Читать книгу Tod am Lagerhaus - M.H. Murray - Страница 8

Kapitel 5

Оглавление

Langsam ging Sarah auf Graham zu. Er stand einfach nur da und sah sie an. Sein Blick war so intensiv, dass ein wohliger Schauer über ihren Rücken lief.

„Hallo“, grüßte sie einfach, als sie Graham erreicht hatte.

„H … hallo“, erwiderte er stockend und betrachtete sie von oben bis unten.

Sie trug ein schwarzes, trägerloses und recht kurzes Cocktailkleid, das ihre schlanken, langen Beine gut zur Geltung brachte. Passend dazu verfehlten auch ihre Schuhe mit den acht Zentimeter hohen Absätzen ihre Wirkung offenbar nicht, denn David Graham konnte seinen Blick nicht von ihr losreißen.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie vorsichtig. „Bin ich unpassend gekleidet?“

Er schüttelte langsam den Kopf.

„Oh nein. Verzeihen Sie, wenn ich das so direkt sage, aber Sie sehen einfach umwerfend aus, Sarah.“

Sie lächelte verlegen und konnte nicht verhindern, dass ihre Wangen bei seinen Worten leicht erröteten.

„Sie hatten mir nicht gesagt, dass Sie mich auch mit übertriebenen Komplimenten bezahlen wollen.“

Er musste schmunzeln.

„Ich muss Sie enttäuschen. Das war weder eine Bezahlung, noch in irgendeiner Weise übertrieben.“

„Das freut mich“, erwiderte sie schüchtern und blickte in seine dunklen Augen. Erneut wurden sie von ihnen magisch angezogen und hatte das überwältigende Gefühl, wie in einem unendlich tiefen Strudel darin zu versinken.

„Denn ich kann das Kompliment durchaus zurückgeben“, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.

Auf David Grahams Gesicht erschien ein strahlendes Lächeln, das unmittelbar ein warmes Ziehen in Sarahs Körpermitte auslöste. Zum Glück öffnete er jetzt die Beifahrertür des Mercedes und ließ sie einsteigen. Er hielt dabei ihre Hand und sandte damit unwillkürlich neue Schockwellen durch ihre Nervenbahnen. Sie war erleichtert, als sie endlich sicher in ihrem Sitz angeschnallt war und er die Tür von außen schloss.

Während der gesamten Fahrt zu seinem Haus herrschte ein angespanntes Schweigen zwischen ihnen. Sarah blickte wie gebannt auf die Fahrbahn vor ihnen und spielte nervös mit ihren Fingern. Graham hingegen sah immer wieder kurz zu ihr herüber und es hatte den Anschein, dass er etwas sagen wollte, es sich im letzten Moment aber wieder anders überlegte.

Endlich fuhren sie durch ein großes Tor, einen gewundenen Weg entlang. Dieser wurde zuerst von dichten Sträuchern, später von einigen großen Palmen gesäumt. Sarah konnte erkennen, dass sie durch einen riesigen Garten fuhren, der beinahe die Ausmaße eines Parks besaß. David Graham hielt den Wagen kurz darauf vor dem Eingang eines großen Hauses an. Dieses Haus war im Stil einer mexikanischen Hazienda erbaut, mit den typischen Bögen und den roten Dachziegeln.

Sarah stieg aus dem Auto, nachdem Graham ihr die Tür geöffnet hatte und schaute sich staunend um.

„Gefällt es Ihnen?“, fragte Graham.

„Es ist wunderschön“, gestand sie lächelnd.

„Wenn Sie möchten, kann ich Sie ein bisschen herumführen. So viel Zeit haben wir noch“, bot er an.

„Sehr gern.“

Sie schlenderten gemeinsam um das Haus und Sarah blieb überwältigt stehen, als sie die Rückseite erreicht hatten. Eine große Terrasse schloss sich an das Gebäude an. Nicht weit davon entfernt leuchtete das Wasser eines riesigen Pools im tiefsten Blau und die Aussicht von hier oben über die Stadt war einfach atemberaubend.

„Wahnsinn“, murmelte sie beeindruckt. „Der Ausblick ist der wundervollste, den ich je gesehen habe.“

„Das kann ich gut verstehen“, entgegnete er. „Ich empfinde das auch immer wieder, wenn ich hier stehe – auch wenn ich heute hier etwas sehe, das noch wundervoller ist.“

„Ach ja? Sie machen mich neugierig, was das …“, erwiderte sie und geriet ins Stocken, als sie bemerkte, wie sein Blick gebannt auf ihr ruhte. Es wurde ihr jetzt bewusst, was - oder besser, wen er damit gemeint hatte. Sie räusperte sich verlegen.

„Wir sollten … Wir wollten doch noch etwas besprechen“, erinnerte sie ihn.

„Oh, ja, richtig“, stimmte er zu. „Lassen Sie uns dafür in das Arbeitszimmer gehen.“

Sie folgte ihm zurück zur anderen Seite des Hauses. Sarah ließ ihren Blick noch einmal über den Garten schweifen, während sie zum Eingang gingen. Sie liefen dabei vorbei an den Lieferwagen der Cateringfirma und des DJ's, die sich um das Essen und die Musik für die Party kümmerten. Sie betraten dann das Haus und Graham führte sie durch den Flur nach links und öffnete eine Tür, um sie eintreten zu lassen.

Sarah erkannte auf den ersten Blick, dass dieses Arbeitszimmer nicht im modernen Stil eingerichtet war wie sein Büro in der Galerie. Der schwere Schreibtisch, das Bücherregal, die Aktenschränke und auch die Ledersessel passten perfekt zum Ambiente des gesamten Hauses. Auf den zweiten Blick konnte sie auch erkennen, dass sich noch jemand im Arbeitszimmer befand.

Vor dem Aktenschrank stand ein großer Mann mit dunklem Haar, das an den Schläfen leicht ergraut war. Sie schätzte ihn auf Mitte bis Ende vierzig und bemerkte den forschenden, durchdringenden Blick, mit dem er sie musterte.

„Sarah, das ist John Henman, der Sicherheitschef der Galerie. Er sorgt seit vielen Jahren dafür, dass uns nichts abhanden kommt“, stellte Graham ihn vor. „Und das ist Sarah Porter, meine neue Assistentin.“

Die beiden schüttelten einander kurz die Hände.

„Angenehm.“

„Freut mich auch.“

„Also? Wie sieht es aus?“, erkundigte sich David Graham.

„Gomez kommt allein, seine Geschäftspartner mit ihren Frauen. Sie werden spätestens in einer halben Stunde hier sein. Mit dir und Sarah werden also neun Personen heute Abend hier sein. Außer den Caterern, dem DJ und mir natürlich“, berichtete John Henman.

„Sehr gut“, nickte Graham zufrieden.

„Ich werde dann jetzt nachsehen, ob mit der Vorbereitung alles glatt läuft.“

„Alles klar, tu das.“

Der Sicherheitschef verließ das Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich.

„Sie duzen sich?“, erkundigte sich Sarah.

„Ja, wir kannten uns bereits, bevor ich die Galerie eröffnet habe. Wir vertrauen uns.“

„Aha“, entgegnete sie kurz und fügte in Gedanken hinzu: ’Ich frage mich nur, worin die beiden sich so alles vertrauen.'

„Ich würde sagen, fangen wir mit den wichtigen Dingen an“, schlug Graham vor und zeigte auf die Papiere auf seinem Schreibtisch. „Da wäre zum Beispiel Ihr Arbeitsvertrag. Wenn Sie ihn bitte lesen und dann unterschreiben würden.“

Sarah nickte, nahm die Blätter und überflog sie aufmerksam, bevor sie sie wieder ablegte, einen Kugelschreiber nahm und ihre Unterschrift darunter setzte.

’Geschafft’, jubelte sie innerlich.

„Herzlichen Glückwunsch! Jetzt gehören Sie auch offiziell zu uns“, erklärte er zwinkernd, während sie ihr Exemplar des Vertrages in die Handtasche steckte.

„Oh ja, vielen Dank noch einmal.“

„Nichts zu danken“, wehrte er ab. „Dann kann ich Sie ja nun etwas mehr über Hernando Gomez ins Bild setzen. Sie sagten gestern, Sie kennen sich auch ein wenig mit aztekischer Kunst aus?“

„Ich denke schon“, erwiderte sie schulterzuckend.

„Und mit der Mythologie und Geschichte der Azteken allgemein?“

„Hm, etwas, warum?“

„Es geht darum, Hernando Gomez behauptet, er ist ein Nachfahre von Azteken. Ich habe keine Ahnung, inwieweit das stimmt, aber er legt sehr großen Wert darauf, dass ihr Andenken angemessen geachtet wird. Das ist auch der einzige Grund, warum er noch mit niemandem einen Vertrag abgeschlossen hat. Paul Carter – unser Hauptkonkurrent – wird ihm viel mehr Geld bieten, als ich es kann. Ganz sicher hat er ihm auch bereits mehr geboten. Aber Gomez weiß, dass Carter die Stücke an jeden verkaufen würde, der ihm am meisten bietet. Dabei ist es ihm egal, ob sie in einem Keller verschwinden oder das Gold sogar eingeschmolzen wird. Ich kann Gomez hingegen garantieren, dass alles in seriöse Hände gelangt.“

Sarahs linke Augenbraue wanderte unwillkürlich nach oben, als er den letzten Satz aussprach. Er war gut! Er klang wirklich überzeugend, das musste man ihm lassen. Kein Wunder, dass selbst das FBI nichts gegen ihn in der Hand hatte.

„Verstehe und ich soll Ihnen dabei helfen, ihn zu überzeugen, dass er sich mehr für die Kunst als für das Bankkonto entscheidet?“

Graham lächelte.

„Treffender hätte es man nicht ausdrücken können. Wie ich schon sagte, Gomez liebt die lockere Atmosphäre, feiert gern und vor allem redet er gern über sein Lieblingsthema, die Azteken - auch wenn es meist in einen Monolog ausartet, da niemand wirklich mitreden kann oder will.“

Er öffnete die oberste Schublade des Schreibtisches und zog eine Mappe hervor.

„Der vollständig aufgesetzte Vertrag“, erklärte er. „Seit acht Monaten ist er komplett fertig und wartet nur darauf, dass Gomez endlich seine Unterschrift darunter setzt.“

„Ich weiß nicht, ob ich daran etwas ändern kann“, sagte Sarah vorsichtig. „Aber ich werde natürlich mein Bestes geben, um Sie zu unterstützen.“

Es klopfte an der Tür und John Henmans Stimme war zu hören.

„David, die Gäste kommen bereits an.“

„Oh, so früh? Alles klar, wir sind schon unterwegs“, rief Graham zurück und bot Sarah seinen Arm an. „Auf in den Kampf!“

Vorsichtig, als ob sie Angst hatte, einen Stromschlag zu bekommen, legte sie ihre Hand auf seinen Arm und Graham führte sie hinaus. Als sie aus der Haustür traten, stiegen gerade sieben Personen aus zwei schwarzen Limousinen.

„Herzlich willkommen!“, begrüßte David Graham sie.

„Ah Señor David“, erwiderte einer der Männer laut, kam auf ihn zu geeilt und schüttelte ihm kräftig die Hand. „Wie schön, dass Sie so kurzfristig umdisponieren konnten.“

„Für Sie machen wir alles möglich, Hernando.“

Der Mexikaner lachte laut. Das schien er oft und gern zu tun, wie sich an den Fältchen in seinem Gesicht ablesen ließ. Hernando Gomez war Anfang fünfzig und untersetzt. Sarah schätzte, auch ohne Schuhe wäre sie immer noch ein wenig größer gewesen als er.

„Darf ich Ihnen Sarah Porter vorstellen, meine Assistentin“, lenkte Graham jetzt die Aufmerksamkeit auf sie.

Gomez schaute sie an und sein Lächeln wurde noch breiter.

„Oh Señor David, Sie sind ein glücklicher Mann. Sie haben die ganzen schönen Kunstwerke und nun auch noch so eine schöne Assistentin“, erklärte er.

Graham musste lachen.

„Damit haben Sie durchaus recht.“

Sarah, der die Situation etwas unangenehm war, schüttelte jetzt ebenfalls Hernando Gomez' Hand.

„Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Señor Gomez“, sagte sie.

„Aber nicht doch, Señorita Sarah“, winkte er ab. „Nennen Sie mich bitte Hernando.“

Sie nickte nur lächelnd als Antwort.

Anschließend begrüßten David Graham und sie auch noch die anderen Gäste, bevor sie alle zusammen in das Haus gingen. Sie betraten einen Salon, in dem bereits eine große Tafel eingedeckt war. Sarahs Blick fiel auf das Buffet, das keine kulinarischen Wünsche offen ließ, während der DJ für die musikalische Untermalung sorgte.

Nachdem alle Platz genommen hatten, erhob David Graham sein Weinglas.

„Auf einen schönen Abend!“

Auch alle anderen griffen zu ihren Gläsern, prosteten sich zu und tranken. Sarah nippte nur von dem Wein. Sie wollte keinerlei Risiko eingehen.

Während des Essens wurde angeregt Smalltalk gehalten. Sarah zog es dabei vor, sich nicht daran zu beteiligen, sondern nur zuzuhören und zu beobachten. Sie war bald davon überzeugt, dass Hernando Gomez zwar ein ziemlich redseliger und geselliger Mann zu sein schien, aber dabei durchaus eine offene und liebenswürdige Person war. Der Abend zog sich weiter mit angeregten Gesprächen dahin. So manches Glas Wein wurde geleert. Selbst Sarah war irgendwann bereits bei ihrem dritten Glas – trotz aller Zurückhaltung. Irgendwann schwenkten die Gesprächsthemen dann über in den Kunstbereich und es dauerte nicht lange, bis Hernando bei seinem Lieblingsthema war – den Azteken.

„Wissen Sie, David, am liebsten würde ich alle meine Kunstwerke in Mexiko behalten. Aber ich kann auch verstehen, dass die Menschen sie gern sehen wollen. Und nicht alle können dafür zu uns kommen.“

„Genau darum geht es mir ja auch“, bestätigte Graham.

„Das andere Problem ist, wir brauchen viel Geld, um das Erbe unserer Vorfahren zu erhalten - sehr viel Geld. So wie zum Beispiel Carter es mir bietet. Die Stätten der Azteken müssen gerettet werden, das ist mein Lebensziel. Wenn Sie sich nur einmal Teotihuacán ansehen würden. Wie viel Geld dort noch benötigt wird allein für die Konservierungsarbeiten an den großen Bauten der Azteken.“

„Wobei genau genommen die Azteken erst nach Teotihuacán kamen, als es bereits seit Jahrhunderten verlassen war.“

Alle Blicke waren nun auf Sarah gerichtet, die sich jetzt zum ersten Mal in das Gespräch eingemischt hatte. Gomez schien ihr aber nicht böse zu sein über ihren Einwurf, eher im Gegenteil.

„Da haben Sie natürlich recht, Señorita Sarah. Trotzdem haben die Azteken die Bauwerke verehrt, die Sonnenpyramide, die Mondpyramide und besonders den Tempel des Quetzalcoatl. Haben Sie von ihm gehört?“

Sarah lächelte.

„Die gefiederte Schlange? Natürlich. Sie wurde von vielen alten Völkern als Gott verehrt, auch von den Maya – unter dem Namen Kukulkan, richtig?“

„Genau, genau!“, rief Gomez aus und sprang vor Begeisterung fast von seinem Stuhl. Endlich hatte er jemanden gefunden, der ihm bei seinem Lieblingsthema nicht nur stumm und gelangweilt zuhörte. „Haben Sie auch schon von dem Phänomen der Kukulkan-Pyramide gehört?“

„Sie meinen die Pyramide in Chichen-Itza? Natürlich. Zweimal in jedem Jahr zur Tag- und Nachtgleiche erzeugen die Sonnenstrahlen in einem bestimmten Winkel Schatten an den Stufen. Diese Schatten reichen herunter bis zu den steinernen Schlangenköpfen und es sieht dann so aus, als ob die gefiederte Schlange vom Himmel herabsteigt.“

„Oh mein Gott, Sie wissen es! Sie wissen alles! David, ich bin verliebt in Ihre Assistentin“, verkündete er lachend.

Sarah musste ebenfalls lachen - aber nur, bis sie bemerkte, mit welcher Faszination David Graham sie ansah. Hastig tat sie etwas, das sie eigentlich den ganzen Abend vermeiden wollte - sie trank ihr Glas Wein in einem Zug aus. Zu ihrer Erleichterung beanspruchte Hernando Gomez nun wieder ihre gesamte Aufmerksamkeit, als er zu ihr sagte:

„Señorita Sarah, Sie würden mich zum glücklichsten Menschen des Abends machen, wenn Sie mir einen Tanz schenken würden.“

Obwohl das Tanzen nicht gerade zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehörte, konnte sie dem Mann seinen Wunsch einfach nicht abschlagen.

„Sehr gern“, entgegnete sie lächelnd und erhob sich.

Hernando Gomez war ebenfalls aufgestanden und führte sie auf die Tanzfläche. Hier zeigte sich schnell, dass er trotz seiner Figur ein sehr guter Tänzer war.

„Ich bin wirklich sehr beeindruckt“, sagte er. „Man findet selten jemanden, der sich auf diesem Gebiet so gut auskennt und dazu noch so schön ist, wie Sie.“

„Und man findet selten jemanden, der so gut tanzen und gleichzeitig schmeicheln kann wie Sie“, entgegnete sie schmunzelnd.

Gomez lachte aus vollem Hals und sie tanzten weiter.

„Ich bin mir sicher, die Kunstwerke wären bei Ihnen am besten aufgehoben“, fuhrt er fort und seufzte. „Wenn wir nur nicht immer das Geld bräuchten. Darüber zerbreche ich mir schon so lange den Kopf.“

„Aber irgendwann werden Sie sich entscheiden müssen.“

„Ich weiß, Señorita Sarah, ich weiß. Eigentlich bin ich nur hergekommen, um David zu sagen, dass es mir leid tut und dass ich Carters Angebot annehmen werde. Aber jetzt … bin ich mir wieder unsicher. Das ist Ihre Schuld, das wissen Sie.“

Sarah sah ihm direkt in die Augen.

„Sie müssen abwägen. Sind Sie bereit, viele Kunstwerke verschwinden oder sogar zerstören zu lassen, nur um einige andere zu retten? Oder wollen Sie lieber um das ganze Erbe Ihrer Vorfahren kämpfen?“

Sie legte ihre flache Hand auf seine Brust.

„Lassen Sie Ihren Kopf entscheiden oder Ihr Herz? Was war Ihren Vorfahren wichtiger, Hernando?“

Sein Blick wurde für einen Moment traurig und er nickte.

„Darüber sollte ich mir wohl klar werden.“

Sie tanzten, bis das Lied zu Ende war und setzten sich dann wieder zu den anderen. Gomez trank in Ruhe ein weiteres Glas Wein. Er blieb währenddessen auffallend still. Doch dann atmete er tief durch.

„David, ich möchte die wunderbare Stimmung nicht kaputt machen, aber ich denke, wir wissen beide, dass wir etwas zu besprechen haben. Und ich habe mich bereits den ganzen Abend davor gedrückt.“

Graham sah ihn gespannt an und nickte.

„Ich weiß, Sie warten schon sehr lange auf eine Entscheidung wegen des Vertrages“, fuhr Gomez fort. „Und es wäre nicht fair von mir, Sie länger darauf warten zu lassen.“

Sarah trank hastig einen Schluck Wein. Das hörte sich nicht sehr vielversprechend an.

„Das freut mich, dass Sie das so sehen“, erwiderte David Graham vorsichtig.

„Ich bin heute eigentlich hergekommen, weil ich Ihnen sagen wollte, dass ich das Angebot von Carter annehmen werde.“

„Ach so, verstehe“, murmelte Graham, sichtlich enttäuscht.

„Moment, ich bin noch nicht fertig.“

Gomez schaute kurz zu Sarah.

„Allerdings habe ich heute Abend einen Menschen getroffen – der mir die Augen geöffnet hat. Sie hat mich daran erinnert, welche zentrale Bedeutung das Herz für meine Vorfahren hatte, nicht nur in ihrer Religion.“ Er lächelte. „Danke Señorita Sarah.“

Als alle Blick auf sie gerichtet waren, bemerkte sie, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie trank schnell einen Schluck Wein, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

„David, ich werde den Vertrag mit Ihnen unterzeichnen. Sofort, wenn Sie möchten“, erklärte Gomez.

„Wirklich?“, fragte Graham ungläubig.

„Ja! Haben Sie ihn hier?“

„Moment, ich hole ihn gleich.“

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, war er auch schon aufgesprungen und davon geeilt. Keine zwei Minuten später kehrte er mit den Papieren zurück. Hernando Gomez las sie sich durch und setzte dann seine Unterschrift darunter.

„Herzlichen Glückwunsch.“

„Danke“, erwiderte David Graham erleichtert. „Lassen Sie uns darauf anstoßen!“

Natürlich hatte niemand gegen diesen Vorschlag etwas einzuwenden und alle erhoben gut gelaunt ihre Gläser und tranken. Der Abend schritt unaufhaltsam weiter voran und die Stimmung wurde immer ausgelassener.

„Wissen Sie, David“, sagte Gomez irgendwann. „Sie könnten ja wenigstens einmal mit Señorita Sarah tanzen. Immerhin haben Sie ihr den Vertrag zu verdanken.“

David und Sarah schauten sich einen Moment an.

„Ach, das ist doch nicht nötig“, murmelte Sarah abwehrend und David Graham zuckte entschuldigend mit den Schultern.

„Ich will Sarah zu nichts drängen.“

„Keine Widerrede! Nun machen Sie schon oder ich zerreiße den Vertrag wieder“, drohte Gomez, sichtlich amüsiert.

„Also gut“, gab Graham schließlich nach.

Er stand auf und streckte Sarah die Hand entgegen.

„Würden Sie mir diesen Tanz schenken?“, fragte er lächelnd.

Ohne zu ihm aufzusehen, entgegnete sie leise:

„Gern.“

Denn ergriff seine Hand und erhob sich nun ebenfalls. Sofort spürte sie wieder ein Kribbeln in ihrem Bauch, das allein durch die Berührung seiner Hand ausgelöst wurde. Sie gingen auf die Tanzfläche und er behielt ihre Hand in seiner, als sie sich gegenüberstanden. Sarah legte ihre andere Hand auf seine Schulter, während sie spürte, wie er sanft ihren Rücken berührte. Sie begannen zu tanzen. Ihre Blicke trafen sich und blieben aneinander hängen wie zwei Magnete. Sarah versank vollkommen und widerstandslos in seinen dunklen Augen wie in einer unendlichen Tiefe. Seine Nähe raubte ihr alle Sinne. Sie wusste nicht, wie lange sie bereits tanzten, denn es existierte keine Zeit, keine Welt mehr um sie herum - nur noch Grahams Augen und die leichten Berührungen seiner Hände.

Als der Tanz irgendwann zu Ende war, standen sie sich, eine scheinbare Ewigkeit lang, wie gebannt gegenüber, ohne ihre Blicke voneinander losreißen zu können. Erst als Hernando Gomez zu klatschen begann, wurden sie aus ihrer Trance gerissen und Graham führte Sarah zurück an den Tisch.

Sie wusste nicht, was dort auf der Tanzfläche mit ihr geschehen war. Sie wusste nur, dass sie sich noch nie in ihrem Leben so gut gefühlt hatte. Es war beinahe so etwas wie Magie gewesen - übernatürlich. Schnell trank sie einen weiteren Schluck Wein und versuchte, sich wieder auf die Unterhaltung zu konzentrieren.

Als die Gäste endlich aufbrachen, war es bereits nach zwei Uhr in der Nacht. Hernando Gomez verabschiedete sich besonders herzlich von Sarah und versprach, bald wieder einmal nach Los Angeles zu kommen.

„So“, meinte David Graham, als die Limousinen weggefahren waren. „Die Party ist überstanden.“

„Ja“, pflichtete Sarah ihm bei, während beide wieder in das Haus zurück gingen, wo der DJ und die Caterer mit dem Aufräumen beschäftigt waren – unter strenger Aufsicht von John Henman.

„Sarah, Sie waren fantastisch heute Abend.“

Sie schaute David Graham zuerst geschockt an, bis ihr einfiel, dass er gar nicht ihren Tanz gemeint hatte.

„Oh, danke, aber ich habe doch nur versucht, meinen Job zu tun.“

„Und bei diesem Versuch haben Sie an Ihrem ersten Tag etwas geschafft, das ich in acht Monaten nicht erreicht habe. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, Sarah.“

Sie lächelte verlegen und schaute auf die Uhr.

„Ich bin mir sicher, dass es nicht allein mein Verdienst war. Aber ich denke, ich sollte jetzt nach Hause fahren. Würden Sie mir bitte ein Taxi rufen?“

Graham runzelte die Stirn.

„Es ist gleich halb drei. Ich kann Sie doch jetzt nicht noch eine Stunde durch die Stadt fahren lassen. Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag. Sie übernachten hier.“

Sarahs Augen wurden groß.

„Hier?“

Er nickte.

„Ja, Sie können in einem der Gästezimmer schlafen. Morgen früh fahren Sie dann nach Hause. Natürlich müssen Sie nicht um 10 Uhr in der Galerie sein, sondern erst am Nachmittag.“

Sarah überlegte. Eigentlich war sie wirklich müde und so würde sie eine ganze Stunde mehr Schlaf bekommen. Außerdem klang Gästezimmer relativ sicher.

„Also gut, dann nehme ich Ihr Angebot gern an“, willigte sie schließlich ein.

„Sehr gut“, freute er sich. „Ich zeige Ihnen gleich das Zimmer.“

Sie folgte ihm den Flur entlang, dann durch die Küche bis in den anderen Flügel des Gebäudes. Hier führte er sie in eines der Gästezimmer, das ebenfalls im gleichen mexikanischen Stil wie der Rest des Hauses eingerichtet war.

„Das Badezimmer ist gleich nebenan“, erklärte er ihr. „Dort in der Kommode finden Sie auch noch einige Sachen. Sie können sich etwas aussuchen, wenn Sie möchten. Und wenn Sie sonst noch etwas brauchen sollten …“

„Vielen Dank“, erwiderte sie. „Ich denke, ich habe alles.“

„Okay, dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.“

„Ich Ihnen auch.“

Sarah wartete, bis er hinaus gegangen war und schloss dann die Tür ab, bevor sie in das Badezimmer ging, sich auszog und kurz duschte. Zurück im Gästezimmer schaute sie in die Kommode und fand ein großes T-Shirt, das sie sich überzog, bevor sie ins Bett schlüpfte und das Licht löschte. Sie war wirklich sehr müde, aber trotzdem ließ sie die Erinnerung an den Tanz mit David Graham nicht so schnell los. So ein Übermaß an Glücksgefühlen wie in diesen Minuten hatte sie noch nie gespürt, davon war sie überzeugt. Sie wusste jedoch nicht, was die Ursache dafür war. Allerdings würde sie es in dieser Nacht nicht mehr herausfinden, denn sie wurde jetzt doch vom Schlaf übermannt.

***

David Graham ging vom Gästezimmer zurück in den Salon, in dem sich nur noch John Henman aufhielt.

„Wie sieht es aus?“, erkundigte er sich.

„Alle weg“, berichtete John.

„Gut, endlich Feierabend. Aber der Abend hat sich wirklich gelohnt.“

„Ja“, stimmte John ihm zu. „Deine neue Assistentin hat Gomez geknackt.“

Graham nickte.

„Sie ist verdammt gut. Hast du schon etwas herausgefunden?“

„Nein, ich habe bisher nur die Standardchecks machen können, da gab es keine Auffälligkeiten“, berichtete Henman. „Der Lebenslauf und die Zeugnisse von Sarah Porter sind offensichtlich stimmig. Natürlich werde ich noch weiter graben. Wir können kein Risiko eingehen.“

Erneut nickte Graham.

„Noch so ein Fiasko wie in den letzten Wochen können wir uns nicht leisten. Aber es freut mich, dass Miss Porter anscheinend eine weiße Weste hat. Hoffen wir, es bleibt auch so.“

John Henman zuckte mit den Schultern.

„Ja, es wäre sicher bedauerlich, wenn wir uns auf die gleiche Weise von ihr trennen müssten, wie von ihrer Vorgängerin.“

David Grahams Miene verfinsterte sich und sein Blick wurde für einen Moment hart, bevor er leise seufzte.

„Oh ja. Es wäre mehr als bedauerlich.“

Tod am Lagerhaus

Подняться наверх