Читать книгу Tod zum Viehscheid - Mia C. Brunner - Страница 7

3

Оглавление

»Herrgott, warum ausgerechnet hier?« Ewe war mit seinen Kräften am Ende und ließ sich auf einen kleinen Felsen am Wegrand nieder. »Wie weit ist es denn noch?«

»Ich vermute, wir müssen dort hinten bei dem großen Holzstapel neben der Baumgruppe um die Ecke und dann in diese Richtung weiter. Vielleicht noch 500 Meter«, schätzte Florian und wies auf den Gipfel des Berges, der über den hohen Tannen auf der rechten Pfadseite gerade noch zu sehen war. »Wozu schleppst du auch immer so viel mit? Hätten ein paar Latexhandschuhe nicht ausgereicht? Glaub nur nicht, ich helfe dir mit dem schweren Koffer. Ich finde es auch anstrengend, dass es ständig bergauf geht. Bin doch keine Bergziege.« Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und schob die Ärmel seines Pullovers bis zum Ellenbogen hoch. Seine Jacke hatte er wohlweislich im Auto gelassen, das gute zwei Kilometer weiter unten am Wegrand stand. Dort, wo die Straße an einem Wanderparkplatz aufhörte und der ausgetretene schmale Pfad über üppig mit Gras und Kräutern bewachsene Bergwiesen anfing. Aufgrund des unebenen und recht steilen Weges war der Aufstieg zur Alpe äußerst kräftezehrend und sehr mühsam.

»Kann es endlich weitergehen?«, fragte Florian ungeduldig. »Wenn du ständig Pausen brauchst, sind wir nicht zurück im Präsidium, bis es dunkel wird. Hoch mit dir!«

»Es ist gerade mal 10 Uhr vormittags.« Ewe erhob sich stöhnend und griff nach seinem Metallkoffer. »Runter geht es sicherlich etwas schneller«, bemerkte er sarkastisch. »Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass mein Koffer nichts lieber will, als nach unten zu kommen. Warum müssen Leichen auch immer an so unzugänglichen Stellen liegen?«

Heute in der Früh hatte sich ein Anrufer direkt an die Kemptener Dienststelle gewandt und von einer Leiche gleich neben seiner Alphütte berichtet. Er sei heute Morgen um kurz vor 4 Uhr quasi über diesen toten Menschen gestolpert, als er nach seiner einzigen Milchkuh rufen wollte, um sie zu melken. Über die Identität oder das Aussehen konnte dieser Alphirte nichts sagen, nur, dass es sich um einen Mann handelte.

Da Jessica mit dem Fall des ermordeten Ehepaares in Kempten betraut worden war, musste Florian diesen Todesfall übernehmen. Das kam ihm ganz gelegen, denn mit allergrößter Wahrscheinlichkeit war der Mann durch einen Unfall zu Tode gekommen. Niemand würde sich diesen schmalen Weg zur Alpe hinaufquälen, um dort oben einen Mord zu begehen. Da gab es bequemere Möglichkeiten.

Die Kluxhagener Alpe lag auf etwa 1.300 Metern Höhe an einem grasbewachsenen Berghang gegenüber dem imposanten Fellhorn und mit Blick auf das schöne Stillachtal. Die Hütte bestand aus einem einzigen Zimmer mit winzigen Fenstern. Wenn man durch die alte Holztür ins Innere wollte, musste man seinen Kopf einziehen, sonst stieß man mit der Stirn gegen den Türsturz. Florian sah durch eins der Fenster hinein, konnte aber niemanden sehen.

Direkt neben der Hütte aus dunkelbraunem, teilweise verwittertem Holz stand ein kleiner Verschlag, der als Stall diente. Für die etwa 50 Rinder, die weitab der Alpe in den Berghängen grasten, reichte der winzige Unterstand niemals aus. In den kleinen Stall passten höchstens drei oder vier Kühe.

Am heutigen Tag hielten sich der Nebel und die tief hängende Wolkendecke bis in die frühen Mittagsstunden in den höheren Berglagen. Eben noch hatte die warme Augustsonne den mühsamen Aufstieg erschwert, hier oben auf der Alpe war es dagegen kühl, feucht und neblig.

»Ich habe keinen Empfang«, stellte Florian nach einem kurzen Blick auf sein Smartphone fest. »Haben Sie uns angerufen?«, fragte er den jungen Mann, der aus dem Stall trat, seine dunkelgraue Strickjacke auszog und neben der Tür an einen Haken hängte. Er schob die Ärmel seines karierten Hemdes nach oben und fuhr sich mit beiden Händen durch sein dunkelbraunes Haar.

»Ja, das habe ich«, bestätigte der Mann nickend und reichte dem Hauptkommissar die Hand. »Und bevor Sie fragen, ich bin auf dem Pfad etwas weiter ins Tal gelaufen. Nach ungefähr 600 bis 700 Metern hat man Handyempfang. Hier oben gar nicht«, erklärte er und stellte sich dann vor. »Georg Bruchstein. Ich bin der Alphirte.«

»Hauptkommissar Florian Forster. Und das ist Erwin Buchmann, der Rechtsmediziner. Sie haben die Leiche hoffentlich nicht bewegt«, mahnte Florian und sah sich suchend um. Einen Toten konnte er im Umkreis der Hütte jedenfalls nicht ausmachen. Von hier aus konnte man trotz des Nebels ungefähr 50 Meter weit sehen. Vielleicht lag der Tote hinter dem Gebäude.

»Sehen Sie den Zaun dort drüben?« Georg Bruchstein wies mit ausgestrecktem Arm auf einen Punkt östlich von ihnen. »Dahinter ist ein tiefer Spalt im Berg. Mir sind dort in den letzten Jahren einige Tiere verunglückt, deshalb habe ich diese Absperrung zum Schutz gebaut. Ich kontrolliere regelmäßig, ob trotz Zaun ein Tier hineingefallen und verendet ist. Heute Nacht hatten wir ein Unwetter mit heftigen Blitzen und Donner. Da weiß man nie, ob eines der Schumpen durchgeht und abstürzt. Heute früh habe ich dort unten aber kein Rindvieh, sondern eine Leiche gefunden.«

»Wie tief ist denn der Spalt?«, wollte Ewe wissen. »Kommen wir da runter?«

Der Alphirte griff nach einem Seil, das über einer niedrigen Mauer aus losen Steinen zu seiner Rechten hing. »Der Spalt – wir nennen ihn Klux-Klamm – ist etwa drei Meter lang, teilweise bis zu acht Meter breit und zwischen 10 und 15 Meter tief. Ich kann Sie mit dem Seil sichern und an einer ungefährlicheren Stelle runterlassen.«

»Ausgezeichnet«, brummte Ewe. »Es reicht ja nicht, dass ich heute einen Berg besteigen muss. Jetzt muss ich auch noch klettern gehen.«

»Ich würde es dir gerne abnehmen, Ewe. Aber ich habe keine Ahnung von Leichen«, sagte Florian grinsend. Und an Georg Bruchstein gewandt: »Haben Sie den Mann in der Felsspalte erkannt? Sind Sie immer allein auf der Hütte?«

»Den Mann kenne ich nicht. Das hoffe ich zumindest, denn man kann ihn nicht vollständig sehen. Der Körper liegt mit dem Gesicht nach unten zwischen und teilweise unter den Felsen. Es müssen sich ein paar größere Steinbrocken gelöst haben und auf ihn gefallen sein. Das Gestein ist an manchen Stellen der Klamm recht locker«, erklärte Bruchstein und ging mit weit ausholenden Schritten auf den besagten Zaun zu. »Und ja, ich bin hier oben fast immer allein. Die Schumpen und ich verbringen den ganzen Sommer in den Bergen. Insgesamt über drei Monate. Manchmal bekomme ich Besuch von meiner Frau und meiner Tochter. Sie bleiben dann ein paar Tage auf der Alpe.«

»Aber zurzeit …«, begann Florian, wurde jedoch sofort unterbrochen.

»Seit zwei Wochen bin ich allein. Wer von Ihnen will jetzt hinabsteigen?« Georg Bruchstein hielt das Seil herausfordernd in die Höhe.

Das Ende des dicken Taus lag neben ihm im Gras. Florian hatte sich am Rand des Abgrundes auf einen flachen Stein gesetzt, stützte die Ellenbogen auf den Knien ab und schaute zu Erwin Buchmann hinunter, der ungesichert am Grund der Bergspalte zwischen den Felsen herumkletterte und schließlich die Leiche erreichte.

Angenehm war der Anblick des toten Körpers nicht. Selbst von hier oben erkannte Florian die eingedrückte Schädeldecke am Hinterkopf der Leiche. Der Nebel hatte sich verzogen, die Sonne stand hoch am Himmel und ihr Licht erhellte den Spalt bis in die entferntesten Tiefen. Man konnte sehen, dass die Arme und Beine des Toten mehrfach gebrochen und unnatürlich verrenkt wie die Tentakel eines Kraken zwischen den Steinen lagen. Den größten Teil seines Rückens bedeckte ein schwerer Stein in der Größe einer Wassermelone. Immerhin war nirgends Blut zu sehen. Der Regen der letzten Nacht hatte alle Verletzungen und Schnittwunden an Armen und Hals ausgespült und gesäubert, sodass nur noch wunde rote Löcher in der Haut zu sehen waren.

Der Rechtsmediziner legte prüfend seine Finger an die Halsschlagader der abgestürzten Person, sah zu Florian hoch und schüttelte den Kopf.

»Hat ihm jemand auf den Schädel geschlagen?«, wollte der Hauptkommissar wissen und schaute kurz zu Georg Bruchstein, der neben ihm stand und ebenfalls hinunterblickte. »Vielleicht mit einem Stein?«

»Das kann sein«, bestätigte Ewe und sah sich die Kopfverletzung des Toten genauer an. »Aber den Schädelbruch kann sich der junge Mann auch durch den Sturz zugezogen haben, genau wie die Arm- und Beinbrüche.«

»Ein junger Mann also. Wie alt schätzt du ihn?« Florian ließ seine Füße über dem Abgrund baumeln und beugte sich ein kleines Stückchen vor. »Woran erkennst du sein Alter? Du kannst doch sein Gesicht gar nicht sehen.«

»Ich habe keine Ahnung, wie alt er ist«, brummte Ewe genervt. »Der Mann trägt ein sehr buntes Paar Turnschuhe, wie sie junge Leute bevorzugen. Auch der Sidecut, diese an einer Seite komplett rasierte Frisur, lässt auf einen jüngeren Menschen schließen. Ich stelle nur Mutmaßungen an«, erklärte er. »Ich brauche meinen Koffer.«

Die Bergung der Leiche gestaltete sich äußerst schwierig.

Zuerst musste Florian ein ganzes Stück den Pfad hinunterlaufen, um mithilfe seines Smartphones die örtliche Bergrettung mit einem Hubschrauber anzufordern. Mit dem großen Transporter der Rechtsmedizin konnten sie den steilen Hang nicht hinauffahren. Ebenso war es nahezu unmöglich, die Leiche auf einer Trage über den Feldweg den Berg hinunterzuschaffen. Selbst ein Geländewagen mit viel PS und Vierradantrieb würde den steilen Anstieg kaum bewältigen.

Erst über eine Stunde später traf der Hubschrauber ein und landete direkt neben der kleinen Alphütte.

Der Älpler Georg Bruchstein hatte indes seine Herde in höhere Berglagen getrieben, um sie dem Stress der lauten Rotorblätter des Rettungshubschraubers nicht auszusetzen. Zwei Bergretter stiegen schließlich in die schmale Felsspalte hinab und stellten fest, dass sie die mitgebrachte Trage nicht verwenden konnten. Es war unmöglich, sie an den Seilen die Felswand hinaufzuziehen, ohne dass der darauf liegende Leichnam beschädigt wurde. Deshalb legten sie den Toten in eine Plane, banden diese zusammen und zogen das Paket so behutsam und langsam wie möglich hinauf. Die ganze Aktion dauerte mehrere Stunden.

Erst am späten Nachmittag war die Bergung abgeschlossen.

Tod zum Viehscheid

Подняться наверх