Читать книгу Tagebuch eines bösen Buben - Metta Victoria Fuller Victor - Страница 7
»Er wußte nicht, daß sie geladen war«
ОглавлениеIn unsern Haus ist ein Unfall passihrt. Mir wirde es nich sehr zur Ehre gereichn, wenn ich erzehlte, wer Schuld wahr. Ich bin ein entsetzlicher Junge. Dir, mein Tagbuch will ich alle meine Sindn geschtehn. Ich wollte es ja gar nich tun. Ferdin ich also dafir Schelte? Ich winschte die großn Leite mechtn mich nich immer so schimpfn. Ich bin ein schreklicher Junge aber nich absichtlich, es passihrt nur grad so. Jetz is die ganze Schtadt withend auf mir. Papa sagt er erwartet, das ich ins Gefengnis muß. Oh mein theires Tagbuch has du je gedacht das dein kleiner Eigenthimer in dem Kerker kommen wird? Oh es is greßlich den Kirchnforschteher un den Richter un das alte Fräuln Harkneß so die Schtirn auf sich runzln zu sehn, als wenn man ein herzloser Ferbrecher wer — wenn man es nich eimal hat tun wolln. In der Frih wahr ich ein sehr brafes Kind ich schpilte dribn bei Hansi Braun und nichs geschah — außer das ich bein Essn dribn blib, obwohl Hansis Mudter es nich wollte und dann kam er heriber un wir unterhiltn uns sehr gut. Wir warn obn in Mammas Zimmer wi sie zu Besuch aus wahr. Ich schtellte einen Sessl aufn Tisch un kraxlte henauf zu den oberstn Bredt fon den Kamihnschrank un nahm ein par Medezinflaschn un gab es Henschen zu kostn, weil er sagte es schmekt gut. Aber dann war er pletzlich ganz blaß un so krank in seinen Magn das er nich wußte ob er auf di Fiße oder aufn Kopf schteht. Also liß ihm Betti eine Schale schmutzign warmen Wasser mit Senf heneingemischt trinkn, so ein schreklicher Saft, das er alles wider henausschmeißn mußte un dann wahr ihm gut. Wi Betti um den Senf ging, gukte ich in Papas Tasche un fand dort so eine schpaßige Pestole. Hansi sagte es is ein Rewolwer un ich verbot ihm ein Wort zu sagn un lif un ferschtekte ihm unter meinen Polster.
»Wir wolln uns damit Schpaß machn, wenn dir wider ganz gut is,« sagte ich aber er mußte nachaus gehn nachdem er gebrochn hadte, sein Kopf tat ihm so weh.
Ich liß die Pestole unter meinen Polster weil ich mich firchtete Betti kennte sie sehn. Ich wollte meine Schwestern damit erschrekn, weil ich nich glaubte das sie geladn is, aber sie werdn doch erschrekn, wi wenn sie were. Medchen schrein immer wi toll, wenn sie eine Flinte oder Pestole sehn.
Also Herr Slokum kam wider zum Tee. Predger sin am libstn dabei zum Tee zu kommen, es is ihre halbe Arbeit herumzugehn un mit die Damen zu schpeisn. Ich blib ferschtekt. Pa mußte zu einer Fersammlung und Mamma ging sehn wi es Hansi geht. Susann ging mitn Dokter schpazirn un Elsbett un Lil gabn acht das der Predger in Sallohn nich einschlaft. Lily hadte seit den Abend wi sie weggelaufn war kein Wort zu mir gesprochn. Sie is gar nich mehr wi sie früer wahr, sie war so gut wi ein Junge zu einen Witz oder Schpaß, jetz mecht ich mich nich wundern, wenn sie einen Farrer heiratn mecht, so erns is sie. Ich winsche ich hedte das damals nich ausgetratscht, sie sagt, sie hedte mich zu sich genommen wenn sie Herrn Jones geheiratet hädte. So schwindn meine Hoffnungen eine nach der andere — das is eine traurige Welt.
»Nun,« sagte ich, »jetz will ich henauf schleichn un die Pestole holn, in Sallohn heneingehn un sie ein bischen aufschtörn. Sie is nich geladet. Oh was fir ein Schpaß, sie so quitschn zu hern! Betti,« sagte ich, »borg mir dein Umhengtuch, ein par Menutn, ich will Indjahner schpiln.«
Sie treimte nich in entferntsten fon einen Rewolwer un lieh mir ihr Tuch. Ich wiklte mich henein, nahm einen Schtock auf der Schulter schtatt einer Flinte un kroch hinauf, ganz leise damit sie nich bemerkn, das Indjahner ihr Lager umzingeln. Ich machte die Thir ganz, ganz leise auf un gukte henein. Der Predger un Elsbett warn am dribern Ende fon Zimmer am Sofa. Lil schtikte an einer Lampntatze, alles wahr ruig — die Schtunde war gelegen, der Moment war gekommen un mit einen unmenschlichn Geheil schtirzte ich in ihr Lager schrie dreimal »Hurra!« zilte mit der Pestole un sagte: »Ibergebt euch oder ich schise!«
Elsbett schlug die Hende for die Augn un kreischte un kreischte, Lily schtand auf un sagte gans sanff: »Schorschi, oh Schorschi gib sie weg! Si is geladn!« »Ibergib dich, blasser Heiptling!« antwortete ich un tanzte runderum un zilte immer mit meiner Waffe auf dem Predger.
»Oh Schorschi!« bat Lil un kam näer, »hör auf, hör auf!«
»Ich werde dem blassn Heiptling auf dem Krigsfade tetn!« sagte ich.
Schlecht wi mir is, muß ich doch lachn, wenn ich mich erinner, wi Herr Slokum iber der Sofalehne schprang un henunterkroch. Lily packte meinen Arm. Ich schittlte sie ab un feierte.
Ach theires Tagbuch, muß ich dir noch mehr sagn? Das alte Ding war doch geladet! Das wahr ein greßlicher Irrtum, dem ich machte. Wer wirde gedenkt habn, das sie ganz fertig geladn war, das sie losgehn mußte wi ich nur dem Dricker berihrte? Die Kugl ging durch der Sofalehne wi wenn gar keine dagewesn wer un ferletzte Herrn Slokum grade auf der Schtirn, und machte eine große un gefehrliche Wunde, wenigstns sagt der Dokter so.
Jetz ligt er obn in den bestn ibrign Zimmer. Der Doktor is bei ihm un noch fiele andre Leite. Er sagt gar nichs, weil er nich schprechn kann, er is bewußtlos. Ich bin sicher, kein andrer Junge kann sich schlechter driber fihln wi ich.
Ich winschte ich hedte das alte Ding nie angegriffn. Wozu war es iberhaupt geladet? Ich bin in mein Zimmer eingeschperrt un soll for einen Monath nich herausgelassn wern. Zehn zu eins, wenn er schtirbt sind sie gemein genug un lassn mich nich zum Begrebniß gehn. Sie solltn nich so hart sein zu dem kleinen Schorschi, ich wußte nich, das sie geladn wahr! Oh Godt! oh Godt! Warum macht so ein kleines Schtickchen fon einer Kugl so fil Unrue im Kopf! Ich bin froh es wahr nich Lil, sie is ein so libes Medchen. Si kißte un besemftigte mich wi ich so fest schrie, es schteckte mir ein Klumpn in der Kehle. Ich dachte ich muß erschtickn, so erschrokn un engslich war ich. Alle außer ihr schautn so finster auf mir, wi wenn ich der Teufl wer. Wenn ich jemals ein Mann werd, werd ichs hoffentlich besser wissn als den kleinen Hansi zu vergifftn oder auf dem Predger zu schißn. Aber ich werde es nie nie werdn, denn wenn ich im Gefengnis komme un aufgehengt werd kann ich nich lebn um groß zu wern. Oh was fir ein Gedanke!
Ich weinte mich gestern Nacht in Schlaf. Diser Tag wahr tausnd Meiln lang. Brod un Wasser zum Frühschtik, Brod un Wasser zu Midtag, Brod un Wasser am Abens, keine Sehle zu schprechn, die Thir zugeschperrt. Ich muß nur schnell mein Leid ausschittn, denn es demmert schon un mir is keine Lampe erlaubt — nich eimal eine Kertze oder ein Zindholz. Sie habn mich allein gelassn damit ich meine Sinde in finstern mit Schweign bisse. Oh Betti, Betti komm! Horch, ich here wispln bein Schlißlloch — wer is das? Es war meine Schwester Lil.
»Schorschi,« sagte sie grad durchs Schlißlloch, »armer Junge, fihl dich nich so schlecht, es geht ihm besser.« — »Hurrah!« schrie ich.
»Es ging nich bis ins Gehirn. Das Sofa brach die Gewalt der Kugl. Sie wurde fon Schtirnbein aufgehaltn un Dokter Moor nahm sie henaus. Jetz sitzt er im Bed un ißt Tee un Butterbrod. Er wird in ein oder zwei Tagn nachaus gehn kennen.«
»Ich winsche, ich kennte Tee un Butterbrod essn.«
»Lily du bist ein gutes Medchen. Heirate dem Herrn Slokum nich, denn er helt in Feier nich schtand. Wenn das foriber is, will ich dir helfen Montagu zu heiratn un alles tun, was du ferlangst. Bitte, Lil, wills du zu Papa gehn un ihm bittn, mir ein Licht zu erlaubn? Sag ihm es is grausam kleine Jungen richn zu lassn, wi man Waffln beckt, wenn sie selber keine kriegn solln. Sag der Kechin, sie soll di Kichnthir zumachn, damit ich nich weiß das Eier un Schinkn zum Frihschtik kommen. Wird mein Eichhernchen reglmeßig gefittert? Ich glaube Hektor denkt, ich bin tot.«
»Sage der Mamma, ich firchte das ich krank werd, ich habe so ein unheimliches Gefihl auf den Bodn fon mein Magn.«
Ich sage Lil is ein fortreffliches Medchen! Sie hat einen Schlissl zu meiner Thir gefundn un mir ein neues Buch, ein großes Schtick Kuchn un eine Kerze gebracht. Der Kuchen schmekte greßlich gut. Wenn man Robinson Kruso in ein Zimmer eingeschperrt hädte, wer er dort geblibn? Nein er hädte fersucht, sich zu befrein. Wenn ich eine Schere hädte mechte ich meine Bedtdeke zerschneiden zu ein Seil zusammknüpfn un mich fom Fenster henunterlassn.
Ich fand keine Schere, aber ich konnte das Leintuch ganz leicht
zerreißn. Ich machte ein langes Seil band ein Ende an den Handgriff fon der Schreibtischlade, der nebenan schtand, kroch aus den Fenster hilt mich fest an den Seil wi die Leite tun, wenn das Haus brennt und liß mich henunter.
Was dann geschah, kann ich nich sagn, denn wi mein Kopf an der Hofmauer anschlug, wußte ich eine gute Weile nichs fon mir. Kann sein, das die Schreibtischlade herausrutschte, kann sein, die Ticher warn nich fest genug zusammgeknipft, alles was ich weiß is, das ich zuers die Schterne sah un dann — wahr alles schwarz wi die Nacht. Fater sagte wi ich wider zu mir kam: »Er is unferbesserlich. Ich gebe ihm auf, es is alles umsons. Oh wi schade, das er wider zu sich gekommen is!«
Nun, warum krigtn sie mich dann? Ich habe es nich ferlangt. Warum krigtn sie nich einen gutn kleinen Jungen fon Frau Meyer anschtatt so einen schlechtn, schlechtn Jungen wi mich? Ich glaub wenn Papa bei Brod un Wasser eingeschperrt, war wi ein Strefling in Zuchhaus, mechte er die Leintücher noch erger zerreißn wi ich. Große Leite sin sehr ungerecht zu Kindern.