Читать книгу Tod zum Viehscheid - Mia C. Brunner - Страница 9
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Оглавление»Servus, Jessica.« Oberwachtmeister Glasinger hob kurz die Hand zum Gruß. »Wir haben den Verdächtigen in den Verhörraum 3 gebracht. Ein Kollege wartet dort, bis der Anwalt eintrifft.« Das Bedauern in seinem Gesicht war nicht gespielt, als er sagte: »Der Junge ist gerade 20 geworden, kommt aus gutem Hause. Wie kann es sein, dass der kaltblütig zwei Menschen ermordet?«
»Das habe ich mich auch gefragt«, sagte Jessica und reichte dem Oberwachtmeister ihre Hand. »Immerhin hat er eine ganz beachtliche Strafakte. Einbruchdiebstahl und mehrere aufgebrochene Autos. Vermutlich hat das Ehepaar Michelsbach ihn auf seinem Raubzug durchs Haus überrascht.« Sie sah ihrem Kollegen direkt in die Augen. »Wie geht es deiner Frau?«, wollte sie wissen, ließ seine Hand dabei nicht los und legte ihre zweite behutsam auf seinen linken Oberarm.
»Sylvia geht es gut. Sie ist im Moment auf einer Fortbildung. Erst neulich hat sie zu mir gesagt, sie müsse dich unbedingt mal wieder anrufen.« Glasinger lächelte, befreite sich aus Jessicas Hand, trat einen Schritt zurück und schob beide Hände in seine Hosentaschen. »Wenn sie zurück ist, dann kommt uns doch besuchen, du und Florian. Wir könnten grillen oder einfach ein Glas Wein zusammen trinken.«
»Sehr gern«, sagte Jessica und lächelte. »Grüße bitte Sylvia ganz lieb von mir. Vielleicht hat sie auch mal wieder Lust auf einen Mädelsabend mit Paula und mir.«
»Das hat sie sicher. Ich erzähle ihr heute Abend von deinem Vorschlag, wenn ich mit ihr telefoniere.«
Thomas Glasinger verabschiedete sich, und Jessica machte sich auf den Weg in den Verhörraum. Hoffentlich traf der Anwalt bald ein.
Erst über eine Stunde später konnte Jessica mit der Befragung des jungen Mannes beginnen. Der Anwalt war zwar zeitig eingetroffen, doch wollte dieser zuerst mit seinem Mandanten allein reden. Das vertrauliche Gespräch hatte zur Folge, dass Matteo Lorenz jegliche Aussage verweigerte und auf Anraten seines Anwaltes keine von Jessicas Fragen beantworten wollte.
»Verstehen Sie eigentlich, in welcher Lage Sie sich befinden?« Jessica sah den Verdächtigen streng an. »Wir haben Ihre Fingerabdrücke am Tatort gefunden. Am Griff der Terrassentür, an der Stereoanlage und am Glastisch neben der toten Frau Michelsbach.«
»Aber nicht an der Waffe, mit der Herr Michelsbach ermordet worden ist«, warf der Rechtsanwalt ein und klopfte mit der flachen Hand auf den Ordner vor sich, in dem ihm alle Untersuchungsergebnisse vorlagen. »Das beweist also gar nichts.«
»Immerhin beweist das die Anwesenheit Ihres Mandanten am Tatort«, argumentierte Jessica gelassen. »Außerdem passt die Verletzung am Bein von Herrn Lorenz zu dem Blut am Couchtisch. Und seine DNA wurde an der Leiche von Frau Michelsbach sichergestellt. Möchten Sie mir vielleicht doch erklären, was Sie am Tattag im Haus des verstorbenen Ehepaares wollten?«
Matteo Lorenz schüttelte vehement den Kopf und sah die Hauptkommissarin voller Wut an.
Jessica vermutete, dass er hinter seinem ärgerlichen Gesicht seine Unsicherheit versteckte, denn die Hände des jungen Mannes zitterten ununterbrochen und er wippte nervös mit seinem rechten Bein.
»Mein Mandant ist unschuldig«, beteuerte der Anwalt und legte Matteo behutsam die Hand auf die Schulter. Die Geste sollte beruhigend wirken, doch der Junge wurde zusehends nervöser. »Und wenn Sie keine weiteren Beweise haben, werden wir jetzt gehen.«
»Sicher nicht«, fuhr Jessica streng dazwischen. »Die Beweise reichen für einen dringenden Tatverdacht völlig aus. Herr Lorenz kommt vorerst in Untersuchungshaft. Ich habe gehofft, dass er mich mit seiner Aussage davon überzeugen kann, nichts mit den Morden zu tun zu haben. Aber da er nichts sagt, vermute ich …«
»Ich habe nichts getan«, rief Matteo verzweifelt und sah seinen Anwalt ängstlich an. »Ich sollte ihr erklären, wie es war. Ich bin doch unschuldig!«
»Trotzdem rate ich Ihnen von einer Aussage ab. Bei Ihrem Vorstrafenregister ist es sehr unwahrscheinlich, dass die ermittelnden Beamten Ihnen Glauben schenken.« Der Anwalt sah die Tränen in den Augen seines Mandanten, seufzte deshalb ergeben und nickte schließlich. »Also gut. Schlimmer kann es nicht mehr werden.«
*
Heute war es Jessica, die spät nach Hause kam.
Zuerst hatte die Vernehmung des jungen Herrn Lorenz länger gedauert als normalerweise üblich. Dann galt es, den Verdächtigen dem Haftrichter vorzuführen. Auf dem Weg zurück von der Staatsanwaltschaft zum Präsidium sprang der Dienstwagen nicht an, also ließ sie ihn stehen, ging kurzerhand die Viertelstunde zu Fuß, bog zügig um eine Häuserecke und stieß unsanft mit einem Passanten zusammen, der ihr einen vollen Becher Kakao über Hals und Dekolleté goss. Als die lauwarme Flüssigkeit langsam ihren Oberkörper hinunterlief, ihr T-Shirt durchnässte und ihr komplett die Laune vermieste, sah sie den Mann so böse an, dass dieser sich nur kurz entschuldigte und dann schnell das Weite suchte. »Wir haben August, verdammt noch mal«, rief sie ihm aufgebracht hinterher. »Wer bitte schön trinkt bei 25 Grad im Schatten einen warmen Kakao?«
Dabei war es allein ihre Schuld gewesen, denn die Gedanken an ihren aktuellen Mordfall ließen sie nicht los. Sie hatte schlichtweg nicht aufgepasst.
Nach dem Gespräch mit Matteo Lorenz zweifelte sie immer mehr, ob es richtig war, den jungen Mann in Untersuchungshaft zu nehmen, doch die vorliegenden Indizien und die lange Liste an Vorstrafen, die der junge Mann auf dem Kerbholz hatte, ließen keine andere Entscheidung zu.
Immerhin hatte sie beim Haftrichter darum gebeten, den Jungen in den Jugendarrest zu überstellen und ihn nicht als Erwachsenen einzustufen. Seine Geschichte klang plausibel und wirkte ehrlich. Er gab zu, im Haus gewesen zu sein. Nach seiner letzten Straftat, einem Autodiebstahl, war er von einem Jugendrichter zu Sozialstunden verdonnert worden und sollte diese bei dem Ehepaar Michelsbach ableisten. Der Sohn des Ehepaares brauchte Ganztagsbetreuung. Und Matteo eine Resozialisierung. So waren zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Laut Matteo hatte sich das Ehepaar Michelsbach seit Jahren für straffällig gewordene Jugendliche eingesetzt. Sollte Matteo Lorenz etwas mit den Morden zu tun haben, machte das ihren Tod umso tragischer.
»Entschuldige meine Verspätung, aber ich habe mich im Präsidium noch geduscht und umgezogen.« Sie stieg aus ihrem Wagen und schlug die Tür zu. Es war fast 21 Uhr. »Schlafen die Kinder schon?«
Florian kam die Stufen vor der Haustür hinunter. In seiner Hand hielt er eine Flasche Wein, in der anderen zwei Gläser.
»Die beiden schlafen tief und fest«, verkündete er und lächelte. »Und wir zwei machen es uns jetzt im Garten gemütlich. Komm.« Er reichte ihr die Flasche, griff nach ihrer freien Hand und zog sie hinter sich her in den Garten hinter dem Haus. »Ich warte schon ewig darauf, dass du heimkommst.«
»Oh, wow. Was ist denn hier los?« Ein Meer aus Kerzenlichtern empfing sie, als sie um die Ecke bog.
Florian hatte zwei bequeme Gartenstühle und ein kleines Tischchen mitten auf die Wiese gestellt und unzählige Windlichter überall um die Stühle herum verteilt. Obwohl es um diese Zeit noch nicht gänzlich Nacht war, tauchte das matte Licht der vielen Kerzen die entfernte Umgebung in verschwommene Dunkelheit. Die nahe gelegene Hecke, die die Grundstücksgrenze markierte, war ebenso wie der alte Apfelbaum etwas abseits nicht mehr zu sehen.
»Habe ich doch etwas vergessen? Du warst am Samstag schon so schick, als du mit mir essen gehen wolltest. Falls ja«, flüsterte Jessica ehrfurchtsvoll und äußerst beeindruckt von dem Bild, das sich ihr bot, »möchte ich mich dafür entschuldigen. Das ist wirklich wunderschön.« Zum wiederholten Male stellte sie fest, dass Florian eindeutig der Romantischere von ihnen beiden war. »Oder hast du etwas angestellt?«, fragte sie belustigt und knuffte ihm scherzhaft in die Seite. »Was musst du gestehen? Hast du heimlich in meinem Tagebuch gelesen?«
»Komm«, sagte er, ohne auf ihre Frage einzugehen, und schob sie sanft zu einem der Stühle. »Ist dir warm genug? Soll ich dir eine Wolldecke holen?«
Als Jessica lachend den Kopf schüttelte und sich setzte, öffnete Florian die Weinflasche und goss ihnen beiden ein.
»Ha, jetzt weiß ich es«, sagte Jessica plötzlich. »Jetzt weiß ich, warum wir hier sind und du so auf romantisch machst.« Sie lachte laut.
Doch bevor sie etwas sagen konnte, beugte sich Florian zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss. »Das bezweifle ich stark«, flüsterte er dicht vor ihrem Gesicht und sah ihr tief in die Augen. Dann kniete er sich neben den Gartenstuhl ins Gras und griff nach ihrer Hand. »Bevor wieder etwas dazwischenkommt«, begann er nervös und räusperte sich vernehmlich. »Jessy, ich … Also, was ich sagen will … Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt, mehr als mein Leben. Du bist meine beste Freundin, der wichtigste …«
Weiter kam er nicht. Eine schrille Kinderstimme unterbrach abrupt seinen geplanten Heiratsantrag.
»Florian? Jessica? Könnt ihr schnell kommen?« Svenja hatte das Fenster im oberen Stockwerk weit geöffnet und schaute besorgt zu ihnen hinunter. »Tobi hat sich übergeben. Das ganze Bett ist eingesaut. Jetzt weint er. Kommt bitte schnell.«