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Kapitel 8

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„A

utsch, was tun mir die Füße weh.“ Ich lag mehr im Stuhl, als das ich saß und kickte mir die Stiefel von den Füßen. Dann zog ich mir einen Fuß auf den Schoß und fing ihn an zu kneten.

Daniel, der mir gegenübersaß und auch nicht frischer aussah, streckte seine Arme aus. „Komm, reich die Füße mal rüber.“

Während ich meine Füße nun durchgeknetet bekam, konnte ich ein wohliges Stöhnen kaum unterdrücken.

„Mmh, das ist fantastisch. Das tut so gut“, stöhnte ich. „Du hast eindeutig deinen Beruf verfehlt. Du hättest Masseur werden sollen.“

„Um Gottes Willen, das wäre mal gar nichts für mich“, gluckste Daniel. „Einmal würden mir die Finger abfallen. Aber ich habe auch keine Lust, Männern oder wem auch immer, den Rücken, oder sonst was durchzukneten. Da schüttelt es mich.“

„Da räumt der harte Kerl die Hinterlassenschaften von den Tieren weg, ziert sich aber, fremde Rücken zu massieren“, murmelte ich mit geschlossenen Augen.

„Ruhe, sonst höre ich auf.“

Ich riss die Augen auf und holte empört Luft. „Unterstehe dich, sonst kann ich morgen nicht im Laden stehen.“

Wir hatten den Eröffnungstag überlebt. Ja, man konnte wirklich überlebt sagen. Die Menschen aus dem Dorf, aber auch aus den Nachbarortschaften, hatten uns den Laden eingerannt. Wir hatten viel vorbereitet, und doch musste ich immer wieder in die Backstube, um für Nachschub zu sorgen. Die Kaffeemaschine überlegte sicher auch, ob sie weiterhin für uns den Dienst tun würde, denn auch sie war heute eindeutig gequält worden.

Die Eröffnung war aber somit ein voller Erfolg gewesen. Es war fast 22 Uhr und wir waren gerade mit Aufräumen und Vorbereitungen für Morgen fertig geworden.

„Schau mal einer an“, riss uns eine Stimme aus unserem Geplänkel. „Hatten meine Eltern anscheinend doch Recht.“

Erschrocken riss ich die Augen auf und zog meine Füße ein. „Jan, was machst du denn hier?“

„Das frage ich mich auch gerade. Hätte ich mir den Weg sparen können. Da du nicht auf meine Nachrichten reagiert hast, wollte ich so mit dir reden.“

„Das hättest du dir in der Tat sparen können.“ Ich hatte mir meine Stiefel wieder angezogen und war aufgestanden. Ich wollte nicht sitzend vor Jan, das Gespräch führen.

„Stimmt. Da hast du dir gleich Ersatz gesucht. Hat er etwa mehr Geld als ich?“

Mir stieg die Galle hoch. Ich spürte, wie mir die Tränen in den Augen brannten. Nicht aus Trauer, sondern vor Wut. Wie konnte Jan nur so auf mich herabsehen?

„Du verschwindest jetzt am besten. Ich muss mich nicht erklären und will es auch nicht.“ Mein Herz raste, ich knirschte mit den Zähnen.

„Natürlich. Ich habe euch ja in eurer Zweisamkeit gestört.“

Bevor ich überhaupt etwas antworten konnte, war Daniel neben mich getreten und legte mir die Hand beruhigend auf den Rücken.

„Du hast gehört, was Nina gesagt hat. Wir haben geschlossen, bitte geh.“ Er sagte dies ganz ruhig, aber ich konnte erkennen, dass auch er sich zusammen reißen musste.

Mit einem wütenden Schnauben drehte sich Jan um und verschwand aus dem Laden. Die kleine Glocke über der Tür, die wir vorhin nicht gehört hatten, klingelte leise ihre Melodie.

„So ein Arschloch“, entfuhr es mir. „Was bildet der sich eigentlich ein? Und in den war ich mal verliebt? Ich kann es nicht fassen. War ich etwa so blind, dass ich den Charakterzug nicht mitbekommen habe?“

Ich redete mich immer mehr in Rage, bis ich an einen weichen Pullover gedrückt wurde und mir Daniel ruhig über den Rücken strich.

„Lass ihn Nina. Das war verletzter männlicher Stolz. Er hat die Situation falsch interpretiert und war wahrscheinlich davon ausgegangen, dass du hier in deinem Zimmer sitzt und dir die Augen ausweinst. Mit der Situation hier hat er nicht gerechnet. Das war eine blöde, aber leider normale Reaktion.“

Er ließ mich wieder los und schaute mir besorgt ins Gesicht. Wahrscheinlich hatte er Angst, dass ich hochgehen könnte und alles Aufgeräumte wieder zunichtemachen könnte.

Ich lächelte ihn dankbar an. „Keine Sorge, ich gehe nicht in die Luft. Ich bin zwar noch sauer und auch sehr enttäuscht, aber ich habe sicher keine Lust, heute noch einmal aufzuräumen. Außerdem möchte ich mir eigentlich nicht die tolle Stimmung versauen lassen. Die Eröffnung war – wörtlich – bombastisch.“

„Genau, denk lieber daran. Und vor allen Dingen, dass wir morgen früh hier wieder stehen werden. Komm ich bringe dich nach Hause.“

Mir wurde galant in meinen Mantel geholfen, dann löschte er das Licht und schloss den Laden ab. Ich hakte mich bei ihm unter und wir schlenderten langsam die Dorfstraße entlang. Es war fast Mitte Februar und immer noch lag dick puderiger Schnee und es war arschkalt. Nicht mehr lange, und ich musste abends nicht mehr durch das Dorf wandern. Die Wohnung über dem Laden nahm nun auch Gestalt an. Erst einmal war aber mein Café vorgegangen und nun würde die Wohnung folgen. Wenn alles nach Plan lief, würde ich spätestens im März einziehen können.

Ich freute mich darauf und ich war total glücklich, dass die Eröffnung so ein Erfolg gewesen war. Daher schob ich die negativen Gedanken an Jan ganz weit weg. Von ihm würde ich mir sicher nicht mein Glück zerstören lassen, nur weil er in seiner männlichen Eitelkeit gekränkt war.


Am nächsten Morgen stand ich mit Rückenschmerzen und immer noch protestierenden Füßen in der Backstube und zauberte erneut neues Gebäck.

„Oh man. Mir tut heute aber auch wirklich alles weh“, jammerte ich Daniel vor. Ich fühlte mich wie 90 und humpelte auch so im Laden herum.

Daniel dagegen sah wie das blühende Leben aus. Wahrscheinlich trieb er jeden Abend nach Ladenschluss auch noch Sport, so dass gestern für ihn kein schmerztreibender Tag gewesen war.

„Du solltest dich mehr bewegen Nina.“

„Bin ich zu dick?“

„Das habe ich nicht damit gesagt. Du bist schlank, das weißt du auch. Allerdings, was deine Ausdauer und generelle Sportlichkeit angeht, bist du – wie früher schon – eine wirkliche Niete.“

„Danke für das nette Kompliment.“ Ich streckte ihm die Zunge raus. „Ich hasse Sport. Das war schon früher so und hat sich im Laufe der Jahre nicht geändert.“

Daniel ging kopfschüttelnd aus dem Hinterausgang zu den Ställen. Um die Uhrzeit war Fütterungszeit und ich war für einige Zeit alleine im Laden und genoss die Ruhe. Routiniert knetete ich den Plätzchenteig durch. Diese Arbeit waren meine Hände und Arme mittlerweile gewohnt und ich bekam keinen Muskelkater mehr. Vielleicht sollte ich mir wirklich die Worte von Daniel zu Herzen nehmen.

Die Glocke im Laden kündigte Kundschaft an. Eigentlich öffneten wir erst in einer Stunde, aber wie immer, hatte ich vergessen die Tür nach dem Betreten abzuschließen. Ich wischte mir die Hände an der Schürze ab, die ich mittlerweile immer trug und ging in den Verkaufsraum.

Beim Anblick von Jan hätte ich mich selber ohrfeigen können. Warum hatte ich diese verdammte Tür nicht abgeschlossen? Ich stand hinter der Theke, kreuzte die Arme vor der Brust und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an.

„Ich wollte mich für gestern entschuldigen. Ich habe die Situation falsch interpretiert und mit mir sind die Pferde durchgegangen. Nina bitte, komm wieder zu mir zurück. Lass es uns noch einmal versuchen.“

„Du willst mich wohl verarschen Jan!? Da ziehst du so eine Show bei deinen Eltern ab, hast in dem Moment auch nicht das Rückgrat, um mich aufzuhalten und es richtig zu stellen, lässt dann gar nichts von dir hören und nun stehst du hier auf der Matte und hoffst, ich würde zu dir zurückkommen? Hast du den Knall nicht gehört?“ Ich war mal wieder sauer. Sehr sauer. Er konnte froh sein, dass die Theke zwischen uns stand, sonst hätte ich wohl bei meiner Rede ihm den Finger fest in die Brust gebohrt.

„Du hast Recht. Ich habe mich wie der letzte Arsch benommen. Das war so nicht in Ordnung. Ich hätte zu dir stehen müssen und dich gegen meine Eltern verteidigen sollen. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Ich war in dem Moment total überfordert. Ich hatte noch nie so eine lange Beziehung. Es war mir noch nie so ernst mit einer Frau. Du bist die Erste, mit der ich wirklich zusammen sein möchte. Ich habe das in dem Moment nicht verstanden. Es tut mir wirklich leid Nina, gib mir … gib uns noch eine Chance.“

Natürlich trafen seine Worte in mein Herz, aber da war nichts mehr, was gekittet werden konnte. Irgendwie war unsere Beziehung doch zu oberflächlich gewesen und das wurde mir jetzt klar. Das war auch nicht sehr nett, ihm das nicht so gesagt zu haben, aber ich war nicht bereit, ihm seinen Fehler, den er nun mal begangen hatte, so wieder gut zu machen.

„Nein Jan. Nicht jetzt, nicht morgen und auch nicht übermorgen. Seit ich hier wohne, ist mir klar geworden, dass es genau richtig war, hierher zu kommen. Du hast mir mit deinem Verhalten eine Chance aufgetan, die ich jetzt nicht verstreichen lassen möchte. Ich werde hierbleiben. Ich werde den Laden weiterführen und ich werde in meine eigene Wohnung ziehen. Und wie du siehst, habe ich nur von mir geredet. Du kommst darin nicht vor. Es war eine schöne Zeit mit dir, aber sie ist vorbei!“

„Du weißt doch gar nicht, was du dir entgehen lässt. Ohne mich, bist du ein Nichts. Schau dir doch den mickrigen Laden an. Was willst du hier erreichen? Ich könnte dir etwas viel größeres bieten, als so eine kleine Klitsche. Du müsstest noch nicht mal in der Küche stehen. Schau dich doch an, wie du dich gehen lässt, du kleine …“ Jan stockte und verstummte.

„Verschwinde“, knurrte es hinter mir.

Stocksteif stand ich nach diesen Worten hinter dem Tresen und mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Warme Arme legten sich von hinten um mich und zogen mich an Daniels feste Männerbrust.

Kein Gedanke schwirrte in meinem Kopf, ich war wie gelähmt. Warmer Atem strich leicht über meine Wange, als sich Daniel zu mir herunterbeugte.

„Psst, Nina ruhig. Er ist weg. Lass die Worte von dem Mistkerl nicht an dich ran. Er wollte dich verletzen. Lass nicht zu, dass er es schafft.“

Ich merkte kaum, wie Daniel mich langsam in das Hinterzimmer zog. Dort verfrachtete er mich auf einen Stuhl und hockte sich vor mich. Mit seiner Hand zwang er sanft meinen Kopf nach oben, so dass ich ihm in die Augen schauen musste.

„Wie konnte er sich so verändern?“ Ich konnte es immer noch nicht fassen, wie Jan sich in Sekunden um 180 Grad drehen konnte.

„Ich denke, dass er schon immer so war, es aber gut überspielt hat. Du hast ihm früher wahrscheinlich auch nie eine Gelegenheit geboten, dass er sein wahres Gesicht zeigen musste.“

„Ich kann mich doch nicht so in einem Menschen getäuscht haben?“

„Es gibt Menschen, die spielen jahrelang perfekt ihre Rolle. Manch einer sogar sein Leben lang. Eigentlich sollte man meinen, dass man als Partner irgendwann hinter diese Fassade schauen könnte, aber das ist ein Märchen. Wer schon immer sein falsches Ich lebt, dem kann man nicht hinter die Fassade schauen. Nur in wenigen Situationen lassen solche Menschen ihre Maske fallen. Es gibt sogar so welche, die sich auch in diesen Situationen unter Kontrolle haben. Wenn man Glück hat, erfährt man von anderen, wie die Person eigentlich ist.“

Redete er jetzt noch von Jan. Auch wenn mich Daniel immer noch anschaute, so sah er auf einmal durch mich hindurch. Sein Blick war entrückt und mir schwante, dass er von sich sprach. Anscheinend hatte er eine ähnliche Situation erlebt und wusste, was ich durchmachte. Diesmal legte ich meine Hand an seine Wange und sein Blick und er kehrten zu mir zurück.

„Du sprichst von dir?“, fragte ich vorsichtig.

Abrupt stand Daniel auf. „Wir sollten langsam weitermachen, die Kundschaft wird bald hier auftauchen.“

Der Bann der Situation war gebrochen und auch ich hatte mich wieder einigermaßen gefangen und stand auf.


Zum Glück war auch heute so viel im Laden los, dass ich keine Gedanken mehr an Jan verschwenden konnte. Ich backte, ich verkaufte, ich redete mit den Kunden. Es gab gleich zwei Tortenaufträge, die ich nächste Woche fertig machen musste. Ich freute mich schon darauf. Für solche Fälle hatte ich mir verschiedene Bilder aus dem Internet herausgesucht, damit ich für den Anfang den Kunden eine kleine Vorauswahl bieten konnte. Irgendwann würden diese Bilder allein von mir stammen.

Ich freute mich, dass meine Backkünste so gut ankamen und zum Abend hin, hatte ich Jan und dessen Arschlochart ins Hinterstübchen verdrängt und mir ging es wieder gut. Heute war Freitag und morgen würde der Laden geschlossen bleiben. Die Reglung hatten wir vor Weihnachten eingeführt und würden sie auch so weiter handhaben. Dafür wurde Sonntagnachmittag von 14 bis 16 Uhr geöffnet sein. Dieser Kaffeetreff hatte sich schnell rumgesprochen. Vor allen Dingen unsere vier Tratsch-Damen aus dem Dorf ließen es sich nicht nehmen, diese zwei Stunden voll auszunutzen und den neuesten Dorfklatsch zu verbreiten. So war das nun mal, wenn man auf dem Land lebte. Nichts blieb verborgen. Auch nicht, dass Frau Berger, die eigentlich Single war, eine vaginale Entzündung gehabt hatte und sie sogar deswegen bei ihrem Frauenarzt gewesen war. Solche Informationen waren nicht wirklich prickelnd, aber die Spekulationen, wie Frau Berger zu dieser Entzündung gekommen war, rissen nicht ab und waren im Moment das Topthema.

Ich hoffte, nein ich betete sogar, dass ich nie, wirklich nie, außer der Reihe zu meinem Frauenarzt musste. Wer wusste schon, was dann über mich erzählt wurde. Ich schüttelte mich.

„Ist dir kalt?“ Daniel hatte gerade den Laden geschlossen und stand nun neben mir.

„Nope. Ich habe nur gerade an Frau Berger denken müssen.“

„Du fragst dich doch jetzt nicht auch, wo sie die Entzündung her hat?“

„Um Gottes Willen nein! Ich habe nur daran gedacht, was passiert, wenn ich einmal außer der Reihe zu meinem Höhlenforscher muss. Da lief es mir wirklich eiskalt den Rücken runter.“

Das tiefe Lachen von Daniel hallte durch den Laden. „Höhlenforscher … bei der Berufsbezeichnung hätte ich mir meine Studienrichtung doch noch mal überlegen sollen. Und wenn du mal wegen was auch immer, zum Frauenarzt musst, such dir am besten einen, der weit weg seine Praxis hat. So kannst du bei solchen Fällen heimlich zum Arzt gehen.“

„Das wird ja immer besser“, schnaubte ich. „Nun darf man hier in dem Kaff noch nicht mal außer der Reihe zu seinem Gynäkologen, ohne gleich Gesprächsthema Nummer eins zu werden.“

„Was bin ich froh, dass der nächste Urologe doch ein wenig weiter weg ist. Nicht auszumalen, was ich schon für Gesprächsstoff gesorgt hätte.“

„Ach? Wie? Du warst öfter beim Urologen?“, fragte ich sogleich neugierig nach.

Lachte mich Daniel nun aus? „Da wohnst du nun knapp 3 Monate hier und schon verfällst du in den gleichen Klatsch-Modus. Nein, ich war nicht öfter beim Urologen. Aber wie man sieht, interessiert dich das doch brennend.“

„Armleuchter“, nuschelte ich und packte meinen Mantel.

„Das hab ich gehört“, rief mir Daniel hinterher, als ich aus dem Laden eilte. „Bis Sonntag.“

Pah, der konnte mich mal. Nahm der mich doch glatt auf den Arm, der Mistkerl. Insgeheim musste ich natürlich Schmunzeln.

Mit Anlauf nach Berghimmel

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