Читать книгу Back to Italy! Und der Wahnsinn geht weiter! - Melanie Huber - Страница 11

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Kapitel 5

Schwammerlragout mit Fliegenpilz

Ein paar Tage später, es war kurz nach Mittag und ein milder Herbsttag, packte mich die Lust. Es war schon ewig her, dass ich mein letztes Bild gemalt hatte. Mit Rucksack, vollbepackt mit Ölfarbtuben und anderem wichtigen Zeugs, fuhr ich mit dem Bus in Richtung Stadt. An meinem Ziel angekommen, schleppte ich in der einen Hand eine zusammengeklappte Staffelei, in der anderen eine leere, weiße Leinwand. Ich spazierte gut gelaunt und wild entschlossen, den See zu malen, zum Strand. An einem malerischen Plätzchen, nicht weit entfernt von unserer alten Lagerfeuerstelle, baute ich meine Staffelei auf, zog ein paar Schrauben fest und mischte mir schon mal verschiedene Blautöne auf meiner Malerpalette zusammen. Mit einem Strohhut, leichter Tunika und aufgekrempelter Jeans, stand ich barfuß im Sand und begann euphorisch, den Pinsel zu schwingen. Mit jedem Strich auf der Leinwand fühlte ich mich besser und ich begann, eine tiefe Zufriedenheit zu spüren. Voll versunken in meinem Tun, vergaß ich allmählich den Kummer der letzten Tage. Ich malte eifrig kräftige, dicke Wolken, Wellen, die gegen vereinzelte Felsen schlugen und den Strand mit ein paar Grasbüscheln. Auch die großen Berge dahinter, die typischen Häuser mit den orangefarbenen Dächern und vereinzelte Segelboote nahmen auf meinem Bild Gestalt an. Ich wollte mein Werk so lebendig, aber eigenartigerweise auch so naturgetreu wie möglich malen, obwohl meine bevorzugte Stilrichtung ja die abstrakte Malerei war.

Nach ein paar Stunden setzte ich mich zufrieden in den Sand, winkelte die Beine an und vergrub meine Zehen im warmen Sand. Wie es sich für eine richtige Malerin gehörte, klebte bunte Farbe nicht nur an meinen Händen und Ellbogen. Das Treiben um mich herum war voll im Gange. Es kümmerte mich nicht, dass die Segelboote weniger wurden, und ich blickte seelenruhig zum Himmel. Auf einmal rückten dicke Quellwolken zusammen, und wurden immer mächtiger – Wind zog auf. Es war ein gewaltiges Naturschauspiel, das mich ganz in seinen Bann zog, ohne dass ich großartig darüber nachdachte, was da eigentlich auf mich zukam.

Nicht weit entfernt von mir sah ich, wie eine junge Familie am Strand entlang spazierte. Ein kleiner Junge lief voraus, spielte mit einem Hund Frisbee. Nicht wirklich zu sagen, wer mehr Spaß daran hatte, weil die Scheibe von jeder Windböe höher geschleudert wurde. Seine Eltern marschierten hinter ihm her und unterhielten sich angeregt. Fast schon beneidenswert. Ich blickte mich um und konzentrierte mich wieder auf mein Gemälde und auf die Szenerie, die sich mir am Himmel darbot. In meinem Kopf spielte ich ein paar malerische Techniken durch. Überlegte mir neue Ideen, ließ mich von den heranrollenden Wellen inspirieren, bis mir plötzlich die Frisbeescheibe in den Schoß flog. Ich blickte auf, und da stand dieser kleine Junge vor mir, der mich mit einer Zahnlücke keck angrinste.

Ciao Mia!“ Ich seufzte tief.

„Hallo Lorenzo.“ Weiter hinten erkannte ich dann natürlich auch noch Tom und Giulia, die gerade den Hund anleinte – die bezaubernde Familie von vorhin.

„Solche Männer hat man niemals für sich allein“, schwirrte mir der Satz der netten Frau McGowan, heftiger als je zuvor, im Kopf herum.

Wie recht sie doch hatte.

Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl – eindeutiger ging es ja wohl kaum.

„Was machst du da?“, fragte Lorenzo mich neugierig und riss mich damit aus meinen Gedanken.

„Ach, ich male ein bisschen.“

„Und was malst du?“

„Den See.“

„Kann ich mal sehen?“

„Klar doch.“

Bedauerlicherweise währte es auch gar nicht lange, da war auch schon Daddy-Cool da.

„Ciao bella!“, verlegen vergrub er seine Hände in den Hosentaschen. Der Kleinstadt-Casanova hatte nur ein offenes, weißes Hemd an, trug dunkelblaue Chinos und war ebenfalls barfuß unterwegs.

„Hey“, sagte ich so leise, dass es kaum hörbar war und schaute mich verlegen um. Zwischen uns war wieder diese kühle Distanz. Mittlerweile war es ja bereits eine Woche her, dass ich diesen dummen Einfall mit der Kuschelnacht gehabt hatte.

Was hatte ich mir bloß dabei gedacht?!

Andererseits, schließlich war ich erst vor Kurzem ziemlich heftig auf den Kopf gefallen.

Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich hinter meiner Schutzmauer zu verbarrikadieren und ihm aus dem Weg zu gehen. Von da an vermied ich Situationen, in denen wir beide alleine waren und mied den Balkon, wenn er ebenfalls im Hotel übernachtete. Hatte ich das Gefühl, er würde mich auf meine Zurückhaltung ansprechen wollen, ergriff ich spontan die Flucht und ließ mir Ausreden einfallen.

Ja, in solchen Dingen war ich echt geübt.

Schließlich hatte ich es ja schon mal geschafft, ihm zwei Wochen aus dem Weg zu gehen.

„Stell dir vor, Mia malt den Gardasee!“, gab Lorenzo begeistert von sich. Giulia rief nach ihrem Sohn, er winkte mir noch kurz und kehrte zu ihr zurück. Viel zu artig, dieser Junge. Tom blickte unentschlossen hin und her und schien zu überlegen, für welche von uns beiden er sich entscheiden sollte. Dabei stand diese Frage noch nicht mal zur Debatte.

„Na, wie geht’s?“, fragte er mich dann. Sehr einfallsreich, aber was hätte er mich auch sonst fragen sollen. Fast beleidigt entfernte ich die feinen, glitzernden Sandkörner von meinen Füßen.

„Ganz gut“, antwortete ich mit sehr dünner Stimme und hielt ihm die Frisbeescheibe entgegen.

„Ähm … ich weiß nicht … aber kann es sein, dass du sauer auf mich bist?“

„Ich, sauer auf dich?“ Ich starrte ihn an.

Fragte er mich das jetzt tatsächlich?!

Der Kerl hatte echt Nerven!

Da flirtet er pausenlos mit mir, fordert mich in einer Tour heraus, versucht ständig, bei mir zu landen, und provoziert mich aufs Äußerste, um dann mit seiner Ex wie frisch verliebt am Strand spazieren zu gehen, und fragt nebenbei mich, ob ich sauer auf ihn wäre! Ich hasste dieses Psycho-Spiel, das er da mit mir abzog.

„Ich bin nicht sauer“, entgegnete ich ihm kühl.

„Natürlich bist du sauer! Mensch Mia! … Warum musst du ständig so kompliziert sein? Kannst du nicht einfach mal sagen was los ist!“, fuhr er mich an – doch ich starrte nur stur vor mich hin und versuchte, ihn so gut es ging zu ignorieren. Ich merkte wie er, wartend auf eine Aufklärung von mir, langsam die Geduld verlor. Was auch immer er gerne von mir gehört hätte, ich war absolut nicht bereit, ihm Antworten zu präsentieren, und schwieg. Achselzuckend lief er seufzend rückwärts, in der Hand die Frisbeescheibe, die er spielerisch herumdrehte. Für ihn war wohl alles ein Spiel!

„Besser du kehrst bald zurück, es zieht ein starkes Gewitter auf.“ Dann drehte er sich auch schon um, rannte zurück zu seiner Ex – zu dem Platz, an den er hingehörte.

Ich kämpfte mit den Tränen.

Tom und ich, das würde aus zwei einfachen Gründen nie funktionieren.

Erstens, weil ich beziehungsunfähig war und er einfach Tom.

Und zweitens war er einfach ein Hallodri …

Ich musste mir das endlich aus dem Kopf schlagen.

Nach einer ganzen Weile, die harmonische Familie war bereits abgezogen, packte ich zerknirscht meine Sachen zusammen. Der Himmel weinte. Leichtes Donnern war zu hören und vereinzelte Blitze zuckten bereits am Horizont. Ich ging zügig zur Stadt zurück. Laufen traute ich mich nicht; ich wollte nicht auch noch vom Blitz getroffen werden. Bei meinem Glück – wer weiß? Die Staffelei, das andere Zeugs und mein Ölbild, hingen schwer an mir. Der Regen wurde heftiger und die schweren Wassertropfen schafften es tatsächlich, die Ölfarbe zu verschmieren, was mir aber in diesem Augenblick ziemlich egal war. Ich war von oben bis unten völlig durchnässt, mein neonfarbiges Bikinioberteil leuchtete wie ein Warnsignal durch meine weiße Tunika, und mir wurde allmählich kalt. Irgendwie musste ich in meiner Eile eine Abzweigung verpasst haben, denn plötzlich befand ich mich an einer Stelle, an der ich niemals zuvor gewesen war, und die schien verdammt weit weg von einer Bushaltestelle zu sein. Wütend trat ich auch noch in eine Pfütze. Ich entschloss mich, den Rückweg anzutreten und der Hauptstraße zu folgen. Vielleicht würde ich ja dort bald zu einer Haltestelle kommen. Autos fuhren an mir vorbei, und ich konnte nur mit Mühe den enormen Fontänen ausweichen. Das Gewitter war voll im Gange, der Regen prasselte nun um einiges stärker. Und als wäre das nicht schon genug, musste mich da auch noch so ein Trottel von hinten anhupen – wahrscheinlich, weil ich auf der falschen Straßenseite herumirrte. Supersauer lief ich weiter, drehte mich ab dann doch um, als ich noch einmal angehupt wurde. Ich wollte schon „Was ist los mit dir, du Idiot!?“, rufen und mir mit dem Zeigefinger an die Stirn tippen, als ich Toms Auto erkannte. Stur wie ich nun mal bin, trottete ich mit Rucksack, Bild und Flip-Flops weiter. Im Schritttempo fuhr er neben mir her. Als er auf gleicher Höhe war, blieb er stehen und ließ das Beifahrerfenster nach unten laufen.

„Jetzt steig´ schon ein! … Du holst dir noch eine Erkältung!“

Ich war kurz davor, die Fassung zu verlieren. Nach Beherrschung ringend hielt ich inne, streckte meine Knie durch und guckte genervt zum Himmel hinauf, was mir einen ordentlichen Schwall Regenwasser auf mein Gesicht bescherte.

Du da oben, ist das jetzt wirklich dein Ernst?

Warum schickst du mir gerade ihn?

Da keine andere Lösung weit und breit in greifbarer Nähe war, öffnete ich seufzend zuerst die Hintertür, verstaute meine Sachen auf der Rückbank, und setzte mich klitschnass zu ihm nach vorne – widerwillig, versteht sich. Oh, wie ich es hasste, auf seine Hilfe angewiesen zu sein. Ich kam mir vor, als würde ich nicht mal die kleinsten Dinge des Lebens geregelt bekommen. Ich wischte mir die Nässe aus dem Gesicht. Kopfschüttelnd drehte er die Heizung auf und brummte, wie dickköpfig ich doch sei. Mein Gegenargument behielt ich für mich.

Bevor er losfuhr, telefonierte er noch mit seinem Handy, ließ mich nicht aus den Augen und grinste mich dämlich an, weil ich vor mich hin tropfte. Das einzige was ich von dem Gespräch verstand, war „Ciao Fernando“. Dann kehrten wir um. Wie immer sah er verdammt gut aus. Er hatte sich umgezogen, trug ein schwarzes Sakko, darunter ein weißes Shirt mit Aufdruck und dunkle Jeans. Von diesem Anblick bekam ich ganz weiche Knie, und mein Bauch machte wieder diese komischen, krampfartigen Sachen. Das Radio lief und spielte italienische Hits. Zwischendurch hörten wir manchmal nur ein Rauschen, woran wohl das Wetter nicht ganz unschuldig war. Stumm starrte ich aus dem Fenster. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete ich ihn, wie er mit seiner kräftigen Hand den Gang rauf und runter schaltete. Mit Bedauern stellte ich fest, dass es mir nicht mal so unangenehm war, neben ihm zu sitzen. Unser Schweigen war erdrückend, und nach einer nicht enden wollenden halben Stunde, kamen wir endlich im Hotel an. Tom stellte den Motor ab und blickte fast ein bisschen amüsiert zu mir rüber.

Jetzt machte er sich auch noch lustig über mich!

Unsere Blicke trafen sich, klebten blöderweise irgendwie aneinander fest. Tropfen liefen von meinen nassen Haaren über mein Gesicht und weiter am Hals entlang.

„Ähm … also dann danke fürs Fahren“, stotterte ich.

Beinahe andächtig strich er mir eine verirrte Locke aus dem Gesicht. Ich schluckte.

„Weißt du eigentlich, wie hübsch du bist?“, fragte er mich mit seiner brummigen Stimme.

„Tom, bitte – lass das.“ Ich drehte mich schnell um und wollte zielstrebig das Auto verlassen, während er sanft nach meiner Hand griff und mich zurückhielt.

„Warte bitte … hast du heute Abend schon was vor?“ In mir zog sich alles zusammen, abwartend und gespannt schaute ich ihn an.

„Naja, ich wollte dich fragen, ob du vielleicht Lust hättest, mich zu einer Weinverkostung zu begleiten?“

Warum ich?

Warum fragte er nicht den Ferrari?

„Zu einer Weinverkostung? … Soll das etwa ein Date werden?“

Meine Frage klang ziemlich vorwurfsvoll.

No, es ist kein richtiges Date, eher geschäftlich. Die Weine, die wir aussuchen werden, sind für das Hotel.“ Aha.

„Ich weiß nicht, ehrlich gesagt halte ich dieses Kein-Date für keine gute Idee … und mit Wein kenne ich mich nicht wirklich aus.“

„Ach, komm schon …“

„Tom danke, aber für heute reicht es mir. Ich will jetzt einfach aus meinen nassen Klamotten, ein warmes Bad nehmen, und dann werde ich mich gemütlich vor die Glotze hauen.“

„Che peccato“, murmelte er noch, während ich sein Auto schon fluchtartig verließ. Tja, wenn ich ihm aufzählen würde, was ich so alles schade finde, dann würden wir wahrscheinlich morgen noch hier sitzen.

Im zweiten Stock angekommen und während ich noch tief nach Luft rang, erwartete mich auch schon die nächste Überraschung. Und zwar am Boden lümmelnd, direkt vor meiner Zimmertür. Mir blieb fast das Herz stehen.

„Mia, endlich! Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr!“ In zerknüllter Hose und Hemd richtete er sich etwas tollpatschig auf. Er machte stark den Eindruck, als hätte er gerade ein Nickerchen gemacht und auf den ersten Blick sah er ziemlich abgestanden aus. Er wirkte ungepflegt und hatte einen Dreitagebart! Total untypisch für ihn! Selbst die zerdrückten Blumen, die neben ihm auf dem Boden lagen, sahen aus, als wären sie schon seit ein paar Tagen ohne Wasser.

„Was in alles in der Welt machst du hier?!“, pflaumte ich ihn an.

„Naja … ich wollte mal sehen, wie es dir so geht“, stammelte er betreten. „Für dich.“ Verlegen streckte er mir die verdorrten Tankstellen-Blumen entgegen. Ich zögerte, nahm sie dann aber doch an.

„ … … wie … nett.“

„Freust du dich denn gar nicht mich zu sehen?“

„Sehe ich etwa erfreut aus?“, zischte ich.

„Irgendwie siehst du ziemlich nass aus.“ Mit bösen Augen funkelte ich ihn an.

„Woher wusstest du, wo ich bin?“

„Naja, ich traf zufällig deinen Bruder in München, und er hat mir von seinem Urlaub hier erzählt und dann rutschte es ihm einfach heraus.“ Flynn!!!! Du hättest mich wenigstens vorwarnen können!

„Und wer hat dir bitte meine Zimmernummer verraten?“

„Diese junge Dame aus der Lobby.“ Ich muss dringend ein ernstes Gespräch mit dem Personal führen. Oh Mann, der Satz könnte von Malou – oder auch ihrer Mutter stammen!

„Was willst du hier?“

„Könnten wir irgendwo hingehen und miteinander reden? Vielleicht zusammen einen Kaffee trinken?“

Zwei Dates an einem Tag, meine Bestleistung, seitdem ich die dreiundzwanzig überschritten hatte.

„Und deine Schnepfe, ist die auch hier, oder wartet sie in ihrem roten Schlüpfer gerade in einem Hotelzimmer auf dich?“

„Meine Schnepfe? … Ach, du meinst Chantal.“ Mir völlig egal wie die hieß! „Chantal und ich sind nicht mehr zusammen, falls du das meinst. Hör mal Schnuckelhase, es ist nicht so, wie es damals für dich ausgesehen hat … ich kann dir alles erklären.“

„Ach, das ist ja wirklich interessant! Da bin ich mal echt gespannt. Ist ihr etwa eine Büroklammer zwischen die Plastikmöpse gerutscht, und hilfsbereit wie du ja von Natur aus bist, hast du ihr beim Suchen geholfen?“ Wütend wippte ich mit meinem Fuß auf und ab. Ich spürte, wie ich gerade zur Höchstform auflief. „Tja, stellt sich nur mehr die Frage, warum deine Hose offen war?! Womöglich hat sie den Tacker gesucht! … Du Idiot, für wie blöd hältst du mich eigentlich?!“

„Es hat sich herausgestellt, dass sie auch noch mit meinem Boss schläft und auch noch mit Udo. Du weißt schon, mein Konkurrent, der auch immer auf den Partys war.“

Neeeeinnn?!

Oh Chantal, wie konntest du nur?!

Also d-a-s tat mir jetzt aber wirklich sehr leid.

Liebend gern hätte ich mit diesem Pilz hier ein ganz besonderes Schwammerlragout gezaubert.

Wie von der Tarantel gestochen, riss ich meine Arme nach oben, um sie gleich darauf, fast schon ein wenig verzweifelt, auf meine Stirn knallen zu lassen.

WAS SOLLTE MAN DA AUCH NOCH SAGEN?!

Das war einfach zu viel!

Ich konnte nicht mehr.

So ein unterbelichteter Hornochse!

Habe ich mir für heute Morgen etwa die Arschkarte bestellt?

Meine Geduld war definitiv am Ende. Wie berechnend er doch nur war. Dachte er im Ernst, ich würde auf ihn warten? Nach wochenlangem Freigang?? Ihn mit offenen Armen zurücknehmen, nur weil Tussi Chantal mit seinem Chef und Udo rummachte? Ein bisschen Stolz hatte ich ja auch noch – irgendwo tief in mir.

Oh Mann!

Und dann auch noch sein Timing!

Am liebsten hätte ich ihn mit dem Tankstellen-Dörrblumenstrauß so verdroschen, dass ihm hören und sehen vergehen würde. Ruhig zu bleiben kostete mich ein Maximum an Selbstbeherrschung.

„Du weißt doch, wie wichtig du mir bist“, stammelte er leise vor sich hin.

WIE WICHTIG ICH IHM BIN?!?!?!?!

Nicht mal jetzt schaffte er es „ich liebe dich“, oder „ich kann ohne dich nicht leben“ oder auch irgendetwas anderes in dieser Art zu schwafeln. Das war eben Niklas und wirklich bedauernswert! Nach Fassung ringend, stemmte ich meine Hände in die Hüften, spazierte wütend den schmalen Gang auf und ab, und plötzlich war es ganz leicht.

Er würde diese drei Worte niemals zu mir sagen.

Nicht heute und auch nicht morgen.

Weil er es in Wirklichkeit nicht tat, und weil ich es in Wirklichkeit auch nicht tat. Nein, ich liebte ihn nicht. Und wenn ich weiter überlegte, kannte er die echte Mia überhaupt nicht. Mit aufrechter Körperhaltung blieb ich vor ihm stehen, seufzend schüttelte ich meinen Kopf.

„Hör mal Niklas, das hier macht keinen Sinn. Wir hatten eine schöne Zeit zusammen, aber zwischen uns, das war schon vorbei, bevor du mir den Antrag gemacht hast. Wenn du ehrlich zu dir selbst wärst, würdest du es genauso sehen. Du musst dir eine andere suchen, die auf deine Spielchen abfährt, ich tue es auf jeden Fall nicht mehr.“ Nun fühlte ich mich zehn Kilo leichter. Mehr wollte ich eigentlich gar nicht dazu sagen. Es war endgültig vorbei. Mein Ex starrte mich sprachlos und blöd an, und dann noch ein wenig blöder, als plötzlich ein starker Arm meine Taille umfasste und mir gleich darauf ein sanfter Kuss auf die Wange aufgedrückt wurde. Als wär ich in einen Stromkreis gekommen, zuckte ich elektrisiert zusammen und starrte erschrocken in Toms Augen.

„Hey tesoro, du hast deine Sachen im Auto vergessen.“

Mein Mund war wie ausgetrocknet, und ich brachte nur ein Krächzen heraus. Tom hatte mich einfach auf die Wange geküsst. Und er hatte mein Bild mitgebracht. Völlig bedripst versuchte ich, mich aus seiner Umklammerung zu lösen, doch er hielt mich fest an sich gedrückt. Mit aufgerissenen Augen fixierte ich die beiden Männer und betete innerlich, dass diese Situation jetzt nicht gleich eskalierte. Niklas wechselte die Farbe von einem fahlen Weiß in ein feuriges Chilirot und ich merkte, wie er zu kochen anfing, weil er zusätzlich noch weiße Flecken bekam. All die Jahre war er nie eifersüchtig geworden und jetzt sah er aus wie ein Fliegenpilz.

„Gibt es ein Problem?“, fragte Tom überrascht, dem die Verwandlung seines Gegenübers ebenfalls nicht entgangen war.

Ich streckte mich durch, atmete tief ein – es war Zeit für die Wahrheit. Ich rubbelte an meiner Nase.

„Darf ich vorstellen, das ist Tom“, wandte ich mich zuerst an meinen Ex, und dann wieder an das italienische Prachtexemplar neben mir, „und das hier ist … Niklas“, beendete ich mit einer ausgewogenen Portion an Bedachtsamkeit meine Vorstellungsrunde. Der Gesichtsausdruck zu meiner rechten Seite war auf der Stelle schockgefroren. Skeptisch blickte er mich an und für eine Sekunde verspürte ich Angst, er würde mir gleich mal aus den Latschen kippen. Erstaunlicherweise blieb er tapfer stehen. Und ich konnte deutlich seine Gedanken hören, wie sie flüsterten: „Oh Mann, welche Scheiße hab ich mir denn da eingebrockt?“

Tom räusperte sich.

Dann noch einmal.

Zwei Männer, die absolut so gar nichts gemeinsam hatten, außer vielleicht, dass sie beide nicht sonderlich gut verlieren konnten. Das war so spannend wie in einem Ring, bevor der erste Boxer zum Faustschlag ausholte.

„Ähm … DER Niklas … DER Glückspilz?“, fragte er vorsichtshalber leise nach. Sein Griff lockerte sich, doch ich spürte das Brennen, das er mit seiner Berührung auf meiner Haut hinterlassen hatte, nach wie vor. Mein Ex hingegen stand in einer Habtachtstellung, und ich wagte nicht mal daran zu denken, ihn jetzt aus den Augen zu lassen.

„Mmh, DER Niklas …“

„Okay … Ähm …“

„Mein Exverlobter“, ergänzte ich sachte. Verlegen kratzte sich Tom hinterm Ohr.

„Wie war das? … Dein Exverlobter?“ Seine Brummbärstimme klang ein paar Tonlagen zu hoch.

„Mmh …“, bestätigte ich ihm, und ich konnte es laut und deutlich hören, wie ein großer Stein von ihm abfiel.

„Oh, na dann buona sera! Ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt im Grand Hotel Paradiso! Unser Service ist fantastico!“ Freundlich wie er war, streckte er meinem verwahrlosten Exverlobten die Hand entgegen, die der wiederum natürlich nicht annahm. Tom nahm seine Hand zurück, und um nochmals die Fronten deutlicher zu klären, zog er mich wieder an sich, als gehörte ich tatsächlich zu ihm. Mit offenem Mund starrte ich ihn an.

„So schnell wendet sich das Blatt“, konterte Niklas zähneknirschend. Ich wusste, jetzt würde gleich mal der Manager in ihm hochkochen und eine lautstarke Diskussion folgen, auf die ich so gar keinen Bock hatte. Also kam ich ihm einfach zuvor.

„Ich denke, wir haben alles geklärt“, würgte ich ihn ab.

„Mia, wir sollten dann wirklich einmal los … Fernando wartet auf uns.“

Fernando?

Mit den Worten „mach‘s gut“, ließ ich Niklas einfach stehen und ging zusammen mit Tom in mein Zimmer. Rache war zwar nicht so mein Ding, aber ein bisschen schadenfroh war ich doch.

Kaum fiel die Tür hinter uns ins Schloss, packte mich Tom von hinten. Mit beiden Händen fuhr er an meinen Seiten hoch, kitzelte mich den Rippen entlang und fesselte mich mit einem Klammergriff um meinen Bauch. Ich krümmte mich vor Lachen, und er legte seinen Kopf in meinen Nacken und zischte mir ins Ohr: „Du kleines, verlogenes Biest! … Da tut sie immer so unschuldig und dann so was!!!“ Im hohen Bogen landeten die Dörrblumen im Mülleimer. Laut lachend löste ich mich aus seiner festen Umarmung, hopste aufs Bett, sprang aufgeregt darauf herum und warf mit dem Kissen nach ihm.

Flutsch!

Und weg war ich.

Tom hatte an meinen Füßen gezogen und ließ mich aufs Bett plumpsen. Ehe ich mich versah, lag er schon neben mir. Mein Herz klopfte wie wild.

„Ich hoffe du bist dir im Klaren darüber“, er stützte seinen Kopf auf seinen angewinkelten Ellbogen ab, warf mir süße Blicke zu und fuhr mit seinen Fingerspitzen leicht an meinem Bauch herum, „was das jetzt für dich heißt.“

„So, was heißt es denn?“, fragte ich ihn unschuldig und nahm seine Hand weg.

„Zuerst musst du mit zu dieser Weinverkostung, das bleibt dir jetzt nicht mehr erspart! … Und für die Zukunft, bella gibt es meinerseits keine Zurückhaltung mehr!“ Oh, ich habe es befürchtet.

„Wann hast du dich bitteschön schon mal zurückgehalten?“

„Naja, die ganze Zeit über. Ich hatte echt schon ein schlechtes Gewissen gegenüber dem Pilz!“

„Du hast ein Gewissen? … Das wär ja mal was ganz Neues!“

„Das sagt genau die Richtige, die Unschuld in Person! Dein Zweitwohnsitz ist wohl der Beichtstuhl.“ Er kitzelte mich erneut, lehnte sich dann aber zurück. Ich musste an seinen Gesichtsausdruck denken und begann laut zu lachen.

„Also echt, wie du geguckt hast!“

„Du bist echt fies! Anfangs meinte ich, dich würde ein Gast belästigen und dann so was! Ich dachte wirklich, das war‘s … jetzt hat meine letzte Stunde geschlagen! … Aber dein Ex, der bekam ja richtigen Ausschlag!“ Scherzend vertieften wir nochmals ein paar Einzelheiten und lachten noch eine ganze Weile weiter vor uns hin. Keine Ahnung wie er das immer wieder schaffte, meine miese Laune im Nu zu vertreiben und mich ein paar Minuten des Glücks unbeschwert genießen zu lassen. Vielleicht lag es auch an der Nahtod-Erfahrung, die wir gerade gemeinsam erlebt hatten. So oder so blieb es mir ein Rätsel.

„Jetzt geh dich mal fertigmachen tesoro. Wir müssen dann echt Mal los, sonst muss ich nochmals anrufen, dass wir später kommen.“

„Und ich muss da jetzt wirklich mit?“ Eigentlich wollte ich ihn nur nochmals betteln hören. Nach der ganzen Aktion war der Gedanke an einen gemütlichen Fernsehabend wie weggeblasen, und ich freute mich auf Fernando und auf die Weinverkostung.

„Oh no, no, Mia! So läuft das nicht mehr! Du d-a-r-f-s-t mit!“

„Wie nett von dir!“ Ich erhob mich aus dem Bett und ging breit grinsend ins Bad.

Back to Italy! Und der Wahnsinn geht weiter!

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