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Kapitel 4

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Als Sarah die Galerie verlassen hatte, ging sie über die Straße, direkt in das kleine Café. Sie setzte sich draußen unter einem Sonnenschirm an einen freien Tisch und bestellte sich einen Espresso. Sie musste jetzt unbedingt etwas Starkes trinken, um ihre Nerven wieder unter Kontrolle zu bekommen. Was genau war dort eigentlich in der Galerie passiert? Noch nie hatte jemand so eine Wirkung auf sie gehabt wie David Graham. Jeder Blick, jede noch so kleine Berührung von ihm hatten ihre Gefühle Achterbahn fahren lassen wie bei einem fünfzehnjährigen Schulmädchen.

Der Kellner brachte ihr den Espresso. Sarah bedankte sich, nippte vorsichtig daran und widmete sich weiter ihren Gedanken. Vielleicht lag es ja einfach nur daran, dass sie schon zu lange allein war. Sie hatte zwar Roger, aber das war keine wirkliche Beziehung. Sie gingen ein paarmal im Jahr zusammen aus, tranken etwas und verbrachten dann die Nacht miteinander. Es war nett, unkompliziert, bequem und erinnerte sie ab und zu daran, dass sie nicht nur Polizistin, sondern auch eine Frau war.

Aber das alles konnte nicht annähernd erklären, warum sie so extrem auf ihren Hauptverdächtigen reagiert hatte. Nur die Gedanken an seine dunklen Augen, sein feines Lächeln und die Muskeln, die sich durch den dunklen Stoff seines Hemdes abgezeichnet hatten, erzeugten gerade erneut eine größere Wärme in ihrem Bauch als der dampfend heiße Espresso. Sie musste ihre Empfindungen unbedingt bis Montag in den Griff bekommen. Was würden der Captain und gar Chief Grant davon halten, wenn sie davon erfuhren?

„Oh verdammt, ich sollte mich ja sofort beim Captain melden“, fiel ihr dabei ein.

Sie griff in ihre Handtasche, holte das Mobiltelefon heraus und wählte die Nummer, die unter dem Namen „Reinigung“ eingespeichert war. Nach dreimaligem Klingeln war die brummige Stimme von Mancini zu vernehmen.

„Joe's Reinigung, worum geht es?“

„Ich bin allein, wir können reden“, informierte sie ihn.

„Gott sei Dank“, murmelte der Captain erleichtert. „Es gibt schon viel zu viele Schauspieler in dieser Stadt. Also, ich höre.“

„Ich war in der Galerie und hatte das Vorstellungsgespräch bei Graham. Es lief alles rund. Ich habe den Job. Er hat sofort zugesagt.“

„Sie haben ihn? Und schon sicher?“

„Ja, am Montag fange ich an.“

„Gute Arbeit, Williams“, lobte er sie. „Was brauchen Sie noch alles bis dahin?“

„Nun ja, die Wohnung und ein Auto wäre ganz gut. Ich habe Graham erzählt, dass meines gerade in der Werkstatt ist. Ach ja und er hat, wie befürchtet, auch etwas von Geschäftsreisen erwähnt, also werde ich auch noch den Pass brauchen.“

„Okay, dann werde ich denen mal kräftig in den A … Ich meine, den Marsch blasen, damit Sie alles rechtzeitig bekommen. Was ist mit einer Waffe?“

„Ich habe meine Dienstwaffe. Vielleicht wäre noch eine kleine Pistole hilfreich, die sich gut verstecken lässt. Ach ja und etwas Geld … Ich muss mir etwas zum Anziehen kaufen, nur für den Anfang. Ich kann nicht mit Jeans und T-Shirt in einer Galerie arbeiten und ich habe kaum andere Sachen.“

„Na schön, aber nicht, dass Sie in Zukunft zu Fuß zum Tatort müssen, weil das Geld für einen neuen Dienstwagen in Ihrem Kleiderschrank hängt.“

Sarah musste lachen.

„Ganz sicher nicht, versprochen, Sir.“

„Noch was?“

„Nein, ich habe mich heute nur darauf konzentriert, den Job zu bekommen. Alle weiteren Ermittlungen beginne ich dann am Montag.“

„Das war richtig so. Passen Sie auf! Sie gehen um 15.00 Uhr zur Pazzo Pizzeria am Olympic Boulevard. Ich werde Officer Wilkins dort hin schicken. Er wird Ihnen die Wohnungsschlüssel, die Pistole und das Geld da lassen. Danach können Sie noch alles aus Ihrer eigenen Wohnung holen, was Sie brauchen. Alles andere bekommen Sie nächste Woche. Verstanden?“

„Alles klar, Sir.“

„Und sobald es Neuigkeiten gibt, melden Sie sich wieder. Ansonsten sprechen wir uns am Montag nach Ihrem ersten Arbeitstag.“

„Wird gemacht, Sir.“

Sie hörte ihn noch etwas Unverständliches brummen und dann hatte er auch schon wieder aufgelegt. Kopfschüttelnd steckte sie das Telefon ein und trank ihren Espresso aus. Sie hatte noch rund zwei Stunden Zeit, bis sie in der Pizzeria sein musste und beschloss, den Weg dorthin zu Fuß zurückzulegen. Vielleicht würde ihr die Bewegung dabei helfen, ihre Gefühle weiter zu entwirren.

Sarah gab dem Kellner einen Wink, bezahlte ihren Espresso und machte sich dann auf den Weg. Da die Pizzeria keine zwei Stunden Fußweg von dem Café entfernt war, lief Sarah einen Umweg und blieb unterwegs ab und zu vor einigen Schaufenstern stehen. So betrat sie erst wenige Minuten nach 15.00 Uhr die Pazzo Pizzeria und ließ ihren Blick über die zahlreichen Tische schweifen. In ihren Augen leuchtete es kurz auf, als sie Officer Wilkins entdeckte.

„Hallo“, grüßte sie ihn, als sie ihm gegenüber Platz nahm.

Der Mann lächelte.

„Hallo Detective Williams. Ich habe Sie fast nicht erkannt.“

„Das freut mich“, entgegnete Sarah schmunzelnd. „So sollte es ja auch sein. Und Sie haben etwas für mich?“

Er nickte und schob ihr eine Tüte zu, in der sie einen Karton erkennen konnte.

„Danke. Ist alles drin?“

Bevor Officer Wilkins antworten konnte, wurden sie von einem Kellner unterbrochen.

„Guten Tag, Signorina. Möchten Sie etwas bestellen?“

„Oh, ja“, erwiderte sie und stellte fest, dass sie tatsächlich ziemlich hungrig war. „Bringen Sie mir bitte eine Cola light und eine große Pizza mit Mozzarella und Sardellen. Ich habe seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.“

„Sehr gern, Signorina.“

Der Kellner verschwand eifrig in Richtung Küche und Sarah wandte sich wieder Officer Wilkins zu.

„Also, ist alles in dem Karton?“

„Ich weiß zwar nicht, was da drin ist, aber Captain Mancini sagte, es ist alles drin, was er mit Ihnen abgesprochen hat.“

„Sehr gut“, war sie zufrieden und sah, wie er unruhig auf seine Uhr schaute.

„Haben Sie noch einen anderen Auftrag?“

„Nein, es ist nur, ich hatte ja vorhin eigentlich Dienstschluss und ich sollte mit meiner Freundin gleich einkaufen gehen und …“

„Und dann sitzen Sie noch hier?“, unterbrach sie ihn grinsend.

„Na ja, ich kann Sie doch nicht einfach so … allein essen lassen.“

Sarah lachte.

„Oh keine Angst, das werde ich schon schaffen. Ich weiß nicht, ob es Ihrer Freundin gefallen würde, wenn Sie sie versetzen, um mir beim Essen zuzuschauen.“

„Sicher nicht“, murmelte er zerknirscht.

„Na also. Nun gehen Sie schon!“

Sie sah ihn gleich darauf zum Ausgang stürmen und schüttelte schmunzelnd den Kopf.

***

Nachdem sie gegessen hatte, ließ sich Sarah mit dem Taxi zu ihrer Wohnung fahren. Dort packte sie die Sachen ein, die sie mitnehmen wollte. Mir mehreren Koffern ging es anschließend weiter zu ihrer neuen Unterkunft, die für die Zeit ihres Auftrags ihr Zuhause sein würde. Das Apartment war ebenfalls recht klein, aber hell und freundlich. Sarah verbrachte den Abend damit, sich dort häuslich einzurichten. In dem Karton, den Officer Wilkins ihr gegeben hatte, lagen außer dem Wohnungsschlüssel noch eine kleine Pistole und verschiedene Holster, um die Waffe an den unterschiedlichsten Stellen des Körpers tragen zu können. Zu ihrer größten Überraschung fand sie auch noch 3.000 Dollar in bar in einem Umschlag und beschloss sofort, am Samstag einkaufen zu gehen.

Nach dem Abendessen machte sie es sich auf dem Sofa gemütlich und schaute Fernsehen, bis sie ins Bett ging. Zuerst machte sie die ungewohnte Umgebung dafür verantwortlich, dass sie nicht einschlafen konnte, aber immer wieder tauchten die dunklen Augen und das Lächeln von David Graham in ihren Gedanken auf und die Erinnerung an seine Berührungen ließen ihren Körper erzittern. Unruhig wälzte sie sich im Bett hin und her. Es war bereits weit nach Mitternacht, als sie endlich vom Schlaf übermannt wurde.

Am nächsten Morgen war Sarahs Laune alles andere als gut. Das lag nicht nur am Schlafmangel, sondern auch an der Erkenntnis, dass ihre verstörenden Träume von Benny durch neue ersetzt worden waren. In diesen fühlte sie sich sich offenbar von einem kaltblütigen Mörder und gerissenen Verbrecher angezogen. Sarah duschte lange, machte sich dann Frühstück und setzte sich an den Computer. Sie wollte den Tag nutzen, um ihre Kenntnisse der Kunstszene aufzufrischen.

Auch in der nächsten Nacht gelang es David Graham, sie sehr lange wach zu halten, ohne dass dieser dafür jedoch persönlich anwesend war. Sarah war mehr als erleichtert, als sie am Samstag die Wohnung verließ, um sich mit einem ausgiebigen Einkaufsbummel abzulenken.

Sie durchstreifte am Vormittag zahllose Boutiquen und Schuhgeschäfte und als ihre Füße zu schmerzen begannen, beschloss sie, den Nachmittag in einem Einkaufszentrum zu verbringen. Das Bündel mit den 3.000 Dollar schrumpfte unaufhaltsam zusammen und Sarah entschied irgendwann, dass sie erst einmal genug Sachen zum Anziehen für ihren neuen Job hatte. Gerade wollte sie sich wieder auf den Heimweg machen, als ihr Handy zu klingeln begann. Verwundert zog sie es aus der Tasche und nahm den Anruf entgegen.

„Hallo? Was gibt es denn, Sir?“, fragte sie.

„Sir? Das ist aber nicht mein Vorname.“

Sarah hatte das Gefühl, ihr Herz blieb für einen Moment stehen, als sie David Grahams Stimme erkannte. Sie hatte nicht auf das Display geschaut, da sie nicht erwartet hatte, von jemand anderem, als dem Captain angerufen zu werden.

„Oh, nein. Ich weiß, dass es nicht …“, stammelte sie. „Ich meinte natürlich David.“

Sie glaubte, ein leises, tiefes Kichern zu vernehmen.

„Schon besser“, bestätigte er. „Sie werden sich sicher fragen, warum ich Sie heute anrufe und ich hoffe, ich störe Sie nicht gerade bei etwas.“

„Nein, gar nicht. Und ja, ich frage mich tatsächlich, warum Sie heute anrufen. Es ist doch nichts mit meinem Job? Sie haben es sich doch nicht noch anders überlegt?“, erkundigte sie sich mit einem Anflug von Panik in der Stimme.

„Nein, nein, ganz im Gegenteil“, beruhigte er sie. „Ich stecke in einer Zwickmühle und möchte Sie um Hilfe bitten.“

„Mich? Wie kann ich Ihnen denn helfen?“

„Ich weiß, dass Ihr Job erst am Montag beginnt und Sie sind auch zu nichts verpflichtet, aber ein sehr wichtiger Geschäftspartner aus Mexiko, für den ich am nächsten Wochenende eine Party geben wollte, kommt überraschend früher nach Los Angeles. Das heißt, ich muss die Party bereits morgen Abend geben und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir dabei helfen könnten.“

Sarah schwieg einen Moment und konnte trotz des Lärms um sie herum ihr Herz laut pochen hören. Sie atmete tief durch, um ihre Aufregung zu unterdrücken.

„Ist das wieder einer Ihrer Tests?“

Graham lachte kurz, wurde dann jedoch wieder ernst.

„Ich wünschte, es wäre so“, hörte sie ihn seufzen.

„Ja, ich habe morgen noch nichts vor. Ich würde Ihnen gern helfen“, entgegnete sie spontan und wunderte sich gleich darauf über ihre schnelle Entscheidung.

„Wirklich?“, rief er erfreut aus. „Das ist ja wunderbar. Vielen Dank.“

Sarah musste über seine Begeisterung lächeln.

„Wie gesagt, ich mache es gern. Sie müssen mir nur mitteilen, was ich dort zu tun habe, was ich anziehen soll, wo die Party stattfindet, wann ich dort sein soll und …“

„Immer mit der Ruhe“, unterbrach er sie lachend. „Sie brauchen nicht in Panik zu verfallen. Hernando Gomez ist einer der größten Händler in Mexiko, wenn es um aztekische Kunst geht. Ich versuche schon sehr lange, einen Deal mit ihm abzuschließen, doch die Konkurrenz schläft nicht. Gomez mag aber keine trockenen Verhandlungen. Er liebt Partys, gutes Essen, Musik, Tanz, lockere Stimmung eben. Ich hoffe, wir können Ihn gemeinsam zu einer Zusammenarbeit gewinnen. Sie kennen sich doch mit aztekischer Kunst aus?“

„Ich denke schon“, erwiderte Sarah vorsichtig.

„Gut. Und was die anderen Dinge betrifft, es wird keine formale Veranstaltung. Ziehen Sie irgendetwas an, das man zu Partys halt trägt. Ich bin mir sicher, Sie finden etwas Passendes. Ist Ihr Auto immer noch in der Werkstatt?“

„Ähm ja.“

„Das macht nichts. Ich werde veranlassen, dass Sie um 17.00 Uhr abgeholt werden. Dann haben wir noch Zeit, uns zu besprechen, bevor Gomez eintrifft. Ach ja und Ihren Vertrag können wir auch gleich unterschreiben. Sie müssten mir nur noch sagen, wo Sie wohnen.“

„Oh ja, natürlich.“

Sie teilte ihm ihre Adresse mit.

„Sehr gut. Auch wenn ich mich wiederhole, ich bin Ihnen wirklich dankbar, Sarah.“

„Das ist doch nicht nötig“, wehrte sie ab. „Wo findet eigentlich die Party statt? In der Galerie?“

„Nein, in meinem Haus. In den Hollywood Hills.“

„Ach so“, versuchte sie, ihre Nervosität zu überspielen. „Ja, okay.“

„Dann bis morgen, Sarah.“

„Bis morgen, David“, entgegnete sie und legte auf.

Langsam steckte sie das Handy in ihre Handtasche.

„Oh Gott, oh Gott, was mache ich jetzt?“, murmelte sie. „Ich brauche unbedingt noch ein Kleid.“

***

Als sie am Abend voll bepackt mit Tüten und Kartons zurück in die Wohnung kam, beschloss Sarah, Captain Mancini anzurufen, um ihn über die neue Entwicklung zu informieren.

„Joe's Reinigung!“

„Ich bin es, Sir.“

„Williams, was ist los? Ich hoffe, es ist wichtig. Meine Frau möchte mit mir Glücksrad schauen.“

Sarah musste für einen Moment schmunzeln. Anscheinend hatte der Captain zu Hause einen anderen Vorgesetzten.

„Sir, ich hatte vorhin einen Anruf von Graham. Ich soll meinen Job bereits morgen Abend antreten. Er gibt eine Party für einen Mexikaner – in seinem Privathaus.“

„Das gefällt mir überhaupt nicht. Diese großen Grundstücke sind wie Festungen, da wären Sie auf sich allein gestellt und Sie kennen Graham noch nicht gut genug, um das Risiko einschätzen zu können. Was, wenn es eine Falle ist?“

„Das werden wir nie erfahren, wenn ich nicht hingehe und es herausfinde.“

„Sie wollen also dort ernsthaft hingehen?“

„Ja Captain, ich habe bereits zugesagt.“

„Sie sind der dickköpfigste, eigenwilligste Mensch, der mir je begegnet ist, wissen Sie das, Williams?“

„Danke Sir!“

„Das war kein Kompliment“, knurrte er.

„Ich werde vorsichtig sein, versprochen.“

„Das hilft auch nicht immer. Aber ich befehle Ihnen, eine Waffe mitzunehmen.“

„Das hatte ich sowieso vor, Sir. Die kleine Pistole lässt sich gut in der Handtasche verstecken.“

„Alles klar, aber wenn irgendwas sein sollte, versuchen Sie mich sofort zu kontaktieren, egal um welche Uhrzeit, verstanden?“

„Jawohl Sir!“

„Gut, noch was?“

„Nein Sir. Viel Spaß mit dem Glücksrad.“

„Werde ich ganz sicher haben. Ich verpasse dadurch ja auch nur das Footballspiel“, murrte er, bevor er auflegte.

Sarah musste unweigerlich über seine Bemerkung schmunzeln, als sie das Telefon weglegte.

Als der kleine Zeiger der Uhr am folgenden Nachmittag beinahe die Fünf erreicht hatte, steigerte sich die Aufregung bei Sarah nahezu ins Unermessliche. Sie hatte das neue Kleid angezogen, ihre Haare kunstvoll hochgesteckt und war gerade in die Schuhe geschlüpft, als es unten an der Haustür klingelte. Sie versuchte, ruhig zu bleiben, zog noch einmal ihren Lippenstift nach, griff dann nach ihrer Handtasche und verließ die Wohnung.

Als sie unten aus der Haustür trat, erstarrte sie für einen Moment, als sie das dunkle Mercedes-Coupé am Bordstein parken sah und davor stand niemand anderes als - David Graham.

Tod am Lagerhaus

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