Читать книгу Eine Reise zu mir selbst - Mevanya D. Y. Dogbé - Страница 22

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Der Schneider ist da. Victor, Papa und ich saßen gemütlich zusammen und lauschten dem warmen Sommerregen, der für diese Jahreszeit so typisch ist. Bisher hat es jeden Tag, wenigstens ein Bisschen, meist aber sehr stark geregnet. Es sind gefühlt konstant zwischen 26 und 28°C und der frische, sanfte Wind mit dem nährenden Regen sind eine willkommene Abwechslung. Papa, es klingelt. Zwischen Fernsehgeplänkel im Hintergrund und dem eher lauten Diskutieren von Papa und Victor, welche Pflanze, Wurzel oder welches Kraut nun besser geeignet sei, um Menstruationsschmerzen vorzubeugen oder zu lindern, und wie man nebenbei auch noch den Zyklus regulieren könne, vernehme ich ein leises Klingeln. Das wird wohl meine Schwester sein, die Papa vor etwa zwei Stunden angekündigt hatte. Ich freue mich, Fidel kennenzulernen, bin aber auch ein wenig angespannt und nervös. Victor hat Papa inzwischen erklärt, dass Kaskarra am besten geeignet sei, da es nicht nur den Zyklus regulierte, sondern auch die lästigen Schmerzen beseitige. Seine Frau hatte jahrelang Schmerzen während der Periode, war gereizt und fühlte sich unwohl, ihr Zyklus war unregelmäßig gewesen und die Blutungen teils sehr stark. Die beiden hatten lange versucht, ein Kind zu bekommen, jedoch ohne Erfolg. Dann entdeckte sie Kaskarra und einige Monate später war sie nicht nur schwanger, ihre Menstruation war auch nicht mehr schmerzhaft für sie. Das alles ist lange her, Viktor und Elise haben inzwischen fünf gesunde und fröhliche Kinder. “Kaskarra wirkt reinigend und regulierend auf die Gebärmutter!”, sagt Viktor, mit einem gewinnenden Lächeln. Ich freue mich für Viktor und seine Frau, welch ein Heil, nach so langer Zeit noch solch einen Kindersegen zu erfahren. Wie immer vermittelt Viktor seine Worte mit einem breiten, offenen Lächeln und berichtet frei heraus, was er so zu berichten hat. Ob die Männer in Deutschland sich wohl auch über diese Themen unterhalten? Ich hoffe es!

Kaskarra werde ich jedenfalls ausprobieren und, vielleicht, ein wenig mit nach Hause nehmen.

Erneut vernehme ich ein Klingeln, dieses Mal jedoch ein völlig anderer Ton, eine Art Melodie, während ich zuvor ein Schellen zu vernehmen geglaubt hatte. Wir haben in diesem Haus jedoch nur eine Klingel und die befindet sich am Tor.

“Papa, es klingelt.”, höre ich mich nun sagen und frage mich, ob ich das soeben nur gedacht, oder auch ausgesprochen hatte. Viktor erhebt sich und geht zum Tor. Zurück kommt er jedoch nicht mit meiner Schwester, die ich erwartet hatte, sondern mit dem Schneider, der es sich nun auf der Terrasse gemütlich macht. Papa und Viktor setzen sich dazu, während ich lieber im Wohnzimmer bleibe, um den Mücken zu entkommen. “Herzchen!”, höre ich es wenige Minuten später von der Terrasse verlauten. Ein klein wenig genervt, unsicher und gespannt auf meine Kleider gehe ich zu den Dreien, die es sich längst auf den weißen Holzsesseln bequem gemacht hatten, und lachend und, meiner Empfindung nach, schreiend die neuesten Neuigkeiten austauschten. Blitzschnell erblickte ich meinen noch gefalteten Overall, den ich im nächsten Moment in den Händen halte um sodann für eine erste Anprobe in mein Zimmer zu stürmen. Mist! Ich habe mir doch gedacht, dass das so nicht funktionieren kann. Nun haben wir den Salat! Vor zwei Tagen hatte der Schneider in Sekundenschnelle Maße von Brust, Bauch, Hüfte und Rumpf, sowie meiner Körperlänge genommen.

Ich bevorzuge hier Bauch, weil eine Taille in meiner Vorstellung eben wie eine Taille und nicht wie ein kleiner Bierbauch mit Rückenteil aussieht. Und ich liebe meinen Bauch, es ist aber eben ein Bauch mit Rücken dran.

Nun, jedenfalls war ich voll bekleidet, mit allerlei Zeug gewesen und nach wenigen Sekunden hatte der Schneider und ebenso strahlend verabschiedet, wie er uns begrüßt hatte. Zuvor hatte er die Maße in ein Heft voller Maße gekritzelt, auf eine scheinbar beliebige Seite, ohne Anmerkung, Namen oder Notiz. Weder welcher Stoff zu jenem Auftrag gehörte, notierte er sich, noch welche Maße denn zu welchem Kunden gehörten, vermerkte er.

Nun stehe ich also in meinem Zimmer und versuche verzweifelt in meinen Overall zu kommen, jedoch ohne jeden Erfolg. Weiter als bis zur Mitte meiner Oberschenkel komme ich partout nicht. Keine Chance! Noch unterhalb des Pos stockt alles. Wie kann man nur so blöd sein und nichts sagen bei so einer Art Vermessung. Das konnte ja nicht gut gehen. Er hat zig Maße nicht aufgeschrieben und wahrscheinlich am Ende nicht mal mehr gewusst, welche meine Maße waren. Das erinnert mich an meinen wirklich ganz bezaubernden Overall, den ich mal in China, ja, ich weiß, bestellt hatte. Kein Reißverschluss, keine Knopfleiste, nichts. Wie ich durch einen Halsausschnitt in diesen Overall kommen sollte, war mir damals schon völlig unklar. Nun, das Problem habe ich bis heute nicht gelöst, weshalb ich jenes wunderschöne Kleidungsstück in den letzten Jahren nicht einmal habe tragen können.

An meine Erfahrung mit dem chinesischen Fabrikat zurückdenkend, drehe ich mich um und entdecke, das Unfassbare. Am oberen Ende meines Overalls, auf der Hinterseite, direkt am Halsausschnitt, befindet sich ein…Reißverschluss! Gott sei Dank, oder von mir auch aus dem Universum sei Dank! Die Rettung naht. Ruck zuck öffne ich den Verschluss und schlüpfe in mein neues Kleidungsstück. Und ich bin begeistert! Überwältigt schaue ich an mir hinunter. Was dieser Mann mit so wenigen Maßen, die eher so Pi mal Daumen als gewissenhaft und genau gemessen wurden, gezaubert hat, kann sich sehen lassen. Der Overall passt wie angegossen, was eine echte Aufgabe ist, bei meinen Kurven. Er ist gerade eng genug, dass er die Brust hält, aber weit genug, um total bequem zu sein. Die Träger sind exakt so lang und so kurz, wie ich sie mir gewünscht hätte, wenn ich gefragt worden wäre, ebenso die Hosenbeine und der Schritt. Nichts davon hat er abgemessen, oder mit mir besprochen. Fantastisch! Lediglich am Po ist er für meinen Geschmack ein kleines Bisschen zu eng, ich glaube aber, dass das kein Versehen oder sich vermessen war, sondern dass wir aufgrund der Herkunft unterschiedliche Auffassungen haben, wie eng es am Po sein darf und wie sehr ich, eine Frau, den Po betonen möchte. Nachdem ich stolz meine neue Errungenschaft auf der Terrasse präsentiert habe und diesen winzigen Änderungswunsch geäußert habe, schlüpfe ich, zurück in meinem Zimmer angelangt, nur allzu gut gelaunt und immer noch tief beeindruckt aus dem guten Stück, schlinge mir mein Tuch um den Hals und setze mich erneut an mein Buch.

Eine Reise zu mir selbst

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