Читать книгу Eine Reise zu mir selbst - Mevanya D. Y. Dogbé - Страница 8
ОглавлениеIch sitze am Botoqin Stand und warte darauf, dass meine heißen, frisch frittierten Bällchen gleich fertig sein mögen. Ich kämpfe mit den Tränen und merke, so frei, wie ich mich in meiner kleinen, spirituellen Blase fühle, bin ich nicht. Ich verbiete mit gerade, hier, jetzt all meine Emotionen zu zeigen, zu leben, zu sein. Ich lasse meinen Tränen keinen freien Lauf, ich bin nicht alles von mir und nicht vollkommen echt. Ich möchte mich hier nicht erklären, ich möchte nicht auffallen, als die weinende Yovo (Weiße). Ich möchte nicht noch mehr anders sein, als ich es, in diesem Land, eh schon bin. Ich halte meine Tränen zurück.
Die Armut dieses Landes bricht mir das Herz. Ein schätzungsweise erst dreizehn Jahre alter Junge zieht einen Karren durch ein wadentief mit rotem Wasser und Schlamm gefülltes, fünf mal fünf Meter messendes Loch in auf der Straße. Er wird dies den gesamten Tag und jeden Tag tun, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Karren sich meterhoch beladen und nur dürftig zusammengeschnürt. Wenn ihm irgendetwas von seiner wertvollen Ladung über Board geht, ist er vermutlich nicht nur seinen heutigen Lohn los, sondern gleich auch seine einzige Erwerbsquelle.
Seit heute früh um 5:30 Uhr ist er auf den Beinen und er wird bis 17:30 Uhr nur eine Pause machen. Gleich geht die Sonne unter, dann wird er seinen Karren abstellen, seinen Verdienst von etwa 3-5€ nehmen und nach Hause gehen. Er wird eventuell noch eine Kleinigkeit essen, sich auf seine Matratze legen und in einen diffusen Schlaf fallen. Bis morgen früh, wenn alles von vorne beginnt und seine schmerzenden Muskeln erneut seinen mit Hunderten von Kilogramm beladenen Karren durch die Straßen ziehen, immer in der Hoffnung, dass er heute genug verdient, um etwas zu essen zu haben, um das Dach über seinem Kopf noch einen Tag, noch einen Monat länger halten zu können und es eines Tages mal besser zu haben.
“Warum darf er nicht einfach Kind sein?”, schießt es mir durch den Kopf. Warum können Kinder nicht einfach Kinder sein, unbeschwert sich selbst und die Welt erkunden?
Und wer sagt eigentlich, dass wir im Westen abgeschnitten von uns selbst und unseren Emotionen sind? Kannst Du Dir vorstellen, was man tun muss, vergessen und ignorieren muss, um so leben zu können? Ich kann es mir nur im Ansatz vorstellen und es bricht mir das Herz. Meine Kehle schnürt sich zu. Ich vermag nicht zu erfassen, was du durch machst, kleiner Kossi.
Kossi ging die Straße runter. Den voll beladenen Karren im Schlepptau, meistert er gekonnt eine riesige Pfütze nach der anderen. Er konnte inzwischen gut einschätzen, welche mit Schlamm und Wasser gefüllten Löcher in der Straße zu bewältigen waren und um welche er besser einen großen Bogen fuhr. Dies’ war manchmal nötig, um die Ware, die er geladen hatte, nicht zu gefährden. Heute war ein guter Tag. Seine Schwester hatte letztes Wochenende geheiratet und er erfreute sich immer noch der Feier und Freude ob der neuen Familienmitglieder. Der leichte Regen, der sich angenehm kühlend über den Tag verteilt hatte und seine Haut immer wieder erfrischt hatte, war eine willkommene Abwechslung in Kossis Arbeitstag, der sonst von stechender Sonne und viel Schweiß geprägt war. Es war genau die richtige Mischung aus Sonne, dem grau, grellen Licht, das so typisch für diese Jahreszeit ist, und den sanften Regentropfen. Eine Brise Wind, die immer genau dann einsetze, wenn es Kossi gerade einmal wieder zu warm vor Anstrengung wurde, rundete das Paket ab und lies Kossi den heutigen Tag in guter Erinnerung behalten.
Kossi blickte die Straße hinunter. Noch etwa 50 Meter, dann hatte er es geschafft. Dann würde er Karren ein letztes Mal für heute abladen, seinen Lohn einstecken und endlich etwas essen gehen. Die Stunden seit seiner ersten Mahlzeit heute morgen waren viele, doch er war froh, heute zwei Mahlzeiten gehabt zu haben. Jeden Tag konnte er sich das nicht leisten. Er spürte, wie ein Schweißtropfen seine Stirn hinab, über seinen Nasenrücken lief und, unten angekommen, ihn frech an seiner Nasenspitze kitzelte. Er lachte und dachte sich “Wie einfach und wie schön das Leben sein konnte!”. Dankbarkeit und Frohmut erfüllten ihn. Was für ein Glück, dass er damals nach Lomé gekommen war, was für ein Glück, dass er diese Arbeit gefunden hatte und was für ein Segen, dass sein Chef genug verdiente, sich Kossis Dienste leisten zu können. “Mögen wir alle auch morgen gute Geschäfte machen”, dachte er sich und kehrte, immer noch lächelnd, in die betonierte Hofeinfahrt seines Auftraggebers ein. Heute war ein guter Tag!