam dem Ende zu und eine wohltuende Müdigkeit überfiel uns. Die nette Ludovica setzte sich ebenfalls wieder zu uns an den Tisch, tätschelte liebevoll die verrunzelte Hand ihres Mannes, was ein wehmütiges Gefühl in mir hervorrief. Vielleicht lag es auch am Wein, aber ich dachte ehrlich darüber nach, ob mir auch mal so ein Glück bis ins hohe Alter vergönnt sein würde. Unbewusst schielte ich zu Tom rüber.

Tja, falls mir mit siebenundzwanzig nicht vorzeitig ein Herzinfarkt einen Strich durch die Rechnung machte.

Eine gute Nacht wünschend, verabschiedete sich das alte Ehepaar von uns, und wir waren allein. War ich während der netten Unterhaltung etwas zu nahe an Tom gerutscht, rückte ich jetzt ein Stück von ihm ab. Leise lachten wir noch über dies und jenes, verstummten aber dann doch. Das war doch alles nur nebensächlicher Quatsch, im Grunde ging es ja um etwas ganz anderes. Dieses Gefühl, das bekanntlich zu mehr führte, als es sollte, herrschte unausgesprochen und ganz plötzlich zwischen uns. Richtig beängstigend war es, und ich spürte einen ganz festen Kloß in meinem Hals. Der Hauptverantwortliche für meine Beklommenheit, der noch immer neben mir saß, war mindestens genauso ruhig geworden wie ich. Fast schon zärtlich glitten seine Finger über den Stiel seines Rotweinglases, und er hatte diesen bestimmten Blick drauf, bei dem mir immer ganz mulmig wurde. Kurz keimte in mir der Wunsch hoch, er würde nach meiner Hand greifen und diese anstatt des Rotweinglases streicheln.

Tja, was einem der Alkohol nicht für Gedanken ins Hirn zaubert?!

Zum Glück war ich da überhaupt nicht anfällig dafür.

Wir nahmen den letzten Schluck aus unseren Gläsern und brachen, leicht angeheitert, zu unserem ganz persönlichen Heustadel auf. Da Tom hier fast wie zu Hause war, folgte ich ihm nach draußen zum Hauptgebäude. Durch die Gänge des Wohnhauses kamen wir zu einem Anbau, der früher wohl als Stall oder Scheune gedient hatte. An einer steilen Holzleiter angekommen, ließ er mir den Vortritt.

„Vorsicht, bella! Diese Leiter wurde sehr rustikal gebaut.“ Aha. Schützend kletterte er hinter mir her, damit mir auch nichts passieren konnte. Seine Arme streiften meine, sein Oberkörper war dicht an meinen Rücken gedrückt. Sprosse für Sprosse kletterte ich aufwärts – die Sache schien schwieriger als gedacht, da die Abstände der meisten Sprossen ungleich waren. Das meinte er also mit rustikal. Wäre das alles nicht schon genug, spürte ich auch noch viel zu deutlich die warme Luft, die er ausatmete und die an meinem Nacken kitzelte.

Gänsehaut lässt grüßen!

Hola! Und mein Kreislauf war auch schon mal besser.

Tollpatschig wie ich manchmal war, übersah ich blöderweise eine Stufe und wäre knapp die Leiter hinunter gestürzt. Da hatte aber mein Begleiter auch schon seinen Arm um meine Taille gelegt. Für einen kurzen Augenblick vergaßen wir wohl beide, Luft zu holen. Langsam nahm er seine Hand wieder weg, was einer unglaublich zärtlichen Geste glich. Tom Corneli versäumte nicht, jede Gelegenheit für sich auszunutzen. Dummerweise hatte er auch noch einen gewissen Teilerfolg. Denn die Schmetterlinge in meinem Bauch waren nun schwer damit beschäftigt, Prosciutto, Parmesan und getrocknete Tomaten durch die Gegend zu schieben. Ich fasste mich wieder einigermaßen und so gut ich eben konnte, konzentrierte ich mich abermals. Tatsächlich gelang es uns dann doch, heil den Dachboden zu erreichen. Wir standen in der Mitte des Raumes, wo wir beide gerade so aufrecht stehen konnten. Je mehr wir uns zur Seite bewegten, desto mehr mussten wir uns bücken, um uns nicht den Kopf zu stoßen.

Heuübernachtungen in kleinen Zimmern?!

Völlig übertrieben!

Die ‚sogenannten Zimmer‘, waren eigentlich offene Nischen, die mit urig verkleideten Holzwänden abgetrennt waren. In jeder der Kammern befand sich ein großer Heuhaufen. Die für uns vorbereitete Schlafstätte lag ganz außen. Nur das Mondlicht, das durch ein paar Dachfenster einsickerte, und eine winzige Lampe spendeten uns gedämpftes Licht. Es roch herrlich nach Holz und getrockneten Kräutern. Unsicher sah ich mich um. Wie ich es bereits geahnt hatte, war nur eine dicke Decke auf den Heuhaufen ausgebreitet. Mit zwei Kissen aber nur einer kuscheligen Decke zum Zudecken daneben.

Ich seufzte tief.

Er lächelte amüsiert.

Die Umstände würden es bestimmt schwer machen, hier seelenruhig einzuschlafen, obwohl es warm war und gemütlich aussah.

Beide kramten wir in unseren Taschen nach Zahnputzzeug und nahmen neuerlich den steilen Weg nach unten zu einem kleinen Badezimmer. Schmunzelnd und mit Schaum vorm Mund, putzten wir uns am Waschbecken die Zähne. Es war eigenartig schön, alltägliche Dinge gemeinsam zu machen.

„Kannst du dich mal umdrehen?“, fragte ich ihn, als wir wieder oben waren.

„Wenn´s sein muss!“, seufzte er.

„Ja, das muss es!“ Vorsichtshalber drehte ich mich ebenfalls um, es war ja schließlich immer noch Tom, der mir gegenüber stand. Flink streifte ich mir meinen BH ab und zog mir mein Shirt über.

„Falls du es vergessen hast, ich hab dich schon zweimal oben ohne gesehen …“, wandte er protestierend ein.

„Wie könnte ich denn, du erinnerst mich ja ständig daran.“

„Also, warum so schüchtern?“, maulte er rum, wie ein kleiner Junge.

„Vergiss es! Keine Chance!“

„Weißt du, was mich echt nervt?“

„Nein?“, sagte ich und wartete gespannt ab, was jetzt kommen würde. Währenddessen schlüpfte ich in meine äußerst bequemen, grau melierten Baumwoll-Shorts.

„Damals am Pool, als dieser Mist passiert ist …“

„Jaaa …“, säuselte ich, während ich mir noch meine Haare durchkämmte.

„Es nervt mich, dass dich all meine Kumpels oben ohne gesehen haben.“

„Das nervt DICH? … Na frag mich mal … So, ich bin fertig, du kannst dich wieder umdrehen.“

Jemand hatte wohl das Licht ausgemacht. Tom hatte ebenfalls sein Sakko und sein Shirt ausgezogen, stand nur mehr in Jeans vor mir. Sein Anblick traf mich völlig unvorbereitet. Ich hielt inne, blickte verlegen auf seinen muskulösen, braun gebrannten Oberkörper, der im Mondlicht schimmerte. Nur leicht konnte ich seine Umrisse erkennen, was dennoch ausreichte, um mich in Wallung zu bringen.

Langsam ging er ein paar Schritte auf mich zu, mir wurde heiß und kalt zugleich.

Dann trafen sich unsere Augen.

Mein Verstand: Reiß dich zusammen – Mia! Und vergiss jetzt bloß nicht zu atmen!

„Ehrlich gesagt wäre es mir lieber gewesen, diese Show hätte mir allein gegolten“, knallte er mir mal eben so mit einem Funkeln in den Augen direkt ins Gesicht. Das war schon eine hochgefährliche Situation. Mein Magen, also der fuhr ein paar Runden Achterbahn. Was mein restlicher Körper so aufführte, dafür hatte ich keine Definitionen mehr. Nur ein Gedanke war fassbar: Jetzt haut´s mich wirklich um! Ich blieb aber doch erstaunlicherweise stehen und räusperte mich.

Nicht vergessen tief einatmen …

„Ähm … kannst du mal mit diesen blöden Anspielungen aufhören? … Das nervt MICH nämlich!“

Und wieder tief … ausatmen, Mia.

Siehst du, nix ist passiert.

Alles okay.

Mit hochrotem Gesicht wandte ich mich von ihm ab und legte, aufgewühlt wie ich war, meine Klamotten auf meinem Rucksack ab. Irgendwie sehnte ich mich jetzt gerade ganz wahnsinnig nach Ordnung.

„Welche Seite willst du haben?“, fragte ich, um die Situation zu entschärfen. „Links … wenn es für dich in Ordnung ist“, gab er seufzend von sich, dann verdrehte er die Augen und ließ sich auf das Heubett plumpsen. Er legte sich auf den Rücken, winkelte lässig ein Bein an und beobachtete vergnügt und mit leicht zerzausten Haaren, wie ich mich ebenfalls, ausgesprochen langsam, völlig schüchtern neben ihn hinsetzte. Obwohl es nicht unsere erste gemeinsame Nacht war, war es dieses Mal anders, und ich fühlte mich von Sekunde zu Sekunde unwohler. Mit beunruhigenden Gefühlen im Bauch und mit bis zum Hals pochendem Herzen, zog ich meine Beine an und umschlang sie fest mit meinen Armen.

„Nur damit das klar ist! Auch wenn wir uns heute Nacht dieses Bett hier teilen werden und du jetzt weißt, dass ich solo bin, wird hier zwischen uns bestimmt nichts laufen. Das schlag dir gleich mal aus deinem Kopf!“ Warnend schaute ich ihn mit giftigem Blick an, wobei er nur mit verführerischem Grinsen konterte. „Ich steh nicht auf den Austausch von Körperflüssigkeiten!“, fügte ich noch rasch hinzu und drehte nervös an meinen Zehenringen herum.

„Körperflüssigkeitsaustausch? Das ist für dich Sex? … Ach komm, Mia, gib es zu! Du hattest bestimmt auch schon Sex mit jemandem, mit dem du nicht zusammen warst.“ Ich überlegte und er starrte ebenfalls wie angewurzelt auf meine Zehen.

„… Einmal oder vielleicht auch zweimal …“, stammelte ich verlegen und klopfte mein Kopfkissen zurecht.

„Vielleicht zweimal?“, fragte er mich zweifelnd.

„Naja, der Erste zählt eigentlich gar nicht.“

„Jetzt will ich es aber genau wissen!“ Entspannt stützte er seinen Kopf auf seinem Ellbogen ab und ich lehnte mich leicht an seinen Bauch. In Erinnerungen schwelgend grinste ich vor mich hin.

„Ach glaub mir, das willst du nicht wissen …“

„Und ob“, forderte er mich erneut auf. Irritiert blickte ich ihn an.

„Jetzt erzähl schon!“

„Können wir nicht einfach …“

„No.“

„Na gut … also das war so: Eine Freundin aus unserer Clique machte eine Party. Ihre Eltern waren übers Wochenende verreist. Malou und ich waren auch eingeladen. Alle redeten blöd auf mich ein, ich sollte es doch einmal versuchen, es wäre ganz easy und so. Die Wahrheit war, ich ging ihnen schon allen ziemlich auf den Keks, da ich die Trennung von meiner ersten Beziehung noch nach Monaten nicht wirklich überwunden hatte.“

„Wie lange dauerte denn deine erste Beziehung?“ Ich zögerte, und mit zusammengekniffenen Augen starrte ich ihn an.

„Wehe du lachst!“, drohend richtete ich meinen Zeigefinger auf ihn und er schüttelte unschuldig den Kopf. „Sie dauerte knapp achtundvierzig Stunden!“

„Oh … achtundvierzig Stunden? … Das ist wirklich …“, er verkniff sich das Lachen. „Achtundvierzig?“, fragte er nochmals und schüttelte nun fassungslos den Kopf.

„Ich fass es nicht, dass ich ausgerechnet dir davon erzähle!“ Ein paar Lacher rutschten ihm schon durch, was er gleich mit einem gekünstelten Hustenanfall überspielte. „Hey, für mich war das damals eine halbe Ewigkeit – okay? … Und überhaupt war er meine erste große Liebe. Das war echt hart! … Mein Herz war … futsch!“ Irritiert guckte er mich jetzt an. „Okay, du verstehst das natürlich nicht“, bemerkte ich.

Und dann kicherten wir beide vor uns hin, und er fing mit einer Haarsträhne von mir zu spielen an, was mich gleich nochmals aus dem Konzept brachte.

„Erzähl weiter …“

„Ähm … na, auf jeden Fall gingen wir zu dieser Party. Die Hälfte dieser Leute hatten wir in unserem Leben noch nie gesehen, und unsere Freundin bestimmt auch noch nicht. Das war echt extrem und lief komplett aus dem Ruder. Obwohl es da noch kein Facebook und auch kein Twitter gab … Tja, und dann lernte ich so einen Rotschopf kennen, der anscheinend der Cousin unserer Freundin war. Keine Ahnung, wie der nochmal geheißen hat … er hatte mir nicht einmal gefallen, er war eher so ein Sonderling. Aber ich ging die Sache wie besprochen an, ganz easy und relaxed. Irgendwann verdrückten wir uns auf ein Zimmer im Obergeschoss.“ Plötzlich spürte ich förmlich, wie Tom mich mit seinem Blick auszog. Räuspernd erzählte ich weiter.

„Wir küssten uns, fummelten ein bisschen herum, und bevor es wirklich richtig zur Sache ging, musste ich mal …“

„Du musstest mal?!“ Sein Blick, fragend und bestürzt zugleich.

„Jaahaa … du weißt schon … auf … die Toilette.“

„Oh.“

„Er meinte noch, er würde das mit dem Kondom in der Zwischenzeit regeln. Ich zog mir meine Sachen an, schlich die Treppe runter, rief mir ein Taxi und fuhr einfach nach Hause.“

„Du hast ihn mit einem Hammer in der Hose allein zurückgelassen? … Du bist echt knallhart Babe!“

„Tja, was soll ich sagen … oft ist halt Vorfreude die schönste Freude!“ Wir prusteten jetzt beide richtig los. „Anscheinend hat er eine ganze Stunde auf diesem Zimmer verbracht und auf mich gewartet.“

„Der arme Kerl kann ja einem richtig leidtun …“ Wir hätten uns kaputtlachen können.

„Sag mal, wie alt warst du denn da?“, fragte er mich, als wir uns wieder eingekriegt hatten.

„Naja, das war kurz bevor wir uns entschlossen hatten nach Italien zu reisen.“

„Aja?“

„Hmm“, bestätigte ich nochmals.

„Und was ist beim zweiten Mal passiert?“

„Beim zweiten Mal“, ich atmete tief durch, „naja, es dauerte ungefähr ein Jahr, bis ich einen weiteren Versuch wagte.“ Um meine Nerven etwas zu beruhigen, spielte ich mit einem getrockneten Grashalm herum. Seine Nähe aber auch so offen mit ihm über Sex zu reden, machte mich viel zu nervös, und meine Hände zitterten leicht.

„Malou war damals schon mit Gianni in Italien, und meine Freunde nervten mich aufs Neue. Ich würde eine dringende Entspannung benötigen. Was natürlich völliger Schmarrn war. Aber eines Abends lernte ich tatsächlich einen Mann in einem Pub kennen, der mir optisch schon mal ganz gut gefiel. Charaktermäßig war es mir völlig egal, ich wollte ja etwas Unverbindliches. Kurze Zeit später schleppte ich ihn mit in meine Studentenwohnung … Ich weiß auch nicht, aber ich glaube er hatte da etwas missverstanden als ich erwähnte, dass ich Sport gerne mochte. Dieser Idiot verwechselte mich mit einer Leistungsturnerin!“ Tom lachte laut auf.

„Nach sämtlichen Verrenkungen reichte es mir, und bevor ich einen Krampf riskierte, setzte ich ihn unverbindlich vor die Tür.“ Beide feixten wir herum. „Das war es dann, ich brauchte keine weiteren Experimente mehr!“ Er lachte noch ein paarmal laut auf, konnte gar nicht mehr damit aufhören.

„Hey, das ist nicht witzig!“ Ich boxte ihn leicht in den Bauch. Nun war ich neugierig.

„Und, wie viele Damen gehören zu den Beglückten von Tom Corneli?“

„Ob sie tatsächlich im Nachhinein glücklich waren weiß ich nicht, das ist ja bei euch Frauen oft echt schwer zu sagen.“

„Du lenkst ab! Wie viele waren es – egal ob glücklich oder nicht?“

„Reicht es dir, wenn ich einige sage?“

„Willst du mir die Zahl nicht sagen weil du denkst, ich würde kein Wort mehr mit dir reden?“ Tom druckste herum.

„Naja … es ist so …“

„Oh Mann! DU weißt es nicht mehr!?“ Entsetzt richtete ich mich auf.

„Hmm … aber ich kann sagen es waren zwei, bei denen ich dachte, ich hätte sie geliebt.“

„Bei denen du DACHTEST?“

Völlig schockiert lehnte ich mich wieder an seinen Bauch. Stirnrunzelnd sah er mich an.

„Schon mal einen Aids-Test gemacht?“, fragte ich nach einer Weile, als ich wieder klar denken konnte.

„Naja, nach meinem letzten Sex, der ja schon eine ganze Weile her ist, habe ich mich testen lassen … ich bin sauber.“

„Tja, nach diesem Blondschopf hätte ich mich auch testen lassen, die sah nicht gerade gesund aus.“

„Wenn du Klein-Blondchen meinst, … ich hab nicht mit ihr geschlafen.“

„Du meinst Alt-Blondchen. Hast du sie dir bei Tageslicht schon mal genauer angesehen?“ Er schüttelt seinen Kopf.

„Wie fies du manchmal sein kannst! Hast du mir überhaupt zu gehört? Ich hatte mit I-H-R K-E-I-N-E-N S-E-X.“

„Ja klar! Erzähl das mal deiner Oma! Ich verrate dir mal ein kleines Geheimnis, die Wände vom Grand Hotel Paradiso sind sehr, sehr, seeehr dünn. Da hat der Herr Architekt wohl etwas zu sehr gespart. Also Tom, ich bin kein kleines Mädchen mehr, also raus aus der Märchenstunde!“

„Mia, das einzige was du gehört hast war, wie sie die Obstschale zerschmetterte und dann vielleicht noch, wie ich sie in mein Bett hievte. Sie war zu betrunken, dass da noch was hätte laufen können, also schlief ich auf der Couch. Ehrlich.“

„Ist ja auch egal.“

„Es ist die Wahrheit.“ Mit einem Röntgenblick scannte ich sein Gesicht und verdammt, ich musste echt zugeben, er wirkte wirklich ehrlich.

„Schon mal daran gedacht, zu den Samaritern zu gehen, sooft wie du betrunkene Frauen in deinem Bett schlafen lässt.“

„Ich konnte sie doch nicht auf dem Gang aussetzen, so was macht man nicht.“

„Nein natürlich, so etwas tut man wirklich nicht … Ich glaub es nicht, ein angepisster Tom schlief auf der Couch, weil sein Aufriss zu viel Alk abbekommen hatte.“ Also irgendwie amüsierte mich der Gedanke gerade.

„Ich war nicht angepisst, im Gegenteil. Ich hatte Zeit, konnte in Ruhe nachdenken und mir über ein paar Dinge klar werden.“

„Soso, Männer denken mal nach. Etwas ganz Neues. Sollte ich dir jetzt deine Story tatsächlich glauben? Dann hast du mich neulich nach dem Eis essen ziemlich verarscht.“

„Tja, da hab ich wohl gelogen. Scusa.“

„Du wolltest mich testen!“

„Naja, nicht so ganz.“

„Du bist echt ein gemeiner Schuft!“ Ich schimpfte vor mich hin.

„Und du? Bist du sauber?“

„Oh, sauberer geht es gar nicht mehr!“ Er grinste zufrieden.

„Tja bella, nach deinen sportlichen Erfahrungen – wie sieht die Sache aus, wenn du in einer Beziehung bist? Hast du Sex, oder lebst du von nun an zölibatär?“

„Was ist das bitte für eine blöde Frage?! … Natürlich habe ich Sex!“

„Bist du sicher?“ Mir schoss die Röte ins Gesicht. Jetzt fühlte ich mich unsicher. Es war absolut keine gute Idee, mit ihm so offen darüber zu plaudern.

„Am Anfang häufiger und … dann, naja … manchmal halt eben … Wie das eben so läuft.“

„Manchmal? Hmm … Mensch Süße, ich glaube du hattest in deinem Leben noch nie guten Sex!“ Theatralisch schlug er sich mit der flachen Hand auf die Stirn und ließ seinen Kopf nach hinten sinken. Als wäre das jetzt ein riesiges Problem.

Ich kam mir saublöd vor.

Fast wie eine Jungfrau.

Aber irgendwie hatte er recht, die Wahnsinnserfahrung hatte ich noch nicht erlebt. Niklas … naja … wie soll ich es formulieren … er war schnell.

Zack.

Bumm.

Aus und vorbei.

Kurz auf den Punkt gebracht – er war einfach zu schnell – für mich.

Trotzdem war‘s schön – meistens halt.

„Das kannst du überhaupt nicht beurteilen“, verteidigte ich mich, „ich finde nur … Liebe und Sex, lässt sich nicht so leicht trennen, wie die meisten behaupten.“

Es schien, als würde er für einen Moment über meine Worte nachdenken.

„Stimmt, ich kann das nicht beurteilen und ich bin deiner Meinung. Wenn man mit jemandem schläft, den man aufrichtig liebt, ist das natürlich etwas ganz anderes.“

Die Stille, die sich nun in unsere Heukammer einschlich, war kaum auszuhalten.

„Warum reden wir überhaupt über dieses Thema, können wir nicht über etwas anderes reden?!“ Meine Kehle fühlte sich plötzlich trocken und heiser an.

„Du hast damit angefangen …“, meinte er frech grinsend.

Das führte uns erneut in eine Sackgasse.

[…]

Pause.

[…]

Eine sehr lange Pause.

[…]

Mit einem getrockneten Grashalm fing er an, über meine Hand zu streichen, und beobachtete mich dabei durchdringend. Sanft streichelnd fuhr er entlang meines Armes weiter, was mich innerlich fast in den Wahnsinn trieb. Äußerlich versuchte ich, meine Aufgebrachtheit so gut es ging zu verbergen, wobei mich aber meine Gänsehaut verriet. Blöd zupfte ich an unserer Decke herum.

„Warum hast du nie etwas gesagt, dass es eigentlich Olli war?“, krächzte ich und starrte ihn fragend an. Mein Timing war miserabel, aber womit sonst hätte ich ihn ablenken können.

„Was meinst du?“

„Na, das mit meinem Bikinioberteil.“

„Oh … hat er endlich gebeichtet?“ Er hörte mit seinem Spiel auf und legte sich zurück.

„Ja, das hat er … du hast meine Frage nicht beantwortet.“

„Naja … Olli war frisch mit Nora zusammen, keine Ahnung welche Konsequenzen das für ihn gehabt hätte. Außerdem, hätte es etwas geändert? … Ich meine, ich war für dich von Anfang an der Arsch!“

„Das glaubst du wirklich?“ Für einen kurzen Moment dachte ich über seine Worte nach. „Stimmt. Du hast recht, aber bevor das am Pool passierte, hatten wir uns eigentlich ganz gut verstanden – oder etwa nicht?“ Überlegend verharrte sein Blick auf der Holzdecke.

„Eigentlich bin ich nur deinetwegen zum Hotel gefahren – keine Ahnung warum …“, meinte er dann, beugte sich vor, starrte mich an und ich schluckte. „Im Grunde durfte ich das auch nicht, denn ich hatte ja eine Freundin, aber ich … wollte dich einfach näher kennenlernen – du gingst mir damals schon nicht mehr aus dem Kopf.“

Das schlug erneut schon wieder eine Richtung ein, die mich noch unruhiger werden ließ, als ich es ohnehin schon war. Ein Plauderstündchen mit ihm zu führen war eindeutig zu dangerous für diesen Raum und führte womöglich noch zu einem Schäferstündchen.

„Ich denke wir sollten lieber schlafen“, sagte ich mit erstickter Stimme und rückte ein Stück von ihm ab.

„Miteinander?“, fragte er mich mit seiner tiefen Stimme.

„Tom – vergiss es!“, zischte ich ihn an. Ich muss wie ein Uhu geglotzt haben.

„Ich wollte nur zur Sicherheit nochmals nachfragen … falls du es dir doch anders überlegt hättest.“

„Soso … zur Sicherheit!“

„Du bist Single, ich bin Single. Ich find dich süß, du findest mich sexy. Also warum sollten wir nicht …?“

„Oh nein!“, platzte ich heraus, „Ich hab nie behauptet, dass ich dich sexy finde! Niemals!“

„Aber gedacht! Was ist schon dabei, ich find dich auch sexy!“

„Ich glaub, bei dir sind ein paar Schrauben locker!“

„Also bitte, was stört Madame so an mir?“

„Naja … sagen wir einfach … so einiges. Außerdem bist du ganz und gar nicht mein Typ.“ Meine Sehorgane wanderten über den Heuhaufen. Ihn jetzt auch noch anzusehen, wäre eine absolute Zumutung gewesen.

„Ach wirklich? Dafür, dass ich nicht dein Typ bin, verbringst du aber eine Menge Zeit mit mir.“

„Gezwungenermaßen bitteschön. Du bist ein Hallodri hoch drei, außerdem zu groß und vielleicht auch zu schlank … einfach zu italienisch!“ Er lachte, glaubte mir kein Wort.

„Wusste gar nicht, dass du so oberflächlich bist.“

„Tja, du weißt vieles nicht von mir.“ Und ich auch nicht von dir.

„Ich denke, mit dir zu schlafen wäre magisch.“

„Stopp Herr Kollege – jetzt reicht es aber wirklich! Und fürs Protokoll, so viele Weinflaschen hat Herr Salvatore nicht, dass ich mich dazu überreden lassen könnte.“ Um irgendetwas zu tun, schüttelte ich mein Kissen nochmals. Sein Blick klebte lange an mir, dabei veränderten sich seine Gesichtszüge, wurden ernster.

„Ich würde nicht wollen, dass du betrunken wärst, bella“, bemerkte er bestimmt, und dann tat ich einfach so, als hätte ich gerade einen Hörsturz erlitten und würde nichts mehr mitbekommen. Mit dem Rücken zu ihm legte ich mich neben ihn, deckte mich zu und achtete penibel darauf, ihn nicht zu berühren. Lässig wie er war, zog er sich seine Jeans aus und warf sie in die Ecke. Die gelassene Ruhe, die er immerzu ausstrahlte, ließ mich noch unsicherer werden. So jemand wie ich konnte ihn natürlich nicht nervös machen. Mein Herz schlug noch schneller, kräftiger und lauter – mein Puls raste förmlich. Wenn ich diese Nacht ohne einen Herzinfarkt überstehe, werde ich mir gleich morgen ein Blutdruckmessgerät besorgen. Vielleicht gab es ja auch homöopathische Mittelchen, um meinen Körperhaushalt einigermaßen zu regulieren. Auf die Dauer kann so eine psychische Belastung bestimmt nicht gesund sein.

Tom deckte sich ebenfalls zu und verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf. Ganz leicht berührten sich unsere Beine, was mir beinahe schmerzhafte Stromschläge verpasste. So würde das mit dem Schlafen bestimmt nichts werden. Mit der geballten Faust drückte ich so etwas wie eine Grenze in unsere Decke. Als ich mich endlich nach minutenlangem Herumgezappel einigermaßen ruhig hinlegen konnte, schloss ich meine Augen und atmete entspannt tief durch.

Jetzt einfach nur schlafen.

Ich liebte die Stille der Nacht, das leichte Rauschen der Bäume, das leise Zirpen der Grillen, bis er … nicht seine Klappe halten konnte.

„Seit wann seid ihr eigentlich nicht mehr zusammen, du und Niklas?“

Das Gefühl, ich würde heute Nacht kein Auge zumachen, machte sich langsam immer breiter.

„Naja … schon ein bisschen länger.“

„Geht das auch konkreter?“

„Genau genommen seit dem Tag, bevor ich in Bardolino ankam“, seufzte ich. „Er ist eigentlich der Grund, warum ich Hals über Kopf aus München geflüchtet bin und hier landete.“

„Ach, deshalb bist du hier … bis auf mich haben das alle gewusst – oder?“

„Naja … so ziemlich alle“, zögerte ich mit meiner Antwort.

„Keine Ausnahmen?“

„Keine Ausnahmen.“

„Auch nicht Olli?“

„Auch nicht Olli.“

Dieses Mal war er es, der tief durchatmete. Das Gesagte hing schwer im Raum, und wir ließen es einfach mal so auf uns wirken.

„Und ich dachte ich hätte Freunde“, bemerkte er verärgert.

„Die hast du ja auch, aber sie sind halt auch meine Freunde. Das ist vielleicht nicht immer ein Vorteil, und außerdem haben sie mir ständig ins Gewissen geredet, dass ich dir endlich die Wahrheit sagen soll, aber irgendwie gab es nie einen passenden Zeitpunkt.“

„Blödsinn! … Warum hast du es mir nicht einfach gesagt“, fuhr er mich an. Ich setzte mich auf. Die Stimmung war echt am Kippen.

„Es tut mir leid, Tom. Ehrlich. Ich wollte dir ja oft die Wahrheit sagen, weil ich im Grunde Lügen nicht ausstehen kann …“ Ich hielt inne und dachte darüber nach, warum ich gerade Rechenschaft über mein Privatleben ablegte. „Es hatte wohl mit Selbstschutz zu tun“, fuhr ich fort, „du hast selbst zu mir gesagt, dass Frauen, die vergeben sind, für dich tabu sind … ich brauchte nicht noch mehr … Probleme … verstehst du?“

„Ich bin also ein Problem für dich?“

Naja, nicht so direkt.

Aber du könntest mit Sicherheit eines werden.

Erneute Stille.

„Nein … Mensch, du weißt schon, wie ich das meine … Ich war verletzt, brauchte Zeit für mich, um Dinge wieder klarer zu sehen.“

Nicht noch mehr Verwirrung – mein Plan ging ja wunderbar auf.

Arrgh! Ich hasste diese verkorksten Situationen, in die wir ununterbrochen reinschlittern. Schützend zog ich wieder meine Beine an mich und umklammerte sie fest mit meinen Armen. Er lag still neben mir, rührte sich nicht und ich saß einfach nur da. Minuten des Schweigens vergingen.

„Warum … habt ihr euch eigentlich getrennt?“, fragte er mich nach einer Weile, wieder etwas ruhiger.

„Wird das jetzt ein Verhör?“

„Du musst es mir ja nicht erzählen, wenn du nicht willst, aber ich denke, ich habe die ganze Wahrheit verdient.“

Es folgte eisiges Schweigen. Es fiel mir schwer, ausgerechnet Tom davon zu erzählen. Ich kam mir ziemlich idiotisch vor dabei, hatte Angst von seiner Reaktion. Aber ein Teil von mir fand tatsächlich, dass er die ganze Geschichte erfahren sollte. Außerdem hatte er dasselbe erlebt. Vielleicht verstand er mich dann. Ich druckste noch eine Weile herum, und er ließ mir einfach Zeit. Dann begann ich – tief seufzend: „Ich habe ihn mit seiner Sekretärin erwischt, gerade bevor es richtig zur Sache ging. In seinem Büro. Halb nackt … vier Wochen, nachdem er mir einen Heiratsantrag gemacht hatte.“

Ja toll! Jetzt war es raus!

Obwohl ich dachte, ich wäre über die ganze Geschichte hinweg, tat es mir laut ausgesprochen dann doch noch weh. Nicht wegen Niklas. Es war das beschämende Gefühl, so gedemütigt worden zu sein!

„Man macht doch keinem so einen beschissenen Antrag, wenn man über ein Jahr etwas mit seiner Sekretärin am Laufen hat!“ Ich spürte, wie mir leise Tränen über die Wangen kullerten, und beschämt drehte ich mich zur Seite. Tom zögerte nicht, nahm mich fest in den Arm, und als er meine Tränen bemerkte, wischte er sie mir zärtlich mit seinem Daumen weg. Ich hasste es, gerade vor ihm zu heulen.

„Ist schon okay Süße. Glaub mir, ich weiß wie du dich fühlst“, flüsterte er mir leise zu.

„Tut mir echt leid für dich, aber Niklas hat dich vom Thron der Arschlöcher geschubst … Tja, und jetzt musst du dich mit dem Trostpreis zufriedengeben“, gab ich schluchzend von mir und versuchte dabei, einigermaßen fröhlich zu klingen.

„Mit dem kann ich leben, sofern du der Trostpreis bist, denn das wäre dann mein persönlicher Hauptgewinn.“

„Blödmann.“ Trotzdem, ich mochte diese weiche Seite an ihm.

Irgendwann schliefen wir dann doch ein.

Seite an Seite.

Eng beieinander.

Ohne eine blöde Grenze.

Back to Italy! Und der Wahnsinn geht weiter!

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