Читать книгу Eine Reise zu mir selbst - Mevanya D. Y. Dogbé - Страница 10

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Warum der Hahn um drei Uhr in der Früh so einen Radau machen muss, ist mir unerklärlich. Alle fünf Sekunden ertönt sein bekloppter Ruf. Irgendetwas stimmt doch mit seiner inneren Uhr nicht. Meine jedenfalls funktioniert super. Sie sagt: “Um fünf Uhr musst du raus, nicht um drei Uhr! Also dreh dich noch einmal um und ruh’ dich aus!”, “Würde ich ja gern”, erwidere ich meiner inneren Uhr, “geht aber nicht!”.

Ich bin nervös. Gar nicht so furchtbar tief in mir drin, weiß ich, dass der Hahn gar nicht das Problem ist. Er war sicher auch die vier vorigen Nächte, die ich hier verbracht habe, zur gleichen Uhrzeit wach und aktiv und es hat mich nicht gestört.

Ich frage mich, wie der Wald, in den wir gleich fahren, wohl aussehen wird. Wie werden die Menschen, die dort leben und wirken, wohl sein? “Das wird sicher die Erfahrung, die mir bisher gefehlt hat!”, denke ich mir und lächle gespannt.

Ich stelle mir weite Steppe vor, roter Sand bestimmt das Bild. Ein kleines Dorf mit runden Häusern aus Lehm erscheint vor meinen Augen. Die Dächer sind spitz und mit Stroh oder getrockneten Palmwedeln gedeckt, kleine, schwarze Kinder laufen lachend und spielend umher, die Älteren und Erwachsenen betrachten mich neugierig. Schon im Vorbeifahren mit Papas altem VW Golf, Baujahr 1991, laufen Kinder nebenher, rennen mit, um uns zu begrüßen und rufen mir unverständliche Willkommensgrüße zu. Vor dem Dorf, doch nicht in Sichtweite der hübschen, runden Häuser, sehe ich hochgewachsene Büsche. Rau, stachelig, wenig einladend geben sie in schmalen Pfaden nicht einsehbare Tiefen eines geheimen Waldes frei. Jener Wald ist der Wald in dem Mein Opa gelebt und gewirkt hat. Ein seit Jahrhunderten geheimes Versteck und Zentrum des spirituellen Führers des Ewe Volkes. Tiefes Buschland, das nur die Eingeweihten allein betreten können und dürfen. Unwegsames Gebiet, in dem man sich verliefe, oder einen Schlangenbiss riskierte, versuchte man, auf eigene Faust den heiligen Ort des Wassers, den Kern des Waldes von Be zu finden. Habe ich jenen einmal mit Hilfe der Nonna gefunden, erstreckt sich ein dunkelgrüner, satter, feuchter Urwald vor meinem Auge. Das Wasser kann ich förmlich riechen, die Bäume sind dicht und gesund, groß und stark. Jahrhunderte alte Gewächse ragen herrschaftlich und zugleich milde und sanft in die Höhe. Ich bin an einem zauberhaften Ort der Stille und Tiefe, der Wahrheit und der Weisheit, Jahrhunderte alten Wissens und nicht Wissens. Ein Ort, an dem sein langer Zeit Magisches geschieht und vor sich geht.

Der Mann, der den Platz meines Großvaters eingenommen hat, würdigt mich keines Blickes. Ich bin willkommen, doch ansehen muss er mich dafür nicht.

Ich spüre, dass das in Ordnung für mich ist. Die Frauen, die an diesem Ort leben und dienen, heißen Nonnas. Sie sind Auserwählte, hohe Priesterinnen, Eingeweihte und Gelehrte. Wer ihre Narbe ähnlich einer Sichel auf beiden Gesichtshälften, direkt neben dem Auge auf den Wangenknochen sieht, weiß gleich, mit dieser Frau legt man sich lieber nicht an. Diese Narbe, die mich inzwischen eher an einen Bogen mit Pfeil, oder eine gekreuzte Sichel erinnert, ist wirklich sehr eindringlich und gibt selbst mir das Gefühl, dass es ein Zeichen von unfassbarer Stärke sein könnte. Der Bogen ragt nicht selten bis fast ins Auge und ich frage mich, wie die Frauen jene Zeichen erhalten. Der Bogen scheint perfekt geschwungen, als sei er in einem Durchgezogen worden und ich frage mich, ob er gebrannt oder geschnitten wird, tippe aber darauf, dass eine Brandzeichnung anders aussähe und der Bogen dann bei jeder Nonna gleich wäre, was er nicht ist.

Eine Reise zu mir selbst

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