Читать книгу Tod zum Viehscheid - Mia C. Brunner - Страница 14
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ОглавлениеDas Reihenhaus am Ende der Sackgasse war ein typischer 70er-Jahre-Bau, wirkte aber durch die erst kürzlich ausgetauschten Fenster und die neu gestrichene Fassade gepflegt und einladend. Im Vorgarten blühten zahlreiche Stauden. Die niedrige Buchsbaumhecke war frisch geschnitten und begrenzte das Beet zum Fußweg. Dieser Steinplattenweg führte zum Haus. Er war zwar alt und ausgetreten, doch sauber und kaum mit Moos und Flechten bewachsen.
»Es ist schön, dass ihr gekommen seid«, begrüßte Thomas Glasinger seinen Besuch an der Eingangstür. Der Oberwachtmeister sah in Zivil mit Jeans und T-Shirt bekleidet viel jünger aus als in Polizeiuniform. »Kommt rein.«
»Vielen Dank für die Einladung. Ich weiß, wir sollten nichts mitbringen, aber vielleicht magst du ein gutes Glas Wein«, sagte Jessica und reichte ihrem Kollegen die in buntes Geschenkpapier verpackte Flasche. »Man bekommt nicht jeden Tag so eine Auszeichnung verliehen. Gratuliere!« Sie umarmte den Polizisten und trat ins Haus. »Ist Sylvia im Wohnzimmer?«
»Nein, sie ist heute leider nicht da.« Thomas Glasinger legte seinen Arm um Florian und klopfte ihm kumpelhaft auf den Rücken. »Herein mit dir. Schön, dass du da bist. Du kannst mir gleich beim Grillen helfen. Ein paar Kollegen haben erzählt, deine Grillfeste seien legendär.«
Florian lachte. »Na ja, wenn man sich schon nicht mit seinen Taten als Polizist rühmen kann wie du, dann muss man sich auf andere Art einen Namen machen.«
»Ausgerechnet heute ist Sylvia nicht da. Wie schade. Ich habe mich sehr auf sie gefreut.« Jessica sah enttäuscht aus.
»Ja, leider. Sie musste ganz kurzfristig zu einer Fortbildung«, sagte Thomas und wirkte nervös. »Aber meine Mutter ist auf der Terrasse. Erinnerst du dich an meine Mutter? Sie hat schon nach dir gefragt. Ihr habt euch auf Sylvias Geburtstag im letzten Jahr so gut unterhalten.«
Jessica nickte. Sie hatte ein seltsames Gefühl. Warum konnte Thomas ihr kaum in die Augen sehen? Sie beschloss, jetzt nicht nachzuhaken, lächelte zaghaft und entschuldigte sich schließlich. »Dann werde ich deine Mutter mal begrüßen.«
Im Wohnzimmer traf Jessica auf ein paar weitere Kollegen und ihren Chef, Dienststellenleiter Götze.
»Frau Grothe, gut, dass Sie da sind. Ihre Unterschrift fehlt noch auf der Karte.« Götze versperrte ihr den Weg zur Terrassentür und wedelte mit einer bunten Klappkarte vor ihrem Gesicht. »Geld für das Geschenk habe ich bereits von Ihnen bekommen.«
»Was haben Sie denn von dem gesammelten Geld gekauft?«, wollte Jessica wissen, nahm den Kugelschreiber entgegen, den ein Kollege ihr reichte, und unterschrieb. Neben ihrer Unterschrift zählte sie mindestens 20 weitere. »Ist es der Gasgrill geworden?«
»Nein«, sagte Götze. »Er hat schon einen. Gut, dass ich nachgefragt habe. Er bekommt einen Baumarkt-Gutschein. Den kann man immer gebrauchen.«
»Aha.« Jessica wusste nicht, was sie anderes sagen könnte. Ein Baumarkt-Gutschein war nicht originell, aber praktisch, da hatte Götze recht.
Florian tauchte neben ihr auf und legte den Arm um ihre Schultern. »Sollte ich jemals eine Auszeichnung von Ihnen bekommen, Herr Götze«, sagte er lachend, »hätte ich gern einen eigenen Dienstwagen oder eine persönliche Sekretärin. Nur für das Tippen der Berichte natürlich«, fügte er schnell hinzu und gab Jessica einen Kuss auf die Stirn.
Sein Vorgesetzter lachte. »Aus welchem Grund sollte ich ausgerechnet Ihnen eine Auszeichnung verleihen? Obwohl ich zugeben muss, dass eine Sekretärin vermutlich sogar eine gute Investition wäre bei Ihren hundsmiserablen Berichten.«
»Machen Sie mir eine Freude und stoßen mit mir an?« Die alte Frau Glasinger hielt Jessica einen edlen Weinkelch mit Goldrand entgegen und nahm ungebeten auf dem freien Stuhl neben ihr Platz. »Ich freue mich so für Thomas. Diese Auszeichnung hätte seinen Vater unheimlich stolz gemacht – Gott hab ihn selig!«
»Er hat es wirklich verdient, Anerkennung zu bekommen. Er hat hart für seinen Erfolg gearbeitet«, erwiderte Jessica, griff nach dem Kelch und prostete der Mutter ihres Kollegen zu. »Auf Thomas!« Sie nippte vorsichtig an dem Rotwein und platzierte das Glas auf dem Tisch neben ihrem Teller. »Das Essen war ganz ausgezeichnet. Haben Sie den Kartoffelsalat gemacht?«
Frau Glasinger schüttelte lachend den Kopf. »Den hat mein Thomas gemacht. Er ist neben all seinen vielen Talenten auch ein ausgezeichneter Koch.«
»Da hat Sylvia mit der Wahl ihres Ehemannes alles richtig gemacht.« Jessica stimmte in das Lachen ein, bis sie bemerkte, dass sich die Miene ihrer Gesprächspartnerin verfinsterte.
»Ja«, sagte Frau Glasinger ernst. »Nur schade, dass sie am Ehrentag ihres Mannes den Kurzurlaub mit ihrer besten Freundin nicht abgesagt hat. Er hätte sich sicher gefreut, wenn auch sie ihm die Anerkennung zukommen lassen würde, die ihm zusteht.«
»Ich dachte, Sylvia sei auf einer Fortbildung?«
»Hat Thomas das erzählt? Der arme Junge. In seiner Ehe kriselt es gerade. Umso wichtiger ist es, dass beruflich alles gut läuft, hab ich recht?« Sie prostete Jessica erneut zu und leerte ihr Glas in einem Zug.
*
»Das war wirklich ein netter Abend«, rief Florian laut, zog sein T-Shirt aus und warf es achtlos auf den Holzstuhl, der in der Zimmerecke stand. »Aber jetzt mal ehrlich. Da bekommt der Glasinger eine Auszeichnung für seine sogenannte Einbruchspräventionsaktion und ich nicht einmal ein freundliches Schulterklopfen. Immerhin kläre ich Morde auf und stehe nicht an einem Infostand, quatsche den ganzen Tag Passanten an und verkaufe Sicherheitssysteme.«
»Är vakaft nöfts«, nuschelte Jessica mit der Zahnbürste und jeder Menge Schaum im Mund. Sie kam aus dem Badezimmer herübergelaufen und blieb in der Schlafzimmertür stehen. »Är barät. Du bichd doch nua neidich.«
»Ich verstehe kein einziges Wort«, lachte Florian. »Ich hätte eben auch gern mal eine Urkunde für gute Leistungen. Und eine Sekretärin!«
Jessica drehte sich um und ging zurück ins Bad. Er hörte Wasser ins Waschbecken laufen.
»Zugegebenermaßen sind die Zahlen, die Götze in seiner Rede vorgetragen hat, wirklich beeindruckend. Thomas’ Arbeit hat tatsächlich Auswirkungen auf die Einbruchsstatistiken im gesamten Allgäu. Nach nur zwei Jahren eine derartige Verbesserung vorzuweisen, ist durchaus lobenswert.« Florian seufzte theatralisch. »Da werde ich mich wohl noch mehr anstrengen müssen.«
»Beruflich oder privat?« Jessica kam zurück ins Schlafzimmer und entkleidete sich ebenfalls.
»Beruflich natürlich.« Er sah sie durchdringend an. »Privat läuft doch alles super.« Da sie nicht reagierte, hakte er verunsichert nach. »Oder?«
»Hast du gewusst, dass Thomas seiner Sylvia vor zwei Jahren einen ganz romantischen Heiratsantrag gemacht hat?« Jessica wirkte abwesend, als würde sie die Worte mehr zur Bestätigung ihrer eigenen Gedanken laut aussprechen. »Er hat sich damals überwunden und ist mit ihr zum Fallschirmspringen gegangen. Du weißt, wie sehr Sylvia dieses Hobby liebt. Für Thomas ist das eigentlich gar nichts.«
»Du findest einen Heiratsantrag während eines Fallschirmsprungs romantisch?«
»Die beiden sind eigentlich ein absolutes Traumpaar.« Sie ignorierte seine Worte und sinnierte weiter: »Was da wohl passiert ist, dass die Ehe jetzt auf der Kippe steht?«
»Wärst du bitte so freundlich, mir meine Frage zu beantworten?« Florian ging um das Bett herum und blieb direkt vor Jessica stehen.
»Entschuldige bitte. Was hast du gefragt? Ich habe nicht zugehört.«
»Rein aus Neugier – nicht, dass ich etwas geplant hätte«, begann er und räusperte sich. »Müsste ein Heiratsantrag für dich … ähm … abenteuerlich oder gefährlich sein wie zum Beispiel Fallschirmspringen?«
Jessica zögerte, setzte sich aufs Bett und zog ihre Socken aus. Florian konnte nicht ergründen, ob sie nachdachte, irritiert war oder angestrengt versuchte, nicht laut zu lachen.
»So ein Quatsch«, sagte sie nach einer Weile, ohne ihn anzusehen. »Aber da ich noch nie den Wunsch verspürt habe, zu heiraten, kann ich diese Frage nicht adäquat beantworten. Wie du vorhin gesagt hast: Es läuft super zwischen uns. Daran sollten wir nichts ändern.«
*
»Das hast du wirklich gesagt?« Paula war entsetzt und beeindruckt zugleich. »Danach war der Abend sicher gelaufen.« Nach vielen Monaten Therapie und einem sechswöchigen Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung war Jessicas beste Freundin Paula zwar noch nicht ganz die Alte, aber immerhin konnte sie endlich wieder unter Leute gehen. Die Dinge, die sie erlebt hatte, die Todesängste, die sie ausgestanden hatte, waren alles andere als leicht zu verarbeiten. Sie war über einen Monat Gefangene eines Serienmörders und Psychopathen gewesen. Seit ein paar Wochen trafen Paula und Jessica sich regelmäßig in einer gemütlichen Gastwirtschaft. Ein kleiner Erfolg auf dem langen Weg der Genesung, der noch vor Paula lag.
Jessica grinste.
Paula schüttelte lachend den Kopf. »Du willst nicht ernsthaft behaupten, dass nach deiner rüden Abfuhr noch etwas lief? Ich weiß, du redest nicht gern über Sex, aber wie …« Paula griff nach den Händen ihrer Freundin, kam mit ihrem Gesicht Jessicas ganz nah und sah sie eindringlich an. »Wie hast du ihn … überzeugt?«, flüsterte sie ehrfurchtsvoll.
Jessicas Grinsen wurde immer breiter. »Er ist nach meinem Satz mit hängenden Schultern zurück auf seine Bettseite geschlurft und hat sich wortlos hingelegt.«
»Und?«
»Ich habe einen Zettel aus meiner Nachttischschublade geholt, habe ›Urkunde‹ und noch ein bisschen was draufgeschrieben und ihm den Zettel gegeben. Er wollte doch unbedingt eine haben.«
»Okay. Und dann?«
»Dann habe ich ihm den Zettel wieder weggenommen.«
Paula seufzte. »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«
»Auf dem Zettel stand: ›Urkunde für Florian, den besten Liebhaber des gesamten Allgäus‹. Ich habe ihm gesagt, wenn er diese Auszeichnung will, muss er mich überzeugen, dass er sie verdient hat.«
Paula brach in schallendes Gelächter aus. »Herrje, von dir kann sogar ich noch etwas lernen. Und ich dachte immer, du willst ihn auch heiraten.«
»Klar will ich«, sagte Jessica zur Verwunderung ihrer Freundin Paula. »Florian versucht schon seit Wochen, mir einen Antrag zu machen. Aus meiner Sicht war eigentlich klar, dass wir heiraten. Mein Verlobungsring war, wie du weißt, im letzten Jahr in einen Mordfall verwickelt. Jetzt denkt Florian wohl, er müsse mich noch einmal richtig fragen, mit allem Drum und Dran. Ich will ihm den Spaß nicht verderben, verstehst du?«
»Ja, das verstehe ich«, sagte Paula und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Aber ob er sich nach dieser Abfuhr noch traut, dich zu fragen?«
»Klar, er ist doch kein Feigling.« Jessicas Blick fiel auf einen Mann am Tresen, der sich mit einem zweiten Mann unterhielt. »Das ist ja ein Ding«, brachte sie heraus, griff nach ihrem Glas und trank einen großen Schluck Wein. »Die beiden da hinten kenne ich. Ich hatte keine Ahnung, dass die gute Bekannte zu sein scheinen.«