Читать книгу Mit Anlauf nach Berghimmel - Melanie Weber-Tilse - Страница 6
Kapitel 2
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as war das nur für ein lautes Geräusch? Und warum war mein Hintern so kalt? Wo war ich? Noch wichtiger, WER war ich?
„Guten Morgen mein Schatz!“
Ohhh, mein Kopf. Aua das war viel zu laut. „Hmmm“, brummte ich.
„War wohl ein heftiger Abend.“
„Hmmm“, immer noch bekam ich nicht mehr heraus.
„Sollte ich die Frage stellen, warum du keine Unterhose anhast?“
„Was…?“ Aua mein Kopf. Uhh, das war gar nicht gut. Ruckartig Aufrichten ging mal gar nicht. Ich ließ mich wieder vorsichtig auf das Sofa zurück sinken.
„Trink das.“
Jan hielt mir ein Glas mit einer sprudelnden Flüssigkeit hin. Ich vermutete eine aufgelöste Kopfschmerztablette.
Gierig trank ich das kalte süßliche Wasser.
„Und nun würde ich gerne wissen, warum du hier mit halb heruntergelassener Hose und ohne Slip auf dem Sofa liegst.“
Oh, ich hatte die Hose heruntergezogen? Was war nur passiert? Vorsichtig richtete ich mich auf und zog mir die Leggins hoch. Bruchstückhaft kamen die Erinnerungen wieder.
„Hmm, die Hose. Ich habe keine Ahnung, warum ich die Hose unten habe. Den fehlenden Slip dagegen, kann ich erklären. Gestern in der Disko…“
„Du hast in der Disko deinen Slip ausgezogen?“ Jan hob fragend seine Augenbraue.
„Ja, weil….“
„Möchte ich das WEIL wirklich hören?“
Ich überlegte kurz. Wollte er? Wollte ich es erzählen? „Nun ja, da war kein Toilettenpapier.“
Jan sah mich skeptisch an. „Was hat dein Slip mit fehlendem Toilettenpapier zu tun?“
„Ich musste mich doch abputzen!“
„Das bisschen Urin, hättest du doch, wenn nötig, in die Hose tröpfeln lassen können.“
„Ich habe aber nicht nur gepinkelt.“
„Du hättest doch warten können, bis jemand in die Toilette gekommen wäre. In der Disko gehen doch öfter welche aufs Klo.“
„Die Eine ist sofort geflüchtet, außerdem war es mir peinlich.“
„Warum geflüchtet?“
„Herrgott nochmal Jan. Ich hatte Durchfall. Ich habe mir die Seele aus dem Leib geschissen. Ich wäre fast selber an meinen Dämpfen erstickt und du bist daran schuld!“
In Jans Gesicht zuckte es. „Ich bin schuld?“
„Ja, weil ich wegen dir, mir fünf beschissene Tequila-Orange reingeschüttet habe und der Letzte war schlecht. Mensch Jan, das waren vielleicht Schmerzen.“
„Und was ist mit der Palme unten passiert?“
„Da ist F-P schuld. Wenn er mich nicht abgelenkt hätte…“
„Wer ist F-P?“
„Na, Franz-Peter.“
„Und wer ist Franz-Peter?“
„Der gestern Dienst hatte.“
„Ach du meinst Georg.“
„Na siehste, hört sich doch fast wie Franz-Peter an.“
„Was hat nun Georg mit der Palme genau zu tun?“
„Ich sagte doch, er hat mich abgelenkt und danach lag ich mit ihr auf dem Boden.“
Jans Wange zuckte immer mehr. Der Arsch würde doch jetzt nicht lachen. Ich sah ihn sauer an.
„Wage es dich. Ich habe gestern einen beschissenen Tag hinter mir.“
„Wortwörtlich“, murmelte Jan.
„Arsch, das habe ich gehört!“ Die Tablette wirkte endlich und ich konnte mich langsam erheben. „Ich gehe jetzt ins Bad. Ich brauche eine Dusche und muss mir dringend die Zähne putzen. Ich habe einen Pelz auf der Zunge, als ob ich die ganze Nacht am Teppich geleckt hätte. Bäh!“
Beim Weggehen meinte ich ein leises Lachen zu hören. Ich drehte mich zu Jan um, doch dieser hielt sich die Hand vor den Mund und hustete dezent. Schon klar, wollte der mich verarschen?
Grummelnd verschwand ich im Bad und schnappte mir meine Zahnbürste. Nach dem ausgiebigen Putzen fühlte sich meine Zunge ganz glatt an und der ätzende Geschmack war aus meinem Mund verschwunden. Danach ließ ich mich von dem schönen warmen Wasser aus der Dusche verwöhnen.
In einen Bademantel gewickelt und mit einem Handtuchturban, trat ich den Weg in die Küche an. Ich brauchte jetzt dringend Koffein. Jan hielt mir schon eine Kaffeetasse entgegen.
„Danke!“ Ich liebte den Geruch von Kaffee. Ohne mein Lebenselixier konnte ich nicht in den Tag starten.
Jan stand an die Küchenzeile gelehnt und beobachtete mich. Mir war klar, dass wir uns aussprechen mussten.
Seufzend stellte ich meine Tasse ab. „Ja, ich bin sauer auf dich. Nein, ich habe keine Dummheit deswegen angestellt. Dass mir der Tequila einen unverhofften Abgang bescheren würde, konnte ich nicht ahnen. Gut, und die Palme stand doof im Weg. Und F-P wollte ich auch nicht anmotzen.“
„Du hast Georg angemotzt?“
„Ich war besoffen. Ich kam aus einer Disko, in der ich mich eigentlich vergnügen wollte, stattdessen habe ich mir die Seele aus dem Leib … Na du weißt schon. Ich war mies drauf. Wegen dem Ganzen.“
„Es tut mir leid Nina.“ Jan zog mich an sich heran. „Ich möchte mich nicht mit dir streiten. Aber du musst auch verstehen, dass jetzt so kurz vor Weihnachten ein enormer Stress herrscht. Ich würde viel lieber mit dir in die Stadt gehen und Weihnachtseinkäufe tätigen und mit dir die Wohnung schmücken. Hab bitte Nachsicht mit mir, dass ich seit Jahren keine ernstzunehmende Beziehung hatte, mit der ich ein familiäres Weihnachtsfest feiern wollte. Daher hab ich die letzten Jahre auch immer am meisten an Weihnachten gearbeitet, damit andere sich für ihre Familien Zeit nehmen konnten. Es ist für mich etwas schwer, nun alle Aufgaben mit einem Mal abzugeben und umzuschichten.“ Er sah mich zerknirscht an.
„Ach, Jan. Ich verstehe das ja alles. Aber ich habe mich so sehr darauf gefreut. Bisher habe ich nur mit meinen besten Freunden zusammen gefeiert. Für mich ist es das erste Weihnachten mit einer neuen Familie. Ich möchte doch auch alles schön haben, wenn deine Eltern zu Besuch kommen.“
„Ich weiß Schatz und ich freue mich riesig, dass du dir solche Mühe gibst.“
Auf einmal sah mich Jan mit großen Augen an. „Mist, verdammter. Ich habe meine Eltern vergessen. Die wollen Morgen zum Adventkaffee vorbei kommen.“
Eins, zwei, drei … dann sprang ich auf. Für meinen Zustand waren drei Sekunden wirklich schnell, um zu reagieren. Während ich in das Schlafzimmer hastete, ging ich schon die Einkaufsliste durch. Ich zog mir die Unterhose hoch – Adventskranz -, BH und Socken an – Weihnachtsdeko -, ich zog mir Shirt und Pulli über den Kopf – Backzutaten - , jetzt musste ich nur noch die Jeans zuknöpfen – fuck, Wohnung putzen -. Im Eiltempo wollte ich gerade auf die Aufzugstür zu rennen, als mich Jans Räuspern aus dem Bad ablenkte.
Er wedelte mit dem Fön und ich griff mir an die noch feuchten Haare. Mist, ich wäre jetzt wirklich eiskalt so rausgerannt. Ich stürmte ins Bad und nahm Jan den Fön ab.
Das „Danke“ von mir, ging im Föngebläse unter. Zum Glück hatten meine Haare nur Kinnlänge, so dass ich schnell mit Föhnen fertig war. Auf Makeup verzichtete ich heute, dafür war nun wirklich keine Zeit mehr.
In Windeseile schoss ich wieder Richtung Fahrstuhl. Davor stand schon Jan mit meinen Stiefeln, meinem Mantel und der Handtasche in der Hand. Wahrscheinlich wäre ich ohne alles nach draußen gerannt und hätte dann total blöde in der Halle gestanden. Ein gefundenes Fressen für F-P. Aber Moment, der Kerl müsste heute frei haben. Immerhin hatte er die Nachtschicht übernommen.
Ich schlüpfte in Schuhe und Mantel und griff nach meiner Tasche. „Gehst du mit?“ Ich schaute Jan von der Seite an.
„Klar.“
Die Fahrstuhltüren öffneten sich und wir stiegen zusammen ein.
„Dich kann ich doch nicht alleine weglassen. Nicht, dass du mir nachher noch die anderen Palmen niederreißt, oder drin hockst und Georg einen Herzinfarkt bekommt.“
Empört zog ich die Luft ein und holte mit meiner Tasche aus. Gerade als ich ihm diese über den Kopf zog, öffneten sich die Fahrstuhltüren und uns schaute geschockt eine Familie an.
„Mama, warum schlägt die Frau den Mann?“
„Psst, Schatz. Lass uns ruhig einsteigen.“
Das Teufelchen auf meiner Schulter klatschte in die Hände. Ich konnte einfach nicht anders. „Der böse Onkel hier, hat mich unsittlich angefasst.“
Damit ging ich locker neben Jan weiter in die Eingangshalle hinein. Ich hörte noch, wie die Kleine, „Mama, was bedeutet unsittlich?“ ihre Mutter fragte, dann schlossen sich die Aufzugtüren.
„Du kleines Biest!“
„Strafe muss sein, mein Schatz.“ Ich grinste in mich hinein.
Drei Stunden hatten wir mit Einkaufen verbracht. Deko, Zutaten für die Kekse und sogar schon einige Geschenke waren nun in den Tüten verstaut. Jan war die ganze Zeit ohne Murren an meiner Seite geblieben und hatte Packesel gespielt.
Zu Hause angekommen, stürze ich direkt in die Küche.
„Kannst du mir bitte die Tüten mit den Lebensmitteln bringen?“ Während ich in den Schränken nach Schüsseln und Küchenmaschine kramte, stellte mir Jan die gewünschten Tüten auf die Küchentheke.
„Ach, und mach doch gleich noch Weihnachtsmusik an.“ Während ich im Schrank nach dem Spritzbeutel suchte, hob ich die freie Hand. „Ich rate dir, keinen Mucks von dir zu geben.“
Ich kannte Jan genau. Weihnachtsmusik war eigentlich gar nichts für ihn.
Nachdem ich alle Utensilien für das Plätzchenbacken zusammen getragen hatte, erklang leise aus den Lautsprechern sanfte Weihnachtsmusik. Natürlich gab es in der Küche auch ein Boxensystem, welches über die Anlage im Wohnzimmer geschaltet werden konnte, oder über Jans Smartphone. Natürlich waren die technischen Dinge hier im Appartement toll, aber mir würde auch eine kleine süße Wohnung mit zusammengewürfelten Möbeln reichen. Ich kam aus einem kleinen Dorf und meinen Eltern gehörte ein kleiner Bauernhof. Sie betrieben zwar keine Landwirtschaft mehr und auch Tiere gab es kaum noch, doch den Hof würden sie nie aufgeben. Auch wenn ich mich vor einiger Zeit dazu entschlossen hatte, in die Großstadt zu ziehen, damit ich hier einen Beruf ausüben konnte – und wenn es nur am Empfang der hiesigen Zeitung war – so fehlte mir unser Dorf doch sehr.
Meine Lehre als Bürokauffrau hatte ich im Nebenort machen können, allerdings war keine freie Stelle vorhanden, so dass sie mich nicht hatten übernehmen können. Auch in den anderen Firmen gab es keine freie Stelle. So war ich mutig nach München gezogen. Meine Eltern hatten mich am Anfang mit ein wenig Geld unterstützt, damit ich mir eine kleine Wohnung leisten konnte.
Nun aber stand ich in dieser riesengroßen, noblen und modernen Küche. Leise Musik rieselte aus den Lautsprechern und auf der riesigen Arbeitsfläche lagen meine Zutaten für die Weihnachtsbäckerei.
„Ich habe dir schon den Backofen eingeschaltet“, rief mir Jan aus dem Wohnzimmer zu. Auch dieser ließ sich mit dem Smartphone bedienen. Ich zweifelte auch nicht daran, dass der Kühlschrank seinen Inhalt selbst per Internet ordern konnte.
„Würdest du bitte schon aufräumen … ?“ Weiter kam ich nicht, denn Jan unterbrach mich sofort.
„Ich bin schon dabei. Back du die Plätzchen und überlass mir den Rest!“
Ich zog mir mein Smartphone aus der Hosentasche und suchte nach den Rezepten, die mir erst letztens meine Mutter per E-Mail geschickt hatte. Dann ging ich gutgelaunt an die Arbeit. Auch wenn man es nicht von mir dachte, aber ich liebte Backen. Kochen nicht so wirklich, da verbrannte mir schon einmal der Braten, aber Backen war ein Traum. Kuchen, Cupcakes, Muffins und auch Kekse. Eigentlich war mein heimlicher Traum immer noch ein süßes kleines Café zu eröffnen. Aber dafür fehlte mir das Kapital. Außerdem war in der Großstadt das Angebot schon so übersättigt, dass mir auch keine Bank der Welt einen Kredit geben würde. Und Jan würde ich auf keinen Fall fragen.
Leise vor mich hin summend, wog ich die Zutaten ab, mischte alles zusammen, knetete den Teig durch und stach dann die Kekse aus. Ein Blech nach dem anderen wanderte in den Backofen und wieder hinaus. Meine Weihnachtsbäckerei war in vollem Gang. Nach dem Backen erhielten meine Kekse noch verschiedene Verzierungen. Nun waren sie fast zu schade, um sie noch zu essen. Das war etwas, was ich ohne irgendwelche Pannen hinbekam.
„Wow Nina, die sehen fantastisch aus.“ Jan hielt einen Keks ehrfürchtig in der Hand.
„Probier ihn. Ich habe die Kekse nicht zum Anschauen gebacken.“
„Mmmmh, lecker“, nuschelte Jan mit vollem Mund.
„Deine Kekse sind traumhafte Kreationen. Die Küche dagegen, hat ein albtraumhaftes Aussehen.“
Erstmals nach dem Backen nahm ich die Umgebung wahr. Gut, die Kekse waren wirklich ohne Pannen entstanden, die Küche dagegen sah wie ein Schlachtfeld aus.
„Ok, Nina. Du verschwindest aus der Küche und widmest dich der Deko. Ich werde die Küche aufräumen.“
„Aber ich habe doch die ganze …“
„Raus hier!“
Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Jan hatte mir die Tüten mit den Weihnachtssachen auf das Sofa verfrachtet und so konnte ich mich nun hier weiter austoben. Nach nicht mal einer halben Stunde strahlten die Lichterketten, die kleinen Engelchen und der riesige Adventskranz um die Wette. Anscheinend war Jan in der Küche auch schon fertig, denn er trat zu mir und schaute sich mit skeptischem Blick um.
„Meinst du nicht, dass dies ein wenig zu viel des Guten ist?“
„Ich finde es genau richtig. Es verbreitet eine tolle Weihnachtsstimmung.“
„Wenn du meinst …“
Jan trat an die Anlage und schaltete die Musik aus.
„Dann darf ich jetzt aber noch ein wenig TV schauen?!“
„Ja mach ruhig. Ich werde mich langsam mal in das Bett begeben. Die letzte Nacht war für mich doch ein wenig zu kurz.“
Jan gab mir noch einen kurzen Kuss und versank dann in den Börsenbericht. Ich würde jetzt lieber Das letzte Einhorn, oder Drei Haselnüsse für Aschenbrödel schauen. Das würde jetzt viel besser zu Weihnachten und auch zu meiner feierlichen Stimmung passen. Allerdings verflüchtigte diese sich langsam, nachdem ich noch einen kurzen Blick auf den TV geworfen hatte.
Dann ging ich doch lieber ins Bett, als neben Jan die Börsenkurse, Aktien und was weiß ich noch, anzuschauen. Dabei würde ich wieder nur einschlafen und mit Rückenschmerzen nachts aufwachen. Jan war dann längst im Bett. Er hatte sich immer noch nicht angewöhnt, dass wenn er dann ins Bett ging, mich zu wecken und mitzunehmen. Stattdessen wurde ich dann wach und lag ohne Decke auf der Couch und fror, während Jan wohlig im Bett nebenan im Schlafzimmer schlief.
Daher würde ich jetzt lieber ins Bett gehen. Während ich mich im Bad abschminkte, dachte ich mit Bangen an den nächsten Tag. Wie würden Jans Eltern auf mich reagieren? Wie würden sie generell sein? Das war das erste Zusammentreffen mit ihnen und das obwohl ich schon einige Zeit mit Jan zusammen war. Ich fragte mich schon die ganze Zeit, warum ich sie in den letzten Monaten noch nicht kennengelernt hatte. Jan war nicht wirklich mit der Sprache rausgerückt. Immer gab es nur Ausflüchte. Sie seien viel eingespannt, viel unterwegs … Bla, bla, bla – mehr war das nicht. Ob er mich vor seinen Eltern geheim gehalten hatte, oder sie mich nicht kennenlernen wollten, wusste ich nicht. Ich würde es aber sicher morgen in Erfahrung bringen.
Mit diesen letzten Gedanken kuschelte ich mich unter die Decke und war kurze Zeit später eingeschlafen.