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Kapitel 3

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Als Sarah am nächsten Tag ihre Wohnung verließ, verspürte sie eine unerwartete Ruhe in sich. Sie hatte seit drei Nächten keine Albträume mehr gehabt und war jetzt felsenfest davon überzeugt, dass sie das Richtige tat. In wenigen Stunden war ihr Vorstellungsgespräch bei Graham und natürlich trug sie heute nicht wie üblich Jeans und T-Shirt, sondern einen dunklen Rock, der bis eine Hand breit über ihre Knie reichte, eine helle Bluse und hochhackige Schuhe. Vervollständigt wurde ihr Outfit von einer Handtasche und einer Sonnenbrille, während ihr erblondetes, langes Haar offen bis auf den Rücken fiel.

Sie hatte gerade die Räume der Mordkommission betreten, als Rodriguez und O’Neill von ihren Stühlen aufsprangen und regelrecht auf sie zu gestürmt kamen.

„Entschuldigung, Miss, können wir etwas für Sie tun?“, fragte O’Neill.

„Können wir Ihnen irgendwie helfen?“, ergänzte Rodriguez eifrig.

Sarah blieb stehen und nahm ihre Sonnenbrille ab.

„Ich weiß nicht. Wollen Sie für mich zum Captain gehen?“

Sie konnte sehen, wie ihre Kollegen sie mit großen Augen anstarrten.

„Sarah?“

„Sind Sie das wirklich?“

„Warum sollte ich es nicht sein?“, erwiderte sie schmunzelnd.

„Na ja, Sie sehen so anders aus, so wie …“

„Eine Frau.“

„Eine umwerfend attraktive Frau“, ergänzte O’Neill schnell.

„Ach und wie sehe ich sonst aus?“, wollte sie wissen.

Ihre beiden Kollegen zuckten mit den Schultern.

„Wie Sarah“, entgegneten sie wie aus einem Munde.

„Na vielen Dank“, meinte sie, mit den Augen rollend.

„Nein, nein, wir meinten eher sportlich, wie ein Detective halt“, stotterte Rodriguez.

„Schon klar. Belassen wir es bei diesen Komplimenten, bevor es noch schlimmer wird“, erklärte Sarah und ging weiter.

Nach einigen Schritten drehte sie sich aber noch einmal abrupt um und sah, dass die beiden wie gebannt auf ihren Hintern gestarrt hatten und nun versuchten, blitzartig woanders hinzuschauen. Warnend hob sie den Zeigefinger.

„Schon mal etwas von sexueller Belästigung gehört?“

O’Neill kratzte sich verlegen am Kopf, grinste dann aber.

„Kommt darauf an. Wen von uns wollen Sie denn belästigen?“

Sarah musste lachen.

„Träumen Sie weiter, aber lassen Sie sich nicht vom Captain dabei erwischen.“

Kopfschüttelnd ging sie nun zur Tür ihres Vorgesetzten und klopfte an die Scheibe.

„Herein“, erklang barsch Mancinis Stimme und Sarah trat ein.

„Guten Morgen, Captain“, grüßte sie und bemerkte, dass sich noch eine weitere Person im Raum befand. „Chief Grant.“

„Morgen“, knurrte Mancini in seiner gewohnt mürrischen Art.

Edward Grants Augen waren auf Sarah gerichtet und auf seiner Stirn zeigten sich tiefe Falten.

„Sarah, wie siehst du denn aus?“, fragte er konsterniert und wandte sich dann dem Captain zu. „Haben Sie ihr das befohlen?“

„Also bitte, Edward. Ich habe mit der Mordkommission mehr als genug zu tun. Denken Sie, ich bin nebenbei auch noch Modeberater?“, wehrte der Captain ab.

„Nein, das habe ich allein zu verantworten“, bestätigte Sarah.

Grant schüttelte den Kopf.

„Ich verstehe das nicht. Sie hätten ihr das aber verbieten müssen, Anthony.“

Der Captain hob abwehrend die Hände.

„Sie kennen sie doch besser als ich. Sie sollten eigentlich wissen, dass das zwecklos wäre.“

„Soll das heißen, Sie haben Ihre Abteilung nicht mehr im Griff? Wir können sie doch nicht so gehen lassen. Der Rock ist auch viel zu kurz für meinen Geschmack“, empörte sich der Chief.

„Captain? Chief? Entschuldigung!“, unterbrach Sarah den Disput der beiden Männer, die sie jetzt überrascht anschauten.

„Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass ich nachher noch ein Vorstellungsgespräch habe“, sagte sie mit Nachdruck. „Und bei allem Respekt, Chief“, wandte sie sich an Edward Grant, „was meine Kleidung betrifft, darüber kann ich schon gut allein entscheiden, es geht hier nicht um meinen ersten Schultag.“

Chief Grant atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen. In dem Blick, den Captain Mancini ihr jetzt zuwarf, war durchaus so etwas wie Respekt zu erkennen.

„Richtig Sarah, kommen wir zu dem, warum wir hier sind“, gab Grant ihr recht.

Captain Mancini nickte zustimmend und zeigte vor sich auf den Schreibtisch.

„Hier sind Ihre Papiere und das Handy. Die GPS-Ortung funktioniert auch, wenn es ausgeschaltet ist, damit wir Sie nicht so schnell aus den Augen verlieren. Merken Sie sich, die Nummer, mit der Sie mich direkt erreichen, ist auf Schnellwahl Drei einprogrammiert unter dem Namen Reinigung. Eins und Zwei sind ein Pizzaservice und ein chinesischer Lieferservice, nur für den Fall, dass jemand neugierig wird.“

„Okay“, entgegnete Sarah, betrachtete neugierig den Führerschein, die Kreditkarte und die Sozialversicherungskarte, die auf den Namen Sarah Porter ausgestellt waren und steckte dann alles ein.

„Falls Sie den Job bekommen, kann es sein, dass Sie auch noch einen Reisepass brauchen werden. Graham hat seine Assistentin öfter mit auf Geschäftsreisen genommen. Aber hoffen wir mal, dass es soweit nicht kommen wird“, erklärte Mancini.

„Ganz sicher nicht, das wäre nicht zu verantworten“, warf Chief Grant ein.

„Abwarten“, meinte Sarah schulterzuckend und steckte auch das Handy in ihre Handtasche.

„Was ist mit einer Waffe?“, fragte der Captain.

Sarah schüttelte den Kopf.

„Nicht jetzt. Ich denke nicht, dass ich heute eine brauchen werde. Außerdem will ich nicht, dass jemand eine Pistole in meiner Tasche sieht.“

„Das gefällt mir alles ganz und gar nicht“, murmelte Chief Grant. „Dann geben wir dir aber ein kleines Mikrofon mit.“

„Nein, bitte Chief“, lehnte sie lächelnd ab. „Ich habe Ihnen versprochen, dass ich vorsichtig sein werde. Bitte vertrauen Sie mir.“

Edward Grant seufzte und nickte schließlich.

„Also gut.“

Sarah schaute auf die Uhr.

„Ich denke, es wird Zeit.“

„Gut“, erwiderte Captain Mancini. „Ich erwarte, dass Sie sich unverzüglich melden, wenn das Bewerbungsgespräch beendet ist – oder wenn es Probleme geben sollte, verstanden?“

„Ja Sir.“

„Dann viel Glück und jetzt ab.“

Sie nickte und verließ das Büro. Edward Grants Gesichtsausdruck hatte ihr deutlich gezeigt, dass er alles andere als glücklich darüber war, sie ohne weitere Absicherung ziehen zu lassen. Aber sie wollte ihren Auftrag auf keinen Fall gefährden, bevor er richtig begonnen hatte.

Sarah verließ das Polizeigebäude, lief bis zur nächsten Straßenecke und stieg dort in ein Taxi, das sie zur Galerie von David Graham am Wilshire Boulevard brachte. Sie bezahlte den Taxifahrer, stieg aus und stand direkt vor einer der riesigen getönten Schaufensterscheiben, durch die man in das Innere der Galerie blicken konnte. Da sie noch eine halbe Stunde Zeit bis zu ihrem Termin hatte, überlegte Sarah, ob sie noch etwas warten sollte, beschloss dann aber doch hineinzugehen.

Direkt hinter der Eingangstür befand sich ein im Halbkreis geschwungener Empfangstresen, hinter dem eine junge Frau mit dunklen, schulterlangen Haaren saß und sie freundlich anlächelte, als sie zögernd eintrat.

„Kommen Sie ruhig herein, wir haben bereits geöffnet“, sprach sie Sarah an.

„Oh, ja, danke“, entgegnete diese. „Ich bin eigentlich hier wegen eines Bewerbungsgesprächs, aber ich bin etwas zu früh.“

„Ach so.“ Die Frau schaute in einen Kalender. „Miss Porter?“

„Ja“, bestätigte Sarah.

Die Frau stand auf.

„Ich bin Amanda. Herzlich willkommen.“

„Danke.“

„Sind das Ihre Bewerbungsunterlagen?“, fragte Amanda und zeigte auf den Umschlag in Sarahs Hand.

„Ja.“

„Die kann ich ja schon mal mitnehmen. Sie können sich ruhig noch ein wenig umschauen“, schlug sie vor.

„Sehr gern“, erwiderte Sarah, reichte ihr den Umschlag und begann, durch den Raum zu schlendern, während Amanda eine Treppe im hinteren Bereich der Galerie nach oben stieg.

Mit Interesse betrachtete Sarah die ausgestellten Exponate und versuchte damit, den Gedanken zu kontrollieren, dass sie in wenigen Minuten dem wahrscheinlichen Mörder ihres besten Freundes gegenüberstehen würde. Sie musste ruhig und stark bleiben. Wenn sie ehrlich war, hatte sie ein wenig Angst – nicht vor Graham, sondern davor, ihre Wut nicht beherrschen zu können, wenn sie diesem Monster begegnen würde - davor, eine schlechte Polizistin zu sein und somit nicht nur den Fall zu ruinieren, sondern auch sich selbst und ihre Kollegen und Vorgesetzten zu enttäuschen. Vielleicht hatte Edward Grant doch recht gehabt, als er gesagt hatte, sie sei zu sehr emotional in diesen Fall involviert. Nein! Das würde sie nicht zulassen. Sie würde beweisen, dass man ihr den Auftrag zu Recht anvertraut hatte.

„Miss Porter?“, wurde sie von Amandas Stimme aus ihren Gedanken gerissen.

„Ja?“

„Mister Graham erwartet Sie in seinem Büro. Die Treppe hoch und einfach geradeaus, bis zum Ende des Flures und durch das Büro.“

„Vielen Dank“, entgegnete Sarah, atmete tief durch und machte sich entschlossen auf den Weg zu David Graham.

Die Treppe führte sie hinauf in einen breiten Flur. Sie ging weiter und als sie das Ende des Korridors erreicht hatte, trat sie durch eine offene Tür ein großes Büro. Hier befand sich ein Schreibtisch auf der linken Seite, während zahlreiche Aktenschränke an der Wand rechts von ihr aufgestellt waren. Genau gegenüber erkannte sie eine weitere Tür, die nach Amandas Beschreibung direkt in Grahams Büro führen sollte. Ohne zu zögern klopfte Sarah dort an.

„Ja bitte!“, hörte sie leise und trat ein.

Das Büro war ein großer, heller Raum mit einem riesigen Fenster, vor dem ein moderner Schreibtisch stand. Sarah war ein wenig überrascht. Auch wenn sie wusste, dass es dieses Klischee in der Realität doch selten gab, hatte sie sich in ihren Gedankenspielen ihr Zusammentreffen anders ausgemalt. Sie hatte sich darin vorgestellt, dass Leute wie Graham in dunklen Hinterzimmern sitzen würden und mit ihren Gangsterkumpanen Poker spielten und Whisky in sich hinein schütteten. Stattdessen saß David Graham allein hinter seinem Schreibtisch und blickte in ihre Bewerbungsunterlagen. Er trug weder Jacke, noch Krawatte, sondern nur ein dunkles Hemd und Sarah musste feststellen, dass er noch viel attraktiver war als auf den Fotos, die sie bisher gesehen hatte.

„Guten Tag, Mister Graham“, grüßte sie ihn.

„Guten Tag, Miss …“ Er las offensichtlich noch den Satz zu Ende und klappte dann den Ordner zu.

Seine Stimme klang gelangweilt, so als ob es nur eine lästige Pflicht sein würde, sie zu empfangen.

„Porter“, beendete er die Begrüßung und blickte zu ihr auf.

Sarah bemerkte, wie dunkel seine Augen waren und dass sich seine Miene schlagartig aufhellte, als er sie erblickte. Sogar ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. Er stand auf, ging um den Schreibtisch herum und streckte ihr die Hand entgegen.

„Herzlich willkommen!“

Sarah konnte seine Augen jetzt noch deutlicher sehen und spürte, wie ein leichtes Zittern durch ihren Körper lief. Sie hatte das Gefühl, in zwei Magnete zu schauen, denen man nicht entkommen wollte, auch wenn man wusste, dass man darin unweigerlich in der Unendlichkeit versinken würde. Dieser Mann war sehr wahrscheinlich ein Mörder, ein Monster, aber wie konnte dann allein sein Blick so eine ungewöhnliche Anziehungskraft auf sie ausstrahlen?

Sie räusperte sich.

„Ähm, danke!“

Vorsichtig ergriff sie seine ausgestreckte Hand, um diese zu schütteln und verlor beinahe das Gleichgewicht, als die Berührung so etwas wie einen Stromschlag in ihren Nervenbahnen auslöste, der sich bis in ihren Bauch ausbreitete und sich dort in einem warmen Kribbeln auflöste.

„Bitte, setzen Sie sich doch!“, bot Graham ihr an.

Sarah war froh, auf dem Sessel vor dem Schreibtisch Platz nehmen zu können, da sie fürchtete, sich nach seiner Berührung nicht mehr auf ihre Beine verlassen zu können. Sie ertappte sich dabei, wie ihr Blick unwillkürlich von seinem Rücken hinunter auf seinen Hintern wanderte, als er wieder zurück auf die andere Seite des Tisches ging. Was war nur mit ihr los? Sie saß hier vor dem Mörder ihres besten Freundes und anstatt sich auf ihren Job zu konzentrieren, starrte sie ihm auf den Hintern – auch wenn es ein sehr süßer Hintern war.

„Oh Gott, nein!“, stöhnte sie bei diesem Gedanken entsetzt auf.

„Wie bitte?“, fragte Graham irritiert.

Sarah spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Hatte sie das wirklich laut gesagt?

„Nein, Entschuldigung, ein Irrtum. Ich dachte für einen Moment, ich habe vergessen, mein Auto abzuschließen. Aber das ist ja in der Werkstatt. Ich … Ich bin ein wenig nervös, tut mir leid.“

„Muss es nicht, das ist doch in dieser Situation normal“, entgegnete er lächelnd.

Sarah lächelte verlegen zurück.

’Na toll, verständnisvoll ist er auch noch. Kann er es mir nicht einfacher machen, ihn verabscheuen zu können?’

Graham wandte seinen Blick nicht für eine Sekunde von ihr ab.

„Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

„Nein, danke, sehr nett von Ihnen“, lehnte sie ab.

„Nun gut, dann würde ich sagen, fangen wir an.“

Er legte seine Hand auf ihre Bewerbungsunterlagen.

„Ich habe mir Ihren Lebenslauf bereits durchgelesen und ich kann Ihnen sagen, dass Ihre Qualifikationen und bisherigen Jobs durchaus dem entsprechen, was ich von meiner Assistentin erwarten würde.“

„Das freut mich, Mister Graham“, erwiderte Sarah erleichtert.

„Oh bitte, nennen Sie mich David. Wir reden uns hier alle mit Vornamen an. Daran sollten Sie sich schnell gewöhnen, falls Sie den Job bekommen sollten.“

„Ich werde es mir merken“, versprach sie. „Ich nehme an, Sie nennen mich dann Sarah?“

„Wenn Sie mir Ihren richtigen Namen nicht verheimlicht haben, wird das so sein“, antwortete er augenzwinkernd und ließ sie vor Schreck erstarren.

Hatte er etwas bemerkt? Wusste er mehr, als er sich anmerken ließ? War ihre Tarnung etwa schon aufgeflogen? Sie versuchte, in seinem Gesichtsausdruck zu lesen, aber alles, was sie erkennen konnte, war Freundlichkeit, Wohlwollen und auch so etwas wie Interesse. Sie beruhigte sich wieder ein wenig. Wahrscheinlich war sein Kommentar wirklich nur als kleiner Scherz gemeint gewesen.

„Sie haben mich erwischt. Ich heiße eigentlich Dorothy“, versuchte sie, die Situation auf humorvolle Art zu überspielen.

Graham musste lachen.

„Das würde ich Ihnen nicht antun. Da bleibe ich doch lieber bei Sarah. Der Name ist viel schöner und passt wunderbar zu Ihnen.“

Sie senkte bei seinem Kompliment verlegen den Blick.

„Wie wäre es, wenn Sie mir noch ein wenig von sich erzählen, damit ich besser beurteilen können, ob Sie gut in unsere kleine Familie hier in der Galerie passen würden“, schlug Graham vor.

Sie zuckte mit den Schultern.

„Was möchten Sie denn hören? Etwas über das Museum oder die kleine Galerie, in der ich zuletzt gearbeitet habe?“

„Nein, eher etwas über Sie selbst. Wie sind Sie zur Kunst gekommen? Was interessiert Sie? Was begeistert Sie?“

„Ich denke, mein Interesse an Kunst wurde durch meine Mutter geweckt. Sie hat mich schon als kleines Mädchen in Ausstellungen und Museen mitgenommen. Sie hat auch selbst gemalt und sogar ein paar Bilder verkauft. Ich denke schon, dass sie einen großen Einfluss auf mich hatte und mich auch darin bestärkt hat, Kunstgeschichte zu studieren.“

David Graham hörte interessiert zu.

„Und Ihr Vater?“

„Keine Ahnung, ich habe ihn nie kennengelernt.“

„Oh, das tut mir leid.“

„Muss es nicht. Ich habe ihn eigentlich auch nie vermisst. Ich kannte es nicht anders.“

„Verstehe. Aber Ihre Mutter war sicher stolz auf Sie, als Sie gleich nach dem Studium im Museum of Fine Arts arbeiten konnten?“

Sarah lächelte traurig.

„Das wäre sie sicher gewesen. Sie hat es nicht mehr miterlebt. Als ich noch auf dem College war, hatte sie einen Autounfall. Ein Betrunkener ist bei Rot über die Kreuzung gefahren und hat ihren Wagen von der Seite voll erwischt. Sie hatte keine Chance.“

„Bitte entschuldigen Sie, ich hatte keine Ahnung“, murmelte Graham leise und Sarah konnte es ihm ansehen, dass er es ernst meinte.

„Ist schon gut“, erwiderte sie und wischte sich unauffällig eine Träne weg. „Darf ich Sie auch etwas fragen? Über die Galerie und besonders über den Job als Ihre Assistentin?“

„Aber natürlich.“

„Was stellen Sie alles so aus?“

„Wir haben viele unterschiedliche Kunstwerke hier, besonders auch aus Asien und Süd- und Mittelamerika. Wir kaufen und verkaufen natürlich weltweit, aber wir stellen ebenfalls Leihgaben aus. Was wir nicht so oft hier haben, ist zeitgenössische Kunst.“

„Aha, verstehe. Und ist es nicht schwer, an klassische Kunstwerke zu kommen, gerade aus Asien und Mittelamerika?“

„Das stimmt, das ist nicht einfach, aber ich habe es mit viel Geduld und einigen Mühen geschafft, verlässliche Partner in diesen Ländern zu finden, die mir ihr Vertrauen schenken.“

„Das hört sich wirklich toll an“, erklärte sie und dachte: ’Ich bin ja gespannt, was das für saubere Partner sind, die jemandem wie ihm vertrauen.’

„Aber Sie sind sicher auch neugierig, was die Assistentinnenstelle angeht. Darum möchte ich Ihnen erst einmal die wichtigsten Eckpunkte nennen.“

„Das wäre nett.“

„Als meine Assistentin wären Sie für meinen Terminplan zuständig, sowie für die Organisation von Ausstellungen, für meine Unterlagen und Daten, außerdem für die Organisation von allen geschäftlichen Kontakten und gesellschaftlichen Events, also Abendessen mit Kunden, Partys und so weiter. Auch wenn es nicht oft vorkommt, aber Sie würden mich ebenfalls auf Geschäftsreisen begleiten. Es ist wichtig, dass ich jemanden mit ausgezeichnetem Sachverstand an meiner Seite habe, denn Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, gerade im Kunsthandel und vier geschulte Augen sehen immer mehr als nur zwei.“

„Ich verstehe“, erwiderte Sarah nur.

„Natürlich bringt das mit sich, dass Sie oft keine geregelte Arbeitszeit haben werden, da viele dieser Transaktionen am Abend oder auch am Wochenende stattfinden und das oft auch noch kurzfristig. Natürlich versuchen wir immer, so gut es geht, einen Ausgleich zu schaffen, was die Arbeitszeit betrifft, aber ich mache Ihnen nichts vor. Es gibt auch Zeiten, da ist meine Assistentin rund um die Uhr im Dienst.“

Sarah atmete hörbar ein.

„Ich halte es nur für fair, wenn ich Sie auch über die weniger angenehmen Seiten des Jobs bereits vorher aufkläre.“

„Oh ja, das ist sehr hilfreich“, bestätigte Sarah.

Graham nahm einen Stift und schrieb etwas auf einen kleinen Zettel, den er dann zu ihr über den Schreibtisch schob.

„Ich möchte Ihnen aber ebenfalls gleich mitteilen, was mir dieser Einsatz wert ist.“

Sarah nahm den Zettel, las die Zahl, die darauf stand und nickte dann.

„Ich denke, das ist ganz fair“, befand sie. „Und wird das Gehalt immer direkt am Anfang des Monats gezahlt?“

Graham lächelte.

„Jeden Montag, die Summe auf dem Zettel wäre ihr wöchentlicher Verdienst, nicht der monatliche.“

Ihre Augen wurden groß.

„Ernsthaft?“

Für dieses Gehalt musste sie mehrere Monate als Detective arbeiten.

„Ja, ernsthaft“, bestätigte er amüsiert. „Also, haben Sie immer noch Interesse?“

„Oh ja, absolut.“

„Gut. Wenn Sie möchten, kann ich Sie ja ein wenig herumführen und Ihnen ein paar Ausstellungsstücke zeigen“, bot Graham an.

„Sehr gern“, entgegnete sie begeistert.

Sie erhoben sich von ihren Sesseln und David Graham hielt ihr – ganz Gentleman - die Tür auf. Als Sarah für einen kurzen Moment seine Hand leicht auf ihrem Rücken spürte, hatte sie das Gefühl, ihr Atem würde stocken. Gleichzeitig breitete sich wieder ein warmes Kribbeln durch ihre Körpermitte aus. Zum Glück war es nur ein flüchtiger Moment und gleich darauf liefen sie nebeneinander den Flur entlang und die Treppe hinunter in die Ausstellungsräume.

„Was halten Sie hiervon?“, fragte Graham lächelnd, als sie vor einer Vitrine standen, in der eine rund zehn Zentimeter hohe Figur aufgestellt war, die grau-grün schimmerte und aus der ein Relief mit einer angsteinflößenden Fratze hervortrat.

Sarah beugte sich vor und betrachtete das Ausstellungsstück aufmerksam. Dann richtete sie sich wieder auf und schaute David Graham ungläubig an.

„Sagen Sie mir nicht, Sie haben die kaufen können? Soweit ich weiß, dürfen die nicht gehandelt werden.“

Ein zufriedenes Schmunzeln huschte über Grahams Gesicht.

„Dann wissen Sie, was das ist?“

Sarah nickte.

„Eine Götterfigur der Maya aus Jade. Ich würde sagen Frühklassik, gut 1500 Jahre alt.“

„Sehr gut“, war Graham beeindruckt. „Das stimmt.“

„Ich habe so eine schon einmal im Met in New York gesehen“, erklärte Sarah und schaute ihn wieder an. „Verraten Sie mir, wo Sie sie her haben?“

David Graham lachte.

„Sie könnten auch eine gute Polizistin abgeben. Sie scheinen ein Talent zu haben, Leute zu verhören.“

Sarah blieb für einen Moment das Herz stehen. Sie war offensichtlich zu sehr aus der Rolle gefallen.

„Oh nein, es tut mir leid, so war das nicht gemeint“, wiegelte sie schnell ab. „Ich bin nur so begeistert. Ich hätte nicht erwartet, so eine Statue außerhalb eines Museums zu sehen.“

„Sie müssen sich nicht entschuldigen. Mir gefällt, dass Sie kein Blatt vor den Mund nehmen“, versicherte er ihr. „Diese Statue steht eigentlich auch im Museum, aber ich habe es über meine Kontakte in Honduras geschafft, dass sie für drei Monate hier ausgestellt werden kann.“

„Unglaublich“, murmelte sie überrascht und betrachtete erneut die Figur, während Graham hingegen Sarah bewundernd beobachtete.

„Wollen wir dann weiter? Ich habe da noch etwas für Sie“, unterbrach er nach einigen Minuten die Stille.

Sarah nickte und folgte ihm in einen anderen Raum, wo sie vor einer großen Vase stehen blieben.

„Was meinen Sie dazu?“, wollte er wissen und zeigte auf das Gefäß.

Sarah beugte sich wieder vor und sah sich das Stück aufmerksam an.

„Ist das auch eine Leihgabe?“, fragte sie dann.

„Warum?“

„Weil es sich dann nicht wirklich lohnen würde, sie zurückzugeben.“

„Wie bitte?“

Sie richtete sich wieder auf und zuckte mit den Schultern.

„Das soll eine blau-weiße Mingvase sein, ist aber nur eine Kopie – und nicht einmal eine besonders gute.“

„Ach nein?“, tat Graham verwundert.

„Nein, hier ist deutlich zu sehen, dass die Vase erst nach dem Brennen bemalt wurde, während die echten Mingvasen immer in Unterglasurtechnik hergestellt wurden“, erläuterte sie.

David Graham musste schmunzeln.

„Dann sind Sie sich sicher, dass es eine Fälschung ist?“

Sarah nickte.

„Ja bin ich, und Sie wussten es auch. Habe ich den Test nun schon bestanden oder kommt da noch mehr?“

„Nein, Sie haben bestanden“, lachte er.

„Und wie geht es jetzt weiter?“

„Nun, normalerweise bekommen Sie innerhalb von zwei Tagen Bescheid, ob Ihre Bewerbung angenommen wurde, oder nicht.“

„Aber?“, fragte sie vorsichtig nach.

„Aber da übermorgen Samstag ist, machen wir es anders. Sie kommen am Montag wieder hier her, pünktlich um 9.30 Uhr. Dann haben wir noch eine halbe Stunde Zeit.“

„Was? Wofür?“

„Um den Vertrag zu unterschreiben und die wichtigsten Dinge zu klären, damit Sie auf die Minute genau um 10.00 Uhr Ihren neuen Job als meine Assistentin antreten können.“

Sarahs Augen wurden groß.

„Das heißt, ich habe den Job? Wirklich?“

Er nickte.

„Ja, herzlichen Glückwunsch. Ich denke, Sie werden gut zu uns passen.“

„Danke, vielen Dank!“, rief sie begeistert aus und hatte in diesem Moment vor echter Freude sogar vergessen, dass alles nur ein Undercover-Auftrag war.

David Graham sah sie erneut fasziniert an und lächelte über ihren Gefühlsausbruch.

„Nichts zu danken“, entgegnete er und schüttelte ihr die Hand, wobei ein erneuter Stromschlag sich unvermeidlich in Sarahs Nervenbahnen ausbreitete.

„Es tut mir sehr leid. Ich habe gleich noch einen wichtigen Termin. Ich hätte mich noch sehr gern weiter mit Ihnen unterhalten“, bedauerte er. „Aber ab Montag haben wir ja ausreichend Zeit dazu.“

Sie nickte zustimmend.

„Dann auf Wiedersehen, Sarah.“

„Auf Wiedersehen, Mister … Auf Wiedersehen, David“, verbesserte sie schnell. Er schmunzelte und schaute ihr hinterher, bis sie seinem Blick entschwunden war.

Tod am Lagerhaus

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